Page images
PDF
EPUB

Bweites Buch.

Von den Rechten an Sachen.

Erftes Capitel.

Von den Sachenrechten im Allgemeinen.

§. 126.

I. Wesen und Arten der Sachenrechte.

Die eine Hauptclasse der Vermögensrechte unterscheidet sich wesentlich dadurch von andern Rechten, daß jene zum Gegenstande unmittelbar eine Sache haben (§. 48), welche kraft derselben der Willensherrschaft einer Person unterworfen ist. Diese Rechte heißen daher Sachenrechte, auch dingliche Rechte (§. 22). Sie bestehen ihrem Wesen nach, eben weil sie unmittelbar eine Sache zum Gegenstande haben, unabhängig von besondrer Verpflichtung einer bestimmten andern Person, und können daher durch dingliche Klage geltend gemacht werden (§. 97). Jene rechtliche Willensherrschaft aber kann sich auf die Sache im Ganzen erstrecken, ohne Beschränkung auf bestimmte Richtungen der Beherrschung. Ein solches Recht an einer Sache ist das Eigenthum, dominium rei, dominium im vorzüglichen Sinn, an sich der Inbegriff aller Befugnisse, welche einer Person in Ansehung einer Sache rechtlich zustehen können. Aber dieses umfassende Recht kann Beschränkungen erleiden durch Rechte andrer Personen, welchen dieselbe Sache nach bestimmten Beziehungen unterworfen ist. So ergeben sich Rechte an einer fremden Sache, iura in re aliena 1. Diese haben eben so unmittelbar die Sache zum Gegenstande, wie das Eigenthum, das sie nicht ausschließen, sondern nur, so lange sie bestehen und so

weit sie sich erstrecken, einschränken; sie sehen aber zu ihrer Entstehung fremdes Eigenthum an der Sache voraus; der Eigenthümer selbst kann sie als besondere Rechte nicht haben, weil ihm die ihren Inhalt ausmachenden Befugnisse ohnehin als im Eigenthum enthaltene zustehen. Die umfassendsten, daher dem Eigenthum am nächsten stehenden Rechte dieser Art sind Emphyteusis und Superficies, praktisch wichtiger die ihrem Inhalt nach sehr manchfaltigen Servituten oder Dienstbarkeiten, persönliche, wie das Recht der Nußnießung oder der Ususfructus, und mit einem Grundstüc verbundene, Grunddienstbarkeiten oder iura praediorum. Alle diese betreffen die Benuzung der Sache, wenigstens in so fern, daß sie dem Eigenthümer rücksichtlich der Benuzung der Sache eine Beschränkung zu Gunsten des Berechtigten auflegen, wenn auch nicht alle dem lezten eine positive Benuzung der Sache ge- währen. Man kann sie in so fern dingliche Nuzungsrechte nennen. Es gibt aber noch ein Recht an fremder Sache, welches nicht die Benußung derselben betrifft, sondern dem Berechtigten die Verfügung über das Eigenthumsrecht selbst gewährt, um durch dessen Werth sich Befriedigung für eine Forderung zu verschaffen, das Pfandrecht. Dieses ist indessen nur ein accessorisches Recht einer Forderung, von dieser Seite nahe verwandt der Bürgschaft (§. 93); es ist daher systematisch angemessener, dasselbe mit der Lehre von den Obligationen in Verbindung zu bringen, um so mehr, als auch Forderungen selbst Gegenstand der Verpfändung geworden sind und daher das Pfandrecht jedenfalls nicht in jeder Gestaltung als ein Recht an einer (förperlichen) Sache sich darstellt 2.

1

An in. Die Römer bedienen sich in Beziehung auf diese Rechte, im Gegensatz des Eigenthums, schlechthin des Ausdruds: ius in re habere, und das nicht als einer regelmäßigen technischen Bezeichnung. L. 30. D. de noxal. act. 9. 4. L. 19. pr. D. de damno infecto. 39. 2. „Sive domini sint sive aliquod in ea re ius habeant, qualis est creditor et fructuarius et superficiarius." Wie aber die Worte dominium, dominus, sc. rei oder corporis, corporalium rerum, auf die vollkommene rechtliche Herrschaft über eine Sache deuten, L. 4. pr. D. comm. div. 10. 3., so wird auch wohl das Haben eines andern Nechts, als Herrschaft über eine unkörperliche Sache, gleicherweise bezeichnet, 3. B. dominium ususfructus in L. 3. D. si ususfr. pet. 7. 6., hereditatis dominus in L. 48. pr. D. de hered, inst. 28. 5., so wie dominium und dominus proprietatis in L. 17. D. quib. mod. ususfr. am. 7. 4. u. a. Vgl. §. 22. Anm. 5. §. 48. Anm. 1. Arndts in Linde's Ztschr. n. F. III. S. 256. fg. Zur Litteratur dieser Lehre: K. Sell, römische Lehre v. d. dinglichen

[ocr errors]

Rechten, 1. Thl. Bonn 1852., und darüber Dernburg's strenge Kritik in d. Heidlb. krit. Ztschr. I. S. 138 fg.

