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ergänzen, sind oben aufgeführt. Analoge Erscheinungen im Griechischen und Lateinischen ergeben sich leicht.

Die verschiedenen Bildungsweisen der nomina actionis zeigen gemeinsame Züge in Bezug auf ihre Bedeutungsentwickelung. Viele entsprechen in ihrer Funktion den soeben behandelten Reflexiven mit intransitiver Funktion, entweder ausschliesslich, oder so, dass sie daneben auch der transitiven Funktion des betreffenden Verbums entsprechen, vgl. von substantivierten Infinitiven Befinden, Benehmen, Betragen, Verhalten, Bestreben, Bemühen, von Bildungen mit -ung: Stellung, Verstellung, Bewegung, Regung, Haltung, Wandlung, Wendung, Windung, Versammlung, Anstrengung, Bemühung, Verpflichtung, Hingebung, Erholung, Besinnung, Versündigung, von andern Verhältnis, Hingabe. Der Unterschied zeigt sich z. B., wenn man mit einander vergleicht die Erhebung Müllers in den Adelstand und die Erhebung Preussens gegen Napoleon. Zu den intransitiv fungierenden Reflexiven stellen sich vielfach die Participia in ein ähnliches Verhältnis wie zu wirklichen Intransitiven mit Aufgabe des passiven Charakters. Die Folge davon ist, dass auch die nomina actionis in ein näheres Verhältnis zu den Participien treten. Sie stehen diesen in der Bedeutung näher als den Reflexiven, wenn sie im Gegensatz zu diesen nicht das Eintreten, sondern die Dauer eines Zustandes bezeichnen, vgl. z. B. Fassung gefasst sich fassen. Manche entsprechen sogar nur den adjektivisch gebrauchten Partizipien, indem die betreffenden Reflexiva fehlen oder im Sinne nicht korrespondiren, vgl. vergnügt Vergnügen, gestimmt Stimmung, entzückt Entzückung, befriedigt Befriedigung. Ein anderer Gesichtspunkt von erheblicher Tragweite ergibt sich, wenn wir z. B. mit einander vergleichen die Verhandlungen sind im Gange und er berichtete über den Gang der Verhandlungen. Im ersteren Falle bezeichnet Gang das Gehen, die Bewegung an sich im Gegensatz zum Stillstand,

im letzteren bezieht es sich auf die Art und Weise des Gehens; im ersteren Falle entspricht es der Funktion des Verbums gehen als logischen Prädikates (vgl. die Uhr geht gegen steht), im letzteren der Funktion des Verbums als Bindeglieds zwischen dem Subjekt und dem eigentlichen logischen Prädikat (vgl. die Uhr geht zu langsam, s. Principien S. 237). Andere Wörter, die teilweise oder durchaus nicht mit Beziehung auf den Vorgang an sich, sondern auf die Art und Weise des Vorgangs gebraucht werden, sind Stand, Lauf, Verlauf, Fall (in diesem Falle etc.), Schlag, (Männer von solchem Schlage), Hang, Lage, Stellung, Haltung, Verhältnis, Verhalten, Benehmen, Betragen, Befinden, Leben. Weiterhin kommen die verschiedenen Arten in Betracht, wie nomina actionis zu Ding- und Personalbezeichnungen werden (s. Principien S. 81. 82). Es ist klar, wie wertvoll es sein würde, wenn man über solche sich immer wiederholende Verhältnisse eine feste Terminologie hätte, mit Hülfe deren man die verschiedenen Verwendungsweisen jedes einzelnen Wortes leicht klassifizieren könnte.

Man könnte mir ein wenden, dass durch Erfüllung der hier gestellten Forderungen das Wörterbuch sich dem Charakter eines systematischen Werkes nähern müsste, wobei dann die alphabetische Anordnung der Wörter mehr und mehr nur noch als Index fungieren würde. Aber, abgesehen davon, dass doch noch bei sehr vielen Wörtern die Behandlung eine ganz oder überwiegend isolierte bleiben müsste, so hat dieser Einwand keine Berechtigung. Wenn man einmal anerkennt, dass das Wörterbuch ein Werk von selbständigem wissenschaftlichen Wert sein soll, nicht ein blosses Hilfsmittel zum Nachschlagen bei der Lektüre, so muss man alles nur als Fortschritt begrüssen, was von der äusserlichen, zufälligen alphabetischen Anordnung zu einer dem realen Zusammenhange entsprechenden Gruppierung hinüberführt.

