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Der Begehungsplan wird am besten die Tallinie wählen, dann eine Gehängequerung parallel zur Tallinie in der Höhenmitte des Gehänges, womöglich auf beiden Talseiten, endlich eine entsprechende Wanderung in der Hochregion. Talvorsprünge bieten treffliche Umschau, Gipfel mittlerer Höhe ausgebreitete Einblicke, Besuche der höchsten Hochgipfel sind nicht zu entbehren. Querungen zwischen den genannten Hauptlinien, Abstecher, Stichproben sind nach Tunlichkeit einzulegen, besonders wichtige Objekte gesondert zu besuchen. Manches läßt sich aus der Ferne wahrnehmen, die Grenze sicherer Wahrnehmung meldet sich dem Forscher von selbst. Denn nicht über einen Gegenstand zu schreiben, sondern das Richtige zu finden wird ihm Selbstzweck. Moränen wird man, auch wenn sie aus der Ferne gut wahrnehmbar sind, fast stets besuchen. Nur ein an die Eigenart des Terrains möglichst genau angepaßtes Begehungsnetz ermöglicht die kartographische Darstellung der Entwicklungsgeschichte des Terrains. Es ist klar, daß das Netz von Begehungslinien nicht mit dem wirklichen Wegnetze zusammenfällt. Auch in einem Lande hochalpiner Wege, wie es die Alpen sind, wird man diese nur teilweise benützen können, dann sie aber um so dankbarer empfinden. Möglichste Unabhängigkeit vom Wegnetz ist eine leider unerläßliche Hauptbedingung der Hochterrainaufnahme. Turistische Gewandtheit ist daher nur von Vorteil, wie eine leichte Behandlung des Terrains angesichts seiner Überraschungen bei Licht und Dunkelheit einen fließenden Fortschritt der Aufnahme verbürgt. Manch harte Mühsal mit Baum, Strauch und Stein, der als Ersatz kein lockender Gipfel winkt, ist dabei nicht zu umgehen.

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Die Gangart ist der Eigenart angepaßt. Der gleichmäßige Berggang des Alpinisten hat sich bei ausgedehnten und eingehenden Forschungen nicht bewährt. Die zahlreichen notwendigen Haltpunkte rechtfertigen und ermöglichen eine schnellere Gangart. Der Reichtum des Beobachtungsmaterials. bringt es trotzdem mit sich, daß der Tag meist zur Rüste geht, ehe das Programm erledigt ist. Bei der Wahl, eine Beobachtung oder eine Bequemlichkeit zu opfern, entscheidet man sich fast immer für das letztere. Bei Sonnenuntergang den Bergkamm oder Gipfel zu verlassen gehört zum Gewöhnlichen. Ich sah den Sonnenuntergang von der Sasseneire, verließ bei einbrechendem

Abend den Hafnerspitz und marschierte anderwärts zweimal die ganze Nacht hindurch. Das ist nun keineswegs löblich, aber ich habe kein Mittel gefunden, es ganz zu vermeiden.

Als Instrumentarium verwende ich Bergkompaß und Klinometer, Aneroid und Horizontalglas, ein eigens angebrachtes Tuschfläschchen und Ausziehfeder, dann Farbstoffe für Flächenkolorit und geologischen Hammer. Im übrigen ist die Ausrüstung eine hochturistische. Der Proviant ist verschwindend. Eine opulente Mahlzeit erzeugt Panstimmung und macht arbeitsunfähig, raubt alles in allem ein Drittel des Tages. Auch bei einer mittleren Mahlzeit fällt der Zeitverlust schwer ins Gewicht. Ist man im Zuge der Arbeit, so ist zum Essen einfach keine Zeit. Ich erinnere mich einer Woche in der Schweiz, in der ich täglich von einem Glas Milch, einer kleinen Sardinenbüchse, etwas Schinken und einem Fläschchen Wein, morgens, mittags, abends lebte, dabei täglich 2500-3000 m im An- und Abstiege zurücklegte und am Ende weder eine Einbuße der Kräfte empfand, noch auch wesentlich schlanker geworden war. Eine solche Lebensweise in der Stadt wäre undenkbar. Begeisterung und Höhenluft scheinen eben Kräftesparer zu sein.

