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Hinsicht wenig einwandfrei sind. S. 55 wird gegen die Auffassung, dafs Antigone durch die Art, wie sie ihre Sache führt, dazu beitrage den tragischen Ausgang herbeizuführen (vgl. S. 6 meiner Ausgabe), polemisiert; aber doch wird zugegeben, dafs die bitteren und verächtlichen Äufserungen gegen Kreon und seine „,Gesetze“ diesen schwer beleidigen müssen. Übrigens sollte es nicht,,Gesetze" heifsen, denn diese ehrenvolle Bezeichnung gesteht Antigone den,,xnovyuara" (so ist das Anführungszeichen am Platz, vergl. zu 450 in meiner Ausgabe) des Herrschers nicht zu.

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Was die Erklärung des Textes anbelangt, kann man von einem allgemeinen und einem persönlichen Gut der verschiedenen Ausgaben reden. Verfasser hat nicht blofs jenes, wie es sich gehört, verwertet, sondern auch von dem letzteren sehr freien und ausgiebigen Gebrauch gemacht. Die wenigen selbständigen Auffassungen sind zum Teil schief oder unrichtig. Bei uns 739 ist nicht im entferntesten an Auswanderung der Bürger zu denken. Die Auffassung von 854 f., wo πολύν (πολύ) in τάλαν geändert ist, du warfst dich an die hohe Stufe der Dike nieder flüchtetest dich in ihren Schutz" widerspricht dem Zusammenhang und der Tendenz des ganzen Chorgesangs, in welchem zwar die Beweggründe der Antigone anerkannt werden, ihr Verhalten gegen die Herrscher aber eine Rüge erfährt. Die Worte πατρῷον δ' ἐκτίνεις τιν ἆθλον mit 471 f. geben die richtige Deutung von yoεvov ¿qivis 603 an die Hand. Verfasser bezieht es auf Kreon und betrachtet équús als eine Rachegöttin, die nicht nur den Frevel straft sondern auch vorher den Menschen verblendet und in die Schuld führt. Aber diese Verblendung kann nur zur Sühne einer früheren Schuld statthaben, welche bei Kreon nicht vorliegt. Weil man den Dichter nicht verstehen will, mufs Antigone von jedem Fehler frei gemacht und dem Kreon alles Schlimme nachgeredet werden. Sogar von Bütteldienst ist zu 216 die Rede. Nicht selbstherrlicher Dünkel spiegelt es ihm als Staatstugend vor in dem politischen Gegner auch nach dem Tode den zu verabscheuenden Feind zu sehen", sondern die Sorge für das Wohl des Vaterlandes und das Streben dieses gegen Feinde zu schützen lässt ihn die durch Religion und Humanität gezogene Schranke übersehen. So wenigstens stellt es der Dichter 191-206 dar und das wird wohl für uns mafsgebend sein.

München.

Wecklein.

Kurzgefafste griechische Schulgrammatik, bearbeitet von Joseph Pistner, K. Gymnasialrektor a. D. in München, und Dr. Augustin Stapfer, K. Gymnasialprofessor am Wilhelmgymnasium in München. Erster Teil: Formenlehre. München 1905, J. Lindauersche Buchhandlung (Schöpping). VI + 96 S. Preis gebd. M. 1.50.

Die Schulgrammatik, welche eben zwei erprobte Schulmänner in den Dienst der Gymnasien, zunächst der bayerischen Gymnasien stellen, zeichnet sich aus:

1. durch planmåfsige Beschränkung,
2. durch zweckdienliche Anordnung,
3. durch geschickte Raumverteilung
graphische Vollkommenheit,

und typo

4. durch ebenso knappe wie klare Fassung der Regeln. Diese vier Vorzüge wollen wir erst kurz würdigen, bevor wir ihnen weitere anreihen oder ihnen kleinere Mängel gegenüberstellen.

