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die für das Leben unsrer Hochschulen von einschneidender Bedeutung sind, aber Sie haben keine Zeit, dabei zu verweilen; man sieht, Sie eilen, zu Ihrem eigentlichen Thema zu kommen.

Kurz zuvor hatten sie bemerkt, dafs die Professoren heute nicht mehr in dem Vordergrund der politischen Thätigkeit stehen, >>wie es in den unfertigen und der politischen Thatkraft entbehrenden Zuständen vor 40 Jahren der Patriotismus gebot« (S. 7). Jetzt gehen Sie noch einen Schritt weiter. Sie hatten von den Sorgen geredet, welche Schwierigkeiten der inneren und äusseren Lage in dem Vaterlandsfreund wachrufen könnten, sofort aber beschlossen, »>mit dem Mute in die Zukunft einzutreten, welcher den Vorsatz der gewissenhaften Arbeit in unserem Berufe begleitet«<. Dann heifst es weiter (S. 10): »Freilich dürfen wir nicht verkennen, wie beschränkt in dieser kritischen Epoche der Spielraum ist, in welchem die Universitäten auf die öffentlichen Verhältnisse im Staat und auf die sittlichen Richtungen im Volke einzuwirken vermögen. Denn von der Ordnung der Begriffe und der richtigen Beleuchtung geschichtlicher Zusammenhänge aus, welche dem wissenschaftlichen Manne gelingen mag, ist es noch endlos weit bis zur allgemeinen Einführung solcher Erkenntnisse in das praktische Leben.<<

Ist dies Resignation, oder wollten sie vielleicht mit dem, was Sie über das Auftreten der Brüder Grimm und ihrer Genossen und das Professorenparlament vom Jahre 1848 bemerkten und zuletzt in dem obenstehenden Satze in doktrinärer Allgemeinheit aussprachen, nur das Urteil begründen, die Professoren möchten die Finger von der Politik lassen? In der That, Herr Kollege, auf die Gefahr hin, selbst diesem Urteile zu verfallen, — ich wäre geneigt, Ihnen beizustimmen!

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>>>Indessen<«<, fahren Sie fort (- ich spreche Ihnen meine Hochachtung aus für dieses »>Indessen«<, man konnte auf keinem direkteren Wege ans Ziel gelangen! -), »indessen mag es gestattet sein, in diesem Sinne eine politische Kombination zu erörtern, welche noch am Anfange dieses Jahres im Vordergrund des öffentlichen Lebens stand, und wenn auch gegenwärtig zurückgedrängt, doch wieder gefährlich werden kann, wenn die für die Stetigkeit und Sicherheit des öffentlichen Lebens interessierten Bürger sich nicht mit der Überzeugung durchdringen, dafs sie durch gewissenhafte

Ausübung ihres Wahlrechts für jene Güter in erster Linie zu sorgen haben. Gemeint ist die Koalition u. s. w.«

Und welches ist nun des Rätsels Lösung, die Formel, welche für die scheinbar so unnatürliche Kombination die Erklärung giebt? Sie sagen (S. 15): »Die römisch-katholische, die sozialistische, die spezifisch liberale Ansicht vom Staate haben ihren gemeinsamen Boden in der unrichtigen Entgegensetzung zwischen dem fabelhaften Naturrecht und dem geschichtlichen Recht«<. Und Sie stellen dem den nach ihrer Meinung allein wahren Satz gegenüber, »dass das Recht überall positiv und konkret ist« (S. 17). Geehrter Herr Kollege! Ich hatte die helle Freude, als ich diese Worte las, so ganz das Gefühl, welches uns zu erfüllen pflegt, wenn wir recht unerwartet einen alten Bekannten wiedertreffen. In meiner Freude vergass ich sogar das viele Schiefe und Unrichtige Ihrer Ausführungen, worüber ich nun freilich demnächst mit Ihnen reden mufs. Gewifs, die römisch-katholische Ansicht vom Staate wurzelt in der Lehre vom natürlichen Recht, und die Anerkennung dieses letztern bildet einen notwendigen Bestandteil unseres Gedankensystems. Habe ich doch selbst vor neun Jahren im deutschen Reichstag den tiefen prinzipiellen Zwiespalt, der meine Freunde und mich von den protestantischen Konservativen trenne, gerade darauf zurückgeführt, dass diese kein Recht kennen, als nur im Staate und durch den Staat, während wir an dem Rechte festhalten, das, aller staatlichen Gesetzgebung vorangehend, von der Staatsgewalt zu schützen und von der staatlichen Gesetzgebung weiter zu entwickeln ist. Sie sehen, ich habe mich ausdrücklich auf den Boden des »fabelhaften Naturrechts«<, wie Sie es zu nennen belieben, gestellt, ja ich habe die Aufdeckung jenes grundsätzlichen Gegensatzes für so wichtig gehalten, dass ich die in der Sitzung vom 8. Mai 1878 gesprochenen Worte im Jahre 1884 nochmals habe abdrucken lassen (Aufsätze und Reden sozialpolitischen Inhalts, S. 14 ff.). Ob nun aber das, was uns von jener Partei trennt, eine innere Verwandtschaft mit den beiden andern von Ihnen genannten Parteien begründe, das ist freilich eine ganz andere Frage, und sofern ihre Behauptung gerade hierauf geht, ist sie neu und überraschend.

