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(Progymnasien) hat ja Württemberg eine grofse Anzahl von „Lateinschulen", in denen ein Lehrer die der Quarta, Unter- und Obertertia entsprechenden Altersstufen in den obligaten Fächern des Gymnasiums, zum Teil einschliesslich des Rechnens und der Mathematik, zu unterrichten hat; und auch für die gröfseren Anstalten ist das Klassenlehrersystem an den mittleren Klassen so weit durchgeführt, dafs der altphilologisch vorgebildete Klassenlehrer den Unterricht in Deutsch, Lateinisch, Französisch, Geschichte und Geographie und an Tertia in Griechisch, an Quarta im Rechnen erteilt. Da nun der angehende Lehrer in den meisten Fällen zunächst eben in solchen Mittelklassen, bezw. Lateinschulen, als provisorischer Klassenlehrer verwendet wird und ebenso an solchen (oder an Quinta) gewöhnlich seine erste definitive Anstellung erhält, während die in der wissenschaftlichen Prüfung von der neuen Prüfungs-Ordnung vorausgesetzten akademischen Studien sich auf Lateinisch, Griechisch und eines von drei Wahlfächern, nämlich Deutsch oder Französisch oder Geschichte, beschränken, so erschien es als eine wesentliche, ja als die praktisch vielleicht wichtigste Aufgabe des Vorbereitungsjahrs, den Kandidaten auch für den Unterricht in denjenigen Fächern, auf die sie durch ihr akademisches Studium nicht vorbereitet sind, eine Anleitung zu geben, die sie wenigstens in den Stand setzt, sich seinerzeit als Lehrer an Mittelklassen in diesen Fächern bei gutem Willen und mit ernster Arbeit ohne direkte Mifsgriffe und zeitraubende Umwege zurecht zu finden. Mit andern Worten: die theoretische Unterweisung mufste hinter der Einführung in die Praxis des Unterrichtes mehr zurückstehen, als das in Preufsen der Fall ist, und, was irgend im Anschlufs an die Vorkommnisse des Lebens der Schule erledigt werden konnte, auf diesen Zusammenhang beschränkt werden. Dies gilt vor allem und im weitesten Sinn von der Schulzucht, in deren Grundsätze und Handhabung die Kandidaten dadurch eingeführt wurden, dafs mit ihnen im Anschlufs an die Einzelfälle die getroffenen Mafsregeln und die dafür mafsgebenden Gründe durchgesprochen wurden, soweit das noch nötig war neben den Verhandlungen der Lehrerkonvente, denen die Kandidaten vorschriftsmäfsig anzuwohnen hatten.

In die Praxis des Unterrichts wurden die Kandidaten zunächst in der Weise eingeführt, dafs sie je eine Woche lang bei jeder Klasse dem Unterricht in den verschiedenen für sie in Betracht kommenden, also bei den unteren und mittleren Klassen in allen obligaten Unterrichtsfächern, bei den oberen in Lateinisch, Griechisch, Französisch oder Deutsch mindestens zweimal anwohnten, immer in Anwesenheit eines der drei mit den Geschäften

1) Es ist die erste Dienstprüfung", der nach dem Vorbereitungsjahr die „zweite Dienstprüfung in Philosophie, Pädagogik und Probelektionen folgt.

des Vorbereitungsjahrs betrauten Lehrer, der an das Gesehene und Gehörte eine Besprechung über die Behandlung des besonderen Gegenstands mit Ausblicken auf die für das Fach überhaupt in Betracht kommenden methodologischen und wissenschaftlichen Gesichtspunkte, sowie über das gerade für diese Klasse und für einzelne Schüler sich empfehlende Verfahren anschlofs. Von Januar an hatte dann jeder Kanditat in Obertertia, der Klasse des Prof. Lörcher, unter dessen Verantwortung für die Erreichung des Lehrziels, den Unterricht in seinem Wahlfach, der eine in Deutsch, der andere in Französisch, für die Dauer des laufenden Schuljahrs (bis 31. Juli) zu übernehmen, in ähnlicher Weise in Untersekunda einen Teil des griechischen Unterrichts, den an dieser Klasse Professor Gaupp erteilt. Aufserdem hatte jeder Kandidat unter Anleitung des Rektors Klett je etwa sechs Wochen lang den Unterricht im Rechnen an Quarta und in der Zeit, in der er hier frei war, den Unterricht in Französisch, bezw. Deutsch an Untertertia, sodann von Ostern an in gleicher Weise den Unterricht in Geschichte an Untertertia und je eine Woche lang lateinischen Unterricht an zwei mittleren und zwei oberen Klassen zu erteilen; endlich unterrichtete jeder Kandidat ein Vierteljahr lang in wöchentlich einer Stunde die Obertertia unter Anleitung ihres Klassenlehrers in Geographie. Den Beschlufs machten je zwei Lehrproben, die jeder Kandidat über ein von ihm gewähltes Thema vor Rektor Klett zu halten hatte. Dem Unterricht des einen Kandidaten wohnte immer der andere Kandidat an, desgleichen der sich anschliefsenden kritischen und vorbereitend informatorischen Besprechung seitens des Lehrers, der die Einleitung der Kandidaten in das betreffende Fach übernommen hatte. Zu der unterrichtenden Thätigkeit der Kandidaten gehörte auch die Stellung der Aufgaben für schriftliche Arbeiten und deren Korrektur.

