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Es ist ein bischen viel, was Sie da alles zusammendrängen, verehrter Herr Kollege! Auf den Schlufssatz gehe ich lieber gar nicht ein, das würde uns wieder aus der wissenschaftlichen Kontroverse hinausführen. Auch so aber bleibt noch genug übrig, Thomas v. Aquin und Gratian, die Wiedertäufer und Thomas Morus. Vielleicht gestatten Sie mir jedoch den Letztgenannten, dem Sie etwas übertreibend die erste Darstellung des sozialistischen Staates zuschreiben an Platons Politeia hatten Sie wohl im Augenblicke nicht gedacht? — kurzer Hand aus der Reihe Ihrer Gewährsmänner zu streichen. Wenigstens kann ich nicht glauben, dass Sie dessen zwei Bücher Utopia für einen authentischen Ausdruck katholischer Lehrmeinung halten. Übrigens sind die Akten über das merkwürdige Werk noch nicht geschlossen. Ich meinerseits bin geneigt, mich einer bisher nur vereinzelt aufgetretenen Auffassung anzuschliefsen, welche in demselben eine Satire auf das politische und soziale Elend im damaligen England erblicken möchte. (Vgl. V. Gramich in der Litterarischen Rundschau 1880, Sp. 58).

Dagegen bin ich überrascht, eine andere Autorität von Ihnen nicht aufgeführt zu finden. Zwar ist, wie schon aus dem Universitätskalender zu ersehen, die biblische Exegese nicht Ihr eigentliches Fach. Aber dafs einem protestantischen Theologen die Berufung auf die h. Schrift jederzeit nahe liegen müsse, ist eine Voraussetzung, die Sie mir sicher nicht verargen werden. Warum erwähnen Sie also nicht, was die Apostelgeschichte (4, 34 f.) von der Gütergemeinschaft der ersten Christen in Jerusalem berichtet? >>Es war kein Dürftiger unter ihnen. Alle nämlich, welche Äcker oder Häuser besafsen, verkauften selbe, brachten den Wert dessen, was sie verkauft hatten, und legten ihn zu den Füssen der Apostel; es wurde aber jedem zugeteilt, je nachdem er bedurfte.«<

Sie wissen, welch bedeutsame Rolle dieses Vorbild in der Kirchengeschichte zu verschiedenen Zeiten gespielt hat. Ich bin zudem der Meinung, dafs die Erinnerung daran notwendig ist, wenn man die Äufserungen der Väter und der älteren Theologen über das Eigentum richtig verstehen will. Ein Kommunismus des Zwanges konnte damit rechtmässigerweise freilich nicht begründet werden, wird doch wenige Verse später in derselben Apostelgeschichte (5, 4) das Recht des Privatbesitzes ausdrücklich

anerkannt. Aber der Vorgang veranschaulichte aufs lebendigste, wie gegenüber dem Egoismus der alten Welt die Solidarität der Interessen durch das Christentum zur Geltung gebracht, und die auf dem Eigentum haftenden sittlichen Pflichten ins Bewusstsein erhoben worden waren. Lösgelöst von der Autorität der Kirche kam man dann aber wohl dazu, diese Momente zu überspannen, und die frohe Botschaft, welche vor allem den inneren Menschen erneuern und durch das Band der Liebe die einzelnen zu einem Gottesreiche vereinigen sollte, in ein Gebot äufserlichen Zwanges zu verkehren. Daher die kommunistischen Tendenzen bei einer Reihe von mittelalterlichen Sekten, den Katharern, Waldensern, Albigensern, den Husiten endlich und den Wiedertäufern.

Sie erwähnen nur diese letztere und haben die Freundlichkeit, die Sekte, von deren schändlichen Ausschweifungen und Greuelthaten jeder Schüler zu berichten weifs, als »aus lauter katholischen Motiven entsprungen« zu bezeichnen.

Ich bin sowenig Kirchenhistoriker von Fach als Sie, Herr Kollege, aber soviel weiss ich, dass diese Charakteristik vollkommen hinfällig ist. Allerdings bekämpften die Wiedertäufer die lutherische Lehre von der Rechtfertigung, aber sie bekämpften ebenso die Anerkennung eines gesonderten Priestertums und verkündeten ein allgemeines Lehramt aller Christen, sie bekämpften ebenso jeden äusseren Kultus, und sie verwarfen somit gerade das, worin man auf protestantischer Seite, nicht selten in übertreibender Betonung, das Auszeichnende des Katholizismus erblickt. Mit den ausschliefslich katholischen Motiven ist es also nichts, und Sie werden gewifs die Güte haben, diese Behauptung bei einem etwaigen neuen Abdruck Ihrer Rede zurückzunehmen.