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Nicht aufgenommen sind die unsicheren Formen evvoa, ω σῶτερ, Vereinzeltes wie τὸ δοῦν, ῥιγῶν, Ausnahmen, die durch die angeführten in ihrer Art gekennzeichnet sind, wie ἄρκτος, πλίνθος, nach ὁδὸς, Verba πάττω, στίζω, στηρίζω nach ἁρμόττω und στενάζω. Streichen würde ich demnach auch κέκλειμαι — ἐκλείσθην nach δέδραμα ἐδρύθην (δραμα δραστός), ebenso κέχριμαι neben χριστός, χρίσμα (Chrisam) bleibt uns doch näher als xoiua. Überflüssig ist enega p neben Éлεigασάuny, nachdem die passiven Deponentia schon reichlich bedacht sind. Ziemlich viel Einzelheiten sind nach R. Wesselys Vorgang (vgl. meine Besprechung seiner Vereinfachten Griechischen Grammatik in diesen Blättern 40, 1904 S. 370–372) in das alphabetische Verzeichnis am Ende der Grammatik S. 92-95 aufgenommen; soweit sie wichtig sind mit Recht; unwichtigen wie sa für ἤγαγον, ὦ ἄδελφε, ὦ δέσποτα, Φιλομήλας, ἀφθονέστερος, βλώσκω (gehe) würde ich auch diesen Zugang versperren, anderen wie dié, δάκνω, ζώννυμι ihren Platz an der Sonne gönnen. Aber die Verfasser haben im ganzen mit scharfem Blick das Typische und Wichtige beobachtet: so kommt auch der Dual, die attische Deklination, das Genus (der konsonantischen Deklination) zu seinem Recht. Eine Wortbildungslehre 1) beizufügen unterliefsen sie wohl in der berechtigten Anschauung, dafs hier der Unterricht durch Findenlassen und Zusammenstellen einzugreifen habe; mir scheint aber die Bildung von ἀκρόαμα, ἤκουσμα, πρᾶξις, φάνσις, τάσις so wichtig wie ἠκρόαμαι, ἤκουσμαι, πέπραξαι, πέφανσαι, τέτασαι, die Bildung von κλοπή (zu κλέπτω so wichtig wie exλáлην; vgl. meinen Aufsatz »Zum Anfangsunterricht im Griechischen« in diesen Blättern 40 (1994) S. 312. Ob ohne Anregung der Grammatik das Nötige geschieht?

In der Anordnung ist die knappe Lautlehre S. 1-9 systematisch vorausgestellt (natürlich nicht so durchzunehmen!); von der I. Hauptdeklination geht die O-Deklination der A-Deklination voraus; hier wie bei der konsonantischen Deklination, die mit xoaτng anhebt, werden die Adjektiva passend mit den Substantiven verbunden *); Einzelheiten werden nach dem Regelmäfsigen erledigt; an die Komparation schliefsen sich ihre Adverbien, ebenso an die Pronomina die zugehörigen. Den orientierenden §§ über das Verbum folgt zweckmäfsig das volle Paradigma лαidɛvш, an dem dann die scheinbaren

1) Die Konjunktionen gehören zur Syntax.

2) Die Deklination von révos hat die von 4toyérns (dies würde ich lieber als Σωκράτης nehmen) naturgemäls im Gefolge, nur meine ich εὐγενὴς, εὐμενὴς, doyers etc. sollten den Eigennamen, die auch barytonierte Adjektiva (incl. die auf xλns) sind, vorausgehen.

oder wirklichen Eigenheiten der verba vocalia, muta und liquida in geschickter Zusammenstellung zur Freude findiger Schüler beleuchtet werden. Die gleiche Übersichtlichkeit herrscht bei den Verben auf u, die ich indes noch nie in einer fünften Klasse zu behandeln hatte. Den Dual (S. 90/91) würde man doch besser getrennt nach seiner nominalen und verbalen Seite behandeln. Die verba defectiva und anomala enthalten nach Kaegis Vorgang kurze syntaktische Bemerkungen, wie xάuvo лоv ti, und die genaue Angabe der Stämme, so zu ἀγορεύω: άγορευ, λεγ, φα, ερ, επ, ρε, über deren Zweckmäfsigkeit und Richtigkeit man bisweilen verschieden denken kann.

Die geschickte Verteilung des Raumes und die Ausnützung typographischer Hilfsmittel, so bei den Tabellen S. 46 ff., S. 70/71, unterstützt nicht blofs das lokale Gedächtnis sondern erleichtert ungemein den Überblick, so bei den untereinander stehenden Infinitiven und Partizipien, und ist für das Auge eine Wohltat. Den gleichen Zweck verfolgt der Druck bei der Angabe der Stämme λoyo, τεχνα u. s. f.

