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4. Bemerkungen zum griechischen Unterricht
in Unter-Tertia.

Von Prof. Dr. Hugo Willenbücher (Mainz).

Dals der griechische Unterricht früher selbst in den Händen eines geschickten Lehrers zu grofse Anforderungen an die Schüler stellte, wird jetzt, man kann sagen, allgemein anerkannt. Der Fehler, den man beging, lag darin, dafs man mit gleicher Gewissenhaftigkeit Regelmäfsiges und Unregelmäfsiges, Häufiges und Seltenes lernen und einüben liefs. Die Forderung einer Übersetzung aus dem Deutschen ins Griechische für die Reifeprüfung mochte z. T. an diesem Verfahren die Schuld tragen. Seitdem nun aber ein solcher schriftlicher Nachweis für die Kenntnisse in der griechischen Sprache am Abschlufs der Gymnasialstudien nicht mehr gefordert wird, hat man in richtiger Erwägung, dafs zur Lektüre der Gymnasialschriftsteller eine solch eingehende Kenntnis selbst entlegener Erscheinungen nicht notwendig ist, viele Dinge aus dem griechischsn Unterricht entfernt, auf die man früher nicht verzichten zu können glaubte. Diese Neuerung ist nun auch schon dem Anfangsunterricht in Unter-Tertia zu gute gekommen; auch hier ist heutzutage bereits eine grofse Vereinfachung dadurch eingetreten, dafs man von dem Erlernen mancher seltenen grammatischen Erscheinung einstweilen absieht, um sie dann später bei ihrem Vorkommen in der Lektüre nachträglich mit ein paar Worten zu erklären. Man kann dies nur mit grofser Freude begrüfsen. Doch ist man vielfach nicht ganz darüber einig, was auszuscheiden und was beizubehalten sei. Dual, attische Deklination und vereinzelte schwierige Deklinations- und Conjugationsformen sind die einzigen Dinge, die so ziemlich einstimmig 1) als entbehrlich bezeichnet werden, während in anderen Fällen mehr oder weniger Meinungsverschiedenheit herrscht. Und doch, glaube ich, braucht man im allgemeinen hierin nicht gar zu bedenklich zu sein. Es können ohne Gefährdung der Gründlichkeit noch viele andere Seltenheiten in Wegfall kommen und müssen es, wenn der Zweck einer Vereinfachung des griechischen Unterrichts in Unter-Tertia erreicht werden soll. So glaube ich, kann man mit gutem Gewissen aufser den von Dettweiler in Baumeisters Handbuch IV p. 26 namhaft gemachten Fällen 2) noch folgendes aus dem griechischen Anfangsunterricht entfernen:

1) Die pädagogische Sektion hat sich auf der Bremer Philologenversammlung auf Antrag des Gymnasialdirektors Schneider für Erlernung des Duals ausgesprochen. Die Red.

2) Was die Beseitigung des Vocativs betrifft, wie Dettweiler ebenfalls vorschlägt, so mufs dies nicht blofs deshalb geschehen, weil sein Erkennen den Schülern

1. Die kontrahierte A und O Deklination, insofern sich dieselbe bei ihrem Vorkommen unter Hinweis auf die elidierenden Sigmastämme oder die Verba contrakta später ohne Mühe erklären läfst, während sie im Anfang des griechischen Unterrichts erfahrungsgemäfs leicht Verwirrung in den Köpfen der Schüler anrichtet und einem raschen Vorwärtsgehen hinderlich ist.

2. Die Deklination von πήχυς, πέλεκυς und τὸ ἄστυ, indem auch diese die Abwandlung der einstämmigen Substantiva auf g verdunkeln, während bei einem späteren Vorkommen der Hinweis auf die Deklination der Adjectiva auf vg oder Substantiva auf g zu ihrer Erklärung vollständig genügt.

