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Mitteilungen der Herausgeber.

1. Mit der Aufnahme der bei der Schriftleitung eingehenden Beiträge wollen die Herausgeber nur aussprechen, dafs sie dieselben für wertvolle Mitteilungen aus der Theorie und Praxis des Unterrichts halten, zu deren möglichst freiem Austausch die Lehrproben und Lehrgänge" Gelegenheit geben sollen. Eine weiter gehende Verantwortlichkeit für den Inhalt übernehmen sie damit nicht, sondern müssen dieselbe dem jedesmaligen Verfasser überlassen.

2. Die Mitteilungen von Wünschen betreffend die Wahl künftiger Lehrproben wird uns auch in Zukunft sehr willkommen sein; auch sonstige Anfragen an dieser Stelle, soweit sie sich dazu eignet, zu beantworten, werden wir gern bereit sein.

3. Wir bemerken noch einmal, dafs die Hefte der „Lehrproben und Lehrgänge" zwanglos erscheinen und auch einzeln käuflich zu haben sind.

4. Die Herausgeber werden in Zukunft mehr als bisher bestrebt sein, in ihren Beiträgen und Mitteilungen sich der entbehrlichen Fremdwörter zu enthalten, und richten diese Bitte auch an die Herren Mitarbeiter.

5. Sendungen von Beiträgen und Büchern bitten wir an die Schriftleitung in Halle zu richten und für Bücher die Vermittlung der Buchhandlung des Waisenhauses zu benutzen.

1. Studie zur Einheit des Gymnasiallehrplans auf der Grundlage

des geschichtlichen Interesses.

Von Direktor Dr. Oskar Altenburg (Glogau).

Die vorliegende Frage berührt das Herz der gegenwärtigen Gymnasialbildung. Ohne hier theoretisch auf die Unterschiede der Real- und Gymnasialbildung näher einzugehen, sei nur dies gesagt, wir bedürfen einmal Lehranstalten, welche weiten Schichten des deutschen Volkes das Verständnis für das Kulturleben der Gegenwart vermitteln, alsdann Lehranstalten, welche das Verständnis vermitteln für unser Kulturleben, wie es geworden ist. Man kann in den Hinterwäldern Amerikas neue Formen des Kulturlebens beginnen, ohne hinter sich schauen zu müssen, aber unsere sagen wir alten Kulturvölker können die Brücke nicht hinter sich abbrechen, welche von der Vergangenheit zur Gegenwart führt, sie können den Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Gegenwart nicht verlieren wollen, nicht verlieren sollen. Wir verzichten hier auf die Erörterung der Frage, für wie weite Kreise das Bedürfnis nach Verständnis solches Zusammenhanges im wohlverstandenen Interesse unseres Volkslebens wach erhalten werden soll, wie grofs daher die Zahl der letzteren Lehranstalten im Verhältnis zu der der ersteren sein müfste, so viel ist gewifs, das Gymnasium der Gegenwart ist vor die Aufgabe als sein eigentlichstes Lebenselement gestellt, das geschichtliche Verständnis für die Werdegänge unseres Kulturlebens zu vermitteln. Unter allen den „Interessen", auf denen man das Gymnasium aufzubauen versucht hat, ist das geschichtliche Interesse das festeste und zuverlässigste, alle anderen ordnen sich diesem Interesse unter. Man darf mit Recht die Geschichte als das Rückgrat unserer gegenwärtigen Gymnasialbildung bezeichnen.

Aber die Geschichte ist nicht blofs eine Summe von Zahlen und Daten; sie berühren das Gedächtnis, wenig den Kopf, das Herz bewegen sie garnicht. Hat doch daher ein neuerer französischer Denker alles Ernstes gefragt, ob es sich überhaupt verlohnt, Geschichte zu lehren und zu lernen, wenn sie es nur mit Zahlen und Daten zu thun hat, die für das geistige Leben nichts von bewegender Kraft haben. Aber wo die geschichtliche Bildung das Ringen der Menschheit um die Ausgestaltung des Kulturlebens, das Ringen der Völker um individuelle Ausgestaltung ihrer Daseinsweisen begreifen lehrt, da bewegt sie Kopf und Herz, da regt sie an und hält in beständiger Bewegung das geschichtliche Interesse. Wir lehren keine staatsrechtlichen Theorieen, aber wir zeigen, wie Staaten sich bilden, Formen Fries u. Menge, Lehrproben und Lehrgänge, Heft LXIII.