2 Ueber den Gegensatz der „dinglichen Nutzungsrechte“ und des Pfandrechts vgl. Blume's Grundriß des Pandectenrechts, erste Auflage, S. XIX. Was die Stellung der Lehre vom Pfandrecht betrifft, so wird sie in den neuern Systemen fast allgemein in der Lehre von den Sachenrechten abgehandelt, auch von solchen, die selbst das Pfandrecht an einer Sache nicht als ein ius in re ansehen. Sint. §. 37. 67. Der Verfasser dieses Lehrbuchs ist schon lange davon abgewichen, auch in seinem Grundriß zu Pandectenvorlesungen, München 1840, und hat dieß zu rechtfertigen versucht in den krit. Jahrb. VII. S. 300. fg., nicht bloß als „eine Utilitätsmaßregel" (Sint. a. a. D.), sondern durch den innern Zusammenhang der Rechtsinstitute (§. 22. a. E.), den „ein verjährter Besitzstand“ nicht auflösen kann. Uebrigens führt Sint. S. 603. auch einen Grundriß, angeblich von Rudorff, Berlin 1830, an, welcher das Pfandrecht ins Obligationenrecht gestellt habe, und so hat es zeitweise auch der ältere Hasse angemessen gefunden. Vgl. auch Deurer Grundriß für äußere Gesch. und Inst. d. N. R. §. 180. fa.

§. 127.

II. Erwerb und Verlust der dinglichen Rechte.

Für den Erwerb des Eigenthums und dinglicher Nutzungsrechte stellte man bis gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts gewöhnlich als allgemeines Erforderniß das Daseyn eines sogenannten titulus und modus acquirendi auf. Diese Theorie, die indessen auf neuere Gesetzgebungen nicht ohne Einfluß geblieben, ist jest allgemein als falsch und unhaltbar aufgegeben. Es fehlt, überhaupt an Regeln für den Erwerb, die allen Arten der Sachenrechte zugleich gemeinsam und eigenthümlich wären (§. 56). Dagegen gibt es besondere Gründe des Verlustes dieser Rechte, die aus deren gemeinsamer Natur sich ergeben. Dahin gehört der Untergang der Sache und die Aufhebung ihrer Verkehrsfähigkeit a (§. 49), sodann2 deren Uebergang in die Gewalt des Feindes ", und rücksichtlich der Rechte an wilden Thieren, deren Rückkehr zu ihrer natürlichen Freiheit c.

Vermöge besonderer Rechtsvorschrift soll der Erfolg jeder vom Fiscus, desgleichen vom Regenten oder dessen Gemahlin, vorgenommenen Veräußerung gegen alle Rechtsansprüche dritter Personen auf den Gegenstand der Veräußerung vollkommen gesichert, und

L. 7. §. 5. 6. D. de acquir. dom. 41. 1. L. 23. 24. D. quib. mod. ususfr. am. 7. 4. L. 8. pr. D. quib. mod. pign. solv. 20. 6. L. 1. Cod. de iure emphyt. 4. 66. b L. 2. 3. 20. §. 1. L. 28. D. de capt. et postlim. 49. 15. L. 40. Cod. eod. 8. 51. J. de rer. div. 2. 1. L. 3. §. 2. L. 5. pr. §. 5. D. de acquir. dom. 41. 4.

[ocr errors]

§. 12, 13.

dafür diesen nur ein in vier Jahren zu verfolgender Entschädigungsanspruch gegen den Veräußernden gewährt seyn. Daraus folgt, daß durch solche Veräußerung einer Sache alle bisher andern Personen an derselben zustehenden dinglichen Rechte aufgehoben werden, welche den Rechtserwerb, der dadurch dem Empfänger gewährt werden sollte, ganz oder zum Theil vereiteln würden 3.

Anm. ' Vgl. Hugo im civ. Mag. I. 11. „Berichtigung einiger gewöhnlichen Vorstellungsarten in Höpfner's Commentar“ S. 226...232. (1790), und IV. 6. S. 137... 183. „Vollständige Darstellung der Lehre vom (iustus) titulus und f. g. modus adquirendi" (1812).

2 In Ansehung gewiffer Sachen gilt nach N. N. das ius postliminii, d. þ. wenn sie aus der feindlichen Gewalt befreit sind, so leben die frühern Rechte daran wieder auf (recipiuntur postliminio); es sind Grundstücke und Sklaven, sodann Schiffe und Pferde oder Maulthiere, die im Kriege gebraucht werden (not. b.). Ueber die heutige Anwendung dieser Bestimmungen vgl. Puchta §. 143. not. b. Schmid Hdb. I. S. 68...70.

