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gänzlich zu entbinden bezweckt 9. In solchen Fällen ist denn in Wahrheit gar keine Schuldverbindlichkeit vorhanden *; die Obligatio ist inefficax oder inanis, quasi nulla '; fie fann nur dadurch wieder Wirksamkeit erlangen, daß das auxilium exceptionis, welches dieser entgegensteht, aus irgend einem Grunde wegfällt ".

Anm. Savigny I. S. 37. behauptet zwar, daß die Unterscheidung zwischen actiones civiles und honorariae nur nachlässiger Weise in einigen Stellen auf die Obligationen übertragen worden sey, nach richtigem Sprachgebrauch aber jede klagbare Obligatio civilis obligatio genannt und überall nur von civilis obl. mit actio civilis oder honoraria gesprochen werden sollte. Aber vgl. dagegen Scheurl in d. Heidelb. krit. Ztschrft. I. S. 504. Praktisch kommt auf diese Unterscheidung freilich nichts an. - Das römische Recht macht übrigens noch meh rere andere Unterscheidungen rücksichtlich der Klagen aus Obligationen; insbejondere tritt gerade hier der Unterschied zwischen stricti iuris und bonae fidei actiones bedeutend hervor, wornach man auch obligationes stricti iuris und bonae fidei unterscheiden kann; aber dieser Unterschied, so wichtig er ist für richtige Erkenntniß des römischen Rechts, hat, wie andere, eine unmittelbar praktische Bedeutung heutzutage nicht mehr. Vgl. §. 100. Puchta §. 236.

2 Ueber das Wesen der naturalis obligatio vgl. L. 84. §. 1. D. de R. J. Is natura debet, quem iure gentium dare oportet, cuius fidem secuti sumus. L. 16. §. 3. 4. cit. (not. i.) Fideiussor accipi potest, quotiens est aliqua obligatio civilis vel naturalis, cui applicetur. §. 4. Naturales obligationes non eo solo aestimantur, si actio aliqua earum nomine competit, verum etiam cum soluta pecunia repeti non potest. Nam licet minus proprie debere dicantur naturales debitores, per abusionem intelligi possunt debitores, et qui ab his pecuniam recipiunt, debitum sibi recepisse. L. 7. D. eod. Quod enim solutum repeti non potest, conveniens est, huius naturalis obligationis fideiussorem accipi posse. L. 64. cit. Si quod dominus servo debuit, manumisso solvit,.... repetere non poterit, quia naturale agnovit debitum. Die Rückforterung des Gezahlten ist aus sittlichen Rücksichten auch in Fällen ausgeschlossen, in denen gar nicht von einer rechtlichen Verbindlichkeit, sondern nur von einer sittlichen Pflicht die Rede seyn kann. L. 32. §. 2. L. 26. §. 12. D. de cond. ind. 12. 6. L. 11. Cod. de neg. gest. 2. 19. Hier kann nur in uneigentfichem Sinne von naturalis obl. gesprochen werden. Vgl. L. 25. §. 11. D. de her. pet. 5. 3. Doch sehen Manche gerade in diejer soluti retentio das charakteristische Merkmal der nat. obl., und suchen davon ausgehend den Begriff und die Theorie derselben zu construiren; so neuerdings und am scharfsinnigsten Christiansen, zur Lehre von der nat. obl. und condictio indebiti. Kiel 1844.

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1 L. 2. D. ad. Sc. Vell. 16. 1. L. 40. pr. D. de cond. indeb. cf. L. 9. §. 4. cit. in f. L. 3. §. 1. D. de const. pec. 13. 5. L. 26. §. 3. D. de cond. indeb. 12. 6. cf. L. 55. 112. D. de R. J. L. 8. §. 9. D. ad Sc. Vell. L. 13. D. de iure dot. 23. 3.