Wenn man auch die Gesetze der Sprache auf induktivem Weg finden låfst, so kommt schliefslich auf den Wortlaut beim grammatischen Gesetz sehr viel an ähnlich wie beim bürgerlichen. Die Gefahr, die das Horazianische Brevis esse laboro, obscurus fio» dem Schriftsteller vorhält, haben die Verfasser glücklich vermieden. Zur Einprägung und Veranschaulichung dienen auch konkrete Substantive, bezeichnende Adjektive, die als Paradigmen gewählt sind. S. 15 würde ich zu ἴδιοι, ἴδιαι, ἰδίων, ἰδίων” die Formen οἶκοι, οἰκίαι οἴκων, οἰκιῶν entsprechend setzen.

In wissenschaftlicher Hinsicht tut eine knappe Schulgrammatik das ihrige, wenn sie nicht rückständig ist; Fortschritte verlangt man von ihr nicht. Auch hier haben sich die Verfasser auf der Höhe gehalten. Von der Sprachvergleichung machen sie einen bescheidenen Gebrauch (on-serpo, gáva-fari; Ausfall von σ und ♬, λj, vj, oj, K- und T-Laut + j) mit Recht. Begründete Formen wie τιμῷμι, ἀγγελοῖμι (neben - οίην), τέθηκα für τέθεικα, δεικνύει, neben deixvvoi, nur oav (,,sie gingen"), wie Kaegi bietet, kommen δείκνυσι, zu ihrem Rechte.

Geschrieben wird ἁνύτω, ἁθρόος, μιμνήσκω, σώζω (aber natürlich ἐσώθην), ὁ ἰχθὺς (für ἰχθύς), Θαλέω statt Θάλεω (=Θάλητος), beides gilt neuerdings als das Richtigere; ebenso die Bevorzugung & für : in ξεῖ, πεῖ, φεῖ, χεῖ, ψεῖ, in ἔτεισα, ἐμείχθην, aber οἰκτίρω. Ich halte nach den argen Schwankungen der Herkulanensischen Rollen, (xεivηtixós, TоhεITIxós), nach Analogie des Lateinischen (omneis und omnis) u. a. die Sache für fraglich; jedenfalls hat die Schule kein Gewicht darauf zu legen.

So bin ich bereits ins Bemängeln geraten und will noch Einzelheiten zusammenstellen, an denen bei einer Neuauflage nachgebessert werden kann. S. 6 Druckfehler für çоüßаhhov, S. 23 heifst der Stamm ήχο, oder ηχοσ ? S. 29 πεποιθώς τινι «einem vertrauend» (statt <überzeugt»), S. 55 έnaivéw lobе, nagαivéw rede zu. S. 60 (Behand

lung der Muta) und S. 66 (xa, tétaza als tempora secunda) sind in Einklang zu bringen; zu ovdeìs setze man ovdevós und betone beide Akzente, zu ἤγαγον auch ἀγάγω, zu εἰκός 3) die Phrase εἰκός ἐστιν «es ist natürlich», zu ἔχω die Verbaladjektiva σχετός und ἑκτός.

Den Verfassern und dem Verleger verdanken wir aber - um das zum Schlufs noch einmal hervorzuheben ein trefflich ausgestattetes Büchlein, mit dem der Lehrer die Schüler sicherer, rascher und mit mehr geistigem Gewinn durch die griechische (attische) Formenlehre führen wird, als es meist üblich ist.

München,

G. Ammon.

P. Banderet, Histoire résumée de la Littérature française depuis ses origines jusqu'à nos jours. Troisieme édition. Berne, A. Francke, 1903. pp. 334. 8°. Preis brosch. Mk. 2.—, geb. 2.50.

