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abstarben, wie die romanischen Sprachen zeigen: chanter (canere), casser (quassare, quatere), jeter (iactare, iacere); mériter (meritare, merere), dieses mit Silbenzuwachs. Dazu kam, dass in den Zeiten der Völkerwanderung für die das römische Reich überschwemmenden Fremden die regelmässige erste Conjugation leichter zu handhaben war als die unregelmässige dritte.

Am wenigsten war den einsilbigen Partikeln zu helfen und sie haben daher auch die grössten Verluste erlitten: cum als Conjunction wie als Präposition, die zahlreichen und vieldeutigen ut, die Präpositionen ab, ob und ex, ac, vel und seu, sed und at, quin und nam sind so gut wie spurlos verschwunden, daneben auch manche zweisilbige, wie autem, enim, quia, ergo, nisi, selbst dreisilbige wie igitur und itaque.

Liess sich hinten kein passendes Suffix anhängen, so

konnte vorn durch die ursprünglich verstärkende, aber nunmehr abgeschwächte Präpositionalzusammensetzung eine Silbe gewonnen werden. In consoler gegenüber solari, dépouiller neben spoliare, conduire neben ducere, annoncer neben nuntiare sind die Präpositionen nahezu zu Imponderabilien herabgesunken; sie können keine Wirksamkeit mehr entfalten, weil die Simplicia abgestorben und die Composita, in ihre Stelle eingerückt sind. Natürlich ist diese Entwerthung schon im Lateinischen vorbereitet oder vollzogen, namentlich ist aus con der Sinn der Gemeinschaftlichkeit verschwunden, so wenn Megaronides im Trinummus des Plautus v. 23 ff. sagt, Freunde zurechtzuweisen, sei ein undankbares Geschäft (amicum castigare ob meritam noxiam), gleichwohl werde er aber diessmal ihm ,tüchtig den Kopf waschen (con castigabo pro com merita noxia). So schreibt der Verfasser des bellum Africum an neun Stellen nur convulnerare wie der klassischere Caesar constant nur vulnerare. Auch hatte schon Lucilius demagis gebraucht, welches die Spanier geschickt benützt haben, um das Compositum (demas) von

dem Simplex (mas) zu differenzieren. In die Reihe der Präpositionen ist auch das uns oft fast unverständliche re einzufügen, da ja nach dem Absterben von linquo das zusammengesetzte relinquo dem griechischen eine entsprach; ebenso gebrauchten Dichter gelegentlich recurvus statt curvus, wenn ihnen eine Silbe fehlte. Nach dem allgemein gebilligten Vorgange, dass man reddere felicem gebrauchen konnte, auch wenn der Betreffende nicht schon früher einmal glücklich gewesen war, gewöhnte sich das Spätlatein daran, re einfach als Vorspann zu betrachten, wenn auch seit dem Abfalle des schliessenden d (red, redoperio noch bei Ambrosius, Arch. VIII 278) vor folgendem Vokale die Silbe durch Contraction verloren ging: implere, reimplere, remplir, welches durchaus nicht ,wieder füllen' bedeutet, invertere, inversare, reinversare, renverser.

Als drittes Mittel stand die Umschreibung oder die Auflösung in zwei Worte zu Gebote, wie longo tempore (franz. longtemps) für diu, vereinzelt mindestens seit Catull, der regelmässige Stellvertreter bei Caelius Aurelianus, multo tempore für saepe, altfranz. multemps, medio tempore, mittlerweile statt interim, und Anderes der Art, Arch. VIII 595 f. Primum tempus statt ver, Frühling hat sich im Französischen (printemps) erhalten, vernum tempus (neben aestas, autumnus und hiems bei Augustin de gen. ad litt. lib. imperf. 13, pg. 487, 20 Zycha) mit Abwerfung des Substantivs im Italiänischen, der Plural prima vera (Ephem. epigraph. II 310, N. 409) als Femininum sing. gleichfalls im Italiänischen, hibernum (tempus) ist gemeinromanisch. An die Stelle von semper ist im Französischen toujours getreten, an die Stelle von medietas Mitte medius locus, milieu, wie auch im Italiänischen und sonst.

Wenn aber alle diese Mittel versagen, so muss die Sprache unter den Synonymen Umschau halten, ob eines abkömmlich sei und einspringen könne, allerdings nicht nur vorüber

gehend, sondern für immer, wodurch sie dazu geführt wird, entweder einem Worte doppelte Pflichten aufzuerlegen, eine neue zu der alten, was möglichst vermieden wird, oder durch andere Geschäftsvertheilung unter weiteren Verwandten einen Ausgleich zu Stande zu bringen. Wie das Recht bestimmte Erben einsetzt oder bestimmte Personen, welche Vaterstelle zu vertreten haben, so greift auch die sprachliche Logik auf die nächste Nachbarschaft, auf das Allgemeinere oder das Besondere, auf das genus oder die species. Passt dem Dichter gladius nicht, so hilft er sich mit ferrum oder mit mucro, Schwertspitze, Klinge, indem er den Theil für das Ganze setzt.