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staatlicher Ordnung in dem Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten oft unter harten Kämpfen sich geben wollen, wir geben noch viel weniger soziale Theorieen, aber wir zeigen, wie tief einschneidend das Ringen um Formen des Besitzes und um Formen persönlicher Geltung und Wertung das Leben der Völker immer wieder erregt hat; wir übermitteln auch keinerlei System der Individual- oder Gesellschaftsethik, aber wir weisen die Macht ethischer Vorstellungen so im Aufbau wie im Niederreifsen persönlicher wie gesellschaftlicher Lebensordnungen nach, wir lehren, wo wir unsere Sache recht verstehen, nicht einmal ein System der christlichen Glaubenslehre (Dogmatik), aber wir zeigen an dem geschichtlichen Werden der Kirche, wie der Geist Christi, der bei uns ist bis an der Welt Ende", immer wieder dazu treibt, das Wesen und Walten des Christentums tiefer und von neuen Seiten aus zu verstehen und zu begreifen. Wo anders liegt in aller biographischen Unterweisung der Kern als in dem wunderbaren Wechselverhältnis zwischen gewissen die Zeit bewegenden Ideen und einzelnen grofsen Männern als deren Trägern? Selbst das Verständnis für Kunst und Wissenschaft kann nicht wahrhaft gefördert werden ohne den Hinweis auf den Zusammenhang mit Blüte und Verfall des Volkslebens. Und wo liegt nun vollends die bewegende Kraft im Lehren und Lernen alles dessen, was man unter dem Namen Nationallitteratur zusammenfafst, als in dem Einblick in die Art, wie die Seele eines Volkes, des deutschen zumal, in allen den Kämpfen ums Dasein und in allem Ringen um seine Daseinsformen in der Poesie sich den rechten Ausdruck sucht und schafft für alle Freude und alles Leid des Daseins?

Hiermit ist der geschichtliche Rahmen gegeben, in welchem die vielfach verschlungene und verwickelte Arbeit der Gymnasial bildungsanstalt sich zu bewegen hat. Wo also irgendwie nach einem Zusammenhang unserer Arbeit mit der Geschichte gefragt wird, kann es sich weniger nur um Beziehungen zu Zahlen und Daten handeln als vielmehr um die Erweckung des geschichtlichen Interesses; damit ist allemal eine Wechselbeziehung gegeben zwischen der Geschichte und den übrigen Stoffen des Unterrichts zu gegenseitiger Durchdringung und Befruchtung. Auf diese Thatsache weist Wortlaut und Geist der preufsischen Lehrordnung vom Jahre 1892 deutlich hin. S. 25 ist die Rede von dem viel zu wenig gewürdigten Gesichtspunkt der näheren Verbindung der Prosalektüre und der Geschichte; S. 65 wird auf diesbezügliche organisatorische Mafsnahmen hingewiesen; S. 18 ist der Unterricht im Deutschen neben (noch schärfer und bestimmter auszudrücken: im Zusammenhange mit) dem in der Religion der ethisch bedeutsamste in dem Organismus unserer höheren Schulen, womit zu vergleichen der vorletzte Absatz S. 71; S. 26 weist hin auf den griechischen Lektürestoff schon

von IIIB ab, ebenso S. 30 auf die Beziehung der französischen Lektüre zur Geschichte, S. 35 desgl. der englischen Lektüre.

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Es ist ja auch einleuchtend, und jeder Schüler sollte doch einmal aus Schillers „Spaziergang" mit diesem Gedanken vertraut sein, die geschichtlichen Erscheinungen wiederholen sich mutatis mutandis, d. h. unter veränderten individuellen zeitlichen und örtlichen Formen bei allen Kulturvölkern und zu allen Zeiten wieder; erst die Betrachtung solcher Wiederkehr, die Betrachtung dieser kulturgeschichtlichen Spirale" vertieft das geschichtliche Interesse; daher kann zur Förderung des geschichtlichen Interesses gar nichts besseres geschehen als Nahes und Fernes, Vergangenes und Gegenwärtiges unter dem Gesichtspunkte einer gewissen Parallelität oder Verwandtschaft näher aneinander zu rücken. Hierin liegt die methodische Aufgabe begründet, auf welche Lehrpläne S. 25 wie auf eine noch recht fremde und im Leben der Gymnasien wenig tief gewurzelte Erscheinung hingewiesen wird, Konzentration zu schaffen, d. h. die einzelnen Unterrichtsgebiete auf einander zu beziehen, in engeren Zusammenhang zu rücken. Sind uns hier sachlich die richtigen, hoffentlich auch in praxi gangbaren Wege vorgezeichnet, so sind sie es auch psychologisch und ethisch. Seit Jahrzehnten ruft man den Gymnasien zu: multum, ne multa; die multa sind als solche nicht wohl zu entbehren, aber der Wert der multa liegt nicht in ihrer Vereinzelung, sondern in ihrem Zusammenhang. Vereinzelung der Vorstellungen ist der Tod des geistigen Lebens über diesen Satz ist unter allen psychologisch gebildeten Gelehrten und Erziehern keinerlei Zweifel; Zusammenhang, Assoziation, gegenseitige Beziehung, Verknüpfung und Verwebung bedeuten in Wahrheit geistiges Leben. Es ist psychologisch durchaus richtig, dafs Lehrpläne S. 65 in der inneren Verknüpfung verwandter Lehrgebiete das beste und wirksamste Schutzmittel gegen „Überbürdung" gegeben ist, es ist aber auch ethisch eben so richtig, dafs der schöne Gedanke der Lehrpläne S. 70, „es sollen aus allen, besonders den ethischen Unterrichtsstoffen Keime für die Charakterbildung und tüchtiges Streben entwickelt werden", sich nicht durch die zusammenhangslosen Multa, durch die Vereinzelung der Vorstellungen, sondern nur durch Verknüpfung, durch Zusammenhang, durch Einheitlichkeit, durch die auf S. 25 verlangte Konzentration verwirklichen lässt.

