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Rhetoren so beliebte und einmal auch VI 230 (306) angewendete Formel'i nunc et' mit folgendem Imperativ: XI (X) 166 ('i demens et saevas curre per Alpes'), 310 ('i nunc et iuvenis specie laetare tui3) und XII 57 (i nunc et ventis animam committe'). Die Erinnerung an die Unschuld des Saturnischen Zeitalters, womit die sechste beginnt (1-24), wird noch einmal ausgebeutet XIII 30—44 (38—52), und das idyllische Bild von der Berggrotte, wo die derbe Mutter auf dem Lager von Laub und Thierfellen den grofsen Jungen die Brust reicht (VI 2—10), ist mit einiger Variation von Neuem verwendet in der vierzehnten 166-171; auch die Lobpreisung antiker Genügsamkeit XIV 160 ff. war gewissermafsen durch X (XI) 22 ff. (77 ff.) vorweggenommen. Die Apostrophe des betrogenen Calvinus an Jupiter XIII 108 ff. (113 ff.) 'audis, Iuppiter, haec nec labra moves, cum mittere vocem debueris vel marmoreus vel aëneus? ... ut video, nullum discrimen habendum est effigies inter vestras statuamque Vagelli' erinnert an II 122 (126): ‘o pater urbis, unde nefas tantum Latiis pastoribus? . . . nec quereris patri nec terram cuspide pulsas nec galeam quassas? vade ergo et cede severi iugeribus campi, quem neglegis' (vgl. III 67 VI 401 = 393 f.). Die Mutter als Kupplerin ihrer Tochter, deren Liebescorrespondenz dirigirend, wie wir sie aus VI 57 ff. (231 ff.) kennen, tritt XIV 41 ff. (28 ff.) wiederum auf. Der Zuvorkommenheiten von Erbschleichern, deren sich ein kinderloser Capitalist zu erfreuen hat, wird XII 93 ff. in sehr ähnlicher Weise, nur in breiterer Manier gedacht wie V 137 ff. (132 ff.) und III 218 ff. (220 ff.), während dieser Anhang ohne allen Schaden oder vielmehr zum Vortheil für das Ganze, das mit V. 92 rund abgeschlossen war, hätte fehlen können.

Also an Reminiscenzen fehlt es nicht: wenn nur Geist und Charakter nicht so spurlos verflogen wären! Der schneidende Spott, der bittere Grimm über die entartete Zeit, der tiefe Ernst, der bald in strömender Beredsamkeit, bald in gediegener Prägnanz, hier mit vernichtender Schärfe, dort innig und warm, aus gedankenvoller Seele dringt! vgl. I 41-43 (42-44) 48 f. (49 f.) II 149 ff. (139 ff.) III 5. 29 ff. 60 ff. 83 ff. 185 ff. (187 ff.) u. s. w. Dafür lesen wir wässeriges Schulgeschwätz, nicht kalt, nicht warm, ment, ohne Witz, ohne Adel und wahre Gesinnung. Die dreizehnte Satire ist ein Musterstück in dieser zähen, ledernen, salbungsvollen und doch ordinären Manier. Der Verfasser will den Ironischen

ohne Tempera

spielen, fällt aber alle Augenblicke aus der Rolle und in einen trockenen Lehrton. Wie trefflich dagegen, mit wie überlegener Sicherheit weifs der Dichter der neunten die Ironie durchzuführen! Hier können einzelne herausgehobene Stellen keinen entscheidenden Eindruck geben sie wollen im Zusammenhang empfunden sein, man mufs frisch von dem intensiven Genufs der zehn echten Satiren herkommen, um sich der Langenweile recht lebhaft bewusst zu werden, welche die folgenden hohlen Declamationen ausathmen. Ich lege daher weniger Gewicht auf einige Uebergangsformeln, wie XI= X 54 f. den kathedermässigen Abschlufs:

ergo supervacua aut ne perniciosa petantur:

propter quae fas est genua incerare deorum? 1)

den Uebergang 273: 'festino ad nostros et regem transeo Ponti', oder die nüchterne Wendung XIV 114 'adde quod hunc, de quo loquor, egregium populus putat', und XV 47 'adde quod et facilis victoria' etc. Aehnliches, obwohl immer geschickter gewendet, kommt auch III 113 (115) 266 (268) V 12 VII 35 (36) VIII 64 (71) vor, während übrigens Juvenal die Fugen seines Baues oft mit bewundernswerther Feinheit zu verkleiden weifs. Aber man suche in der echten Sammlung ein Seitenstück zu folgender Sentenz XIII 189: 'quippe minuti semper et infirmi est animi exiguique voluptas ultio' oder zu XIV 44 (31):

sic natura iubet: velocius et citius nos

corrumpunt vitiorum exempla domestica, magnis
cum subeunt animos auctoribus,

wo Hermann (vind. Iuv. 18) durch gewaltsame Interpunction: 'exempla, domestica magnis' vergeblich zu helfen sucht; oder zu der

