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erreicht, der Sitz des nahezu unabhängigen Fürsten des DschaglaReiches, die Basis der chinesischen Politik gegen Tibet und der größte Marktort, namentlich für Tee, nach Lhassa.

Nun hätte Tafel direkt und ohne Schwierigkeiten nach O weiterreisen können, aber ihn reizte das noch so wenig bekannte Land im N, Kintschuan, das Goldflußland, wo die sprachliche und völkische Grenze Tibets gegen China, aber auch die Berührung zwischen dem Kuenlun-System und den hinterindischen und simischen Gebirgen festzustellen war. Mit neuen Begleitern zog Tafel durch eine großartige Gebirgsszenerie auf sehr schwierigen Wegen von Tatsienlu nach N, dann im Tal des Goldflusses abwärts, über einen 4060 m hohen Paß herunter in das Tal des Karyutschü und an diesem abwärts nach Somo und Matang. Das Streichen der auch hier wieder allein herrschenden, senkrecht gestellten permokarbonischen Sandsteinplatten und Kalkbänke hat sich bis N 40 W gedreht. Von großer Wichtigkeit ist eine vorherrschende Kluftrichtung N 20 O am ganzen Ostrand Tibets; in dieser Richtung verläuft eine große Anzahl von Tälern und sinkt auch das Faltenrumpfland gegen O in Brüchen ab, so daß bisweilen echte,,Landstaffeln" entstehen; zumeist aber handelt es sich bloß um eine unmerkliche Abbiegung nach O. Über den tiefen Schluchten erscheinen auch hier in Höhen von über 4000 m ausgedehnte, lößbedeckte Felsterrassen, die sich bisweilen zu einem breiten Sockel erweitern, über den erst die eigentlichen Gipfel aufsteigen. Trogformen und Talstufen erwiesen die Wirksamkeit der alten Gletscher. Ständige Besiedlung und Felder reichen bis 3300 m, der Hochwald bis 3900 m, die Schneeflecken bis 4600 m. Aus der Landschaft Zangskar führte ein Anstieg wieder auf ein schwach zerschnittenes Hochplateau mit der Wasserscheide zwischen Hoangho und Yangtse; gegen N zeigt sich dem Blick ein Gewirr von Kuppen, Hügeln, kurzen Ketten und Talebenen, ohne Gipfel über 4000 m, bedeckt von Blockmeeren und Morästen. Das ist die Heimat der wilden und freien Ng-Golokh-Tibeter. Das Land steigt gegen N auf 4400 m an; ein langes Trogtal im Granit führt langsam aufwärts und geht bei 3700 m in eine Schlucht über. Ein Überfall beim Kloster Merge durch Tibeter raubte Tafel abermals Tiere und Gepäck und erst nach langen Unterhandlungen und gegen hohes Lösegeld bekam er seine Sachen wieder.

Das letzte Problem war die endgültige Feststellung des Laufes des Hoangho nordöstlich des wichtigen Straßenknotens und Handelsplatzes Sungpanting am Minkiang, wo auch bereits die Verdrängung der Tibeter durch die Chinesen im Lößgebiet begonnen hat. Auf der Hochebene Garila in der Hoangho-Yangtse-Wasserscheide entspringt der Retschü, der durch Sumpfebenen träge nach N zum Metschü fließt. Ein Abstecher vom Kloster Roagomba nach SSW führte Tafel gerade an den Punkt der großen Kehre des Hoangho in 3430 m (102o 15 1/2' ö. L. und 33o 33 1/2' N), wo der Hoangho in großen Windungen und in einer breiten Talebene aus WSW kommt und nun plötzlich nach NW umbiegt. Dadurch erfahren also alle Karten, auch noch die Filchners, eine wesentliche Berichtigung. T a fel vermutet, daß diese

Wendung des Stromes ganz jungen Datums und dieser noch vor kurzem nach SO in das Yangtse-Gebiet geflossen sei. Von Raogomba zog Tafel weiter nach N über Hochflächen und breite Mulden durch O-W streichende Sandsteine und zerdrückte Karbonkalke, bedeckt von roten Konglomeraten, in das Quellgebiet des Taoho, der wieder dem NO streichenden Kluftsystem folgt, gelangte in das lößbedeckte Tertiärbecken von Alt-Tatschou, einer wichtigen mohammedanischen Handelsstadt und wieder einem vorgeschobenen Posten der chinesischen Kultur; ferner nach dem Lamaort Lobrang, wo auch die Tibeter schon Ackerbau treiben, und erreichte endlich auf wohlbekannten Wegen durch Löß und Tertiär zu Ende 1907 wieder Lantschou, von wo die Rückreise noch unter manchen Widerwärtigkeiten über Hsinganfu an die Eisenbahn in Honanfu zurückgelegt wurde.

