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in Betracht Voltaire, Siècle de Louis XIV (Velhagen, I., die Zeit von 1661-1697 umfassend) und Duruy, Règne de Louis XIV (Renger und Friedberg-Mode). Beide haben Vorzüge und Nachteile, doch ziehe ich im ganzen Voltaires Darstellung vor als ein Werk des bedeutendsten Schriftstellers des 18. Jahrhunderts und zugleich als ein Werk, das den kritischen, auf politische, geistige und kirchliche Freiheit gerichteten Zug zugleich dieser Zeit erkennen läfst, auf die im Unterricht nicht weiter eingegangen werden kann. Voltaires Ausdruck ist reich an kurzen vielsagenden Betrachtungen und dabei lebendiger und anschaulicher als der des Gelehrten Duruy, der in der prägnanten, oft trockenen Form eines Schulbuches schreibt und nach wissenschaftlicher Vollständigkeit strebt. Voltaire (Ausgabe Velhagen) bespricht in erster Linie die politischen und kriegerischen Ereignisse; Aufgabe des Lehrers ist es somit, den Aufschwung der geistigen und materiellen Kultur an passenden Stellen in freiem französischen Vortrag darzustellen; Zeit dafür wird er reichlich gewinnen, wenn er entbehrliche Abschnitte (z. B. die allzu eingehenden Schlachten- und Belagerungsberichte) auszuscheiden versteht. Nach kurzer Darlegung der Politik Richelieus und Mazarins behandle ich S. 19-228; dann, unter Auslassung des Streites mit dem Papst, S. 2413 bis 2823 und 296 bis 4425. Im Anschlufs an 24 15 wird Colberts, des Finanzministers, Thätigkeit (etwa nach Duruy, ed. Renger, S. 9) beleuchtet. Der Anfang des Kap. X (S. 43, 44) giebt Anlafs zu eingehender Darstellung der Thätigkeit Colberts als Marineminister, Minister der öffentlichen Arbeiten, der schönen Künste, des Handels (etwa nach Duruy 11-16); die einzelnen Lehreinheiten sind hier: Aufschwung der Industrie, das französische Kanalsystem, überseeische Handelsbeziehungen, die damaligen und die heutigen Kolonien, die Schöpfung einer Kriegsmarine,

Mémoires de Louis XIV pour l'année 1666 (in Perles Sammlung geschichtlicher Quellenschriften, Niemeyer, 1892) wird man trotz des dadurch gewährten vortrefflichen Einblickes in den Charakter und die Grundsätze des stolzen und staatsklugen Königs nicht wohl lesen, da die Sprache mit ihren langen Perioden nichts weniger als mustergültig genannt werden kann und inhaltlich nur eines der an äufseren Erfolgen und Ereignissen verhältnismäfsig armen Jahre seiner Regierung vorgeführt wird.

Saint-Simon, Mémoires (Stolte) wird man ebenso wenig wählen; die gewählten Abschnitte behandeln ziemlich unbedeutende Vorgänge, besonders des Hoflebens aus den Jahren 1692-99; für das Leben und Treiben in der nächsten Umgebung des roi-soleil sind sie, wie alles, was St. Simon schreibt, gewifs sehr charakteristisch; aber wird man es mit den Rücksichten auf die erziehlichen Aufgaben des Unterrichts vereinbaren können, unsere Schüler für Lappalien des Hofzeremoniells, für die Versorgung der Bastardkinder des Königs, für Klatsch, Intriguen und Eifersüchteleien der Hofschranzen interessieren zu wollen, ganz abgesehen davon, dass die Sprache nicht gerade mustergültig genannt werden kann?