Die in den romanischen Sprachen untergegangenen Substantiva urbs und oppidum hatten schon von Plautus an (Merc. 645 civ. Eretriam, Corinthum) Concurrenz an civitas, obschon diess weder Caesar noch Cicero gutheissen wollten. Cicero versteht unter civitates Gemeinwesen, unter urbes aneinandergebaute Häuser (pro Sestio 91) und entsprechend nennt Caesar sowohl die monarchisch regierten als die republikanischen Kleinstaaten Galliens nur civitates, nie so die Städte, aber jene auch nie res publica, welchen Ehrennamen er für Rom reservirt. Doch musste diesem strengeren Sprachgebrauche zu Trotz ein Grammatiker der augusteischen Zeit, Verrius Flaccus, zugeben, dass civitas sowohl die Stadt als auch das Bürgerrecht (ius civium) oder die Bürgerschaft bedeuten könne. Gellius 18, 7, 5. Wie das Italiänische und das Spanische beweist, fiel dem Worte civitas die rechtliche Nachfolge von urbs zu. Anders in Frankreich seit der Zeit, wo man die Landhäuser vor den Thoren, die villae, in den erweiterten Stadtrayon hineinzuziehen begann; denn durch diese Einverleibung der Vorstädte konnte nun auch villa zu der Bedeutung von Stadt aufsteigen, mit der Beschränkung freilich, dass die Altstadt oder die Innenstadt immer noch civitas hiess, die cité von Paris, die city von London.

So haben wir denn nicht nur verschiedene Lösungen der Probleme nach den verschiedenen Ländern, sondern auch verschiedene in verschiedenen Zeiten, und gar oft liegt zwischen den klassisch lateinischen und den vulgär romanischen Ausdrücken mancherlei in der Mitte, was über den Versuch nicht hinausgekommen und für die heutige Lexikographie in Vergessenheit begraben ist. Zwischen parvus und dem italiänischen piccolo (franz. petit) liegen minor, minimus, minutus, dann modicus, exiguus, pusillus, wie sich am bequemsten aus der Uebersetzungslitteratur nachweisen lässt, gerade wie zwischen magnus und grandis Wörter wie ingens, enormis, immensus. Vgl. Rönsch, semasiologische Beiträge II 3, und Archiv f. lat. Lexikogr. IX 93. Die Gründe dieses immerwährenden Wechsels im Sprachschatze sind sehr verschieden, wenn auch Kürze des Wortes und Zusammenfallen mit einem Homonymum die hauptsächlichsten.

Wenn mus, muris die Maus untergieng, so kann man ebenso gut auf die Collision mit murus die Mauer, als auf den einsilbigen Nominativ verweisen; dass das r der casus obliqui missfiel, beweist die Neubildung für Katze, musio, welche bei Georges fehlt, durch Papias aber und Isidor orig. 12, 2, 38 bezeugt ist: musio appellatus, quod muribus infestus sit; hunc vulgus catum vocant. Die Deminutivform, welche zu dem kleinen Thiere gut gepasst hätte, war nicht mehr frei, weil musculus bereits doppelt, als Muskel und als Muschel in Beschlag genommen war. So wählten denn die Franzosen die Species Spitzmaus, sorex, souris ; die Italiäner griffen sogar in der Verzweiflung auf talpa, der Maulwurf, ital. topo, und die Spanier nennen alle Mäuse Ratten.

Andererseits sieht man von formeller Seite aus kaum recht ein, warum das Wort für Krankheit, morbus, nicht auf das Italiänische und die romanischen Sprachen übergegangen ist. Der Arzt vermied eben das Wort, um den

1894. Philos.-philol. u. hist. Cl. 1.

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Kranken nicht zu erschrecken; er sprach lieber von einem Schwächezustande, einer infirmitas (altfranz., ital., span.), oder einem schmerzhaften Leiden, einer *dolentia (portug.), oder einem Uebelbefinden, einer xaxesía (maladie franz. von male habitus). Das Latein der späteren Aerzte hat aber ausserdem noch die Ausdrücke passio, aegritudo, vitium, welche bereits in der Mitte des vierten Jahrhunderts der Astrolog Firmicus Maternus stark anspannt; hie und da wird auch causa geradezu für Krankheit gebraucht. Muss nun der Artikel morbus bei Forcellini ohne Ausblick in die Zukunft schliessen, so wäre doch wohl zu wünschen, dass der neue Thesaurus am Schlusse, nachdem das Absterben von morbus durch einige schlagende Angaben constatiert ist, auf alle Concurrenzwörter verwiese, aus welchen man dann die Geschichte der Bezeichnungen des ,Begriffes' zusammensetzen könnte. Vgl. Münchner Sitz.-Ber. 3, Juli 1880, S. 386–394.

Wie der Seespiegel, wenn ein Stein hineingeworfen wird, Kreis um Kreis zieht, bis die Lücke sich wieder ausgleicht, so die Sprache: der Verlust des einsilbigen res wurde durch causa (chose) gedeckt, dann konnte aber causa nicht mehr den Grund bedeuten (cause ist mot savant) und wurde durch ratio, raison ersetzt; dieses selbst musste die Bedeutung von Art und Weise aufgeben und erhielt modus (manière) zum Nachfolger; endlich wurde dadurch modus im Sinne von ,Mass' unbrauchbar und durch mensura (mesure) vertreten. Es ist Aufgabe der Semasiologie, wenn sie dereinst entwickelt sein wird, in dieser Hinsicht der Lexikographie zu Hülfe zu kommen; einstweilen aber genüge es darauf hingewiesen zu haben, dass die Wörter nicht isoliert, sondern im Zusammenhange mit ihrer Verwandtschaft zu behandeln sind.

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