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heraus. In der ersten wird eine Rundschau gehalten über das ganze Gebiet der Satire, die 'farrago libelli': die zahlreichen Wunden und Geschwüre des grofsen Körpers, welchem die beizende Behandlung zugedacht ist, werden in fast athemloser Kürze mit eilendem, aber scharf treffendem Finger berührt; es drängt sich Bild an Bild, Anklage um Anklage, in Ausrufungen und staunenden Fragen und hastigen Periodenketten aufgereiht; kaum, dafs sich der Dichter zu einem Ausruf tiefer Entrüstung, zu einem bitteren Sarkasmus Zeit läfst. Imposanter konnte er seinen Beruf für diese Gattung nicht documentiren. Besondere Capitel behandeln dann die folgenden Stücke. Das zweite den Abfall der modernen Wüstlinge von der Gröfse der Vorfahren und was aus der Stadt der Scipionen und des Camillus geworden ist: eine Schule des Lasters für den Erdkreis. Dann wird in der dritten Satire ausgeführt, dafs in Rom kein Auskommen mehr für einen ehrlichen Quiriten zu finden, welchem Druck und welchen Nöthen ein armer Schlucker, der 'malas artes' verschmäht, unterworfen ist. Die vierte schildert den kaiserlichen Staatsrath auf dem Albanum; die fünfte die schnöde Behandlung des Clienten am Tische seines Patrons. Es folgt in der sechsten das grofse Strafgericht über die Weiber, in der siebenten die Lage der Literaten, in der achten das Gebahren der Junker, in der neunten, vielleicht der launigsten von allen, erscheint der zur Disposition gestellte Parasit, und endlich schliefst die Reihe in der zehnten (elften) mit dem gemüthlichen pranzo nach gutem altem Römerstil.

Der Declamator dagegen liebt allgemein moralisirende Themata, wie sie vor ihm zum Theil Horaz und Persius und vor Allen Seneca, der Philosoph, abgehandelt haben. Dafs alle Wünsche eitel seien bis auf den einen: 'mens sana in corpore sano', dafs man am besten thue, den Göttern Alles anheimzustellen (den Inhalt der elften [zehnten] Satire), hatte im Wesentlichen schon der Verfasser des zweiten Alkibiades den alten Socrates vortragen lassen. Den Auszug eines ähnlichen Gespräches giebt Valerius Maximus VII 2 ext. 1. Die Vergleichung zeigt, wie geläufig diese Betrachtung in der Disposition der Theile wie im Gesammtresultat der Schule gewesen sein mufs:

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Den Wunsch nach Schönheit, welcher V. 289-345 erörtert wird, hat Pythagoras in den Vaticanischen Excerpten des Diodor (X 23) nicht übergangen'). Gegen thörichte Wünsche predigt auch Seneca im sechzigsten Briefe, und denselben Rath, den V. 356 ertheilt: 'orandum est ut sit mens sana in corpore sano', giebt er im zehnten: 'roga bonam mentem, bonam valitudinem animi, deinde tunc corporis. Will man aber den Unterschied zwischen schulmässig erschöpfender Abhandlung und geistreich poetischer Unterhaltung über ungefähr dasselbe Thema beobachten, so mag man das horazische 'nil admirari' (epist. I 6) vergleichen. Selbst Persius

1) Ὅτι ὁ αὐτὸς ἔφασκε δεῖν ἐν ταῖς εὐχαῖς ἁπλῶς εὔχεσθαι τἀγαθὰ καὶ μὴ κατὰ μέρος ὀνομάζειν οἷον ἐξουσίαν κάλλος πλοῦτον, τἆλλα τὰ τούτοις ὅμοια κ. τ. λ.

in seiner zweiten Satire hat dem trivialen Stoff mehr Leben abzugewinnen gewufst.

