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nehmenden Mädchen, bei vielleicht sinkender Qualität gröfsere Gefahren drohen können. Mit ungewöhnlicher Zungengewandtheit legte Frau von Forster Verwahrung ein, dafs man den Mädchen die Möglichkeit das Absolutorium zu machen erschweren wolle, so lange dies für höhere Stellen verlangt werde, und dafs sie durch die Studien zum hoben und wichtigen Beruf einer Familienmutter untauglich gemacht würden.

Zum Schlusse brachte Dr. Ullrich, Inspektor der höheren Mädchenschule Nürnbergs, den Antrag, man solle beschliefsen, es sei aus pädagogischen, sozialen, ethischen und auch ökonomischen Gründen. die gemeinsame Erziehung des männlichen und weiblichen Geschlechtes zunächst für die Unterstufe der Mittelschule d. i. für die Lebenszeit vom 9.-12. Jahre und zwar nach dem Frankfurter Reform-Lehrplan zu empfehlen. Die Resolution wurde bei der gewöhnlichen Art abzustimmen gut geheifsen.

Die Überbürdung ist nach einigen Schulmännern und auch Ärzten auf Grund ihrer Erfahrungen nur eine Frage. Jedenfalls bestehe sie nicht an allen höheren Schulen und wenn sie bei einzelnen Klassen in einigen Schulen sich zeige,') so dürfe man nicht solche Fälle verallgemeinern. Für andere Redner, Ärzte und Schulmänner, ist die Überbürdung eine Tatsache, die bei allen Schulgattungen zu finden ist. Nach ihren Darlegungen wird sie hervorgerufen 1. durch die Zahl der Unterrichtsfächer, 2. durch die Zahl der Unterrichtsstunden, 3. durch die lange häusliche Arbeitszeit.

Wie ist Abhilfe zu schaffen?

Realschuldirektor Dr. Hintzmann schlug vor den Nachmittagsunterricht abzuschaffen und den gesamten Unterricht mit Ausnahme der Turn- und Spielstunden am Vormittag in 5 bis 6 Stunden zu erteilen und die Unterrichtsstunde auf 45 Minuten zu verkürzen. Dadurch werde es den Schülern möglich die häuslichen Arbeiten während der Tagesstunden am Nachmittage, nicht erst in der Nacht zu erledigen und daneben individuellen Neigungen wie Musik und Sport nachzugehen. Die Erfahrungen, die der Redner mit einem solchen Unterrichtsplan gemacht habe, bewiesen, dafs die Schüler im Unterricht lebendiger und zu Hause arbeitsfreudiger seien, dafs auch die Lehrer durch die freien Nachmittage gröfsere Frische zeigten. Im Anschlusse daran widerlegte er die Einwände: die Freigabe der Nachmittage stelle sich als eine Inversuchungführung der Schüler dar. Wäre dies der Fall, so müfste jeder freie Nachmittag, besonders der Mittwoch- und Samstagnachmittag und erst recht der Sonntag für die Schüler von Übel sein. Zweitens die Unterrichtszeit bedinge wenigstens im Winter eine Änderung der in Deutschland üblichen Lebensweise. Darauf antwortete der Redner: Wenn es um die Gesundheit, das Wohl und Weh eines ganzen Geschlechtes

1) So erklärte Dr. Matthias (Ref. im preufsischen Kultusministerium): Eine Überbürdung der Schüler ist nicht überall gegeben. In vielen Schulen Preufsens ist die Frage aufgetreten: Haben die Schüler genug zu tun?

handle, müsse die Rücksicht auf althergebrachte, liebgewordene Gewohnheiten hintangestellt werden. Dritter Einwand sei zu grofse Kürze der Lektionen von 45 Minuten. Gegen dieses Bedenken spreche unwiderleglich die Erfahrung. Gewissenhafte Vorbereitung der Lehrer und strenge Selbstzucht löse diese unlösbare Aufgabe. Eine Ermüdung der Lehrer werde nicht eintreten, da es niemals nötig werde, dafs sie sechs Stunden hintereinander geben. Vier Stunden reichten hin. Was die Schüler betreffe, so zeigten diese nach seiner Erfahrung in der 6. Vormittagsstunde eine ganz andere, eine unvergleichlich höhere Lebendigkeit im Unterricht als in jedweder Nachmittagsstunde.

Über die Vorzüge des ungeteilten Unterrichts sprachen Prof. Dr. Schuyten (Antwerpen) und Stadtphysikus Dr. Semerad (Jungbunzlau).

