Page images
PDF
EPUB

lang unterrichtet und unterrichtend die Schönheit des klassischen Altertums vorzugsweise in der Kunst des Ausdrucks, also in der formalen Seite gesucht hat, der hat sicherlich auch durch und nach den Lehrplänen von 1892 nicht die formale Übung und Neigung plötzlich und wie gewaltsam aus Sinn und Herz gerissen.

Und wer im akademischen Studium statt den Blick auf das grofse Ganze zu richten und für den Zusammenhang zwischen dem Ganzen und Einzelnen das Auge zu schärfen sich in Spezialitäten vertieft hat, der ist nicht ohne weiteres dazu ausgerüstet, die Gabe der Assoziation in sich zu sicherer Entfaltung zu bringen.

Es sind nicht alle, die sich in die Spezialität oder selbst auch in ein Fachstudium allzueng vertieft und eingebannt haben, ohne weiteres philosophische Köpfe, denn ohne philosophische Schulung - wo die Philosophie nicht etwa auch wieder Spezialitätenstudium wird schult sich nicht leicht jemand im Sehen, Suchen und Finden des Zusammenhanges, ja der inneren Zusammenhänge, Bezüge, in der Erkenntnis innerer Verwandtschaft der Gedanken oder Thatsachen Reihen. Man kann ein ganz tüchtiger Mensch, auch ein tüchtiger Lehrer sein und doch etwas assoziationsblind sein. Es nicht zu sein ist Sache geübten Blickes und geübter Hand, wo es gilt, anscheinend entlegene Fäden miteinander im Unterricht zu verknüpfen. Die neuen Lehrpläne weisen sehr mit Recht auf die Stärkung der Stellung des Klassenlehrers im Organismus des Gymnasiums hin; versteht er seine Stellung richtig, so mufs er das Auge nach allen Seiten des Unterrichts der Klasse offen haben; ihm die Arbeit in dieser Hinsicht zu erleichtern, dazu soll er nach der gegenwärtigen Lehrordnung möglichst immer mehrere Fächer in seiner Hand vereinigen.

"

Die oben schon gegebene Antwort auf die Frage nach der Einheit des Lehrplans durch Organisation setzt sonach eine gemeinsame Thätigkeit des Direktors und der Lehrer voraus, 1. in der Gestaltung, 2. in der thatsächlichen Durchführung der Lehrpläne für die einzelnen Klassen. Hält man die Herstellung inneren Zusammenhanges von Fach zu Fach für eine blofse pädagogische Laune, glaubt man mit Rücksicht auf die formalen" Zwecke des Unterrichts zu der Arbeit an der Herstellung solchen Zusammenhanges keine Zeit zu haben, glaubt man, wenn mit der Förderung solcher inneren Verbindung von Fach zu Fach auch nur annähernd Ernst gemacht werden soll, sich nur der höheren Notwendigkeit fügen und beugen zu müssen, so sind die Voraussetzungen für das von den Lehrplänen geforderte organisierte Ineinandergreifen der einzelnen oder bestimmter der ethischen Fächer oder auch der sprachlich-geschichtlichen Fächer eben noch nicht gegeben.