Neben den kartographischen Aufnahmen, die auch unter den größten Schwierigkeiten ununterbrochen fortliefen, hatte Tafel sein Hauptaugenmerk auf die geologischen und morphologischen Verhältnisse gerichtet und die in dem vorliegenden Reisewerke eingestreuten Notizen lassen bereits einige der wichtigsten Tatsachen erkennen. Zunächst fällt die außerordentliche Einförmigkeit der geologischen Zusammensetzung auf. Überall kehren im östlichen Tibet und in seinen chinesischen Randgebieten die graugrünen Sandsteine und Tonschiefer des Permokarbon wieder, die so sehr zur Eintönigkeit des Landschaftsbildes beitragen. Seltener sind die unterkarbonischen Kalke mit schärferen Formen und granitische Intrusionen. Diese Schichtfolge erfuhr (im Perm?) eine intensive Zusammenpressung; regelmäßiger Antiklinalenbau scheint zu fehlen, da stets nur von sehr steil gestellten Schichtplatten die Rede ist. Dabei bewahrt das Streichen mit bemerkenswerter Beharrlichkeit die Richtung OSO, die erst an den Grenzen Chinas gegen SO abschwenkt. Über das ganze Gebiet aber zieht sich eine riesige ideale Ebene, offenbar eine subäeril entstandene Rumpffläche; die breiten Steppenmulden und Talebenen sind nur wenig tiefer unter die breiten Ketten eingesenkt, die durch flache Gehänge und nur selten durch schroffere Gipfelbauten gekennzeichnet sind. Das sind die von allen Reisenden beschriebenen charakteristischen Landschaftszüge der echt zentralen Gebiete von Hochasien. Besonders wichtig aber ist die Tatsache, daß diese greisenhaften Formen auch in den Gegenden jugendlicher und intensiver Zertalung über den Formen der erneuten Erosion wiederkehren als breite Terrassen, Hochflächen und ausdruckslose Gipfelformen, wobei möglicherweise die tieferen alten Talböden von den weiten Hochflächen auch seitlich zu trennen sind; und sonderbar unvermittelt stehen diese beiden Formengebiete, die echt zentralen und die Übergangslandschaften, nebeneinander, wie sich beim Überschreiten der Hoangho-Yangtse-Scheide mehrmals zeigte. Das Alter der großen Rumpffläche ist durch die sie überlagernden und alle Täler hoch auffüllenden Kontinentalschichten der Hanhai-Serie (Pliozän?) nur ungenau bestimmbar. Unsicher ist. auch (wenigstens nach den vorliegenden Bemerkungen des Verfassers), wann die Hebung des Sumpfes in seine heutige große Höhenlage so

wie seine teils inflexurartiger Abbiegung, teils durch Bruchstufen sich vollziehende Scheidung von den chinesischen Randlandschaften begann; ferner ob die breiten Täler und Mulden nur ein sehr weit vorgeschrittenes Erosionsstadium anzeigen oder durch tektonische Mitwirkung entstanden. Sicherlich aber haben derartige umfassende tektonische Bewegungen, vielleicht in Form eines Absinkens der östlichen Gebiete, noch in sehr junger Zeit angedauert, wie der durchaus jugendliche Charakter der Flüsse im oberen Ho- und Yangtse-Gebiet beweist, die nun überall an der Arbeit sind, die zentralen abflußlosen Teile aufzuschließen und in die peripherische Entwässerung einzubeziehen. Im Lößgebiet dauerte diese junge Erosion während der Lößablagerung an, wie die durchschnittenen Lößwände und lößbedeckten Gehänge am mittleren Hoangho beweisen, aber sie scheint zum Teil noch jünger zu sein, wie die lößbedeckten Talböden und Gehänge über den jungen Schluchten im „Goldflußland" und am oberen Hoangho (bei Ninghsinfu) anzeigen, eine Erscheinung, die mit den Beobachtungen von Bailey Willis im nördlichen China in Einklang steht. Vermutlich ist die Lößbildung auf dem großen Hochplateau noch jünger als in der Ebene, was mit der äolischen Theorie, der sich Tafel durchaus anschließt, übereinstimmt. Stets aber ist der Löß scharf getrennt von den Ablagerungen der wohl nur wenig feuchteren Schotter- und Seenperiode des Pliozäns. Ein allmählicher Übergang der Hanhai-Schichten in Löß findet nicht statt. Zwischen diese beiden klimatisch wohl unterscheidbaren Perioden scheint sich die Glazialzeit einzuschalten, deren morphologischen und geologischen Spuren Tafel überall nachgegangen ist. Im Plateaugebiet reichen die alten Endmoränen mehrfach bis auf die großen Schuttebenen, bis zu Höhen von etwa 4800 m, im oberen Dsatschügebiet bis 4000 m herab, während heute erst bei Gipfelhöhen von nahe an 6000 m Gletscher sich entwickeln.