Der letztere wies besonders darauf hin, dafs der Nachmittagsunterricht immer weniger vorteilhaft und erfolgreich sei als der vormittägige, da die Verdauung die psychische Tätigkeit beeinträchtige. Die 5. und selbst die 6. Stunde vormittags sei besser als eine Nachmittagsstunde. In Dreiviertelstunden lerne man mehr als in einer ganzen Stunde, wenn mehrere Unterrichtsstunden auf einander folgten. Seine Abhandlung schlofs:,,Nur in dem ungeteilten Unterricht liegt das weitere Heil der Schule, nur auf diese Art kann man einen Menschen mit gesundem Körper erziehen."

Ein anderer Redner forderte die Abschaffung des Nachmittagsunterrichtes und die Ausfüllung des Nachmittags durch freies Spielen. Auch, fügte er bei, es sei der wissenschaftliche Unterricht soviel wie möglich ins Freie zu verlegen, wobei uns die griechische Peripatetik vorbildlich sein solle. Ein vierter Redner wies nach, dafs besonders an Schulen mit Nachmittags unterricht der Prozentsatz der Kränklichen ein sehr hoher sei, höher als an solchen mit ungeteiltem Unterricht. Anders andere Redner. Nach seiner Erfahrung, so brachte ein Gymnasialdirektor vor, könne ein 5stündiger Vormittagsunterricht bei 45 Minutenbetrieb angehen, aber einer 6. Stunde würden unüberwindliche Schwierigkeiten entgegentreten nicht blofs seitens der Schüler sondern auch seitens der Lehrer: denn keinem könne man 6 Stunden Unterricht hintereinander zumuten. Andere Gegner fanden auch den Vormittagsunterricht zu lang, den Beginn desselben zu früh und dafs die Vorteile des freien Nachmittags nicht so grofs seien, als man hier vorbringe. Besonders Dr. Lay sprach sich für den Nachmittagsunterricht aus auf Grund seiner Experimente über die Wellenbewegung der psychischen Energie.

Zuletzt nach langer Debatte fand ein farbloser Antrag Annahme, wonach an die Schulbehörden die Bitte gerichtet werden solle, Anträge auf Einführung des ungeteilten Unterrichts einer wohlwollenden Prüfung unterziehen und derartige Versuche tunlichst zulassen zu wollen.

Eine zweite Forderung der Schulhygiene war die Abschaffung oder wenigstens Beschränkung der häuslichen Arbeiten. Unter dem Ausdruck des Bedauerns, dafs es jetzt keine

Nebenfächer, keine Ausruhstunden mehr gebe, sondern alles intensiv betrieben werde, forderte ein Württemberger, Dr. Jäger, die Abschaffung oder wenigstens Beschränkung der häuslichen Arbeiten. Er begründete dies damit, dafs sie vom unterrichtlichen Standpunkte aus entbehrlich, vom erziehlichen Standpunkte aus mehr Schaden als Nutzen stifteten. Gerade die Gewissenhaften, welche den Anforderungen gerecht werden wollten und unerlaubte Hilfsmittel verschmähten, litten am meisten darunter, nicht die Faulen und Gleichgiltigen. Es werde der Feierabend der studierenden Jugend geraubt, die ihn wie die übrigen Berufe brauche um sich für den folgenden Tag zu erholen, Kräfte zu sammeln, sowie ihre Leistungsfähigkeit, ihre geistige und körperliche Spannkraft und Arbeitsfreudigkeit sich zu erhalten. In der Forderung einer 8 bis 10 Stunden täglich umfassenden Hirnarbeit habe man eine Überforderung und damit eine ernste Gefährdung der Gesundheit der heranwachsenden Jugend vor sich. Die Gefahr würde noch vergröfsert dadurch, dafs diese Arbeiten zwangsmäfsige seien und daher mehr erschöpften als solche, zu welchen man Neigung und Interesse habe, und zweitens dadurch, dafs sie nur sitzender Weise und innerhalb geschlossener Räume erledigt werden könnten. Nichts sei schädlicher für die Gesundheit, als wenn die Jugend gezwungen werde, nach dem Abendbrot noch bis zum Schlafengehen zu arbeiten. Keine Zeit bliebe für die Entwicklung der individuellen Anlagen, die nicht in der Richtung der Schule lägen, aber wertvoll für die Ausbildung des Charakters, für die gesellschaftliche Stellung etc. seien. Als Höchstmals erscheint Dr. Jäger 6 Stunden Arbeitszeit für die Knaben unter 14 Jahren und 7 Stunden für die Schüler über 14 Jahren. Von den Hausaufgaben sei der schriftliche Teil in der Schule zu erledigen, nur der Memorierstoff sei für die Hausbeschäftigung aufzubehalten.