L. 95. §. 2. D. de solut. 46. 3.

L. 25. D. de V. O. 45. 1.
D. de pact. 2. 14. L. 13. D. de lib. leg. 34. 3.

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Bgl. dagegen Puchta §. 236. Büchel Erörter. II. S. 57...119. und Errleben, die condictiones sine causa. Leipzig 1850., I. S. 118... 152. Ein älteres namhaftes Werk, auf dem Boden der damals gangbaren naturrechtlichen Ansich. ten stehend, ist A. D. Weber's syst. Entw. der L. v. d. natürlichen Verbindlichkeit und deren gerichtlicher Wirkung, Schwerin 1784. 5. Aufl. 1811. Jetzt aber vgl. vorzüglich Savigny Obl. I. §. 5...14. mit Brinz krit. Bl. Nr. 3. und Scheurl a. a. D. I. S. 501. fg., auch Holti'ns Abh. civilistischen und handelsrechtlichen Inhalts, übersezt von Sutrio, Utrecht 1851., Nr. 1. Richtig bemerkt Scheurl S. 516. „Eine naturalis obligatio ist da anzunehmen, wo es unbillig wäre, deßhalb, weil der Gläubiger eine Klage gegen den Schuldner nicht gehabt oder verloren hat, die Gewährung oder Unterlassung als völlig der Willkür des Schuldners anheimgegeben zu denken“; und dazu S. 502. „vor Allem zu bemerken, daß die Frage, ob ein Rechtsinstitut aus der naturalis ratio abzuleiten sey, ... von uns... nur als eine historische behandelt werden fann." Dagegen sucht Brinz auszuführen, daß die naturales obl. ihrem Entstehungsgrunde nach keine andern seyen, als die civiles, ihre Nichtklagbarkeit in anderm Grunde beruhe, der Grund aber, „warum sie bis auf ein gewisses denn doch noch aufrecht erhalten werden,“ überall Vernunft (ratio) oder Billigkeit (aequitas) sey. Gegen diesen vgl. wieder Schultze de nat. pup. oblig. p. 13. sq.

3 Vgl. L. 19. pr. de cond. indeb. (Pompon.) Si poenae causa eius, cui debetur, debitor liberatus est, naturalis obligatio manet, et ideo solutum repeti non potest. L. 40. pr. eod. (Marcian.) Qui exceptionem perpetuam habet, solutum per errorem repetere potest. Sed hoc non est perpetuum; nam si quidem eius causa exceptio datur, cum quo agitur, solutum repetere potest, ut accidit in senatusconsulto de intercessionibus; ubi vero in odium eius, cui debetur, exceptio datur, perperam solutum non repetitur, veluti si filiusfamilias contra Macedonianum mutuam pecuniam acceperit et paterfamilias factus solverit, non repetit. L. 9. §. 4. D. ad. Sc. Maced. (Ulpian.)... hi demum solutum non repetunt, qui ob poenam creditorum actione liberantur, non quoniam exonerare eos lex voluit. Ein Princip für die Entscheidung der Frage, ob ungeachtet der perpetua exceptio noch eine wirksame naturalis obligatio anzuerkennen sey, kann aus diesen Stellen nicht abstrahirt werden; Sav. V. S. 375...379.; aber sie geben doch der Gesetzesauslegung einen Gesichtspunkt an, welcher mag erkennen lassen, ob nach der Absicht eines Gesetzes auch die Wirkungen der naturalis obligatio, wo an sich eine solche anzuerkennen wäre, ausgeschloffen seyn sollen. Christiansen a. a. D. S. 102...114. Vgl. auch Errleben a. a. D. S. 130...134. und Scheurl a. a. D. S. 514. „(Der wahre Sinn der Regel) scheint mir darin zu bestehen, daß unterschieden wird, ob bei Einführung einer peremtorischen exceptio die ja natürlich immer eben sowohl einen Nachtheil des Gläubigers als einen Vortheil des Schuldners mit sich führen muß, jene oder diese Wirkung in der Absicht des die exceptio einführenden Rechtswillens liegt.". Ueber die einzelnen Fälle der naturalis obl., nach den manchfaltig abweichenden Ansichten, s. Puchta §. 236. Sav. und Brinz a. a. D.; über das heutige Recht Sav. §. 14.

H. Ausübung der Obligationen.

§. 218.

Das Recht des Gläubigers ist, daß die Verbindlichkeit des Schuldners erfüllt werde. In der Erwirkung und dem Empfang der Erfüllung besteht daher die Ausübung des Forderungsrechts. Die volle Ausübung der Forderung hebt diese selbst auf; es liegt im Zweck der Obligatio, daß sie durch Befriedigung des Gläubigers wieder vernichtet werde (§. 92.); von Besiz ist bei Forderungen deßhalb keine Rede (§. 129. Anm. 2.). Seine Befriedigung fann der Gläubiger, wenn sie nicht freiwillig gewährt wird, durch Klage, nach Umständen durch Erceptio bewirken; es ist aber mög lich, daß er dabei mit andern Gläubigern in Collision gerathe, weil der Schuldner alle zu befriedigen außer Stand ist.

Anm. Ueber die Anwendung des Besitzbegriffes auf obligatorische Berhältnisse, ob und inwiefern sie denkbar sei? vgl. Bruns, Nt des Besizes S. 480...483.