Mehrfach bringt Tafel interessante Bemerkungen über den Witterungsverlauf im tibetischen Hochland. Der Winter ist bei herrschenden Westwinden außerordentlich kalt, stürmisch, trocken und staubreich. Erst mit dem Einsetzen der feuchten Monsune von Osten zu Beginn des Frühjahrs (Ende März) entwickelt sich eine Schneedecke. An Intensität stehen diese Ostwinde den winterlichen Weststürmen wesentlich nach und sind zumal bei ihrem Feuchtigkeitsgehalt nicht imstande, die nach W flach geböschten Barchane umzuformen. In der Sommermonsunzeit ist der typische Witterungsverlauf der folgende: Nach einem klaren ruhigen Morgen setzt der SOMonsum ein, während in großen Höhen eine dünne Zirrusdecke nach W strebt; um Mittag gibt es Gewitter mit Regen und Hagel, der Abend ist wieder ruhig und klar. Im Yangtse-Gebiet bedingen die hochsommerlichen Monsunregen und nicht die ganz unbedeutende Schneeschmelze die Hochwässer.

Von großem Interesse sind die Mitteilungen Tafels über den Volkscharakter der Chinesen, der hier fernab in der Berührung mit den Europäern weit unangenehmer und unsympathischer empfunden.

wird als in den Randgebieten, der gutmütigen, aber energielosen Mongolen und der kriegerischen, unabhängigen und räuberischen Tibeter, über das allmähliche Vordringen des Chinesentums längs der Handelsstraßen und in die Lößgebiete auf Kosten der Nomadenvölker und die daraus sich ergebenden Gegensätze und Konflikte. Ausführlich schildert Tafel das religiöse Leben und das Klosterleben des Lamaismus, in umfangreichen Exkursen erzählt er Episoden aus der kriegerischen Geschichte des Landes in ferner und naher Vergangenheit und erschließt dem Leser das innere Leben dieser immer noch wenig gekannten Völker. Denn wohl mit Recht bemerkt er, daß China erst in den Randlandschaften erschlossen ist.

Dieser kurze Überblick dürfte eine ungefähre Vorstellung von dem Reichtum und der Vielseitigkeit der Beobachtungen Tafels geben. Es ist zu wünschen, daß seine Ergebnisse bald auch in abgeschlossen verarbeiteter Form vorliegen mögen.

Kleinere Mitteilungen.

Die Ergebnisse der Volkszählung in der österreichisch-ungarischen Monarchie Ende 1910.

Von Dr. Hermann Leiter.

Im Jahre 1911 wurden an dieser Stelle die damals erschienenen vorläufigen Ergebnisse der österreichischen Volkszählung kurz erörtert.1) Seither sind die endgültigen summarischen Ergebnisse der Österreichischen Zählung vom 31. Dezember 1910 veröffentlicht worden") und ebenso die Daten der Zählungen in den Ländern der heiligen Stephanskrone3) und die von Bosnien und der Hercegovina.*) Nach diesen Veröffentlichungen zählte die Monarchie Ende 1910 In Österreich. 28,571.934 Einwohner Ungarn. 20,886.487 1,931.802 51,390.223 Einwohner

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Bosnien und der Hercegovina

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wobei Zivil- und Militärbevölkerung zusammengerechnet wurde.3) In den folgenden Ausführungen beziehen sich die Zahlenwerte für die Reichslande Bosnien und die Hercegovina nur auf die Zivilbevölkerung, die mit 1,898.044 angegeben wird.

Es wurde schon im früheren Aufsatz darauf hingewiesen, daß in den letzten Jahren eine starke Auswanderung aus der Monarchie erfolgt ist, es muß aber zugleich betont werden, daß auch andererseits die Rückwanderung nach der Monarchie eine recht beträchtliche war.

1) Die neuen Volkszählungen mit besonderer Berücksichtigung Österreichs. "Mitteilungen" der k. k. Geographischen Gesellschaft, Wien 1911, S. 476.

2) Österreichische Statistik, Neue Folge, I. Bd.: Die summarischen Ergebnisse, Heft 1-3 erschienen, 4 in Vorbereitung; II. Bd.: Heimatsrechtsverhältnisse, Heft 1, 2 erschienen, 3 in Vorbereitung; III. Bd.: Berufsstatistik, Heft 1–3 erschienen, 4-12 in Vorbereitung; IV. Bd.: Häuser- und Wohnungsstatistik, Haushaltungs- und Familienstatistik, Heft 1 erschienen, 2, 3 in Vorbereitung.

3) Ungarisches statistisches Jahrbuch, N. F., XX. Bd, Budapest 1914. Publikacije Kr. Zemaljskoga Statističkoga Ureda LXIII. Popis Žiteljstva od 31. XII. 1910, Zagreb 1914.

4) Die Ergebnisse der Volkszählung in Bosnien und der Hercegovina am 10. X. 1910, Sarajevo 1912.

5) Diese kleine Abweichung von den vorläufigen Ergebnissen ändert nichts an den im Jahre 1911 gegebenen Perzentzahlen.

Mitt. d. k. k. Geogr. Ges. 1915, Heft 4.

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