In der Diskussion fehlte es nicht an zahlreichen Gegenäufserungen, dafs man die Hausaufgaben nicht ganz aufgeben dürfe, damit die Schule nicht Gefahr laufe den Müfsiggang zu fördern.

Zu dieser Frage gehört auch der Vorschlag Dr. Grubers, es solle im Winter alle Augennaharbeit auf die Stunden zwischen 9 Uhr vormittags und 3 Uhr nachmittags verlegt werden, da zur Winterszeit in den früheren Vormittags- und den späteren Nachmittagsstunden die Tageshelligkeit überaus häufig unzureichend sei. Da aber auch an nebligen Wintertagen zur Mittagszeit in rauchigen Grofsstädten und Industrieorten die Tageshelligkeit nicht ausreichend vorhanden sei, so solle der Stundenplan jeder Schule eine gewisse Beweglichkeit besitzen, um die Beschäftigung der Schüler den Witterungsverhältnissen soviel als möglich anpassen zu können.

Mit dem ,,Mafs der Lehrpensen und Lehrzielen an höheren Unterrichtsanstalten" beschäftigte sich besonders der Vortrag des Berliner Nervenarztes Dr. Benda. Alles Übel, alle Leiden, Nervosität und Onanie, sind, wie er sagte, eine Folge der jetzigen Schuleinrichtungen. Nach seiner Ansicht ist es nötig vor allem das Abiturienten examen abzuschaffen aus hygienischen, pädago

gischen und psychologischen Gründen. Denn sei schon jedes Examen eine Schädigung der Gesundheit, so sei dies besonders hier der Fall. Es vermehre die Arbeitszeit ins Ungemessene (in Bayern?), das Resultat der Prüfung ergebe ein falsches Bild, die Mittelmäfsigkeit, ja die Unfähigkeit feierten Triumphe über die Begabung. Die Umwandlung der Prüfung in Prüfungszeiten könne nur eine Frage der Zeit sein. Zweitens: Da es unmöglich sei, dafs die Jugend sich täglich freibewege, wie es sein sollte, so müsse wenigstens verlangt werden, dafs an mehreren Tagen der Woche die Nachmittage frei seien für Turnen, Sport und Spiel. An diesen Tagen dürften keine häuslichen Arbeiten zu machen sein; denn das geistige Arbeiten. schade nach starker körperlicher Anstrengung mehr als die Übungen nützten. Ausserdem solle der Sonntag ein wirklicher Feiertag sein und deshalb solle am Montag keine Arbeit fällig sein und für besondere Arbeiten, wie Aufsätze, Vorträge habe ein ganzer Tag frei gegeben zu werden.

Weiterhin empfiehlt der Redner mit der sechsten Klasse den Schulkursus abzusschliefsen und in den höheren Klassen die Schüler im wesentlichen die Lehrgegenstände selbst wählen zu lassen, zu denen sie Begabung und Interesse führten. Auf der oberen Stufe werde der Zwang besonders drückend empfunden, Tag für Tag aufgegebene Lehrpensen zu erledigen und der gleichen Disziplin wie die Sextaner unterworfen zu sein.

Ferner erklärt er als notwendig, dafs statistische Erhebungen über die Leistungsfähigkeit der Schüler gepflogen werden, damit der vage Begriff,,Durchschnittsschüler" eine sichere, wissenschaftliche Grundlage erhalte und festgestellt werde, für welche Lehrgegenstände Begabung und Interesse vorhanden sei. Nur eine gründliche Reform der Lehrverfassung, die hauptsächlich auf die Herabsetzung der Lehrziele bis zum Niveau des Normalmenschen eingerichtet sein müsse, vermöge gründlich und endgiltig Wandel zu schaffen. Um auch die Minderbegabten nicht von den höheren Schulen auszuschliefsen und um den sog. Pressen den Boden zu entziehen, sei die Einrichtung von Hilfsklassen für Minderbegabte wünschenswert, in denen durch geringe Schülerzahl und streng individuellen Unterricht ein Heranbilden der Schüler zu normalen Leistungen versucht werde.