3. Die männlichen und weiblichen Substantiva der O Stämme der 3. Deklination. Mafsgebend für diesen Vorschlag ist aufser dem Wunsch, die 3. Deklination so einfach wie möglich zu gestalten, für die Maskulina die Leichtigkeit ihrer Deklination, für die Feminina die Seltenheit ihres Vorkommens, z. Teil aber auch der Umstand, dafs sie beide abweichend von den übrigen vokalischen Stämmen im Accusativ die Endung a haben. Aus ähnlichem Grund (Abweichung von dem Regelmässigen) sind auch die Barytona auf g und vs mit iher Accusativbildung aus dem Anfangsunterricht zu streichen.

4. Besonders ist bei der Erlernung der Pronomina von vornherein eine grofse Beschränkung geboten, damit das, was gelernt wird, um so besser eingeübt werden kann. Die Schwierigkeit liegt bekanntlich hier 1. darin, dafs der Grieche nicht allein für die 3. sondern auch für die 1. und 2. Person ein Reflexivpronomen besitzt und 2., dafs der Genetiv der Personal- und Reflexivpronomina bei der 1. und 2. Person das Possessivpronomen vertreten kann, bei der 3. (wenigstens in Prosa) vertreten

keine Schwierigkeit bereitet, sondern weil er wegen der scheinbaren Regellosigkeit, womit er bald dem Nominativ bald dem Stamme gleicht, bei der 3. Dekliuation zu grofsen Verwirrungen Anlafs giebt und die Einteilung zusammengehöriger Deklinationsgruppen erschwert. Wenn ich aber somit ebenfalls für eine Beseitigung des Vokativs eintrete, so kann ich mich doch nicht mit der zu unbestimmten Erklärung Waldecks Lehrpr. 31 pag. 81 einverstanden erklären, vielmehr habe ich meinen Schülern folgende Regel gegeben:

1. Der Vokativ der 3. Deklination ist im allgemeinen dem Stamme gleich, nur in gewissen Fällen, wo dies nicht möglich ist, wie bei den Guttural- und Labialstämmen (der Vokativ kann z. B, weder quiaz noch qúla lauten), sowie bei den auf der Endsilbe betonten konsonantischen Stämmen infolge dieses Accentes dem Nominativ.

2. Eigennamen und solche Wörter, welche deren Stelle vertreten wie Vater, Mutter, Frau, Tochter usw. ziehen dabei oft mit Verkürzung des letzten Stammvokals den Accent zurück. (Man vergl. άδελφε und δέσποτα.)

mufs, wobei noch auf prädikative und attributive Stellung Rücksicht zu nehmen ist. Es kommen also in Wegfall das indirekte Reflexivpronomen οὗ οἷ usw., die Possessivpronomina ὃς und σφέτερος, die Formen σφῶν avtov (dafür kavtor), die Korrelativ - Pronomina und Adverbia, soweit nicht die Lektüre zwingt, sie als Vokabeln lernen zu lassen.

5. Vom Zahlwort sind blofs Kardinal- und Ordinalzahlen zu lernen, alles übrige, Zahladverbien, Distributiva, Multiplicativa, ist zu übergehen.

