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Leben erst wieder in den lateinischen Unterricht wenigstens der unteren Klassen kam, als man daran erinnert wurde, dafs das Latein auch eine Sprache sei, die man durch Sprechen und Nachsprechen lernen und üben müsse. Bald danach sind dann auch die neueren Philologen, für welche diese Erkenntnis doch viel näher lag, auf dasselbe Verfahren geführt worden. Noch nicht lange aber steht der neusprachliche Unterricht unter dem Einflusse dieser modernen Methode, welche die Sprache vor allen Dingen durch Sprechen einüben will, und schon läfst sich in diesen Kreisen hier und dort der Ruf nach einer gründlicheren grammatischen Schulung wieder vernehmen. Alles das beweist, dafs für den Sprachunterricht der Grundsatz gelten mufs: das eine thun und das andere nicht lassen. Gewif's nötigt die Praxis überhaupt und die Eigenart eines jeden Lehrers zu Einschränkungen und sorgt ganz von selbst dafür, dafs nicht alle möglichen Formen des Sprachstudiums mit gleicher Vollkommenheit angewandt werden. Ganz verfehlt aber ist es, die methodische Einseitigkeit zum Grundsatz zu erheben und die Vollständigkeit der Methode von vornherein auszuschliefsen, die doch allein eine Bürgschaft dafür bietet, dafs die sprachlichen Übungen der Exposition, der Komposition und der Grammatik im rechten Verhältnis zu einander und im Gleichgewichte bleiben. Das dunkle Bewusstsein von der Wichtigkeit der methodischen Form geht bereits so weit, dafs hervorragende Vertreter der Altertumsstudien entsagungsvoll erklärten: es kommt zuletzt gar nicht darauf an, was gelernt wird, sondern nur darauf, dass die Kenntnis und das Können in einer Sache zur Vollendung gebracht werden.

Die Methode ist dem künstlerischen Schaffen vergleichbar: sie mufs frei sein und darf nicht einer klugen Berechnung anheimfallen, die es auf ihre besonderen Vorteile abgesehen hat. Auch mit der Moral kann man das Unterrichtsverfahren vergleichen. Diejenige moralische Handlung, die einen aufserhalb ihres Thuns liegenden Vorteil erstrebt, hört auf autonom zu sein, sie wird heteronom. Ebenso wie die moralische Handlung mufs auch die Methode autonom sein und darf ihre Antriebe nur von dem kategorischen Imperativ empfangen, der mit dem Lernobjekte gegeben ist; im anderen Falle wird sie heteronom, wie etwa die Methode des Oberkellners, der sein Sprachstudium für einen ganz bestimmten Zweck betreiben mufs. Mit Hilfe dieser Unterscheidung einer heteronomen und autonomen Methode lässt sich zugleich auch der Unterschied zwischen Erziehungsschulen und Fachschulen verdeutlichen. Die Erziehungsschule beschäftigt sich mit ihrem Gegenstande um der Sache selbst und um des Lernenden selbst willen, sie verfolgt zunächst gar keinen Zweck des praktischen Berufslebens. Darum wird sie eine freie, nur durch die Sache und das Spiel der seelischen Kräfte gebotene Methode anzu

wenden haben, die vielseitig ist und kraftweckend. Die Fachschule hat das Recht, einen heteronomen Betrieb einzurichten; denn sie behandelt ihr Objekt für einen praktischen Zweck, aus dem auch ihre Methode erfliefst, und es wäre für sie in manchen Fällen Zeitverschwendung, einen Gegenstand so zu behandeln, dafs alle Formen der Einübung und alle Kräfte des Lernenden in Bewegung gesetzt werden. Die Fachschule hat dazu keine Zeit, der Erziehungsschule aber mufs man Zeit gönnen, oder sie wird zur Fachschule erniedrigt.

Es war also ein verhängnisvoller Irrtum, dafs man die Vorstellung von der Bildung eines fertigen Mannes als von einer aus vielen Bestandteilen zusammengesetzten Gröfse auch auf die formale Seite des Unterrichts, auf die Methode des Unterrichts in den Sprachen übertragen hat. Jeder Lernprozefs mufs die Möglichkeit haben, sich ungehemmt zu entfalten, damit er für die Bildung des Lernenden wahrhaft fruchtbar werde. Der Gelehrte kann für einen Nebenzweck das Studium einer Sprache auch einseitig und unvollkommen betreiben, ohne Schaden zu nehmen, aber Hauptstudien, von denen man etwas für das Wachstum der Jugend erwartet, dürfen nicht mit Absicht unvollständig betrieben werden, sonst verlieren sie allerdings ihren Wert und rechtfertigen solche Urteile wie das Ohlerts. Steht aber die Sache so, dafs sich diese Studien gegenseitig hemmen, sich Licht und Luft benehmen, so wird man nicht in der Knebelung der Methode die Abhilfe suchen müssen, sondern wird sich entschliefsen müssen, etwas von den Lehrstoffen preiszugeben. Denn für die Art des Lernens gilt immer noch das Wort Schillers:

Wer etwas Treffliches leisten will,

Hätt' gern was Grofses geboren,
Der sammle still und unerschlafft

Im kleinsten Punkte die höchste Kraft.