Ein weiterer Leitsatz von Dr. Benda lautete: ,,Internationale Vereinbarungen über die Lehrziele sind wünschenswert, da eine Einschränkung derselben auf das hygienisch zulässige Mass bei dem wachsenden Wettstreit der Nationen nur von einem gemeinsamen Vorgehen aller zivilisierten Staaten zu erwarten ist." Deutschland, das den Ruhm habe in pädagogischen und sanitāren Dingen stets ein Vorbild für andere Nationen zu sein, meinte der Redner, solle jetzt auch die Initiative ergreifen und die übrigen Staaten zu gemeinsamem Vorgehen zu einigen suchen und zu einer Abrüstung auf geistigem Gebiet veranlassen.

Dieser Abrüstungsvorschlag" rief bei den Zuhörern ein

Lächeln und Kopfschütteln hervor. Mit Recht bezeichnete ihn die Kritik als etwas ,,naiv" und als undurchführbar.

Unter allgemeinem Beifall geschah letzteres vom Prof. Schwend (in Stuttgart). Im übrigen stimmte dieser Redner in vielen Punkten mit dem Nervenarzt Dr. Benda überein. Auch er forderte die möglichste Beschränkung aller Prüfungen, worunter er auch die Schulaufgaben rechnete. Im Absolutorium müsse man wenigstens, meinte er, alle Gedächtnisfächer streichen. Bei dem Unterricht, den er in den neueren Sprachen gebe, habe er ohne jede schriftliche Hausaufgabe die nämlichen Leistungen erzielt wie vorher mit denselben. Die Mathematik, deren bildender Wert überschätzt werde, zwinge zum mühseligen Auswendiglernen zahlreicher Formeln (von Württemberg ist die Rede), betreibe viel Unnützes. In den Naturwissenschaften werde gesündigt, indem die ungeheuere Ausdehnung des Stoffes zu Mafslosigkeiten in der Stoffwahl verleite. Das Gleiche gelte von der Geschichte. Mit welchem Wuste würden da die Köpfe unserer Schüler angefüllt! Der Religionsunterricht sei ganz zu streichen. Die historische Entwicklung der Religionen sei in den geschichtlichen Unterricht zu verweisen. Der fremdsprachliche Unterricht pflege die eigentlichen Leidensfächer der meisten Schüler zu sein. An der Faulheit" der Schüler trage Stoff und Methode oft die Schuld. Man verlange zu viel und spitzfindige Dinge.,,Weniger Paragraphen, mehr Freiheit!" Dieser Ausruf dränge sich dem Beschauer unseres Schulwesens immer wieder auf die Lippen.

Auch von anderen Rednern wurde wiederholt die Abschaffung des Absolutoriums als ,,einer der unseligsten Einrichtungen in unserem Schulstaat gefordert. Einer wollte die Aufhebung jeglicher Prüfung in den Entwicklungsjahren wegen des seelischen Zustandes, in welchem sich der Schüler um diese Zeit befinde, der gebieterisch verlange, dafs man ihm jede unnütze Quälerei und unnötige Belastung des Gedächtnisses erspare. Die Entscheidung, ob der Schüler die nötige Reife besitze, könne wohl ohne Schwierigkeit auf Grund des Durchschnittes alles dessen getroffen werden, was der Schüler während des ganzen Schuljahres geleistet habe. Dabei müsse gleich dem Wissen auch das körperliche Können gewertet werden.

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Solche und ähnliche Aufserungen veranlafsten selbst einen Arzt Dr. Altschul (Prag) vor Übertreibungen zu warnen. Es wäre eigentlich", sagte er, ,,vom ausschliefslich hygienischen Standpunkte aus am besten, wenn die Kinder überhaupt nichts lernen müfsten."

Auch der Nervenarzt Dr. Wildermuth von Stuttgart bestreitet. auf Grund statistischer Untersuchungen, die er gemacht, den Zusammenhang zwischen Schulüberbürdung und Geisteskrankheit im jugendlichen Alter. Er kennt zahlreiche Fälle, wo sexuelle Verirrungen als die Hauptursache der Neurasthenie anzusehen seien, aber diese letztere lasse sich nur bei einer kleinen Anzahl von Fällen auf geistige Überanstrengung zurückführen. Der Schluss seines Vortrages lautet: „Wir wollen den verdrossenen pessimistischen Zug, der durch unser

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