-

Vorläufig noch Andeutungen über Beziehungen zwischen Geschichte und Lektüre. Dafs das deutsche Lesebuch Gedichte und Prosastücke enthält, welche mit dem geschichtlichen Stoffe der Klasse in Beziehung stehen, ist eine von niemandem bestrittene Forderung; es handelt sich doch nur darum, dafs die Lehrer des Deutschen und der Geschichte sich gegenseitig verständigen, damit die Lesestücke gerade da vorgelegt werden, wo ihnen ein Interesse der Schüler entgegenkommt. Das Lesebuch kann, ja mufs auch durch geeignete Lesestücke, durch kulturgeschichtliche Bilder das historische Interesse vertiefen. Und so wie Geschichte und Kenntnis der Schauplätze nicht von einander zu trennen sind wird ja vielfach die Beobachtung der Schauplätze Rückschlüsse auf den inneren Zusammenhang geschichtlicher Thatsachen anregen so wird auch das Lesebuch gute Schilderungen geographischen Inhalts, am besten nach selbst Gesehenem und selbst Erlebtem geben. Kurz das deutsche Lesebuch stellt sich thatsächlich in den Mittelpunkt der geschichtlichen oder ethischen Fächer. Es braucht ja nicht jedes Lesestück bis ins einzelnste zergliedert zu werden, oft reicht eine raschere Lesung hin, einen beabsichtigten Totaleindruck gewinnen zu lassen. Liegt es aber auch soweit ab, den Schülern von Sexta ab gewisse sittliche Ideen recht eindringlich nahe zu führen, weniger in der Form von Lehren als von um so kräftiger wirkenden Beispielen aus Geschichte und Leben? Merkwürdigerweise ist die Ethik weder in ihren theoretischen Formen weiteren Kreisen Deutschlands geläufig noch in ihren praktischen Gestaltungen, so wie es in England und wohl auch in Amerika der Fall ist. Wir stehen noch zu sehr im Banne der Sorge um die formalen Seiten der Bildung, Ausdruck und Stil, um immer noch zu sehr an den praktischen Fundgruben sittlicher Kraft und Stärke vorüberzugehen, ohne die Schüler tiefer nachgraben zu lassen. Diese Fundgruben liegen im geschichtlichen, im religiösen, im heimatkundlichen und im deutschen Unterricht; je enger diese Fächer aneinanderrücken, je mehr Fäden von ihnen herüber und hinübergehen, desto mehr eröffnet sich der Blick in die sittlichen Mächte des Lebens der Völker wie der einzelnen Individuen.

Nicht immer sind direkte Beziehungen aus dem Gebiete der ethischen Fächer mit dem jeweiligen Geschichtspensum möglich. Ohne weiteres knüpfen sich an z. B. in I die Geschichte der Befreiungskriege und die Dichter derselben Zeit, oder in I die ältere germanische Geschichte und (Lat.) Tacit. Germania, (Religion) Bilder aus der älteren Kirchengeschichte und der Mission in der abendländischen Welt, (Deutsch) Wiederholung und Vertiefung deutscher Dichtung im Mittelalter, worüber unten spezielle Nachweisung. Andererseits sind die Anknüpfungen indirekt auf dem Wege der Assoziation: dem erweckten Interesse an einem aufstrebenden Naturvolk

(Typus: die Germanen) stellen wir zur Seite das Bild eines Kulturvolkes auf der Höhe seiner Civilisation, z. B. das der Athener im Zeitalter des Perikles oder das Bild eines infolge sittlicher Entartung niedersteigenden Kulturvolkes, z. B. das der Römer im Zeitalter der Bürgerkriege, der Franzosen im Zeitalter der Revolution, der Deutschen am Ausgange des Mittelalters. In den Mittelstufen, wo die Geschichte des Altertums weder gelehrt noch wiederholt werden kann, ist diese indirekte Anreihung und Anknüpfung der gewiesene Weg.