Wenn uns aber der Reichtum der überlieferten Lehrstoffe an der Erfüllung dieser wichtigen Pflicht hindern will, so wollen wir uns den rechten Ausweg zeigen lassen durch ein anderes Dichterwort:

Nicht zu früh mit der Kost buntscheckigen Wissens, ihr Lehrer,

Nähret den Knaben mir auf! Selten gedeiht er davon.

Kräftigt und übt ihm den Geist an wenigen, würdigen Stoffen!
Euer Beruf ist erfüllt, wenn er zu lernen gelernt.

Es liegt nicht im Bereiche der Absicht dieses Aufsatzes, zu erörtern, welche Stoffe preiszugeben oder zu beschränken rätlich erscheint, und er möchte geflissentlich nur das Hauptanliegen von dem rechten, freien, ungehemmten Betrieb der Schulstudien zur Geltung gebracht haben. Freilich steht in der Frage nach der Auswahl der Lehrstoffe den Lehrern auch ein Urteil zu und vielleicht ihnen eher noch als andern Berufskreisen, aber es

darf nicht übersehen werden, dafs diese Frage doch auch das ganze Volk angeht, dessen Interessen von der Unterrichtsbehörde wahrgenommen werden. Denn einen Lehrplan zu schaffen, in dem aus der Fülle der sich anbietenden Lehrstoffe dasjenige ausgewählt wird, was der geschichtlichen Entwicklung des Volkes und den Bedürfnissen der Gegenwart entspricht, ist mehr als eine Aufgabe der Lehrerwelt, es ist ein Kulturwerk. Aber über die Art, in welcher das Lehrgut der Jugend zu überliefern ist, sich und anderen Rechenschaft zu geben, das ist das Geschäft der Lehrer. Nun aber mufs billigerweise diese Art der Überlieferung eine Rückwirkung auf die Auswahl der Lehrstoffe ausüben und muss berücksichtigt werden. Denn wenn wir gute Arbeit liefern sollen, so dürfen wir auch nicht genötigt sein, mehr Aufträge anzunehmen und mehr Lehrstoff zu verarbeiten, als sich bewältigen läfst. Der Formgebung aber, d. h. der Methode eine Einwirkung auf die Auswahl und Begrenzung des Gegenstandes zu gestatten, ist unerlässlich für jede Lehrstunde und für jeden Lehrgang, und ist ein Hauptanliegen des Lehrers in Zeiten der Umgestaltung.

3. Gedankengänge im deutschen Unterricht der Prima.

Von Gymnasialdirektor Prof. Dr. Alfred Biese (Neuwied).

I.

Die Lektüre eines Dramas, eines Gedichtes oder eines Prosawerkes weist einen bestimmten Weg; das nachempfindende, nachbildende Miterleben ist die Hauptsache.

Selbstthätig im eigensten Sinne des Wortes wird erst der junge Geist, wenn er ganz aus sich schöpfen mufs, wenn er von einem Mittelpunkte aus immer weitere Kreise beschreiben oder anders ausgedrückt von diesem aus die Radien seiner Erfahrung, seines eigenen Denkens und Erlebens zu jener grofsen Peripherie hinziehen soll, die wir Leben, die wir Welt nennen.

Den Mut zum eigenen Denken und zum Aussprechen des Gedachten müssen wir vielfach erst wecken; ja, es sind nicht die unedelsten Naturen, die schweigen, wenn sie in die Tiefen ihrer eigenen Seele hinabsteigen sollen, und mit gewisser Scheu ihr Innerstes verbergen. Bei anderen sprudelt alles leicht hervor, aber es ist wenig klar und rein. Gedanken, die schockweise kommen" sagt Marie von Ebner - Eschenbach in ihren Aphorismen,,, sind Gesindel; gute Gedanken erscheinen in kleiner Gesellschaft; ein göttlicher Gedanke kommt allein."

Fries u. Menge, Lehrproben und Lehrgänge. Heft LXV.