Damit wäre ich nun bereits bei Ihrer eigentlichen und wichtigsten Stütze angelangt, bei Thomas von Aquin. Doch nein, neben ihm erwähnen Sie zweimal das Dekret des Gratian (S. 10 und S. 12). Ich weifs nicht, ob Ihre Zuhörer in Göttingen sich völlig klar waren über die Beschaffenheit dieses Sammelwerks, ob ihnen namentlich der Grundsatz geläufig war, dafs den einzelnen Bestandteilen nur soviel Auktorität zukommen könne, als ihnen auf Grund ihrer eigenen Herkunft zusteht, den Äufserungen der Kirchenschriftsteller also nicht dieselbe, wie den Beschlüssen der Konzilien, u. s. w. Gerade in dem vorliegenden Falle aber hat dieser Unter

schied Bedeutung. Sie dachten ja doch wohl an c. VII. Dist. I: Jus naturale est commune omnium nationum, eo quod ubique instinctu naturae non constitutione aliqua habetur, ut viri et feminae coniunctio, liberorum successio et educatio, communis. omnium possessio et omnium una libertas u. s. w. Nun aber ist diese Stelle wörtlich dem grofsen Sammelwerke des Isidor von Sevilla entnommen (Origin. V, 4), das, wie Sie wissen, aus dem siebten Jahrhundert stammt. Sie jubeln, dass damit der Stammbaum des katholischen Sozialismus um volle fünf Jahrhunderte weiter zurückgeführt sei! Leider kann ich Ihnen die Freude nicht lassen. Isidor schrieb in jenem Kapitel einen alten römischen. Juristen aus, aller Wahrscheinlichkeit nach die Institutionen Ulpians (Vgl. Voigt, die Lehre vom ius naturale u. s. w. Beilage VI. Über die Quellen von Isidor's Origines V, 4), jener Satz gehört also nicht dem christlichen Mittelalter an, sondern dem heidnischen Altertume.

Nun aber zu Thomas.

Ich kann Ihnen natürlich nicht verübeln, Herr Kollege, wenn Sie schlechterdings keine Kongenialität mit dem grofsen Scholastiker des dreizehnten Jahrhunderts besitzen. Aber ich bedauere, dafs Ihnen bei der Reproduktion seiner Lehre nun gerade das verloren gegangen ist, worin ich stets einen seiner gröfsten Vorzüge erblickt habe, das streng Systematische des Gedankenfortschrittes und die Klarheit der Exposition. Es ist nötig, Ihre Sätze genau und im einzelnen zu erörtern.

Thomas also, sagen Sie, »spricht nirgendwo direkt aus, dass der Staat nach natürlichem Rechte auf Gütergemeinschaft angewiesen sein würde. Aber seine das Privateigentum betreffenden Sätze sind so gefafst, dafs sie jenen Zustand als die Norm unter den Menschen voraussetzen«. Ich mufs sogleich fragen, wie Sie diese letzten Worte verstanden wissen wollen. Bedeutet Ihnen Norm das allverbindliche Gesetz, zu dessen Erfüllung die Menschen im Gewissen verpflichtet sind? Oder dachten Sie an ein anzustrebendes Ziel, oder endlich an das, was eigentlich sein soll, aber um irgendwelcher Hemmungen willen sich nicht vollständig verwirklichen läfst? Vielleicht waren Sie sich im Augenblicke selbst nicht völlig klar darüber, in welchem Sinne Sie das Wort gebrauchten, aber ich muss nun gleich hinzufügen, dass Ihr Ausspruch

nicht zutrifft, welche von den unterschiedenen Bedeutungen auch dem Worte Norm gegeben wird. Sie sollen dies sogleich sehen, zunächst aber fahre ich in der Analyse Ihrer Darlegung fort.

>>Dafs nämlich der Gebrauch aller irdischen Güter, deren Eigentümer Gott ist, den Menschen zustehe, macht er an der Verpflichtung anschaulich, dafs einer mit seinem Überfluss den Mangel der andern ausgleicht.<< Dafs dies nicht thomistisch sein könne, ist für jeden, mit Thomas einigermassen Vertrauten sofort daraus ersichtlich, dafs ja gar kein logischer Zusammenhang zwischen den beiden Sätzen besteht. Das allgemeine Recht des Menschengeschlechts, die Güter der Erde zu gebrauchen, soll er aus der besonderen Pflicht des Reichen ableiten, dem Armen von seinem Überflusse mitzuteilen? — Jene ganz allgemeine Berechtigung soll er an die thatsächlich eingetretene Ungleichheit in der Verteilung der Güter anknüpfen wollen? Sie sehen selbst, das ist unmöglich. In der That ist die Argumentation des h. Thomas eine völlig andere.