Ein wichtiger Behelf der Aufnahme ist die Höhenschätzung. Die Genauigkeit der Höhenangaben braucht in einer Zeit der Begründung der hier vorgetragenen Anschauungen nicht die des Nivellements oder der Höhenkoten der Karte zu sein; eine Höhenschätzung genügt. Die durch die Karte gegebene Fehlergrenze bewegt sich je nach ihrem Maßstabe in Höhengrenzen von 100, 50, 25 m, vorausgesetzt, daß die Standorte kartographisch genau fixierbar sind. Die barometrische Höhenmessung mit ihrer unerläßlichen Temperaturkorrektur, ihren häuslichen Berechnungen bildet mit Rücksicht auf die große Zahl notwendiger Daten und der Unerreichbarkeit mancher Punkte, deren Höhen annähernd bekannt sein sollen, einen schwerfälligen Ballast und wurde sparsam verwendet. Die Höhenschätzung kann eine Schätzung à la vue sein, welche ich nicht verwende, oder durch wiederholtes Auftragen und Abzählen eines bestimmten, etwas weniger als zwei Meter betragenden Vertikalabstandes, sei es durch Emporsteigen am Gehänge, sei es durch Abschätzen mit dem Auge. Die erreichte Genauigkeit ist im ersten Falle eine befriedigende. Bei einer probeweisen Begehung in den Steiner Alpen (Žagana pec

Zoishütte) betrug auf fast 1000 m Höhenunterschied der Fehler gegenüber den gemessenen Punkten der Karte 11/2 m. Bei Anwendung dieses Verfahrens sind wiederholte Proben unerläßlich. In derselben Weise kann man mit dem Auge schätzen, indem man einen bestimmten Vertikalabstand auf dem Gehänge aufträgt. Gegenstände von annähernd bekannter Größe, Bäume, Häuser, Kapellen und auch zufällig anwesende Menschen, deren Alter sich aus ihrer Bewegungsweise abschätzen läßt, dienen auch für große Entfernungen als weiterer Anhalt. Die gewonnenen Werte werden noch im Terrain mit den möglichen der Karte verglichen und festgelegt. Erfahrungsgemäß ergeben sich Minimalwerte. Doch weichen die gewonnenen Werte besonders unter Berücksichtigung der perspektivischen Verkürzung mit zunehmender Entfernung, wenn man sie am Arbeitstische nach Karte und ihrer gegenseitigen Übereinstimmung prüft, nicht zu sehr von den wirklichen ab.

Bei der Begehung soll der Rucksack leicht, Karte, Notizbuch und Zeichenmaterial stets zur Hand sein. Nichts hemmt so sehr die nötige Bewegungsfreiheit und bannt auf den Weg als ein Rucksack, der über die fühlbare Grenze hinausgeht. Einen leichten Rucksack ziehe ich jedoch dem Gehen ohne Rucksack vor. Die Identifizierung des Terrains auf der Karte muß eine von Terrainabschnitt zu Terrainabschnitt lückenlose sein. Jedes erkennbare und umgrenzte Terrainobjekt wird an Ort und Stelle in die Karte eingetragen, an einem größeren Rastpunkte ergänzt und womöglich mit Farbstoff koloriert. Der Text wird womöglich an Ort und Stelle abgefaßt und ergänzen ihn Skizzen mit Höhenzahlen und Neigungswinkeln. Sie helfen über die eine oder andere Auslassung, die bei der Niederschrift vielleicht selbstverständlich schien, nach Jahr und Tag jedoch zur Unklarheit Anlaß geben sollte, hinweg. Eine photographische Kamera zur Festhaltung besonders wichtiger Objekte ist sehr schätzenswert.

Das gute Wetter wird voll ausgenützt; selten ist das Wetter so schlecht, daß die Aufnahme ganz unterbrochen werden müßte. Bei der Ausarbeitung des gewonnenen Beobachtungsmaterials liegt auf der Ausführung einer korrekt und rein gearbeiteten Karte das Hauptgewicht.

Eiszeitstudien im Kaukasus.

Nach L. Distel und A. v. Reinhard.

(Mit 3 Textfiguren.)

Das Studium der eiszeitlichen Verhältnisse im Kaukasus ist bis vor kurzem nicht systematisch in Angriff genommen worden. Der klassische Erforscher dieses Gebirges, Hermann A bich, der in seinen ersten Studien über den Kaukasus die Existenz eiszeitlicher Spuren überhaupt leugnete, kam schließlich zu dem Ergebnis, daß die eiszeitlichen Gletscher bis zum Nordrand des Gebirges gereicht hätten, während sein Zeitgenosse E. Favre sogar das ganze nördliche Vorland als in die ehemalige Vergletscherung einbezogen annahm. Einen großen Fortschritt bedeutet in dieser Hinsicht die auf einer einzigen Exkursion (1881) gewonnene Anschauung des berühmten russischen Geologen J. Muschketow, der auch im Ausmaß der eiszeitlichen Vergletscherung im Kaukasus ein Bindeglied zwischen den Alpen und den zentralasiatischen Gebirgen sah, indem in ihm die Vergletscherung einen Übergangscharakter zwischen der Vorlandvergletscherung der Alpen und den tief im Innern des Gebirges endenden Gletschern des Tian-schan getragen habe. In der Folgezeit versuchten Michailowski und Fournier die Rekonstruktion einiger alter Gletscher im zentralen Teil des Gebirges mit wenig Glück und auf Grund nur spärlicher selbständiger Beobachtungen. Von maßgebendem Einfluß für eine Gruppe von Forschern wurde das Urteil von A. Heim, der, gestützt auf die Beobachtungen auf einer vom Internationalen Geologenkongreß unternommenen Exkursion längs der Grusinischen Heeresstraße (1897), sich dahin aussprach, daß die in den Alpen schon damals als glazial gedeuteten Formen dem von ihm besuchten Teile des Kaukasus fehlen, und da er bezüglich der Grenzen der diluvialen Vergletscherung sich den Vorstellungen von Abich und Favre anschloß, mußte er schließen, daß im Kaukasus die Eiszeit keine nennenswerte morphologische Bedeutung gehabt haben könne. Diese Schlüsse Heims wurden von Merzbacher ohne eigene Studien auf den ganzen Kaukasus ausgedehnt, während E. Richter viel vorsichtiger sein Urteil dahin faßte, daß es bisher an geeigneten Beobachtungen zur Entscheidung dieser Frage fehle. Leider sind solche auch von einem sonst sehr gründlichen Kenner des Kaukasus, wie es M. v. Déchy ist, nicht beigebracht worden und indem er unkritisch einander wider