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Für den Lehrer des Deutschen giebt es kaum etwas Reizvolleres und Fruchtbringenderes im Unterricht, als in einer oberen Klasse eine gedankliche Erörterung anzuspinnen, eine Frage aufzuwerfen, einen Begriff hinzustellen und nun zu sehen, wie dieser allmählich analysiert und mit lebensvoller Anschauung gefüllt und wie somit das Problem gelöst wird. Zuerst stutzen die jungen Seelen; nur schüchtern wagt sich der eine und der andere hervor; man ermutigt, man läfst gelten, was irgend brauchbar ist, man schält den wahren Kern aus der ungeschickten Form, aus der Hülle des Irrtums heraus; man regt durch Fragen von neuem an, eröffnet weitere Perspektiven, knüpft an Gelesenes, an Gelerntes an, und allmählich strömen alle die Bächlein herbei und bilden einen breiten Strom, der in weite Fernen lockt und in der Unendlichkeit mündet. Aber es gilt auch, weise hauszuhalten mit den Gedanken, und so werden sie denn, in der Ordnung, wie sie kamen, und von Schlacken gereinigt, auf der Tafel in aufeinanderfolgenden Nummern verzeichnet. Dann wird das Zusammengehörige geordnet und ergänzt, Stein auf Stein ist gefügt und endlich der Bau vollendet. Der Lehrer hat einen Blick ins leise Weben der Jünglingsseele gethan, hat die Schranken und Grenzen des jugendlichen Verstehens erkannt, hat wieder Geduld und Scharfsinn üben müssen und somit für seine pädagogische Kunst viel gewonnen; und die Jugend selbst ist in neue Probleme hineingewachsen, sie lernt ahnen, was wissenschaftliches (begriffliches) Denken, was psychologische Vertiefung im Bunde mit ethischer Betrachtung ist und beides dürfte das wahrhaft Wichtige sein. Bei häufiger Übung der Art verlieren dann die sog. allgemeinen Themata ihren Schrecken, die Beobachtungsgabe schärft sich, die Erfahrung bereichert sich, das selbständige Denken regt sich und wagt mit der Zeit immer kühnere, höhere Flüge.

Es kann aber keine Frage sein, dafs wir aus der Enge des lediglich thatsächlichen, historischen und technisch-naturwissenschaftlichen Wissens wieder mehr empordringen müssen zu den freieren Höhen der philosophischen Betrachtung.

Eine solche wird nicht am wenigsten durch Erörterung allgemeinerer Fragen in der Schule vorbereitet. So sei als Thema gewählt:

1. Das Vergessen.

Was ist für uns Menschen das Vergessen?

-

Das sei die Nufs, die

ich zum Knacken den Primanern darbiete, der Knochen, an dem sie die Schärfe der Zähne ihres Witzes prüfen sollen.

Also das Vergessen!? Da alles relativ ist nach menschlichen Begriffen, fragen wir wohl am besten: was ist das Gegenteil von Vergessen? Ein gutes Gedächtnis, ein treues Festhalten des psychisch Gewonnenen. Und

nun das Vergessen? Ein Verblassen, ein Schwinden dieses geistig Gewonnenen. Und was vergifst man? Wörter, Regeln, Gedanken, Aufträge usw. Somit ist Vergessen Vergesslichkeit, Pflichtvergessenheit.

usw.

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Aber

hat das Vergessen neben dem aktiven Sinne nicht auch den passivischen? Lagert nicht das „Vergessen" über wüsten Trümmern? Ist es also nicht auch ein Vergessen werden?

Kann man ferner nicht auch sich selbst vergessen? Ist ein solcher, der sich selbst vergifst, edel oder ist er auch in diesem oder jenem Falle unedel? So dürfte auch nach dieser Richtung das Wort im Zwielicht schillern.

Aber weiter! Ist es nicht ein wahres Labsal der Seele, das Trübe vergessen zu können? Wie steht es aber mit dem Guten, das andere uns, oder das wir anderen erwiesen? Eine neue Aporie!

Und was dürfte schwerer sein, als die Kränkungen anderer zu vergessen? . .

So thut sich mit dem einfachen Worte „Vergessen" eine Fülle psychologischer und ethischer Probleme auf.

Um das Interesse noch mehr zu beleben, nehme ich ein Zeitungsblatt aus der Tasche, das gerade in diesen Tagen die Aussprüche der berühmten Staatsmänner über Vergeben und Vergessen verzeichnete, ich erinnere ferner an Sprichwörter, an Sentenzen aus Dramen, an Gedichte usw., und so rundet sich allmählich das Bild, und es gestaltet sich der Gedankengang folgendermafsen:

Unter geistiger Begabung verstehen wir die Fähigkeit, nicht nur die Eindrücke scharf und bestimmt aufzunehmen, deutliche Wahrnehmungen zu gewinnen und aus dieser klare Vorstellungen und klare Begriffe zu bilden, sondern alles das auch festhalten und immer wieder erneuern zu können. Diese Kraft ist das Erinnerungsvermögen, das Gedächtnis, ohne das eine geistige Bildung undenkbar ist. Wer es in geringem Malse besitzt, wer also leicht vergifst, was er gesehen, gehört, gelesen, erlebt hat, scheint uns des Vollbesitzes geistigen Vermögens zu ermangeln. Wie steht es also mit dem Vergessen?

I. Das Vergessen erscheint im ungünstigen Lichte, mögen wir es nun 1. im aktivischen Sinne nehmen, und zwar:

a) intellektuell als Schwäche des Geistes (wir vergessen etwas, d. h. wir können uns nicht entsinnen), zunächst des jugendlichen Geistes: das zu Lernende wird wohl aufgefafst, aber verfliegt auch ebenso rasch; das heute Gelernte ist morgen spurlos verschwunden; das Gedächtnis ist wie ein Sieb, das alles, was es aufnimmt, wieder durchläfst, weil es nicht festzuhalten vermag; dagegen ist nur ein Kraut gewachsen, und das heifst

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