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Philosophisch-philologische Classe.

Sitzung vom 3. März 1894.

Herr Wölfflin hielt einen Vortrag:

„Die neuen Aufgaben des Thesaurus linguae latinae."

Wenn an den Entdeckungen und Erfindungen, welche als der Ruhm der Neuzeit betrachtet werden, die historischen Wissenschaften nur geringen Antheil haben können, so ist ein neuer Standpunct, von dem aus man das längst Bekannte betrachtet, wissenschaftlich gemessen doch nicht viel geringer anzuschlagen. Zugegeben, dass die Erfindungen neuer Gewehre so rasch aufeinander folgen, dass jeweilen nach vollzogener Einführung eine bessere Waffe sich darbietet, so sind wir doch in der classischen Philologie lange nicht so conservativ, als man glauben möchte. Wir wollen nicht auf die paar Autoren oder Schriften hinweisen, die man denn doch in den letzten Jahrzehnten aufgefunden hat; wir wollen auch nicht stolz darauf sein, dass es dem Lexikographen mit angestrengtem Fleisse gelingt, ein paar hundert oder tausend neuer lateinischer Worte zu sammeln, bezw. Wortbedeutungen nachzuweisen: viel wichtiger ist der Gesichtspunct, unter welchem uns jeder Lexikonartikel erscheint. Und da kann. man denn doch im Laufe der Jahrhunderte einen Fortschritt

constatieren. Die alten lateinischen Glossare stellten nur die seltenen und umstrittenen Worte zusammen, welche der Erklärung bedürftig waren; wenn die bekannteren namentlich durch den metaphorischen Gebrauch bei Dichtern verschiedene Bedeutungen annahmen, so wurde diess zwar verzeichnet, wie denn tenet nach Nonius p. 412 an fünf Virgilstellen tegit, prohibet, compescit, comprehendit, inhabitat bedeutet, ohne dass indessen eine Entwicklung aus der Grundbedeutung versucht worden wäre. Der Thesaurus von Stephanus suchte eine Uebersicht über den gesammten Wortschatz zu geben und zog nicht nur für Worte wie für Bedeutungen die Autoren zweiten und dritten Ranges heran, welche die älteren Grammatiker bei Seite gelassen hatten, sondern gab auch die Verbindungen, um dem Lateinschreibenden eine Sammlung guter Phrasen an die Hand zu geben. Der von Ritschl und Halm geplante Thesaurus wollte noch mehr bieten als die Vermittlung einer richtigen Uebersetzung; er wollte den Gebrauch jedes lateinischen Wortes so vollständig zur Darstellung bringen, dass die Unterschiede zwischen archaischem, goldenem, silbernem und Spätlatein zu Tage treten sollten, dass man bei dem Schwanken der handschriftlichen Ueberlieferung oder bei Versuchen, verdorbene Stellen durch Conjecturen zu heilen, sofort hätte ersehen können, ob eine lateinische Redensart zu einer gewissen Zeit existiert habe oder nicht, und ob sie zu einem bestimmten Autor passe oder ihm widerspreche. War die ganze Thätigkeit Halms auf die Herstellung zuverlässiger Texte gerichtet, wie das überhaupt die Signatur jener Periode war, so sollte auch der Thesaurus ein Hilfsmittel für den Kritiker werden, und nicht nur für die Textkritik, sondern auch für die Aechtheitskritik. Man bedauerte damals, dass es der Philologie nicht vergönnt war, diesen Schritt vorwärts zu machen, und doch wäre es nur ein halber Schritt gewesen, so dass wir uns über das Unterbleiben eher freuen müssen.

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