Nicht minder allgemein ist das Thema der vierzehnten sogenannten Juvenalischen Satire von der Macht des bösen Beispiels, das Eltern den Kindern geben. Text und Umrisse derselben, könnte man meinen, habe die Pädagogik Quintilians I 2, 6 ff. geliefert, dessen Erziehungsprincip, wie er es unter Anderem im zweiten und dritten Capitel des zweiten Buches entwickelt ('de moribus et officiis praeceptoris' und an protinus praeceptore optimo sit utendum'), recht eigentlich in dem 'maxima debetur puero reverentia' (74=47) ausgesprochen ist und gewifs durch seine Autorität ein Gemeinspruch aller Schulmeister geworden war.

Eine Art von Einkleidung wenigstens geben die zwölfte und dreizehnte Satire. Die Rückkehr eines schiffbrüchigen Freundes soll gefeiert, ein Anderer, der um ein Darlehn geprellt ist, soll getröstet werden. Ersteres geschieht durch Schilderung des überstandenen Seesturms und Betrachtungen über die menschliche Habsucht; Letzteres durch eine erbauliche Predigt über die Schlechtigkeit der Menschen. Schiffbruch und Gefahren des Meeres sind wiederum ein beliebter Gemeinplatz der Rhetorschulen, wie die Bearbeitungen der sechszehnten Controverse bei Seneca sattsam erweisen. Dafs die Rückerstattung eines Depositums ein viel erörterter Satz der Schulmoral wie der Schulrhetorik war, wird man aus Cicero de off. III 25, 95, Seneca de benef. IV 10 und Quintilian declam. 245 entnehmen dürfen. Also auch diese beiden Fälle und die daran geknüpften Abhandlungen lassen den Rhetor erkennen, nicht unseren Satiriker.

Der Kannibalensatire (XV) endlich kann man eine gewisse gräfsliche Plastik freilich nicht absprechen, aber dafs die historische Grundlage trotz der chronologischen Angabe V. 27 f. nur fingirt scheine, ist schon oben hervorgehoben, und der zweite Theil von 93 an verläuft sich auch in abstracte Erörterungen über den unbestreitbaren Satz, dafs die Menschen einander nicht fressen sollen, und den nachgerade erschöpften Gemeinplatz über die Anfänge menschlicher Civilisation (151-158), den z. B. Cicero de inv. I 2 Tusc. V 2 und mit bescheidenem Mafs freilich auch Horaz sat. I 3, 99 ff. behandelt haben. Bei diesem neuen Aufgufs ist Nichts interessant, als dafs der gute Spiefsbürger V. 158 unter den Segnungen bürgerlicher Gesittung auch den ehrwürdigen Thorschlüssel der Stadt nicht

vergessen hat: 'defendier isdem turribus atque una portarum clave teneri❜.

Während wir nun bei dem Satiriker die meisterhafte Rhetorik bewundern, welche die strotzende Fülle concreten Stoffes geistig bewältigt und ohne Ueberladung durch eine überaus geschickte Vertheilung und Verschmelzung der einzelnen Töne ein wohlgegliedertes, übersichtliches Ganze reichsten Inhaltes von überwältigendem Eindruck aufbaut, wird Einem bei den langathmigen Expectorationen des Declamators zu Muthe, als käme man aus einer Schillerschen Tragödie in eine sanft einschläfernde Nachmittagspredigt. Es ist die liebe Saalbaderei, die einen allertrivialsten Gemeinplatz nicht einmal in sehr schulgerechter Disposition platt und breit tritt. Der Trostgrund, dafs der an dem Freunde verübte Betrug ein alltäglicher Unfall sei, wird in der dreizehnten Satire mit einer Beharrlichkeit immer und immer wieder aufgetischt, die zum Verzweifeln ist: gleich am Anfange V. 8 f. 'nec rara videmus quae pateris: casus multis hic cognitus ac iam tritus et e medio fortunae ductus acervo'; hierauf wird der unglückselige Calvinus bis 29 (37) mit höhnischen Fragen gehetzt, ob er denn wirklich noch so kindlich von den Pflichten der Redlichkeit denke, und nachdem ihm von 30 (38) bis 65 (70) demonstrirt ist, dass das Zeitalter des Saturnus vorüber sei, mufs er sich von Neuem auslachen lassen, dafs er nicht weifs, wieviel gröfsere Summen von anderen Meineidigen unterschlagen werden. Einen gewaltigen Anlauf mit Aufzählung diverser Philosophenschulen nimmt der Tröster hierauf 115 (120), als solle etwas ganz Neues kommen. Aber was ist des Pudels Kern? 121 (126) 'si nullum in terris tam detestabile factum ostendis, taceo' 130 (135) sed si cuncta vides simili fora plena querella' 135 (140) 'ten, o delicias, extra communia censes ponendum'...? 138 (143) 'rem pateris modicam et mediocri bile ferendam, si flectas oculos maiora ad crimina', und so geht es weiter bis V. 173! Ebenso zähe verfolgt den Leser der vierzehnten Satire die Versicherung, dafs die Kinder leicht die Fehler der Eltern nachahmen: 3 ff. 44 (31 ff.) 51 ff. (38 ff.) 78 ff. (51 ff.). In der zwölften werden die Festanstalten doppelt beschrieben V. 1-14 und 83-92. Bei dem Unterschiede zwischen den Motiven des Zorns und des Hungers hält sich der Verfasser der funfzehnten Satire fast 40 Verse auf (93-131), um zu dem Weheruf durchzudringen über Men

