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Deutschlands Handelshäfen.

Von Dr. Norbert Krebs.')

(Mit 5 Textfiguren.)

Von der berufensten Seite, dem deutschen Reichskanzler, ist in der Reichstagssitzung vom 2. Dezember 1914 erklärt worden, daß England die innere Verantwortung an dem großen Völkerkrieg trägt. Wirtschaftliche Interessen bestimmen die englische Politik und wie in früheren Zeiten leitete Albion den Kampf mit seinem festländischen Konkurrenten auch jetzt durch den Überfall auf deutsche Handelsschiffe, die Besetzung wehrloser Kolonien und die Absperrung der Meere ein. Das Aufblühen der deutschen Handelsflotte, die durch eine sorgsam gestärkte Seemacht gestützt wird, die immer weiter ausgreifenden Handelsbeziehungen deutscher Kaufleute in Amerika und Afrika, in Ostasien und der Südsee und nicht zuletzt die fabelhafte Entwicklung mancher deutschen Kolonien, die vor wenigen Jahrzehnten noch armselig und wenig verlockend erschienen: das alles ist England ein Dorn im Auge; es sieht sich bedroht in dem einträglichen Zwischenhandel mit dem Kontinent und sucht im Krieg die Stellung zu erzwingen, die sich im friedlichen Wettbewerb nicht mehr behaupten läßt.

Da lenken sich unsere Blicke unwillkürlich nach Deutschlands Wasserkante, der es diesen Aufschwung verdankt, und wir gedenken der großen Schwierigkeiten, die die Natur sowohl wie auch die Menschen der prächtigen Entwicklung entgegengesetzt haben, die wir in den letzten Jahrzehnten miterlebten. ,,Bleibend ist", wie H. Hassinger in seinem schönen Buch

1) Teilweise gekürzte Wiedergabe zweier Vorträge in der Wiener k. k. Geogr. Ges. am 15. Dezember 1914 und in der Wiener Urania am 27. Januar 1914.

über die Mährische Pforte2) sagt,,,das geographische Kapital einer Landschaft, die Verzinsung durch den Menschen aber erfährt eine bewußte oder unbewußte Förderung oder stößt auf Hemmnisse." An Deutschlands Küsten sind die Bedingungen zu einer Seemacht wohl gegeben, und zwar an der Nordsee in höherem Maße als an der Ostsee, aber gerade hier von Natur aus so erschwert, daß nur ein starkes Volk die Hemmnisse überwinden kann, ein schwaches zur Untätigkeit verurteilt oder selbst vom Gestade abgedrängt wird.

Die Ostsee ist ein Binnengewässer, dessen Handelsbeziehungen nicht wesentlich über die angrenzenden Länder Nordund Nordosteuropas hinausgreifen, obwohl neben dem dänischen Sund der deutsche Kaiser-Wilhelm-Kanal eine Verbindung mit der Nordsee schafft, die ungleich günstiger gelegen ist und zwei Ausgänge ins Weltmeer besitzt, von denen der nördliche faktisch wohl nicht zu sperren ist. An beide Meere tritt Flachland heran, das bequeme Zugänge ermöglicht, zumal große schiffbare Ströme Wege bis ins Herz von Mitteleuropa weisen. Aber schwierig ist die Annäherung von der Seeseite. An der Nordsee sperren lange Dünenreihen das Festland ab und wo diese unterbrochen sind, verhindern die Watten den Zugang. Nur an den Trichtermündungen der Flüsse ist tieferes Wasser, aber auch hier gibt es zahllose Untiefen und mehrfach mußten Hafenplätze wegen Versandung aufgegeben oder verlegt wer den. An der Ostsee besteht streckenweise eine Steilküste, bald glatt, bald mit kleinen, den heutigen Anforderungen nicht mehr genügenden Buchten. Vor die Flußmündungen legen sich aber Jange Nehrungen und erschweren die Zufahrt zur Oder, Weichsel und Memel. Die einzigen guten Häfen auf Rügen und in Schleswig-Holstein entbehren eines größeren Hinterlandes.