1) Wenn man vollends statt dieser Lachmannschen Verbesserung sich Madvigs und Jahns Text

ergo supervacua aut vel perniciosa petuntur:

propter quae fas est genua incerate deorum

gefallen lassen müfste, so wäre die Trockenheit und Unbehülflichkeit des Uebergangs nur noch auffallender; denn während scheinbar abschliefsend auf die Eitelkeit oder Verderblichkeit menschlicher Wünsche zurückgeblickt wird, findet sich eben dieses Thema erst im Folgenden recht eigentlich verarbeitet. Passend konnte erst V. 346 am Schlufs statt der Frage 'nil ergo optabunt homines?' jene obige Wendung in einer oder der anderen Fassung eintreten. Der Verfasser war aber in Verlegenheit, wie er von seinem Excurs über den weinenden und den lachenden Philosophen wieder zu seiner 'sententia' zurücklenken sollte, und so schob er dieselbe ohne weitere Vermittelung in ganz schulmäfsiger Form hier ein.

lehrreichen Unterweisung über das Mafs des Vermögens, das sich zu wünschen dem Menschen gestattet sein soll (XIV 316 ff.); oder endlich zu dem sentimentalen Lob der Thränen und der wässerigen Predigt über den Text: »liebet eure Nächsten « (XV 131-174), die für eine metrische Verschlemmung der Ermahnungen Seneca's epist. 95, 51 ff. und de ira I 5 gelten könnte. Wir lernen auf einmal durch V. 140 ff. unsern Satiriker als einen Verehrer der Eleusinischen Mysterien kennen, die nach dem von Claudius gemachten Versuche (Suet. Claud. 25) Hadrian in Rom einführte (Aurelius Victor Caes. 14, Salmasius ad Spart. Hadr. 22, Marquardt R. A. IV 90); er spricht V. 147 f. von einem 'communis conditor mundi', der im Beginn der Schöpfung den Menschen aufrechte Stellung und Geist gegeben habe, was mit zum Theil sehr ähnlichen Worten Ovid (metam. I 84 f.) dem Prometheus, Cicero de leg. I 9 der 'natura', de nat. deor. II 56 aber noch ganz altgläubig den 'di' zuschreibt.

Das gnomische und paränetische Element fehlt wahrlich nicht bei Juvenal, aber wie körnig und gediegen ist es ausgeprägt, wie tief empfunden III 54:

tanti tibi non sit opaci

omnis harena Tagi quodque in mare volvitur aurum,

ut somno careas ponendaque praemia sumas.

oder die Empfehlung der Pietät gegen Lehrer VII 201 (207) ff.: di, maiorum umbris tenuem et sine pondere terram

spirantisque crocos et in urna perpetuum ver,

qui praeceptorem sancti voluere parentis

esse loco!

oder die Definition des Adels VIII 14 f. (19 f.):

tota licet veteres exornent undique cerae

atria, nobilitas sola est atque unica virtus etc.

oder die Widerlegung der trivialen Entschuldigung von Jugendsünden VIII 137 (163):

defensor culpae dicat mihi fecimus et nos
haec iuvenes'. esto. desisti nempe, nec ultra
fovisti errorem. breve sit quod turpiter audes;
quaedam cum prima resecentur crimina barba:
indulge veniam pueris.

Männlicher Ernst, von edler sittlicher Wärme durchglüht, fern von Sentimentalität wie von doctrinärer Steifheit, ein scharfes Gefühl für nationale Ehre und Gesittung, stolze, schmerzliche Erinnerung