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Wenn Gott allein im strengen Sinne der Eigentümer der Erdengüter ist, hat dann doch der Mensch so formuliert er die Frage ein natürliches Recht, diese Güter in Besitz und Gebrauch zu nehmen? (Summa theol. 2, II, quaest. 66, art. 1: utrum naturalis sit homini possessio exteriorum rerum?) Die bejahende Antwort wird begründet aus der Weltstellung des Menschen, aus der Hinordnung des minder Vollkommenen zu dem Vollkommneren, zu dessen Dienst es berufen ist, endlich aus dem Bedürfnisse, da der Mensch für seinen körperlichen Unterhalt die Erdengüter nicht entbehren kann. Kurz gesagt, indem Gott den Menschen von Natur auf den Gebrauch der Erdengüter angewiesen hat, hat er ihn eben damit in den Besitz derselben eingewiesen. Wie man sieht, hält die Betrachtung sich völlig im allgemeinen, von einer rechtlichen Eigentumsordnung, von einer Güterverteilung und von besonderen Rechten und Pflichten, welche dem Einzelnen infolge dieser letzteren etwa zukommen, ist überall nicht die Rede. Zu diesen Fragen leitet erst der nächstfolgende Artikel über: ob es erlaubt ist, das jemand eine Sache als seine eigene besitze? (Utrum liceat alicui rem aliquam quasi propriam possidere?)

Sie sagen: »Das Privateigentum aber rechtfertigt er nur als einen Antrieb zur Arbeit, als Bedingung der Ordnung und des

Friedens, indem jeder für das Seine sorgt und mit demselben zufrieden ist. Allein es wird hinzugefügt, das Privateigentum verstofse nicht gegen das natürliche Recht, sondern sei durch Erfindung der menschlichen Vernunft demselben nur hinzugefügt.<«<

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Ich will nicht mit Ihnen darüber rechten, dass die für Thomas' Auffassung wichtige Unterscheidung von Eigentum potestas procurandi et dispensandi — und Gebrauch keine Erwähnung gefunden hat. Seine Gründe für das Privateigentum geben Sie richtig an, vielleicht interessiert es Sie zu erfahren, was, wie ich glaube, bisher nirgendwo hervorgehoben wurde, dafs er sie aus Aristoteles (Pol. I, 5) herübergenommen hat. Aber warum sagen Sie »rechtfertigt er nur«? Was wünschten Sie eigentlich an dieser Stelle mehr zu hören? Zuvor war gesagt worden, dafs alle Menschen ein Recht auf den Gebrauch der Erdengüter haben. Warum ist es nun trotzdem kein Verstofs gegen die göttliche Ordnung, dass Einzelne einen Teil derselben als ihr ausschliefsendes Eigentum aussondern? Weil, so lautet die Antwort, durch eine solche Einrichtung die in jener Ordnung selbst begründeten Menschheitszwecke am besten gewahrt sind, weil das wirtschaftliche und soziale Leben sich gedeihlich nur auf dem Grunde des Privateigentums entfaltet. Darum wird auch keineswegs bloss »>hinzugefügt«<, das Privateigentum verstofse nicht gegen das natürliche Recht, sondern es gehört dies ganz wesentlich zu dem Gedanken. Aber ich muss Sie zuvor über den Begriff ius naturale aufklären, denn dafs Sie hier in einem Mifsverständnisse befangen sind, zeigt deutlich der unmittelbar anschliefsende Satz: »>Was also können wir im Sinne des Thomas als natürliches Recht vorstellen, wenn nicht die direkte Gemeinschaft der Güter?«<

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Begriff und Ausdruck sind der Scholastik bekanntlich aus der römischen Jurisprudenz zugekommen. Ich habe oben die Stelle bei Isidor von Sevilla angeführt, welche, vermutlich aus Ulpian geflossen, im Corpus iuris canonici Aufnahme gefunden hat. Von seinem Ursprunge her aber haftet dem Terminus ein gewisser Doppelsinn an. Er bedeutet wohl das aus der Natur stammende, dem Willen vorgezeichnete unverbrüchliche Gesetz, daneben aber auch die rechtliche Ordnung, zu welcher thatsächlich, wenn auch nicht in allen Fällen dauernd, die Natur hingeführt hat. Ich würde nicht nötig gehabt haben, hieran zu erinnern, wenn Sie auch den

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