sprechende Schlüsse zu vereinigen suchte, gibt er ein Bild von der eiszeitlichen Vergletscherung des Kaukasus, wie es etwa den Anschauungen von Abich für die Nordseite entspricht, die übrigens auch in die meisten Handbücher übergegangen sind. So bestand also eine große Unsicherheit sowohl über die Grenzen der eiszeitlichen Vergletscherung als auch über ihre Bedeutung für die morphologische Ausgestaltung des Gebirges und es ist daher sehr zu begrüßen, daß ungefähr gleichzeitig und völlig unabhängig voneinander zwei mit den in Frage kommenden Erscheinungen wohl vertraute Forscher die eiszeitlichen Verhältnisse des Kaukasus zu ihrem Studienobjekt gewählt haben. Die endgültige Formulierung ihrer Ergebnisse liegt nunmehr vor.

Der durch seine Eiszeitstudien in den Hohen Tauern und die daran geknüpfte Diskussion bekannte Münchener Geograph L. Distel1) hat sich auf seiner Reise 1911 zu seinem Arbeitsfeld ein räumlich ziemlich beschränktes Gebiet gewählt, nämlich das Quellgebiet eines der bedeutendsten linken Zuflüsse des Tirek, des Baksán, das, fast vollständig im granitischen Kern des zentralen Gebirgsabschnittes und überdies in der Nachbarschaft heutiger Gletscher gelegen, die besten Aussichten für die Erkenntnis der bodengestaltenden Wirkungen der alten Gletscher bot. Das Schwergewicht seiner Beobachtungen, die von der jungvulkanischen Masse des Elbrus im W bis zum Adürsu-Gletscher im O reichen, liegt also auf morphologischem Gebiet. Nach Distel sind die Täler dieses Abschnittes einfache Abdachungstäler, deren Entwicklung auch durch die späteren Lavaergüsse des Elbrus-Massives nicht wesentlich beeinflußt worden sei. Diese steilwandigen Täler erhielten durch eingelagerte Schwemmkegel und andere Aufschüttungen flache Sohlen und konkav ansteigende untere Gehängepartien, so daß das im übrigen einfach kastenförmige Profil aus der Entfernung den Eindruck eines Ganz- oder Halbtroges erweckt. Das aus den Alpen bekannte und gewöhnlich als für ehemals vergletscherte Gebirge charakteristisch gehaltene trogförmige Querprofil jedoch zeigt sich in dem untersuchten Gebiet, das hintere Adürsu-Tal ausgenommen, niemals; namentlich finden sich nicht leistenartige Verebnungsflächen an den Gehängen in der Form der alpinen Trogschulter, so daß sie als alte Talbodenreste gedeutet werden könnten, außer im Kürtük-SültranTalsystem; wenn trotzdem Seitentäler als trogförmig bezeichnet werden können, so handelt es sich um ein ganztaliges", von keinem Schulterabsatz unterbrochenes Trogprofil, bei dem die untere konkave Rundung durch eingelagerte Schuttmassen erzeugt wird. Ebenso fehlt auch der für glaziale Alpentäler typische Trogschluß, trotz der vorhandenen Konvergenz von Gletscherarmen im Talhintergrunde. Mündungsstufen finden sich bei einigen, gleichsohlige Mündungen

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1) Ergebnisse einer Studienreise in den zentralen Kaukasus“, Abh. d. Hamburger Kolonialistitutes, Bd. XXII, 96 S. mit 33 Abb., 1 Kartenskizze und 1 Profiltafel, Hamburg, L. Friederichsen & Co, 1914.

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