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Aus dem Gesagten ergiebt sich, dafs die Zeit der Kandidaten wie der mit ihrer Einleitung betrauten Lehrer durch die Geschäfte der praktischen Vorbereitung sehr in Anspruch genommen war. Doch machte jeder der beiden Kandidaten einige Referate über pädagogische und didaktische Abhandlungen in den Lehrproben und Lehrgängen" und einen gröfseren wissenschaftlichen Aufsatz, der eine über die Herbartschen Formalstufen im Unterricht, der andere über den Unterricht in Rousseaus Émile. Die Korrektur und Besprechung dieser Arbeiten hatte Rektor Klett übernommen, der aufserdem mit den Kandidaten Kolloquien im Anschlufs an Willmanns Didaktik hielt. Dafs das Ganze den Charakter eines ersten Versuchs hatte und also wohl auch an den einem solchen naturgemäfs anhaftenden Mängeln litt, verhehlen sich die beteiligten Lehrer am wenigsten; doch ist ihnen das rege Interesse, das die Kandidaten bethätigten und ebenso den einzelnen Aufgaben und Fragen, wie dem ganzen Organismus und Leben

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unserer Schule entgegenbrachten, und zwar nicht blofs in den Stunden ihrer offiziellen Thätigkeit, sondern auch im persönlichen Verkehr mit den Lehrern und, wo sich, wie z. B. bei Schulausflügen, die Gelegenheit dazu bot, mit den Schülern, eine Gewähr dafür, dafs sie nicht ganz umsonst gearbeitet haben.

2. Der Grundirrtum im Sprachunterricht nach den Lehrplänen des Jahres 1892.

Von Dr. A. Rausch (Halle).

Die Schrift von Arnold Ohlert über „das Studium der Sprachen und die geistige Bildung. Berlin 1899" hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Wert des Sprachstudiums für die geistige Ausbildung des Menschen zu untersuchen. Man sollte denken, dafs sich der Verfasser in dieser Frage zunächst an die berufenen Kenner wenden würde, an die Philologen und Schulmänner, um deren Erfahrungen, die Frucht der Jahrhunderte, zu verwerten. Doch Ohlert hat sich eine andere Führerin erwählt, die moderne wissenschaftliche Psychologie, und nur einige wenige Männer, die sich berufsmässig mit dem Sprachunterricht beschäftigt und darüber nachgedacht haben, werden von ihm über ihre Ansichten befragt, aber auch nur, um alsbald von ihm wegen ihrer Irrtümer und veralteten Meinungen ausgescholten und kurzer Hand zurückgewiesen zu werden. Ihnen gegenüber stellt Ohlert auf Grund der psychologischen Wissenschaft fest, dafs das Studium der Sprachen für die Begründung einer echten Bildung nichts Wesentliches beiträgt, dass es zum mindesten entbehrlich ist; denn die Kenntnis fremder Sprachen, namentlich der alten Sprachen, kann höchstens als Zierat einer höheren Bildung angesehen werden. Diese selbst aber wird nur durch Sachunterricht erworben, der in der Muttersprache erteilt wird, der sich zuerst und vor allem der Naturwissenschaften bedient, der klare Anschauungen ermöglicht und bestimmte Begriffe schafft. Alles das aber, so folgert Ohlert, leistet das Studium der Sprachen nicht, da es dem Lernenden nicht Sachen, sondern Wörter überliefert, die nur unvollkommene, symbolische Zeichen der Sachen sind.

Durch diese Beweisführung Ohlerts wird aber die Frage nach dem Werte des Sprachstudiums für die Bildung des Menschen keineswegs erledigt, ja sie wird geradezu umgangen. Denn jene Ergebnisse seiner Schrift sind längst zu Gemeinplätzen der Pädagogik geworden und werden gewils von niemand bestritten. Gerade da aber, wo er seine Darlegungen über die Entwicklung und das geistige Wachstum eines Zöglings abschliefst,