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schen, in quorum mente pares sunt et similes ira atque fames'. Auffallen müssen auch wörtliche Wiederholungen derselben Verse in verschiedenen Stücken (XI [X] 365 f. = XIV 315 f.; XIII 132/137 = XVI 41), die im Epos und in der Lyrik, allenfalls auch im Lehrgedicht Sinn und Zweck haben mögen, von unserem Satiriker jedenfalls in den früheren Stücken nicht zugelassen und ohne jede ersichtliche Wirkung sind. Der Schiffbruch aus der zwölften Satire (17-82) erlebt eine zweite verkürzte Auflage in der vierzehnten (292-302). Besonders aber sind die vorangehenden Stücke geplündert. XI (X) 226 ist identisch mit I 24 (25); die Phrase 'argenti vascula puri' XI (X) 19 kehrt aus IX 127 (141) wieder, wo freilich der Zusatz 'puri' passender ist: denn dafs man sich Gefäßse von reinem Silber wünscht, ist natürlich, wie aber der wegelagernde Räuber bei Nacht unechtes von echtem unterscheiden soll, scheint weniger klar. »Ein köstlicher Mensch«, ein »Leckerbissen von einem Menschen« (delicias hominis', wie der Geliebte 'deliciae' heifst) ruft der Dichter VI 25 (47) ironisch aus: dies ist leidlich angewendet XIII 135 (140) 'ten (o delicias) extra communia censes ponendum?' Aber wenn es XI (X) 291 von der Mutter heifst, sie wünsche Schönheit für ihre Kinder 'usque ad delicias votorum', so zerbrechen sich die Erklärer mit Recht den Kopf, was eigentlich damit gemeint sein könne: 'deliciae', scheint es, waren auf alle Fälle nicht der Gipfel, sondern der wirkliche Inhalt dieser Wünsche, gewifs aber sollte eine lächerliche Uebertreibung derselben mit dem Ausdruck bezeichnet werden, der nun freilich sehr unklar gerathen ist. Glücklicher, obwohl auch nicht ohne Wagnifs, ist nach dem Muster der 'pervigiles popinae' VIII 132 (158) pervigili toro' XV 43 verbunden, da man doch wohl schwerlich verstehen soll, dafs die Inhaber des Polsters ganze sieben Tage und Nächte gewacht und geschwelgt haben; vielmehr soll man sich, wie es aus dem folgenden Relativsatz scheint, ein Nacht und Tag liegen bleibendes (nocte ac luce iacentem') denken. Fidenae und Gabii als Typus kleiner Städte figuriren XI (X) 100 wie VI 136 f. (56 f.). Wichtiger ist die Aehnlichkeit gewisser rhetorischer Wendungen. So erinnert die Spottrede an den Freund XIII 25 (33) 'dic, senior bulla dignissime, nescis quas habeat Veneres aliena pecunia?' etc. an die Worte der sechsten Satire (28 f.): uxorem, Postume, ducis? dic, qua Tisiphone, quibus exagitare colubris?" Dreimal findet sich die bei den Rednern und

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