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Kretschmers stattlicher Band und endlich das Handbuch der historischen Geographie des bekannten Münchener Professors Wilhelm Götz. Letzteres bildet den 19. Teil des Klarschen Sammelwerkes Die Erdkunde", das sich bekanntlich die Aufgabe gestellt hat, dem Lehrer der Geographie,,bequeme Handbücher zu bieten, die bei aller Knappheit und Kürze ihm einen raschen, sicheren und gleichwohl tiefen Blick in das ganze Gebiet gestatten, auf die Literatur der bezüglichen Disziplin verweisen und ihm die Quellen erschliessen". Leider erfüllt Götz diese Bedingungen in seinem schönen Werke nicht vollständig; bleibt ja doch gerade das, worauf es hier meines Erachtens in erster Linie ankommt, nämlich die erschöpfende Behandlung des Gesamtgebietes der Erde unberücksichtigt; denn Götz hat nur einen Teil desselben Mitteleuropa und die Mittelmeerzone behandelt. Deswegen führt auch das Buch seinen seltsamen Untertitel. Warum sich Götz nur auf dieses kleinere Gebiet beschränkt hat, ist aus dem Vorworte nicht ganz klar erkenntlich. Ebenso wenig verstehe ich, was ihn dazu veranlafste, so viele gleichartige Landschaften zu behandeln. Wenn er nun schon einmal meinte, dafs nur Beispiele und Grundlinien genügen könnten, weshalb hat er dann nicht einen charakteristischen Teil Amerikas, Südafrikas, Ostasiens oder Australiens ausgewählt? Das La Plataland, das Mississippibecken, Japan, Java, Ostindien, Queensland, das Kapland oder die Sandwichinseln hätten doch viel mehr Abwechslung und infolgedessen reichere Belehrung geboten als Land für Land des afrikanischen Nordrandes! Mir scheint es, dafs G. lediglich wegen Raummangels auf die Bearbeitung des ganzen Erdgebietes verzichtete. Indes wäre es doch wohl möglich gewesen, sich kürzer zu fassen. Zwar hat G. auch jetzt schon -wie die wiederholte Bemerkung „Gekürzt!" zeigt beständig streichen. müssen, aber gerade in Anbetracht des Umstandes, dafs das Buch in erster Linie dem Mittelschullehrer allseitige Belehrung bieten soll, der auch bei regstem Interesse meist nicht imstande ist, die Entwicklung einer wissenschaftlichen Disziplin völlig zu übersehen, gerade deshalb mufs die eigenartige Beschränkung des Stoffes lebhaft bedauert werden. Andrerseits ist allerdings dem Leser dadurch eine viel eingehendere Behandlung des Themas dargeboten worden; und da dem Verlage doch gewifs daran gelegen sein mufs, dafs das unter der Flagge eines Handbuches in das Büchermeer segelnde Werk auch wirklich mit Recht auf diesen Titel Anspruch erheben kann, so darf man sich wohl der Hoffnung hingeben, dafs ein recht starker Ergänzungsband das wertvolle Buch zu dem mache, was es jetzt schon sein möchte. Abgesehen von dieser Ausstellung aber können die Ausführungen des Verfassers allen gerechtfertigten Anforderungen völlig entsprechen. Die Disponierung des bearbeiteten Stoffes ist klar und durchsichtig. G. verfährt nämlich derart, dafs er zunächst den geographischen Entwicklungsgang jedes einzelnen gröfseren Landschaftsgebietes in verschiedene Perioden teilt. In diesen werden jedesmal zunächst Pflanzen- und Tierwelt, darauf die Besiedlungsverhältnisse erörtert; es folgt alsdann ein Abschnitt, in dem die Änderungen des Landschaftsbildes durch