Nun aber bleibt eine Hauptfrage zur Besprechung übrig, von deren dringend notwendiger Erledigung die Möglichkeit einer wirksamen Durchführung der durch die Frage nach der Einheit des Lehrplans gegebenen Gesichtspunkte abhängt. Es ist dies die Frage nach der Stellung des Sprachunterrichts im Verhältnis zu dem Lektüreunterricht im Rahmen des gegenwärtigen, auf dem Boden des geschichtlichen Interesses sich aufbauenden Gymnasiums. Die Frage, sagen wir die Lebensfrage des Gymnasiums ist die: Sprachbildung neben der durch das geschichtliche Interesse bestimmten Sachbildung oder Sprachbildung durch die geschichtliche Sachbildung. Wäre das erstere noch das zutreffende, wir hätten die zerflackernde Multa noch in der Schule, die Frage einer Einheitsorganisation auf dem Boden des geschichtlichen Interesses wäre in weite Ferne gerückt. Wortlaut und Geist der neuen Lehrordnungen weisen unseren Unterricht nicht auf die Trennung von Inhalt und Form, sondern auf deren engsten Zusammenhang hin. An einem bedeutungsvollen Inhalt lerne der Schüler sprachliches Denken und sprachlichen Ausdruck; aus dem Inhalt der Lektüre gewinne der Schüler von VI bis I in organisierter selbstthätiger Arbeit den Vokabelschatz, nicht aus dem mit Recht verbotenen Vokabularium. Lateinische Sprachkenntnis zumal ist, ohne den engsten Zusammenhang zwischen Inhalt, Sache und Form, Wort, Begriff, Bedeutung festzuhalten, zu gewinnen eine Illusion. Nur aus dem Verständnis des Inhalts heraus gewinnt der Schüler ein Verständnis für das individuelle Gepräge der fremden, besonders der lateinischen Sprache, nur aus der sich anschliefsenden praktischen Sprachübung verbreitert sich der Weg des Eindringens in den Inhalt. Es ist ganz richtig, dafs in der durch gemeinsame Arbeit des Lehrers und Schülers festgestellten Übersetzung der Prüfstein gesucht wird für das gewonnene Verständnis für den Inhalt. Aber wie im Lateinischen so hätte auch im Griechischen schon von IIIB an die griechisch-deutsche Übersetzung organisch in den Gymnasiallehrplan eingefügt werden können. Es thut aber überhaupt not, dafs die Kunst des Übersetzens ins Deutsche von VI ab systematisch ausgebildet und ausgebaut wird in organisierter Unterrichtsarbeit, das Übersetzen ins Deutsche und das aus dem Deutschen sollten zwei sich gegenseitig stetig

bedingende und ergänzende Operationen sein. Über Vorarbeiten hierzu ist das Gymnasium vom Jahre 1892 kaum noch hinaus zu einer scharf umrissenen Lehre und Technik gekommen. Schon von VI auf für das Latein, von IV auf das Französisch, von IIIB auf für das Griechisch sollte möglichst bald mit einem zusammenhängenden Lesestück im Sinne des historischen Interesses begonnen werden; die Einzelsätze ohne irgend welchen inneren Zusammenhang sind ja gerade die zerstreuenden Multa, denen die Schule der Gegenwart den Abschied sollte gegeben haben. Nicht als ob der Unterricht der Einzelsätze entraten könnte, sie sind zum Verständnis individueller Sprachgebilde und zur Sicherung praktischer Verwertung von VI selbst bis I nötig, aber es gelte für ihre Wahl inhaltlich die Anknüpfung an den Inhalt der Lesestücke durch Erweiterung, auch durch Assoziation verwandter Sachgebiete und Vorstellungsreihen (z. B. Gallien nach Caes. b. g. I 1 und Deutschland, der Krieg wider die Perser und der Krieg von 1870 oder 1813, die Sittenreinheit der alten Deutschen -die Entartung der Römer, z. B. nach Tac. Germ. c. 19), formell die Variation, z. B. Verlegung des Inhalts des Satzes in verschiedene Zeiten, ins Aktivum-Passivum, in verschiedene Modi- und Personenbeziehungen, in die Form abhängiger wie unabhängiger Ausdrucksweise, in die Form des Objekts-, des Subjektssatzes, der adverbiellen Bestimmung u. dergl., wobei die Bildung lückenloser Reihen nicht verabsäumt werden darf (z. B. poenitet, poenitebat, poenitebit . me, te, eum, nos, vos, eos, quem, quos poenitet. . ., dignus qui, cuius, quem, quo; me duce, te duce, eo duce, quo duce, nobis, vobis, eis, quibus ducibus usw.). Wenn endlich die Lehrpläne der Retroversion wiederholt gedacht haben, so kann diese leicht in der Praxis zu einer mechanischen, didaktisch wenig wertvollen Übung werden, wohingegen es völlig richtig ist, sämtliche Übungsmaterialien sowohl für die Haus- und Klassenarbeiten als für die mündlich-schriftlichen Übungen in der Klasse von Sexta bis Prima sollen nach obiger Skizzierung nach Inhalt und Form auf die Lektüre bezogen sein, ihrem Verständnis förderlich und dienlich sein. Jeder Lehrer, welcher diese Gesichtspunkte ernstlich sich zu eigen macht, fühlt, wie wenig ihm hierzu fremde Übersetzungsbücher helfen, wie sehr sich aber Gabe, Fähigkeit und Lust beflügeln, solche Übungsmaterialien den individuellen Bedürfnissen des Unterrichts entsprechend selbstthätig bereit zu stellen.