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um sich befriedigt zu setzen und auf die Antworten ,,recht vieler Vertreter der alten Richtung des Sprachunterrichts" zu warten,,,die auf dem Boden moderner Kenntnisse" zu erwidern von ihm aufgefordert sind, gerade da fängt das Problem, dessen Lösung seine Schrift versprochen hat, erst an. Denn kein Einsichtiger, und sollte er auch ein Vertreter der alten Richtung des Sprachunterrichts" sein, wird bestreiten, dafs die Begründung menschlicher Bildung allerdings in der Weise, wie es Ohlert beschreibt, vor sich gehen muss: Bildung der Sinne, der Anschauungen, der Begriffe alles zunächst nur mit Hilfe der Muttersprache. Aber bei dieser Leistung kann nun einmal,, der moderne Mensch" nicht stehen bleiben. Viele Gründe führen ihn über seine Muttersprache hinaus auf fremde Sprachen, nicht zum wenigsten auch der Grund, dafs nur derjenige die Muttersprache mit tieferer Einsicht versteht und handhabt, der fremde Sprachen kennt. Und wer die wichtigsten Begriffe der Menschheit kennen lernen und erwerben will, wird finden, dafs sie nicht blofs im eigenen Volke, sondern auch bei anderen Völkern, nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in der Vergangenheit zu suchen sind. Ja, gerade der Psychologe mufs zugeben, dass es kein Denken giebt ohne Sprache und dafs die Funktionen des Denkens, des psychischen wie des logischen Denkens, geübt werden, wenn man Sprachen lernt und anwendet, ganz abgesehen davon, dafs sie zu einem Hilfsmittel des Sachunterrichts werden, indem sie diesem neue Gebiete erschliefsen. Ohlerts Darlegungen wären berechtigt, wenn wir die Ausbildung der Jugend mit dem fremdsprachlichen Unterricht beginnen und auch späterhin ausschliesslich durch Sprachunterricht fördern wollten. Es hat einmal eine solche Zeit gegeben, in welcher diese Einseitigkeit herrschte, von den Einsichtigen als drückend empfunden wurde und darum Urteile wie das Ohlerts hervorrief, nämlich am Ausgang des siebzehnten Jahrhunderts. Seine Darlegungen, so sehr sie auch angeblich auf dem Boden,,moderner Kenntnisse" gewachsen sind, kommen leider zweihundert Jahre zu spät auf die Welt und leisten für die Lösung des Problems vom Sprachunterricht, so wie es uns heutzutage beschäftigt, herzlich wenig, nämlich nicht mehr als etwa die Ansichten des Christian Thomasius, Ehrhardt Weigel, Realis a Vienna, welche die damaligen Lateinschulen verwarfen, weil die Kinder in ihnen von Anfang an und auch in späteren Jahren weiter nichts als Latein lernten.

Dennoch wird es der Schrift Ohlerts nicht an Zustimmung fehlen, weil die Unzufriedenheit mit dem Betrieb und mit den Ergebnissen des Sprachunterrichts grofs und weitverbreitet ist. Wie sehr sie von Jahr zu Jahr zugenommen hat, kann man aus den Verhandlungen des preufsischen Abgeordnetenhauses erkennen. Hier ist der Sprachunterricht der Gymnasien

Loebnitz, G. Th., Rechenbuch für Gymnasien, Realgymnasien, Oberreal- und Realschulen. 1. Teil. 19. Aufl. Hildesheim (Gerstenberg) 1899.

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2. Teil: Die zusammengesetzten Rechnungsarten. 16. Aufl. Hildesheim (Gerstenberg) 1897.

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Antwortenheft zu dem Rechenbuche. 1. Heft. 10. Aufl. Hildesheim (Gerstenberg) 1896.

Stoffregen, H. A., Deutscher Liederschatz für Schule, Haus und Leben. Heft II A. 13. Aufl. Hildesheim (Gerstenberg) 1888.

Wir erneuern unsere wiederholt abgegebene Erklärung, dafs die Aufgabe unserer Hefte uns nicht gestattet, den Rezensionen einen gröfseren Raum einzuräumen, dafs wir daher nur wenige der uns zugesandten Bücher besonders besprechen können, wohl aber sonst Gelegenheit nehmen werden, auf die wertvollsten Erscheinungen, mit denen uns ein didaktischer Fortschritt gegeben zu sein scheint, in unsern Arbeiten, wie in dem Seminarium praecoptorum, dessen pädagogischer Bibliothek sie einverleibt werden, Bezug zu nehmen. Als allgemeine Empfangsbescheinigung möge die Zusammenstellung angesehen werden, die wir am Schlufs jedes Heftes bringen. Auf eine Rücksendung der Schriften können wir uns nicht einlassen. Wir fügen hinzu, dafs die Volksschul-Litteratur nur dann von uns berücksichtigt werden kann, wenn aus den Erscheinungen derselben ein Gewinn für den Unterricht an den höheren Schulen nachzuweisen ist. Dr. W. Fries.

Halle a. S., Buchdruckerei des Waisenhauses.

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