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befand sich das Pendant zum Standbild des Themistokles, die Statue des Miltiades? Man kann von vornherein ebenso gut an die nördliche Flankenwand der gleichen westlichen Parodos denken wie an die südliche Flankenwand der entgegengesetzten östlichen Parodos. Wieseler, der hochverdiente Begründer der scenischen Archäologie, entschied sich in seiner letzten Schrift, Scaenica in Gött. Nachr. 1890, S. 6, für die letztere Annahme. Dass er damit das Rechte traf, lehren deutlich die Ruinen des Theaters von Epidauros. Dort fand nämlich Kabbadias (Prakt. 1872 S. 18) an dem Ende der Analemmata oder der Flankenwände des Zuschauerraumes zu beiden Seiten je eine viereckige Platte (A u. A' auf dem Plan), 0,27 m hoch, 0,80 breit, 0,82 dick, auf welchen Platten, wie Kabbadias gleich erkannte, ehedem Statuen stunden. Diesen entsprachen genau die oben besprochenen Statuen des Miltiades und Themistokles im Theater von Athen, nur dass diese sich näher der entgegengesetzten Flankenwand der Parodos befunden zu haben scheinen.1) Es verlohnt sich nach dieser sachlichen Aufklärung kaum mehr, zu fragen, wie sich der verschrobene Scholiast des Aristides die Sache dachte. Aber doch kann man sich noch unschwer in seine Vorstellung hineinfinden; er verstand unter vuén nach dem späteren Sprachgebrauch, worüber ich bei Fleckeisen in den Jahrb. f. class. Phil. 1894 S. 31 f. gehandelt habe, das Gerüst, auf dem die Schauspieler spielten, und sagte nun, dass der Chor bei dem Einzug in die Orchestra links von der Thymele und rechts von dem Archon einherschreite.

Nebenbei sei auch noch bemerkt, dass nach der Ueberlieferung des Scholiasten des Aristides zur Zeit desselben noch nicht das Proskenion nach römischer Art bis zum Mittel

1) Das ist wenigstens das Natürliche, da Diokleides, der sich. im Schatten der südlichen Flankenwand niedersetzte, zwischen der Säule der Vorhalle und der Stele des Themistokles sich gesetzt haben soll.

punkt der Orchestra vorgerückt war. Denn damit mussten jene Statuen ihren Platz verlieren. Wenn daher auch Nero Neuerungen in dem alten Dionysostheater vornahm, so hat er doch noch nicht jene totale Veränderung vorgenommen, welche den alten Zierden des Theaters ihren richtigen Platz nahm.

Ein zweiter Punkt wird sich kürzer abthun lassen. In der alten Erklärung von θυμέλη oder βωμὸς Διονύσου im Etym. Μ. u. σκηνή· εἶτα μετὰ τὴν ὀρχήστραν βωμὸς ἦν τοῦ Διονύσου, τετράγωνον οἰκοδόμημα κενὸν ἐπὶ τοῦ μέσου, ὃ καλεῖται θυμέλη παρὰ τὸ θύειν, hat man mit κενόν nichts rechtes anzufangen gewusst und dasselbe geradezu in das nichtssagende xeiμɛvov zu ändern gewagt. Auch hier bringen die neuen Ausgrabungen des Theaters in Epidauros Licht. Dort fand Kabbadias genau im Mittelpunkt der Orchestra einen runden Stein, 0,71 m im Durchmesser, in dem er den Altar oder die Thymele erkannte. Und in der That, wo anders hätte der Altar stehen sollen oder welcher andere von den aufgefundenen Steinen hätte einen gleichen Anspruch auf diesen Ehrennamen? In der Mitte jenes Steines befindet sich aber ein kreisrundes tiefes Loch, worüber Kabbadias: ἐν τῷ κέντρῳ δ' αὐτοῦ ἔχει βαθεῖαν περιφερῆ ὀπήν, ἥτις οὕτως εἶνε τὸ κέντρον τοῦ ὅλου κύκλου. Da haben wir ja das κενὸν ἐπὶ τοῦ μέσου, das wir suchten. Was es für eine Bedeutung hatte, das ist eine andere Frage, über die sich nur Vermutungen aufstellen lassen: entweder es bezeichnete wirklich, wie Kabbadias annahm, den genauen Mittelpunkt des Kreisrundes, oder es diente, wie so oft derartige Löcher, zum Halt für das auf den Stein zu stellende Götterbild oder den auf die Basis zu setzenden Altar.