3 Ueber den Umfang dieser Rechtsvorschrift vgl. Arndts in Linde's Ztschr. XIX. S. 3...9., über deren Grund S. 20...22. Die heutige Anwendbarkeit bezweifelt Sint. §. 39. not. 4. (der übrigens, wohl nur aus Versehen, die Entschädigungsklage auf ein Jahr beschränkt); anerkannt ist sie in einem hannövrischen, verworfen in einem holsteinischen oberstrichterlichen Erkenntniß. Seuffert's Arch. V. 109. 110.

§. 128.

III. Auflösung des Erwerbs dinglicher Rechte.

Rechte an Sachen, welche durch abgeleiteten Erwerb (translative oder constitutive Uebertragung, §. 56) einmal begründet worden, bestehen an sich unabhängig von dem Rechtsurheber, von welchem ihr Erwerb herrührt. Allein es kann Jemand ein Recht, als ein sog. widerrufliches, in der Art haben, daß unter gewissen Voraussetzungen dasselbe mit rückwirkender Kraft aufgehoben wird. In diesem Fall werden zugleich die kraft desselben Rechts andern Personen übertragenen Rechte aufgehoben. Resoluto iure concedentis resolvitur ius concessum, ober: Resoluto iure dantis resolvitur ius accipientis. Dieser Fall kann namentlich burch Erfüllung einer Bedingung eintreten, sey es, daß jenes Recht dem

L. 2. 3. Cod. de quadriennii praescr. 7. 37. §. ult. J. de usucap. 2. 6. cf. L. 5. D. de iure fisci. 49. 14.

Uebertragenden unter einer auflösenden Bedingung erworben ", oder damals schon einem Andern unter einer aufschiebenden Be= dingung übertragen war b, deren Erfüllung nun auf jenen Zeitpunkt zurückwirkt (sog. revocatio ex tunc). Die Aufhebung tritt hier ipso iure ein; das fragliche Recht fällt von selbst demjenigen zu, dessen Erwerb oder Rückerwerb von der erfüllten Bedingung abhängig war ". Ein andres ist es, wenn nur eine Forderung auf Rückübertragung eines dinglichen Rechts begründet ist, welche auf die inzwischen dritten Personen eingeräumten Rechte nicht zurückwirken fann d (fog. revocatio ex nunc), und dieß ist regelmäßig der Fall, wenn das Recht nur durch eine Zeitbestimmung eingeschränkt ist e. Indessen können dingliche Rechte auch in der Art rücksichtlich ihrer Dauer beschränkt seyn, daß sie durch den Eintritt eines Endtermins zwar ipso iure, aber ohne rückwirkende Kraft, aufgehoben werden, und dieß findet in einem Falle auch beim Eigenthum statt . Uebrigens besteht das dingliche Recht, dessen Erlöschung aus irgend einem Grunde (ex tunc oder ex nunc) zu erwarten seyn mag, inzwischen, bis zum Eintritt des die Aufhebung bewirkenden Umstandes, in voller Wirksamkeit ↳.

Anm. Vgl. Sintenis, von der sogenannten Nevocabiltät der Sachenrechte, in Linde's Ztschr. XX. 2. Civilrt. §. 39. Puchta §. 142.

§. 129.

IV. Ausübung der Sachenrechte. Besih.

Eigenthum und dingliche Nußungsrechte gestatten ihrer Natur nach eine fortgesezte Ausübung (§. 92). Das Eigenthum ist das Recht vollkommener Herrschaft über die Sache, die sich thatsächlich in beliebigen Verfügungen über dieselbe, mit Ausschließung Andrer, äußern kann. Die dinglichen Nußungsrechte geben ebenfalls, nur in bestimmter Richtung und Beschränkung, eine Herrschaft über die Sache, die sich in wiederholter Ausübung gewisser Befugnisse

a L. 4. § 3. D. de in diem add. 18. 2. L. 3. D. quib. mod. pign. solv. 20. 6. cf. L. 9. D. de aqua pluv. 39. 3. b L. 105. D. de cond. et dem. 35. 1. L. 14. §. 1. D. quemadm. serv. am. 8. 6. L. 16. D. quib. mod. ususfr. am. 7. 4. ⚫ L. 69. §. 1. L. 81. pr. D. de legat. I. L. 41. pr. D. de rei vind. 6. 4. L. 13. pr. D. de pign. act. 13. 7. (§. 71. Anm. 4.) §. 71. 1. c. L. 21. §. 1. L. 43. §. 8. D. de aed. ed. 21. 1. . L. 26. Cod. de legat. 6. 37. L. 4. D. de servit. 8. 1. cf. L. 44. §. 1. D. de O. et A. 44. 7. f L. 1. §. 3. L. 15. D. quib. mod. ususfr. am. 7. 4. L. 5. Cod. de usufr. 3. 33. L. 30. Cod. de iure dot. 5. 12. h L. 66. D. de rei vind. 6. 1. L. 4. §. 3. 4. D. de in diem add. 18. 2.

« PreviousContinue »