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die stolzen Bauten des Louvre, Hôtel des Invalides, Schlosses zu Versailles und ihre heutige Bestimmung (etwa nach Bädekers Paris oder Velhagens A travers Paris oder Gieglers Echo français, 2), die Wissenschaften und Künste (etwa nach Voltaire, Kap. 31-33), die Litteratur, deren bedeutende Vertreter zu charakterisieren sind (etwa nach Kühn, Lesebuch für Mittel- und Oberstufe). Dann wende ich mich zum holländischen Krieg (474—67); die Ereignisse der Jahre 1673/74 und 1676/77 (dargestellt auf S. 68-98) werden nur auszugsweise und kursorisch behandelt, denn von Bedeutung ist nur das Jahr 1675 (Sasbach, Fehrbellin), S. 828-8524 und 8712-88. Im Anschlufs an Turennes und Condés Tod wird ihr Leben überblickt und vom Lehrer als Probe der Beredsamkeit jener Zeit das Hervorstechendste aus den Leichenreden von Fléchier und Bossuet (etwa nach Plötz, Manuel) vorgelesen. Im Anschlufs an den Frieden von Nymwegen (S. 98-10017, 102-103) kann der Vergleich vorgelesen werden, den Friedrich der Grosse zwischen Ludwig XIV. und dem grofsen Kurfürsten (abgedruckt in Meurers Lesebuch I.) zieht. Aus Kap. XIV werden die Abschnitte über die Réunionskammern, den Raub Strafsburgs und das Vorgehen gegen Algier (S. 103-105 21-107, 11031-1118) ausgewählt und im Anschlufs daran ein Blick auf die Eroberung Algiers im Jahre 1830 und ein Überblick über den Ausbau der Flotte (etwa wie bei Banner, Französisches Lesebuch 33) geworfen. Seite 107 28 giebt Anlafs zur Besprechung des französischen Einflusses auf Deutschland und seine Höfe. Die Aufhebung des Edikts von Nantes, die Voltaire (ed. Velhagen S. 11710) nur berührt, ist nach Ursache und Wirkung (etwa nach Duruy oder Kühns Lesebuch) darzustellen. Kapitel XV braucht nur mit Auswahl (etwa unter Ausscheidung von 11820 bis 1196, 119 19-1208, 122-1238, 1276-129 26) gelesen zu werden. Von Kapitel XVI interessiert deutsche Schüler nur die Verwüstung der Pfalz (S. 131-135). Aus Kapitel XVII wird nur der Friede von Ryswick behandelt (S. 155-158), dessen Gründe schon auf die Vorboten der grofsen Revolution hinweisen und dem Lehrer Veranlassung zum Vorlesen des freimütigen Briefes Fénelons (nach Plötz, Manuel) geben. Aufserdem können einige Briefe der Sévigné an passender Stelle angezogen werden, z. B. der Brief über die Audienz der holländischen Gesandten vom 5. Januar 1672, über den Tod Turennes, sowie einige épîtres Boileaus. Ist die Lektüre Voltaires abgeschlossen, dann wird entweder sofort oder zu Beginn der Behandlung der Revolution und als Überleitung zu derselben skeptische Geist des Verfassers, dessen politisches Ideal der englische Verfassungsstaat war, auf Grund der schon bei der Lektüre gekennzeichneten Stellen seines Werkes selbst beleuchtet (S. 2422, 3011, 4115, 488, 508, 84 20, 117 30, 12225, 1358, 16014).

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der kritische

Duruy lese ich nach der Ausgabe Friedberg-Mode,1 jedoch unter Auslassung von I 4-6. (S. 4-7), 18 Anfang und Schlufs, 115, 1. Teil, I 17-19; II 8-9, 11, 13-14., III 2, 8, 11, 13-29. Von mancher Seite, z. B. Kühn, ist Guizot, Histoire de la civilisation en Europe (ed. Renger) zur Lektüre empfohlen worden; ich würde es nie als Semesterlektüre wählen, zumal die meisten Abschnitte den uns vorgezeichneten Rahmen überschreiten und eingehende Kenntnis der historischen Thatsachen voraussetzen; doch ist der letzte Abschnitt (S. 97) in diesem Zusammenhang verwendbar; der Lehrer trägt Hauptgedanken daraus vor oder läfst, falls der Text in die Chrestomathie aufgenommen ist, die Schüler ihn zu Hause vorbereiten.