Drittens sind mir noch von besonderer Wichtigkeit zur Aufklärung alter Zweifel die beiden Türen (B u. B′) am Ende der vorderen Flankenwand der beiden Parodoi gewesen. In den Fröschen des Aristophanes spielt nämlich zwar die erste

Scene V. 1-196 oben auf der Bühne (ènì oxηvñs). Nachdem aber Dionysos links im Hintergrund der Bühne in den Nachen des Charon eingestiegen war, muss eine Aenderung der Scenerie eingetreten sein, mit der zugleich eine Aenderung im Spielplatz der Schauspieler verbunden war. Nachdem nämlich Dionysos V. 270 aus dem Nachen des Charon wieder ausgestiegen war, befand er sich nicht mehr auf der Oberwelt, sondern in der Unterwelt. Um sich das leichter vorzustellen, war der Phantasie des Zuschauers ein kleiner Behelf gegeben worden: spielten die ersten 196 Verse oben auf der Bühne, so befanden sich von V. 270 an (bis V. 415) der Gott Dionysos und bald darauf auch sein Diener Xanthias unten in der Orchestra. Das haben bereits die alten Grammatiker erkannt und, wenn auch schwankend, angemerkt in den Scholien zu V. 181 ἠλλοιῶσθαι χρὴ τὴν σκηνὴν καὶ εἶναι κατὰ τὴν Αχερουσίαν λίμνην τὸν τόπον ἐπὶ τοῦ λογείου ἢ ἐπὶ τῆς ὀρχήστρας, zu V. 297 φαίνονται δὲ οὐκ εἶναι ἐπὶ τοῦ λογείου, ἀλλ' ἐπὶ τῆς ὀρχήστρας, ἐν ᾗ ὁ Διόνυσος ἐνέβη, und zu V. 270 μεταβέβληται ἡ σκηνὴ καὶ γέyovεv nóуetos. Das geht aber auch ganz unzweifelhaft γονεν ὑπόγειος. daraus hervor, dass V. 297 der Gott Dionysos in seiner Angst seinen Priester um Hilfe anruft: ἱερεῦ διαφύλαξόν μ', ἵν' ὦ σo Švμлóτηs. Denn der Priester des Dionysos sass bekanntlich mitten in der ersten Sitzreihe, und der ganze Witz ging verloren, wenn sich nicht damals Dionysos in seiner unmittelbaren Nähe befand, so dass er sich zur Not neben ihn. setzen konnte, wie man zum Zechen zusammensitzt. Aber wo befand sich Dionysos vor V. 270, und wo stieg er aus dem Nachen? Dass die quakenden Frösche nicht auf der Bühne gesehen wurden, sondern hinter der Bühne, verdeckt vor den Zuschauern, ihr Begleitlied sangen, ist natürlich und ist richtig schon von den Scholiasten angemerkt zu V. 209 οὐχ ὁρῶνται ἐν τῷ θεάτρῳ οἱ βάτραχοι οὐδὲ ὁ χορός, ἀλλ' ἔσωθεν μιμοῦνται τοὺς βατράχους. Aber auch der Nachen