Da Sie vor einer akademischen Versammlung redeten, mochten Sie es für überflüssig halten, die ausschliessliche Berechtigung Ihrer

Ansicht zu erweisen, oder vielmehr, es schien Ihnen Beweis genug für die gänzliche Verwerflichkeit der gegenteiligen Lehre zu sein, dafs auf dem Boden derselben, wie Sie behaupten, jene berüchtigte Koalition sich zusammengefunden hat. Nun bestreite ich freilich die Existenz dieser angeblichen Koalition, und mit mir bestreiten sie meine politischen Freunde im Reichstag, unsre gesamte Presse, unsre gesamte katholische Wählerschaft. Mit uns bestreiten sie ganz ebenso die beiden andern Parteien. Wenn das Centrum gelegentlich mit den Freisinnigen und den Sozialdemokraten gestimmt hat, so hat es doch ebenso oft auch gegen dieselben und mit den Konservativen gestimmt, und wenn Sie nach berühmten Mustern von der »Einigkeit in der Verneinung« reden, so würde ein aufmerksameres Studium der parlamentarischen Geschichte Sie von der völligen Haltlosigkeit dieser Behauptung überzeugen können. Inzwischen habe ich weder Zeit noch Neigung, mit Ihnen in eine politische Diskussion einzutreten. Ich halte daran fest, dafs Ihre Rede eine wissenschaftliche sein wollte, meine Antwort betrifft demgemäfs die von Ihnen unternommene geschichtliche Erklärung jener angeblichen Parteikombination und den damit verbundenen Angriff auf das Naturrecht. Ich beabsichtige im folgenden Ihnen die wirkliche Existenz eines solchen, ja die Notwendigkeit seiner Annahme zu beweisen. Zuvor aber habe ich mich noch etwas mit den einzelnen Behauptungen Ihrer Festrede zu beschäftigen.

Ihre Entdeckung geht ja noch etwas mehr ins Detail. Ihre geschichtliche Forschung liess Sie noch genauer erkennen, was uns Klerikale mit den Sozialisten und was uns mit den Freisinnigen verbindet. Sie haben ausfindig gemacht, dafs das Prinzip der Gütergemeinschaft, in welches Sie ohne nähere Präzisierung das auszeichnende Merkmal der sozialistischen Partei setzen, und die Lehre von der Herkunft des Staates aus Verabredung der Menschen, welche Ihnen als oberste Voraussetzung des freisinnigen Programms gilt, spezifisch katholische Lehren sind und ihre Wurzeln in der Scholastik haben. Dieselben gehören, sagen Sie, »zu der Gesamtansicht vom menschlichen, gesellschaftlichen und staatlichen Leben, welche in Dokumenten der mittelaltrigen Kirche vorliegt, die für offiziell zu achten sind« (S. 10).

Ich werde mir erlauben, diese Ihre Behauptung nach den zwei Momenten, die sie enthält, einer näheren Erörterung zu unterziehen, und gebe mich der angenehmen Zuversicht hin, Ihre »geschichtliche Forschung« nicht unerheblich ergänzen zu können.