A. Von der Erfüllung.

$. 219.

1) Gegenstand derfelben.

Der Gegenstand der Erfüllung bestimmt sich durch den Ge genstand der Forderung (§. 200. fg.); der Gläubiger braucht weder eine Theilung noch eine Aenderung der Leistung b, welche den eigentlichen Inhalt der Obligatio ausmacht, als Erfüllung anzunehmen, daher auch nicht die Leistung durch einen andern als den eigentlich Verpflichteten, sofern nicht die Persönlichkeit des Leistenden ohne Einfluß auf den Inhalt der Leistung ist ; er kann seinerseits eben so wenig etwas anderes fordern. Aber die gerichtliche Geltendmachung der Forderung führt nicht immer die Verwirklichung jener Leistung herbei, auch wo diese möglich wäre; oft findet sie ihr Ziel nur in Beitreibung des Geldwerthes derselben aus dem Vermögen des verurtheilten Schuldners.

Anm. Nach älterem Recht lautete die Condemnatio des Beklagten immer auf Geldzahlung, welches auch der Gegenstand der Obligatio seyn mochte; nur

L. 1. §. 1. D. de usur. 22. 1. cf. L. 21. D. de reb. cred. 12. 1. L. 9. §. 1. D. de solut. 46. 3. (§. 204.). b L. 2. §. 1. L. 3. D. de reb. cred. L. 98. §. 6. D. de solut. L. 16. Cod. eod. 8. 43. ef. L. 11. §. 25. D. de legat. II.

cf. L. 53. eod.

L. 31. D. de solut

bei arbitrariae actiones fonnte zuvor durch einen wohl auch erzwingbaren Nestitutions oder Exhibitionsbefehl versucht werden, den Schuldner, zu der bestimm ten Leistung anzuhalten (§. 100. not. m. §. 115. not. o.). Nach Justinianischem Recht geht das richterliche Urtheil in allen Fällen zunächst anf den wahren Gegenstand der Schuldverbindlichkeit, und wird dieses auch in Ermangelung freiwilliger Erfüllung, soweit möglich, vollzogen, ausgenommen bei faciendi obligationes (L. 13. §. 1. D. de re iud. 42. 1. vgl. mit L. 14. Cod. de sent. 7. 45.) Bethmann-Hollweg Hdb. des Proc. I. § 29...31. Nach heuti gem Recht kann auch im leßten Falle directe Vollziehung gegen den Verurtheilten versucht, und erst, wenn sie erfolglos ist, Ersatz in Gelde an die Stelle gesetzt werden. Bayer, Vorträge über den Civilproceß S. 712. fg.

§. 220.

2) Zeit der Erfüllung.

d

Regelmäßig kann der Gläubiger die Erfüllung alsbald nach Entstehung der Obligatio fordern, der Schuldner sie leisten, wann er will, nur nicht gerade zu unangemessener Stunde a. Oft aber ergibt sich schon aus der Beschaffenheit der Leistung von selbst ein gewisser Aufschub der Erfüllung . Auch kann über die Zeit der Erfüllung etwas besonderes festgesezt seyn, z. B. ein Tag, an welchem , oder eine Zeitfrist, innerhalb welcher zu erfüllen ist. Eine solche Zeitbestimmung fann wohl den Vortheil des Gläubigers bezwecken; im Zweifel aber wird sie nur zu Gunsten des Schuldners gedeutet; diei adiectio pro reo est; dieser kann nicht vor Ablauf der bestimmten Zeitfrist belangt werden, dies nondum venit; er fann aber wohl vor der Zeit erfüllen h. Die vorzeitige Erfüllung kann dem Gläubiger einen Vortheil gewähren, indem er früher, als er berechtigt war, in den Genuß des SchuldGegenstandes kommt ; ist dieser zinsfähig, die Schuld aber war unverzinslich, so gewinnt der Gläubiger und der Schuldner verliert den Vortheil des Zinsgenusses für die Zwischenzeit von der wirklichen Zahlung bis zu dem spätern Zeitpunkt der Fälligkeit, das sog. Interusurium . Der Gläubiger kann in den Fall kommen, diesen Gewinn als unrechtlichen hinterher wieder erstatten zu