Dafs der praktische Wert des vorliegenden Handbuchs zur Einführung in die französische Literaturgeschichte in des Verfassers engerem Vaterlande längst erwiesen ist, bezeugt der Umstand, dafs von dem Buche, das zuerst im November 1893 erschien, hier die dritte Auflage vorliegt, in der nur die Geschichte der Gegenwart vollständig umgearbeitet wurde mit Bezugnahme auf G. Pellissiers: Le mouvement littéraire au XIXe siècle, und: Le mouvement littéraire contemporain. Im übrigen ging das Augenmerk des Verfassers darauf hinaus die Nomenklatur möglichst zu beschränken ohne doch einen bedeutenden Namen ganz zu übergehen, ebenso den anekdotischen und biographischen Teil zu kürzen um für das unbedingt zum Verständnis Notwendige möglichst viel Raum zu haben: wir müssen anerkennen, dafs dem auch auf dem Gebiete der Grammatik anerkannten Schulmanne sein Vorwurf wohl gelungen ist, wie auch durch schönen deutlichen Druck und Ausstattung das Buch sich empfiehlt. Da der Verfasser häufig in geschickter Weise kurze charakteristische Proben bei einzelnen Autoren zur Erläuterung eingestreut hat oder Analysen wie bei le Cid und Britannicus mit gröfseren Stellen aus den Dramen, bedauern wir, dafs er es bei der Schilderung des Mittelalters unterlassen hat, wo ein Stück aus dem Rolandslied und dem Roman de la Rose wohl am Platze gewesen wäre. Dafs der Schweizer besonders Rousseaus Émile eingehend behandelt und Lamartines immer schönen Le Lac abdruckt, dafür wissen ihm auch die übrigen Leser Dank wie auch für die Proben aus den Elegien Alfred de Mussets. In kurzen Zügen sind auch die Vertreter des Realismus bis herauf zu den Symbolisten und Dekadenten richtig gezeichnet; die Benützung der Studien Faguets und Brunetières wird im Vorwort dankbar anerkannt.

*) εἴωνα fehlt.

Dr. Heinr. Grein, Studien über den Reim bei Théodore de Banville. Ein Beitrag zur Geschichte der französischen Verstechnik. Kiel, R. Cordes, 1903. pp. 72. 8°. Mk. 2.

Diese zweite Nummer der „Kieler Studien zur französischen Verslehre schliefst sich an die von uns besprochene Studie über Rostands Reim von Schenk an; die Dichtungen des bekannten Verskünstlers, eines Schülers Théophile Gautiers, wurden gewählt, weil er in bezug auf Reim und Strophenbau ja das menschenmögliche geleistet hat und zugleich als Theoretiker in der französischen Verslehre hervorgetreten war, was Veranlassung gibt seine Theorien mit der von ihm als Dichter geübten Praxis zu vergleichen. Überhaupt hebt Grein hervor, dafs der Reim in der neu französischen Poesie noch wenig Gegenstand der Untersuchung gewesen ist, wenn auch Schenk schon eine neue Anregung (Berg, der Reim bei Verlaine, 1901) gegeben hat. Nach den neuesten Methoden wird nun die Frage in zwei grofsen Kapiteln, I: die Phonetik des Reimes und II: die Semantik des Reimes, nach allen Seiten untersucht, wobei für den Reim eine umfangreiche phonetische Versskala in tabellarischer Form zur Übersicht und zu verschiedenen Ergebnissen numerischer Art beigefügt ist. Interessant sind gerade bei diesem Parnassier die vielfachen Reimspielereien, mit homonymen, äquivoken und funambulesken (Seiltänzer-) Reimen, wenn auch ihr Wert für die Poesie selbst wohl nicht hoch anzuschlagen ist.

Joseph Lebierre, Le mouvement réformiste des 35 dernières années et l'État actuel de la langue française. Leipzig et Berlin, B. G. Teubner 1902. pp. 54. 4°.

Die Broschüre, die bei ihrem Erscheinen Aufsehen erregte und von der Kritik günstig beurteilt wurde, unterrichtet über das Wesentliche ihres Inhaltes schon durch ihren Titel. Für die deutschen Romanisten ist sie deshalb wertvoll, weil sie übersichtlich und mit genauen Zitaten sämtliche Änderungen und Erleichterungen an Orthographie und Grammatik seit 50 Jahren darstellt sowie die Stellungnahme der bedeutendsten Sprachkenner und Autoren zu denselben. Der Hauptstreit dreht sich natürlich für und wider die Verordnung des Ministers Leygues. In dem zweiten Teile wird der beklagenswerte Verfall der modernen Prosa bejammert, der die wichtigsten Gesetze der Syntax einfach negiert und zuviel von der Sprache des argot und patois in sich aufnehme. Noch betrübendere Bilder zeigt die Darstellung der Poesie der ,,décadents, symbolistes, impressionnistes, poètes amorphes" deren Vers nur am Nebulosen zu erkennen ist; deren Poetik wird von dem Verfasser mit genauer Kenntnis an einzelnen Mustern veranschaulicht. Die Sprache macht gegenwärtig eine Periode der Revolution durch, deren Endziel noch nicht abzusehen ist. Die Stimmung Lebierres darüber ist ziemlich pessimistisch: la plupart

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