an die reine, glanzvolle Zeit der Vorfahren, Verachtung unrömischen Scheinwesens und niedriger Gesinnung, echte Sympathie mit unverfälschter Natur und idyllischer Einfachheit, bei aller Zartheit der Empfindung ein festes Herz, bei dem tragischen Pathos patriotischen Schmerzes doch dem Humor keineswegs abgewendet, das sind Züge des echten Juvenal. Der Declamator hingegen ist ein seichter Schwätzer, der seine innere Hohlheit mit breitem Wortschwall ausstaffirt, ein Philister, der unter der Maske des Satirikers alle Augenblicke sein eignes fades, seelenloses Stubengesicht hervorkehrt, der denkt wie ein Seifensieder und römische Phrasen drechselt; nicht im Stande einen wahren Gedanken innerlich zu erfassen und massvoll abzurunden, sondern Auschuss waare der Rhetorschule zusammenraffend und handwerksmässig aus den vulgären Farbentöpfen colorirend, wobei denn freilich die Töne gar bunt und unharmonisch durcheinanderlaufen, und grelle Lichter mit stumpfem, plumpem Pinsel aufgetragen sind, wo sie nicht hingehören. Kann sich die schülerhafte Phantasie des in sein Museum gebannten Lehrlings naiver verrathen als in der Versicherung, womit die Beschreibung des Seesturmes XII 22 abgeschlossen wird? 'omnia fiunt talia, tam graviter, si quando poetica surgit tempestas.' Dem ungeschickten Ausdruck würde 'quam quando', wie Schurzfleisch empfohlen hat, einigermassen aufhelfen, zugleich aber die Pedanterie des Gedankens nur in helleres Licht setzen. Sollte es übrigens gar ein » Ausfall auf die Dichterlinge der Zeit« sein (Jahn Zeitschr. f. Alterthsw. 1837 p. 850), so wäre er sehr ungeschickt, denn wenn dieselben in ihren Schilderungen die Wirklichkeit so genau trafen, so konnte es ihnen nur lieb sein, dies anerkannt zu sehen. Mag der Lyriker, der seinen zärtlich geliebten Freund das Schiff besteigen sieht, ihm Seufzer über die Verwegenheit des Menschengeschlechtes nachsenden: der Satiriker aber, der die Bedürfnisse des praktischen Lebens würdigen soll, scheint mir denn doch stark über die Schnur zu hauen, wenn er den Kaufmann, der in Geschäften über Meer fährt, mit Orest oder dem rasenden Ajax (XIV 284 ff.) oder einem Seiltänzer (265 ff.) vergleicht. Freilich stimmt es zu dieser Anschauung, dafs er XII 57-61 die Zolle berechnet, die den Schiffer vom Tode trennen. Indessen ist er auch hier nicht Original. Er hat sich das Wort des Anacharsis (Diog. L. I 8, 103) gemerkt: μαθὼν τέτταρας δακτύλους εἶναι τὸ πάχος τῆς νεώς, τοσοῦτον

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ἔφη τοῦ θανάτου τοὺς πλέοντας ἀπέχειν, verfehlt aber doch nicht diese Mafsbestimmung gewissenhaft zu modificiren: 'digitis a morte remotus quattuor aut septem, si sit latissima taeda. Ein » treffliches Vergnügen«<, das über alle Schauspiele der Flora, Ceres und Cybele hinausgeht, ist ihm die Beobachtung der Mühseligkeiten und Gefahren, unter denen die Leute sich zu bereichern streben. Juvenal überlässt die Freuden des Circus allerdings der Jugend (X 129 ff. = XI 201 ff.), billigt auch nicht die Schwärmereien theatersüchtiger Damen (VI 140 ff. 60 ff. 373 ff. = 352 ff.), aber er ist auch kein Democrit, dem die Beobachtung der menschlichen Thorheiten und Fährnisse eine voluptas egregia' bereitet. Mit ergreifender Wirkung und vollem Recht erinnert Juvenal an die Greuel der tragischen Bühne, die bei den Mordthaten einer Pontia wiederkehren (VI 588 ff. 634 ff.); aber abgeschmackt ist es und von vollkommener Rohheit des ästhetischen Gefühls zeugt es, wenn die Menschenfresserei der Aegyptier XV 29 'cunctis graviora cothurnis' genannt wird, weil bei den Tragikern nirgends ein ganzes Volk ein Verbrechen ausübe. Man könnte sich übrigens auf die Epinausimache, die 'Ilíov Téσiç und ähnliche Stücke berufen, wo Volk gegen Volk in blutigem Kampfe ist, wenn es auch nicht gerade zu kannibalischen Excessen kommt.

=

Der philosophische Declamator hat überhaupt eine wahrhaft grinsende Weltanschauung: er ist der widerwärtigste Pessimist, mit kühlem Blute erklärt er die ganze Menschheit für Schurken und Narren: et qui nolunt occidere quemquam, posse volunt'! XI = X 96. Auf der ganzen Welt gebe es keinen, der dem Mammon sein Leben vorziehe! (XII 48 f.) Nur verlorenes Geld wird mit aufrichtigen Thränen beweint, alle übrige Trauer ist erheuchelt! (XIII 125 ff. 130 ff.) Kein Knabe, er möge noch so rein von Natur, noch so edel erzogen sein, könne der Versuchung des Lasters widerstehen! (XI = X 298 ff.). Das sind Uebertreibungen, welche der Armuth an wahren Beobachtungen und Gedanken, der leeren Wortpinselei in den vier Wänden entspringen. Er kennt denn auch eigentlich kein anderes Laster als die Habsucht, auf die er immer wieder kommt: sie ist ihm die Quelle aller Verbrechen und, wie er sich ausdrückt, »kein Fehler des menschlichen Geistes hat mehr Gifte gemischt oder wegelagert öfter mit dem Eisen, als die grimme Begier nach unmässiger Einnahme.<< (XIV 173 ff.) Er verdenkt es dem Vater, dafs er seinen Sohn er

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