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mit Charon und Dionysos wurde schwerlich quer über die Bühne gezogen; so etwas erforderte, wenn es nicht lächerlich werden und alle Illusion stören sollte, grössere technische Hilfsmittel als die alten Bühnenmechaniker damals und überhaupt jemals im Altertum gehabt haben. Ich behaupte also, dass zwischen V. 207 und 270 die Bühne leer blieb und die Zuschauer sich denken mussten, dass inzwischen Xanthias aussen um den See herumlief und Dionysos unten unter der Bühne über die See fuhr. Aber mit V. 270 kommt Dionysos wieder zum Vorschein, indem er dem Fährmann die zwei Obolen gibt und aus dem Nachen steigt. Wo geschah dieses? Jedenfalls in der Nähe der linken Parodos; denn dort kommt alsbald auch wieder Xanthias zum Vorschein, nachdem er inzwischen aussen ums Theater herumgegangen war. Den Ort genau zeigt uns jetzt die Türe B' in der inneren Seitenwand der Parodos des Theaters in Epidauros. Die war vermutlich gerade so gross wie die linke Seitentür in der Rückwand der Bühne, so dass Dionysos bequem in den Nachen ein- und aussteigen konnte, von dem Nachen selbst aber nichts oder nur weniges gesehen wurde.

Vielleicht war dieses, um das noch nebenbei zu bemerken, auch die Türe, welche der Intrigant Meidias dem Demosthenes vernagelte, damit dessen Chor nicht auf dem gewöhnlichen Weg aus den rückwärts liegenden Ankleidezimmern in die Orchestra gelangen konnte. Im allgemeinen sah dieses auch richtig der Scholiast Ulpian zu Demosth. Mid. 17: τὰ παρασκήνια φράττων· τουτέστιν ἀποφράττων τὰς ἐπὶ τῆς σκηνῆς εἰσόδους, ἵνα ὁ χορὸς ἀναγκάζηται περιιέναι διὰ τῆς ἔξωθεν εἰσόδου καὶ οὕτω βραδύνοντος ἐκείνου συμβαίνῃ καταγελᾶσθαι Δημοσθένην, wiewohl er mit dem Zusatz ἐπὶ τῆς σκηνῆς eine falsche Vorstellung einmischte. Indes spreche ich über die Demosthenesstelle nicht mit der gleichen Zuversicht; denn in Athen konnte vielleicht auch weiter rückwärts in der Parodos der Chor durch eine

Seitentüre zunächst in die Parodos und dann in die Orchestra gelangen.

II.

Pausanias bewunderte zumeist, wie wir sahen, an dem Theater des Polyklet die Schönheit und Harmonie. Die Schönheit wird sich vornehmlich in dem künstlerischen Schmuck des Baues, in den Bild werken (ayáhuata), den geschmackvollen Formen der Sessel und Lehnen und besonders in der Ausstattung der Skene und des Proskenion ausgedrückt haben. Denn auf die Ausschmückung dieser beiden Begrenzungen der Bühne, der hinteren und vorderen Bühnenwand (scaenae frons und proscaenii finitio) verwandten die Alten die meiste Sorgfalt. Von der Bühnenrückwand können wir nicht viel sagen, da uns von derselben ausser den Fundamenten nicht viel erhalten ist; auch war auf dieselbe schwerlich schon jene luxuriöse Ausstattung verwendet, die an den römischen Theatern mehr den Blick blendete als einen wohlthuenden, aus der Uebereinstimmung von Zweck und künstlerischem Vermögen entspringenden Eindruck machte. Aber von der Vorderbühnenwand, dem Proskenion, ist so viel erhalten, dass eine vollständige Rekonstruktion derselben möglich war (s. Kaverau bei Baumeister n. 1815). Die Verzierung der Wand mit jonischen Halbsäulen, die Gliederung in einen langen Mittelbau und zwei schmale, leise vorspringende Flügel, die ebenmässige Verteilung der 3 Türen auf die 3 Teile, das für Hallenbauten bestens passende Verhältnis von ca. 27 m. Länge und ca. 3,5 m. Höhe, dieses alles macht den Eindruck schöner und harmonischer Anlage. So etwas hatte das alte Theater in Athen nicht aufzuweisen; dort existierte ein vorderer Abschluss der Bühne in Stein überhaupt nicht, und auch über einen künstlerischen Abschluss in Holz durch eine verzierte Brüstung oder geschmackvolle Stufenanlage ist uns kein Anzeichen erhalten.

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