So darf es nicht wundernehmen, daß jahrhundertelang die Bedeutung des Meeres selbst den Norddeutschen nicht klar vor Augen trat. Wohl haben sich die Friesen früh aufs Meer gewagt und sind ein seetüchtiges, sturmgewohntes Fischervolk geworden, aber Geest und Moor schieden sie von den Sachsen und bewahrten ihre Eigenart bis in die Gegenwart. Nur an den Flußmündungen entwickelten sich Seestädte, die zuerst noch unter normannischen Raubzügen zu leiden hatten, dann aber

2) Abh. d. k. k. Geogr. Ges., Wien, 11. Bd., 1914.

ihrerseits im mächtigen Hansabund den Handel des Nordens monopolisierten. Das gelang in ausgedehntem Maße erst, als die Wenden an der Ostseeküste unterworfen waren und die Schiffahrt sich dieses Binnenmeeres bemächtigte. Lübeck, in der südwestlichsten Ecke der Ostsee gelegen, hatte die freie Ausfahrt nach NO und O und eine bequeme Verbindung nach dem höher entwickelten westlichen Deutschland, der auch der erste, 1398 errichtete Schiffahrtskanal zwischen Elbe und Trave diente. An der Nordsee hatte sich schon vorher Bremen den Weg nach dem Norden gesichert und in den Tagen des glanzvollen Erzbischofs Adalbert Missionäre und Kaufleute nach Skandinavien gesendet, 1158 die Kolonie Riga begründet. Es blieb im ganzen Mittelalter wichtiger als Hamburg, dessen besseres Fahrwasser Seeräubern den Zutritt erleichterte und das unter der Nähe der Dänen und Wenden zu leiden hatte. Beide Häfen aber entbehrten damals eines Gegengestades, da die skandinavischen Länder von den Ostseehäfen besser erreichbar waren und das nordwestliche Deutschland noch keine industrielle Bedeutung erlangt hatte.

Günstiger lagen die Dinge an den Mündungen des Rheins. Hier endeten die Landverkehrswege, die von Byzanz und Italien her Deutschland durchzogen, und verlangten eine Fortsetzung nach England. Ein hochentwickeltes, städtereiches Gebiet mit fleißiger und geweckter Bevölkerung bedurfte allerlei Produkte und schuf sich in der flandrischen Leinen- und Tuchweberei die Grundlagen für einen großen Aufschwung. Bald trat Flandern in direkten Seeverkehr mit Italien. Brügge war der Stapelplatz der Waren aus dem Orient, die nach Deutschland, England und Nordeuropa weitergingen, und wurde der erste Geldmarkt des Nordens. Daneben gewann Gent als die größte Fabriksstadt des ausgehenden Mittelalters Bedeutung. Es war wie Brügge vom Meere aus bequem erreichbar. Als die Häfen dieser beiden Städte versandeten, ward Antwerpen an der Schelde ihr Erbe, das im 16. Jahrhundert sich zur bedeutendsten Seestadt aufschwang und aus der Entdeckung der Seewege für seinen Kolonialhandel Vorteile zog. Politische Umgestaltungen, die Loslösung Hollands von den spanischen Niederlanden und die damit verbundene Scheldesperre haben dann auch Antwerpen vernichtet und seine Rolle an Amsterdam übertragen, dem sich erst im 19. Jahr

hundert Rotterdam als großer Hafen zugesellte. Außerdem zog in früheren Jahrhunderten mehr als jetzt auch Köln Vorteile aus der günstigen Lage. Die Hafenstädte lösen sich ab, aber Handelsgeist und Wagemut bleiben den Flamen und Holländern erhalten, so lange sie den Weg zum Meer offen haben. Die Holländer danken ihrer Seegeltung nicht nur den Reichtum, sondern auch ihre politische Selbständigkeit.