Die Regierung Ludwigs XIV. und ihre geistige Kultur, bezw. Litteratur wird aufserdem noch durch die Lektüre Molières und Corneilles oder Racines illustriert. Die klassische Tragödie kann ich trotz der Bestimmtheit, mit der Referent und Korreferent der Direktorenversammlung von Schleswig-Holstein 1892 sie als wertlos bezeichneten, nicht aufgeben. Ihre der Geschichte alter und fremder Völker entlehnten Stoffe gewähren zwar keinen unmittelbaren Einblick in französische Geschichte und französisches Volkstum; aber einerseits die Thatsache, dafs ihre Personen nur den obersten Kreisen des Staates angehören und dafs Vertreter der breiten Masse des Volkes nicht auftreten, verbreitet doch neues Licht über die sozialen Verhältnisse des ancien régime mit ihrem schroffen Gegensatz zwischen Privilegierten und Roturiers. Andrerseits mufs gerade hier der litterarhistorische Standpunkt berücksichtigt werden, da die Dramen Corneilles und Racines den Franzosen nun einmal als die edelsten Erzeugnisse ihrer klassischen Litteratur gelten und für die deutsche Kritik so bedeutungsvoll geworden sind.

Diese Lektüre fiele somit in erster Linie der UI zu. OI kann dafür (in Gegensatz zu Kühn und anderen) nicht mehr in Betracht kommen, da dieses Jahr für Geschichte und Litteraturwerke der neueren Zeit vergeben ist. Da nun eine Verbindung von drei Texten wie Molières Femmes Savantes,

1) Die Mängel der Rengerschen Ausgabe liegen besonders in den Anmerkungen. Wozu die eingehende Biographie jeder weniger bedeutenden Persönlichkeit, die im Texte genannt ist? Umgekehrt fehlt sachliche Auskunft, wo Lehrer und Schüler sie verlangen; warum sind z. B. zu 1335 nicht die unter Colbert gegründeten Kolonien genauer angegeben? Warum ist die Thätigkeit der S. 15 genannten wissenschaftlichen und Kunstinstitute Colberts nicht genauer charakterisiert (etwa nach Voltaires prägnanter Darstellung Kap. 31-33)? Die Ausgabe hätte durch Kürzung im angegebenen Sinne und Einschränkung der biographischen Notizen weniger umfangreich und somit billiger werden können.

ein Stück Corneilles (oder Racines) und Voltaire (oder Duruy) in einem Jahr nicht immer bewältigt werden kann, die Darstellung der politischen Geschichte aber der Schwierigkeit des Verständnisses wegen kaum früher angesetzt werden kann, so fragt es sich, ob Molière oder Corneille (bezw. Racine) der OII zuzuweisen sind. Natürlich kann es sich nur um das zweite Halbjahr der OII handeln, da das erste vor allem die Grammatik im Anschlufs an ein Werk der Erzählungslitteratur (siehe S. 23) abschliefsen soll und die Behandlung einer Unterrichtseinheit (hier Zeitalter Ludwigs XIV.) ohne zwingenden Grund nicht unterbrochen werden darf. Münch (a. a. O. S. 47) weist die klassische Tragödie der OII zu, und dafür spricht manches, wenn ich auch Münch nicht einräumen kann, dafs „sie sprachlich keine Schwierigkeiten macht." Ist jedoch die Grammatik und dies wird oft der Fall sein im ersten Halbjahr der OII nicht bewältigt worden, wird man gelegentlich gerne ein Prosastück Molières (also l'Avare oder le Bourgeois gentilhomme, falls sie nicht schon von der betreffenden Schülergeneration oder einem Teil derselben vorher gelesen worden sind) vorziehen.

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Hat man sich dazu entschlossen, die klassische Tragödie nach OII zu verlegen, so wäre in UI von Molières Stücken in erster Linie an die Femmes Savantes, in zweiter an l'Avare, in dritter an le Bourgeois gentilhomme zu denken. Auf Tartuffe verzichte ich mit Münch vollständig; ebenso gewöhnlich auf le Misanthrope, da Unterprimaner die nach Münch erforderliche, welterfahrene Leserschaft" nun einmal nicht sind. Die Précieuses ridicules lehne ich aus sprachlichen Gründen, le Malade imaginaire und Fourberies de Scapin als minderwertige Stücke ab. - Vom historischen Standpunkt des Interesses am Inhalt ist natürlich Molières Femmes Savantes am meisten geeignet, unmittelbar in die geistige Kultur der Zeit einzuführen. Als Anleitung zur Ausnutzung in dieser Richtung nenne ich Tendering, Molières Femmes Savantes im Unterricht der Prima, Programm des Johanneums Hamburg 1898, S. 6 und 13ff., wenn ich auch viele seiner Ausführungen für gezwungen oder viel zu weitgehend halte. Fuldas meisterhafte Übersetzung mufs natürlich berücksichtigt werden. II9 und III 2, 173-238 können ausgelassen und durch Résumés ersetzt werden. der Bourgeois gentilhomme führt mitten hinein in jene Zeit, wo der Bürgerstand immer wohlhabender, selbstgefälliger und anspruchsvoller, der Adel immer abhängiger, ärmer und charakterloser wurde; doch wird man l'Avare, trotzdem er nicht die besondere Färbung des 17. Jahrhunderts trägt, als das bessere Stück im allgemeinen vorziehen.