Wenn gegenwärtig aller Orten über einen merklichen Niedergang des altsprachlichen Wissens und Köunens von den einen geklagt, angesichts dessen von den anderen der gänzliche Ausschlufs der Altertumsstudien aus der Gymnasialbildung nur noch als eine Frage der Zeit bezeichnet wird, so mag der Grund wohl in einem Widerstreit des Alten und Neuen, in der

"

zur Zeit noch nicht vollzogenen Harmonie zwischen einer auf historischer Grundlage beruhenden Sach- und Sprachbildung beruhen, es mag wohl sein, dafs auch in dem Gymnasium seit 1892 noch der aus neuhumanistischem Quell entsprungene Formalismus, der sich praktisch oft genug als Grammaticismus bezeichnen lassen mufs, wie er seit 6-7 Jahrzehnten zu breiter Entfaltung gekommen war, sein Wesen oder sein Unwesen treibt oder zu treiben geneigt ist. Aber es ist unmöglich von der Frage über eine planmäfsige einheitliche Gestaltung der Sprachbildung im Gymnasium im engsten Zusammenhange mit der Sachbildung abzusehen, wenn wir der Grenzen der Leistungfähigkeit gewifs sein sollen in Bezug auf das noch zu erreichende Verständnis altklassischer Lektürestoffe in organischem Zusammenhange mit den Gedankenkreisen der übrigen ethisch-historischen Gymnasialfächer. Ohne sich über die durch plan- und zielbewusste methodische Arbeit zu erreichenden Grenzen klar zu sein, nutzt uns kein Plan einer Verteilung der altklassischen Prosa- und Dichterlektüre praktisch etwas, soll uns nicht fortgesetzt der Einwand begegnen: zu schwer, nicht mehr zu schaffen, sollen wir uns nicht der Gefahr aussetzen, uns auf minderwertiges, aber wenigstens leichtes" Lesematerial beschränken zu müssen. Verfasser ist persönlich frei von jedem Pessimismus, aber er kann doch nicht in Abrede stellen, dafs gerade auf dem hier in Rede stehenden Gebiete der Pessimismus im Zunehmen begriffen ist. Wenn gegenüber dem immer mehr überhandnehmenden Unfug der Benutzung von gedruckten Übersetzungen" die sogenannten Schülerkommentarien und Schülerpräparationen u. dergl. helfen sollen, so heifst das nicht viel anderes als den Teufel durch Beelzebub austreiben. Verfasser unterschreibt Wort für Wort Abschnitt 5 auf S. 24 der preufsischen Lehrpläne, aber gerade deshalb, weil er in den dort bezeichneten Gesichtspunkten den einzig richtigen Weg findet, darum stellt er zur Erwägung anheim, wie eine Umgestaltung des altsprachlichen Unterrichts in der Weise sich anbahnen lasse, um die Sach- und die Sprachbildung wirklich in engsten organischen Zusammenhang zu bringen, und dasjenige Mafs geistiger Kraft in den Gymnasialschülern zu erhalten, um einem Plan altklassischer Lektüre auf dem Boden der Konzentration noch gewachsen zu sein, ihm mit einigermafsen bewegtem Interesse, um nicht zu sagen mit Freude entgegenzugehen. Es wäre wohl der ernsten Erwägung wert, ob nicht der griechische Unterricht von Anfang an lediglich in den Dienst der Lektüre zu stellen wäre, ob nicht am Griechischen von vornherein mehr nur die Kunst des Übersetzens ins Deutsche zu pflegen und auszubauen wäre. Vielleicht käme die Entlastung von den deutsch-griechischen Übungen bis IIB doch dem gründlicheren Eindringen in die Lektüre mit Hilfe der besten methodisch zulässigen Hilfsmittel zu gute.

[ocr errors]
« PreviousContinue »