Der Grundsatz, „Formen und syntaktische Verhältnisse nur so lernen zu lassen, dafs die Schüler dieselben beim Übersetzen aus dem Griechischen sofort erkennen, nicht aber so gründlich, dafs sie sie auch beim Übertragen in das Griechische mit einiger Überlegung richtig anwenden können", ist geeignet, ebenfalls zu einer Vereinfachung des griechischen Unterrichts zu führen. Und in der That hat schon jeder Lehrer die Erfahrung gemacht, dafs Schüler, die mit einer Regel ganz vertraut scheinen, beim Übersetzen in die fremde Sprache dennoch sich Verstöfse gegen dieselbe schuldig machen, während umgekehrt bei der Übersetzung aus der fremden Sprache die Aufgabe mit vollem Verständnis für die Construction gelöst wird. Doch zeigt sich diese Erscheinung weit mehr auf dem Gebiet der Syntax als auf demjenigen der Formenlehre, und da nun für das Griechische in Unter-Tertia besonders die Kenntnis der Formenlehre gefordert wird, so halte ich für diese Klasse eine zu weite Anwendung des angeführten Grundsatzes nicht für thunlich. Liegt doch die Gefahr vor, dafs hierdurch unsere Schüler zur Oberflächlichkeit erzogen werden. Es soll allerdings der Unterricht beschränkt und nur wenig gelernt werden, dieses wenige aber fest und sicher und so, dafs es der Schüler jederzeit auch beim Übertragen ins Griechische anwenden. kann. Wie sehr man also auch sonst für eine Vereinfachung des griechischen Unterrichts in Unter-Tertia eintreten kann, so giebt es doch gewisse Dinge, die man meiner Ansicht nach nur in der bisherigen Gründlichkeit betreiben mufs, wenn man das für die Klasse gesteckte Ziel erreichen will. Ich denke hier auch, trotzdem ich weifs, dafs ich mich damit in Gegensatz zu vielen meiner Kollegen setze, an die Accentlehre. Die Forderung Dettweilers (Baumeister IV p. 25), Anschauung und Erklärung der Accente in den wichtigsten Erscheinungen ohne die sogenannten Ausnahmen und ohne die alexandrinische Benennung; Aussprache und Betonung nach hergebrachtem Anschlufs an sie, aber nicht Einübung zum schriftlichen Gebrauch" ist auch nur hervorgegangen 1. aus dem Wunsche, den griechischen Unterricht zu erleichtern, aber 2. auch aus der Überzeugung, dafs wir ohne Accente doch nicht auskommen können. Der Einwand gegen die Notwendigkeit der Accente, dafs nämlich die Accentsetzung ja erst aus alexandrinischer Zeit herrühre, ist nicht stichhaltig, denn wenn schon die

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Alexandriner, um so viel mehr haben wir die Accente zur Bewahrung einer gemeinschaftlichen Aussprache durchaus notwendig. Aber auch abgesehen hiervon, sowie davon, dass oft nur der Accent gleichlautende Wörter unterscheidet, in gar vielen Fällen dient die Betonung dem Lehrer zur Kontrolle, ob die Schüler die Entstehung von Formen verstanden haben, und dieser Vorteil darf nicht unterschätzt werden. Man sagt: die Accentlehre verlangt ein zu grofses Mafs von Verstandes- und Willensthätigkeit, die man besser auf nützlichere Gegenstände verwendet.“ Aber ich frage, ob es sich nicht schliefslich gleich bleibt, an welchen Gegenständen man seinen Verstand und seinen Willen übt, und ob der Aufwand an Zeit und Kraft wirklich so bedeutend ist, dafs andere nützlichere Dinge dadurch in den Hintergrund gedrängt werden. M. E. pflegt man gewöhnlich die Schwierigkeit, die mit der Erlernung der Accentlehre verbunden sein soll, viel zu sehr zu übertreiben. Allerdings ist ein langsames, schrittweises Vorgehen gerade hier geboten. So werden zunächst bei den Leseübungen einfach nur die Accentzeichen (Spiritus lenis, Sp. asper, Akut und Circumflex) beobachtet und benannt. Erst mit der Deklination des Artikels wird dann die Kenntnis erweitert. Jetzt erst erfahren die Schüler, dafs es Oxytona Perispomena und Atona giebt, wobei die Betonung zugleich als Richtschnur bei der Erlernung der verschiedenen Formen des Artikels dient und SO die Einprägung derselben erleichtert. 1) Die Deklination der ersten Paradigmata (Substantiva auf ) bringt die Namen Paroxytona und Properispomena sowie folgende Regel: a) Der Accent bleibt mit Ausnahme des Genetiv plur. da stehen, wo er im Nom. sing. stand. b) Ist die Genetiv- und Dativendung lang und betont, so hat sie den Circumflex. c) Ist die vorletzte Silbe lang und betont, die letzte dagegen kurz, so steht der Circumflex. Die dritte Erweiterung erfährt die Accentlehre schliefslich bei der Abwandlung der Proparoxytona der Substantive mit à purum oder a impurum. Hiermit aber ist auch schon die Hauptschwierigkeit überwunden; alles, was später hinzukommt, ist, wenn einmal diese Regeln festsitzen, dem gegenüber eine Kleinigkeit. Nur müssen die Schüler anfänglich gewöhnt werden, bei allen mündlichen Übungen die Accente mit dem Finger zu schlagen (Dettweiler IV, 32). Was allerdings die Accentlehre der Enkliticae betrifft, so könnte hier ein vereinfachtes Verfahren Platz greifen, insofern die heute bestehenden Regeln weder für die Wahrung der Betonung im allgemeinen dienen, noch zur Kontrolle für grammatisches Verständnis herangezogen werden können. Aber