Auch

Was die klassische Tragödie anlangt, so kann man verschiedenes Verfahren einschlagen. Entweder man liest und dafür trat Münch in dem Programm Ruhrort 1879 ein mehrere Stücke in gekürzter Be

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arbeitung mit Inhaltsangabe der ausgelassenen Scenen (nach Art von Plötz, Manuel oder Saure, Das klassische Drama der Franzosen, I. II, Herbig, Berlin) — oder man führt einer Schülergeneration nur ein Stück vor und dies vertritt Münch jetzt in Baumeisters Handbuch S. 51. Das erstere Verfahren wird sich da empfehlen, wo weitergehende Rücksicht auf den deutschen Unterricht genommen werden soll; dann wären vor allem Corneilles Rodogune und Voltaires Zaïre und Mérope zu lesen, die für Lessing Ausgangspunkte für besonders wichtige Abschnitte seiner Dramaturgie wurden. Mich will jedoch bedünken, dafs da, wo der deutsche und französische Unterricht nicht in einer Hand liegen, der für den ersteren vielleicht daraus erwachsende Gewinn nicht im Verhältnis zu dem grofsen Opfer steht, das der letztere bringt, wenn minderwertige Stücke wie Rodogune und Mérope verarbeitet werden sollen, deren Sprache noch geschraubter und unnatürlicher ist als bei den besseren Tragödien klassischen Stils. Ich habe deshalb das zweite Verfahren jederzeit vorgezogen, das nun auch Münch befürwortet, und räume dem deutschen Unterricht die Konzession ein, dafs Zaïre (der Münch die Thüre des französischen Unterrichts ganz verschliefsen will) gekürzt neben einer eingehender zu behandelnden Tragödie Corneilles oder Racines in UI berücksichtigt werden kann, zumal ja auch Zaïre in einer grofsen Zeit der französischen Geschichte spielt. In OII würde ich natürlich Zaïre wegen der grofsen zeitlichen Entfernung der Behandlung von Lessings Dramaturgie nicht lesen. Von Corneille (den Kühns Kanon nicht erwähnt) lese ich entweder Horace oder Cid, den Münch nicht nennt, der aber abgesehen von den Liebestiraden der Prinzessin einen gewissen Eindruck nicht verfehlt; von Racine entweder Athalie oder Britannicus.

III. Die Betrachtung der grofsen Revolution,

auf deren Ursachen und Vorboten beim Abschlufs der Lektüre Voltaires oder Duruys (ed. Renger, S. 83-85) hingewiesen wurde, bildet die dritte grofse Unterrichtseinheit. Der Geist des 18. Jahrhunderts wird unter Berücksichtigung, bezw. im engen Anschlufs an das bei Voltaire Ausgeführte kurz charakterisiert, bevor zur Lektüre übergegangen wird. Welcher Text soll nun gewählt werden, wenn man den Schülern einen Einblick in das Wesen der grofsen Umwälzung, in das Schöne und Berechtigte der sozialen und politischen Seite der Bewegung mit ihren für ganz Europa so wichtigen Folgen, aber auch ein Verständnis für die heilsamen und abschreckenden Lehren derselben geben will? Offenbar eine Darstellung der ersten Jahre, also etwa bis zur Hinrichtung des Königs, denn alle späteren Stufen der Revolution, wie z. B. die Schreckensherrschaft, die royalistischen Reaktionsversuche, die Kämpfe gegen das monarchische Europa, sind nur Wieder

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