Diese war berechtigt und ein Segen, da das deutsche Hinterland auch weiterhin meerfremd blieb. Die deutschen Kaiser haben wenig getan, um die Hansastädte zu fördern, und haben ihren Verfall nicht aufhalten können, als sich England und die Völker des Nordens wirtschaftlich selbständig machten. Es war viel, daß sich die Städte in den Zeiten absoluter Fürstenmacht als Kleinstaaten erhalten konnten. Einmal versuchte Wallenstein den Kaiser für die Errichtung einer Seeherrschaft zu gewinnen: er blieb eine unverstandene Ausnahme und der Westphälische Friede ermöglichte es den Fremden, nicht nur die Seemacht zu behaupten, sondern deutsche Küstenstriche zu besetzen. Holland wurde ausdrücklich frei erklärt, das Land zwischen Elbe- und Wesermündung sowie Vorderpommern (mit der Odermündung) den Schweden abgetreten. Schon seit dem Ende des 15. Jahrhunderts saßen die Dänen am Nordufer der unteren Elbe, 1667 erwarben sie mit Oldenburg auch das linke Weserufer. Um das Jahr 1700 mündete keiner der großen deutschen Flüsse auf deutschem Boden. Wie die österreichischen Hafenstädte jener Zeit Venedig zinspflichtig waren, so mußten Hamburg und Bremen für die Erlaubnis des Schiffsverkehrs den Dänen und Schweden, Antwerpen den Niederländern hohe Zölle entrichten. Elbe- und Scheldezoll blieben mit Unterbrechungen bis 1861, respektive 1863 bestehen. Erst 1864 wurde. das Nordufer der unteren Elbe deutsch. Gefördert wohl durch den neuen Aufschwung Deutschlands im 18. Jahrhundert, aber doch nur aus eigener Kraft gelang Bremen und Hamburg die neue Entwicklung, die mit der empfindlichsten Schlappe des rücksichtslosen Seebeherrschers England, mit der Lossagung der Union einsetzt. Damals wurden die Handelsbeziehungen mit Amerika angeknüpft, Hamburg und Bremen bekamen eine neue Gegenküste, weit vielversprechender als die Gestade der Ostsee, die einst den Reichtum der Hansa bedingten. Im 19. Jahrhundert erweiterten sich die Verkehrsbeziehungen, aber

noch mußten die Rivalitäten der einzelnen deutschen Staaten das Wachstum der selbständig gebliebenen Hansastädte schmälern. Erst die Einigung des Deutschen Reiches bot die Grundlage für einen ununterbrochenen Aufschwung und erst in diesen 40 Jahren erlangt Deutschland die Stellung zur See, die ihm heute England neidet.

Entscheidend ist dafür die rasche Entwicklung des Hinterlandes. Vornehmlich im Rheingebiet, wo die Volksdichte auf weite Strecken mehr als 300 pro km2 beträgt und eine gewaltige, vielseitige Industrie Rohstoffe und Nahrungsmittel aus fernen Ländern beziehen muß, sind die Grundlagen für einen bedeutenden Seeverkehr gegeben. Ihn fördert die Schiffbarkeit aller niederländischen Gewässer, der Schelde, der Maas und des Rheins, der 700 km weit bis Straßburg mit Schiffen befahren werden kann. Damit erweitert sich das Einzugsgebiet der Rheinhäfen südwärts bis in die Nordschweiz, gegen SO bis Nürnberg und umfaßt lauter reiche, gewerbfleißige Gebiete. Die Mündungsgebiete von Weser und Elbe sind weniger dicht besiedelt und heute noch von den Hafenstädten abgesehen — industriearm. An der Weser, die 400 km weit schiffbar ist, aber viel geringeren Verkehr hat, sind nur im ostfälischen Hügelland und seinen Randgebieten dichter bewohnte Landstriche; dagegen geleiten die auf 900 km schiffbare Elbe und ihre Zuflüsse in die volkreichen und industriellen Gebiete Thüringens, Sachsens und Nordböhmens sowie zur Hauptstadt Berlin. Die Bodengestaltung des norddeutschen Tieflandes hat aber ermöglicht, daß das Verkehrsgebiet Hamburgs noch weiter ausgedehnt werden kann. Schon in den Zeiten des großen Kurfürsten und unter Friedrich II. wurden Wasserstraßen zur Oder und von der Oder zur Weichsel angelegt, die seither verbessert wurden. Wäre nicht die russische Grenze ein so scharfes Hemmnis jedes Warenverkehrs, so würde Hamburgs Einzugsgebiet bis Warschau reichen. Unter den heutigen Verhältnissen endet es in Oberschlesien, der südöstlichsten Ecke des Deutschen Reiches. Allerdings tritt es dabei in Konkurrenz mit den Ostseehäfen, von denen Lübeck trotz mancher Verbesserungen in der neuesten Zeit nur eine bescheidene Rolle spielt, während Stettin als Oderhafen den ersten Platz behauptet. Doch versorgt Stettin sein Hinterland nur mit den Rohprodukten des Nordens (Holz, Erz und Steine) und liefert auch überwiegend nur Getreide, Zucker und Eisen

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