1. Gütergemeinschaft und Privateigentum.

Ich setze zunächst Ihre Worte vollständig her. Thomas v. Aquin, sagen Sie S. 11 u. fgde., spricht zwar »nirgendwo direkt aus, dafs der Staat nach natürlichem Rechte auf Gütergemeinschaft angewiesen sein würde. Aber seine das Privateigentum betreffenden Sätze sind so gefasst, dafs sie jenen Zustand als die Norm unter den Menschen voraussetzen. Dafs nämlich der Gebrauch aller irdischen Güter, deren Eigentümer Gott ist, den Menschen zustehe, macht er an der Verpflichtung anschaulich, dafs einer mit seinem Überflufs den Mangel der anderen ausgleicht. Das Privateigentum aber rechtfertigt er nur als einen Antrieb zur Arbeit, als Bedingung der Ordnung und des Friedens, indem jeder für das Seine sorgt und mit demselben zufrieden ist. Allein es wird hinzugefügt, das Privateigentum verstofse nicht gegen das natürliche Recht, sondern sei durch Erfindung der menschlichen Vernunft demselben nur hinzugefügt. Was also können wir im Sinne des Thomas als natürliches Recht vorstellen, wenn nicht die direkte Gemeinschaft der Güter? Und dieses ist auch der verschwiegene Mafsstab einer Erörterung darüber, unter welchen Umständen die heimliche oder öffentliche Aneignung fremder Sachen berechtigt sei. Da, wie Thomas sagt, das menschliche Recht dem natürlichen oder göttlichen nichts abbrechen kann, da es ferner natürlichen Rechtes ist, dafs die irdischen Güter dem Bedürfnis der Menschen dienen, so hindert die nach menschlichem Recht hinzugetretene Verteilung des Eigentums nicht, dass man dem Bedürfnis der Armen aus seinem Überflufs zu Hilfe komme; vielmehr ist dieses durch Naturrecht geboten. Wenn aber ein so einleuchtendes und drängendes Bedürfnis obwaltet, dass es im Moment Befriedigung erheischt, so erlaubt er, dass man sich des Eigentums anderer öffentlich oder im Geheimen bemächtige, und dann ist dies kein Raub und kein Diebstahl. Der Fehler, welcher dieser auffallenden Entscheidung zu Grunde liegt, ist darin zu erkennen, dafs Thomas das christliche System der Wohlthätigkeit

und das System der Gütergemeinschaft identifiziert, dafs er deshalb jener positiven sittlichen Organisation den Charakter der naturrechtlichen Ordnung beilegt. Gemäfs dieser Verwechselung wird es ihm möglich zu behaupten, dafs die naturrechtliche Ordnung unter der entgegengesetzten Ordnung des Privateigentums nach menschlichem Rechte fortdauert. Dann aber dauert auch der gleiche Anspruch aller einzelnen an alle Güter zur Befriedigung des Bedürfnisses fort. Wenn also die Wohlthätigkeit in einem. Moment drängender Not ausbleibt, so hat freilich die Selbsthilfe nach Naturrecht den Vortritt vor dem menschlichen Rechte, nach welchem gewisse Handlungen zu Raub und Diebstahl gestempelt werden. Auch wenn man diesen fehlerhaften Zusammenhang durchschaut, darf man überrascht sein, diesem Zugeständniss der Selbsthilfe, deren Bedingungen und Grenzen niemals fixiert werden. können, bei einem Manne wie Thomas von Aquino zu begegnen. Abgesehen von dieser misslichen Folgerung ist aber der Gedanke, dafs die Gleichheit der Menschen im Verhältnis zu den Gütern, und demgemäfs deren gemeinschaftlicher Gebrauch durch natürliches oder göttliches Recht begründet sei, als Glied des offiziellen katholischen Systems bei Gratian und bei Thomas ausser Zweifel. Dazu kommt, dafs die Gütergemeinschaft als wesentlicher Bestandteil der christlichen Vollkommenheit anerkannt ist, welche in der katholischen Kirche gilt, nämlich des Mönchtums. Da nun in derselben alle Reformation darin besteht, dafs das mönchische Leben entweder auf die strenge Beobachtung der Regel zurückgeführt oder nach Möglichkeit auf die Laien ausgedehnt wird, so schliefst die aus lauter katholischen Motiven entsprungene Bewegung der Wiedertäufer auch den Grundsatz der Gütergemeinschaft in sich. Und wem verdankt man in der Litteratur die erste Darstellung und Empfehlung des sozialistischen Staates? Dem englischen Kanzler Thomas Morus, welcher ein strenger asketischer Katholik war und für die römische Kirche sein Leben gelassen hat. Aus diesen Gründen ist das Urteil zu schöpfen, dafs die sozialistischen Grundsätze von jeher in der römischen Kirche Heimatsrecht haben.. Die gegenseitige Verwandtschaft verrät sich in der Gegenwart endlich noch in der Sympathie mit sozialistischen Ansprüchen, welche Schriftsteller über die soziale Frage, die dem katholischen Klerus angehören, deutlich kund geben.<<

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