L. 14. D. de R. J. cf. L. 39. D. de solut. 46. 3. b §. 27. J. de inutil. stip. 3. 19. L. 14. 60. 73. 98. §. 1. L. 137. §. 2. D. de V. O. 45. 1. cf. L. 137. §. 4. eod. L. 105. D. de solut. 46. 3. L. 21. §. 1. D. de pec. const. 13. 5. L. 4. D. de V. O. 45. 1. d L. 42. eod. L. 50. D. de O. et A. 44. 7. ⚫ L. 17. D. de R. J. cf. L. 15. D. de ann. 33. 1. L. 43. §. 2. D. de legat. II. f L. 38. §. 16. L. 41. §. 1. L. 137. §. 2. D. de V. O. L. 70. D. de solut. L. 243. D. de V. S. (§. 73. Anm. 2.).

h L. 70. cit. not. f.

i L. 10. §. 12. L. 17. §. 2. D. quae in fraud. cred. 42. 8. L. 24. §. 2. D. sol. matr. 24. 3. L. 9. §. 8. D. de pecul. 15. 1. L. 66. pr. D. ad

leg. Falc. 35. 2.

Arndts Pandecten.

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müssen'. Keineswegs aber ist der Schuldner berechtigt, wider Willen des Gläubigers früher zahlend von der Schuldsumme einen jenem Vortheil entsprechenden Abzug zu machen 2.

Anm. 1 Die gegenwärtige Erfüllung einer erst künftig fälligen Leistung heißt repraesentatio, L. 24. §. 2. D. sol. matr. 24. 3. L. 88. §. 5. D. de legat. II., daher der Vortheil, den sie dem Gläubiger gewährt, commodum repraesentationis, L. 1. §. 10. D. ad leg. Falc. 35. 2., commodum quod sentit in repraesentatione, L. 10. §. 12. D. 42. 8.; überhaupt aber heißt der Vortheil, welchen der Schuldgegenstand in der Zwischenzeit, sey es dem später zahlenden Schuldner oder dem früher bezahlten Gläubiger, gewährt hat oder gewähren kann, commodum temporis, medii temporis, L. 45. pr. D. ad leg. Falc. 35. 2. L. 82. pr. D. de legat. II. L. 24. §. 2. cit., bei Zinsfähigkeit des Gegenstandes gleichbedeutend mit interusurium (not. k.).

2 Auch nicht, wie Puchta §. 241. behauptet, wenn die frühere Zahlung mit dem Willen des Gläubigers geschicht, wenn er nicht auch Vergütung für das Interujurium bewilligt hat. Einen besondern Fall enthält L. 24. §. 2. cit. Quoties mulieri satisdandum est de solutione dotis post certum tempus, si maritus satisdare non possit, tunc deducto commodo temporis, condemnatio residui repraesentatur; sed si, quum maritus satisdare posset, nollet, in solidum eum condemnandum Mela ait, non habita ratione commodi temporis. Iudicis igitur officio convenit, ut aut satisdatione interposita absolvat maritum, aut habita ratione compensationis (Hal. repraesentationis) eum condemnet, quod quidem hodie magis usurpatur. Nec ferenda est mulier, si dicat, magis se velle dilationem pati, quam in repraesentatione deductionem.

3 Auch abgesehen von den in Anm. 2. angedeuteten Fällen, kann es aus anderem Anlaß (z. B. L. 45. pr. 66. pr. D. ad leg. Falc. 35. 2.) nethwendig werden, zu berechnen, wie viel bei früherer Zahlung der Gläubiger mehr, als er fordern kann, erhalten, der Schuldner mehr, als er schuldig is, hergeben würde, und so den Betrag der später fällig werdenden Schuldforderung für einen frühern Zeitpunkt zu ermitteln. Dieß ist eine mathematische Aufgabe. Ihr Ziel ist: einerseits eine Summe zu bestimmen, welche, mit Hinzurechnung des inzwischen möglichen Zinsgewinnes, zur Zeit der Fälligkeit das Capital ergibt, welches dann zu zahlen wäre, oder andererseits die Summe zu bestimmen, welche, ebenfalls mit Hinzurechnung des inzwischen davon möglichen Zins gewinns, am Ende der Zahlungsfrist so viel ausmacht, als der Schuldner durch das bis dahin noch ihm gebührende Interusurium der Schuldsumme hätte ge winnen können. Diese beiden Summen müssen so zusammenstimmen, daß nach Abzug der einen von dem eigentlichen Schuldcapital die andere übrig bleibt, beide zusammen das letzte ergeben. Die richtige Lösung dieser Aufgabe gewährt die von Leibnitz (in seiner Meditatio iuridico-mathematica de interusurio simplice, in den Actis Eruditorum, 1683.) aufgestellte logarithmische Berech nung des Interusuriums, welche ein Capital darstellt, das mit Zinsen und

1 L. 16. §. 12. L. 17. §. 2. cit.

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