1) Also Zusammenstellung der Formen nach der Betonung a) Atona ai b) Oxytona Ti tùs c) Perispomena ris usw.

auch hier fragt es sich, ob die Lehre von der Betonung der Enkliticae wirklich so schwer ist, dafs wir deswegen von dem alexandrinischen Verfahren abweichen müssen. Ich meinerseits kann dies nicht finden. Mit folgenden drei durchaus leichtverständlichen Regeln, deren Kenntnis die Lektüre nach und nach vermittelt,kommen die Schüler für alle Zeit aus:

1. Nach Wörtern, die auf der letzten Silbe betont sind, verlieren die Enkliticae ihren Accent.

2. Nach probetonten Wörtern 1) (auch nach Atona und einer andern Enklitica) wirft die Enklitica ihren Accent als Akut auf die letzte Silbe des vorhergehenden Wortes zurück.

3. Nach einem Paroxytonon verlieren einsilbige Enkliticae ihren Accent, zweisilbige behalten ihn auf der Endsilbe.

Natürlich ist, um diese Regeln verständlich zu machen, notwendig, dafs man den Schülern von vornherein oder bei gegebener Gelegenheit sagt, a) dafs sich die Enklitica so eng an das vorhergehende Wort anschliefst, dafs dadurch ein einziges entsteht (lateinisch que) und b) dafs nur der Accent der Enklitica beweglich ist, nicht aber der des vorhergehenden Wortes, also dafs letzterer keine Änderung erleiden darf 2). Allerdings hat Schilling Lehr-Pr. 43 p. 68 ff. Eine Lektion über die enklitischen Wörter im Griechischen" nur zwei Regeln über die Betonung der Enkliticae aufgestellt, aber seine Fassung hat den Nachteil, dafs die erste Regel, für sich allein betrachtet, einfach falsch ist, die Schüler also gezwungen sind, in jedem Falle sich beide Regeln zu vergegenwärtigen, was ohne Zweifel eine Erhöhung der Schwierigkeit bedeutet.

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Eine dritte Art, den griechischen Unterricht in Unter-Tertia einfacher zu gestalten, sucht man in der Anordnung des Unterrichtsstoffes und damit zusammenhängend in der Methode. In dieser Beziehung können wir im allgemeinen zwei Klassen von Lehrmethoden unterscheiden; die eine ist die derjenigen, welche ihren Schülern entweder sofort oder nach einem kurzen vorbereitenden Unterricht einen nicht oder nur wenig veränderten Urtext vorlegen und nach rein induktiven Gesichtspunkten beim Unterrichtsverfahren, die andere dagegen führt nach systematisch geordneten, aus Einzelsätzen und zusammenhängenden Stücken bestehenden Übungsbüchern bald in induktiver bald in deduktiver Weise die Schüler in die Geheimnisse

1) Der Kürze halber für Properispomena und Proparoxytona.

2) Auf diese Weise werden die Schüler von selbst finden, 1. dafs der Akut eines Oxytonons bei nachfolgender Enklitica nicht umgelegt und 2. der Circumflex eines Perispomenons selbst bei nachfolgender zweisilbiger Enklitica nicht in einen Akut verwandelt werden darf. Was aber so leicht ist, dafs es alle Schüler von selbst finden, bietet auch für das Behalten keine Schwierigkeit.

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