Sollte es auch seit 1892 noch Thatsache sein, dafs diese Gesichtspunkte in der Praxis des modernen Gymnasiums thatsächlich weder subjektiv im vollen Masse gewürdigt noch objektiv in deutlich erkennbaren Formen zur Durchführung gelangt sind? Die Frage des Themas ist mit einem einzigen Worte zu beantworten: durch Organisation zur Einheit des Lehrplans!

Diese hängt nun freilich ab von oder ist bedingt durch mehrere Umstände, deren Andeutung hier unerlässlich ist. Wer jahre, ja jahrzehnte

lang unterrichtet und unterrichtend die Schönheit des klassischen Altertums vorzugsweise in der Kunst des Ausdrucks, also in der formalen Seite gesucht hat, der hat sicherlich auch durch und nach den Lehrplänen von 1892 nicht die formale Übung und Neigung plötzlich und wie gewaltsam aus Sinn und Herz gerissen.

Und wer im akademischen Studium statt den Blick auf das grofse Ganze zu richten und für den Zusammenhang zwischen dem Ganzen und Einzelnen das Auge zu schärfen sich in Spezialitäten vertieft hat, der ist nicht ohne weiteres dazu ausgerüstet, die Gabe der Assoziation in sich zu sicherer Entfaltung zu bringen.

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oder Thatsachen

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Es sind nicht alle, die sich in die Spezialität oder selbst auch in ein Fachstudium allzueng vertieft und eingebannt haben, ohne weiteres philosophische Köpfe, denn ohne philosophische Schulung wo die Philosophie nicht etwa auch wieder Spezialitätenstudium wird schult sich nicht leicht jemand im Sehen, Suchen und Finden des Zusammenhanges, ja der inneren Zusammenhänge, Bezüge, in der Erkenntnis innerer Verwandtschaft der Gedanken Reihen. Man kann ein ganz tüchtiger Mensch, auch ein tüchtiger Lehrer sein und doch etwas assoziationsblind sein. Es nicht zu sein ist Sache geübten Blickes und geübter Hand, wo es gilt, anscheinend entlegene Fäden miteinander im Unterricht zu verknüpfen. Die neuen Lehrpläne weisen sehr mit Recht auf die Stärkung der Stellung des Klassenlehrers im Organismus des Gymnasiums hin; versteht er seine Stellung richtig, so mufs er das Auge nach allen Seiten des Unterrichts der Klasse offen haben; ihm die Arbeit in dieser Hinsicht zu erleichtern, dazu soll er nach der gegenwärtigen Lehrordnung möglichst immer mehrere Fächer in seiner Hand vereinigen.

Die oben schon gegebene Antwort auf die Frage nach der Einheit des Lehrplans durch Organisation setzt sonach eine gemeinsame Thätigkeit des Direktors und der Lehrer voraus, 1. in der Gestaltung, 2. in der thatsächlichen Durchführung der Lehrpläne für die einzelnen Klassen. Hält man die Herstellung inneren Zusammenhanges von Fach zu Fach für eine blofse pädagogische Laune, glaubt man mit Rücksicht auf die „formalen" Zwecke des Unterrichts zu der Arbeit an der Herstellung solchen Zusammenhanges keine Zeit zu haben, glaubt man, wenn mit der Förderung solcher inneren Verbindung von Fach zu Fach auch nur annähernd Ernst gemacht werden soll, sich nur der höheren Notwendigkeit fügen und beugen zu müssen, so sind die Voraussetzungen für das von den Lehrplänen geforderte organisierte Ineinandergreifen der einzelnen oder bestimmter der ethischen Fächer oder auch der sprachlich-geschichtlichen Fächer eben noch nicht gegeben.

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