das freie oder vom Menschen beeinflusste Walten der Naturkräfte zusammen mit der dadurch oft bedingten Umwandlung des Klimas behandelt werden. Endlich bildet den Beschlufs eine Erörterung der durch alle diese Faktoren hervorgerufenen Bedeutung der anthropogeographischen Lage. Naturgemäfs hat sich G. bei der Aufzählung der einschlägigen Literatur eine gewisse Beschränkung auferlegen müssen; indessen hätte er doch für seinen das Mittelmeer behandelnden Teil die Arbeiten Albert Mayrs erwähnen müssen. Da es ferner an zuverlässigen Einzeluntersuchungen fehlt, welche die Änderung des Aussehens und der Bedeutung eines Erdraums klarlegen, so durfte er noch viel weniger S. 274 Hermann Walsers gewissenhafte Darlegungen über die seit 1667 stattgehabten Veränderungen der Erdoberfläche im Umkreis des Kantons Zürich übergehen. Merkwürdigerweise hat auch Kretschmer diese völlig übersehen, während sie Knüll, obwohl er eine historische Geographie des Mittelalters schreibt, in richtiger Erkenntnis ihrer Wichtigkeit ausgiebig verwertet, nur leider den jungen Berner Forscher (statt Walser) Walther nennt (S. 22). Endlich glaube ich. wäre es auch nötig gewesen, Karl Neumanns feinsinnige Bemerkungen über das Aufkommen Venedigs bei der Besprechung dieser Stadt mit heranziehen.

Zu Kretschmer tritt G., obwohl beide den Spuren Ratzels folgen, von vornherein schon dadurch in einen gewissen Gegensatz, dafs er den Begriff der historischen Geographie weiter, aber meines Erachtens trotzdem schärfer fafst, indem er erklärt, sie vergleiche die Erdräume hinsichtlich der zeitlich aufeinanderfolgenden Änderungen ihres Aussehens und ihrer Bedeutung. Kretschmer dagegen schreibt ihr die Aufgabe zu, die Wechselbeziehungen zwischen Land und Volk in den einzelnen Perioden der Geschichte nach ihrem ursächlichen Zusammenhange zu ergründen. Auch sonst zeigen beide bemerkenswerte Gegensätze; denn während der Geograph Götz Land für Land behandelt, sich dabei absichtlich oder unabsichtlich Breysigs Forderung anschliefsend, dafs für die verschiedenen Völker auch verschiedene Entwicklungsperioden anzusetzen seien, wählt Kr., der allerdings ein räumlich weit beschränktes Gebiet bespricht, für seine Betrachtung zeitliche Ruhepunkte aus, da die historische Geographie Zustände von Entwicklungsprozessen zu beschreiben habe. Diese Stationen liegen ,,kurz vor oder kurz nach gröfseren Ereignissen und politischen Veränderungen". Schon dieser Satz läfst erkennen, dafs Kr. ganz besonderes Gewicht auf die politischen Verhältnisse legt und in der Tat bietet seine Geographie für die verschiedenen Zeitepochen - er nimmt als Querschnittsjahre 1000, 1375, 1550, 1650 und 1770 an ungefähr das, was wir heute für den herrschenden Zustand in unseren geographischen Handbüchern finden, nur berücksichtigt er dabei durchaus nicht wie Götz den Wechsel der anthropogeographischen Lage. Nachdem er zunächst die physische Geographie im Zusammenhang gleichsam als Einleitung gebracht hat, teilt er das ganze Gebiet in regelmässigem Wechsel, den nur das Kapitel über die kirchliche Geographie stört, immer in zwei Teile ein, einen Abschnitt über

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politische und einen über Kulturgeographie. Eigenartig berührt mich dabei, dafs er in dem letzteren niemals auf den jeweiligen Stand der spezifisch geistigen Kultur eingeht, obwohl sie doch nicht selten unter dem Einflusse natürlicher Verhältnisse steht. Wir würden heutzutage sicherlich auch ein geographisches Lehrbuch, das uns nicht über die geistige Bedeutung, über Unterrichtsverhältnisse, Bildungsanstalten eines Volkes kurz Aufklärung verschafft, für lückenhaft halten. Ihre Behandlung gehört unbedingt zur Vervollständigung des Gesamtbildes und wird durch die Tendenz des Buches, das als Band des v. BelowMeineckeschen Sammelwerkes dem Forscher mühelos zuverlässiges Material an die Hand geben soll, sogar direkt gefordert. Indes hat Kr. dieses Grenzgebiet vielleicht absichtlich nicht berührt, um sein Werk nicht allzusehr anschwellen zu lassen; hat er doch aus diesem Grunde leider auch eine Städtekunde fortgelassen, in der die topographische_Entwicklung unserer gröfseren Städte behandelt werden sollte, z. T. sogar schon fertig vorlag. Über die Hälfte seines Buches nimmt als wichtigster Bestandteil die Darstellung der politischen Geographie der Vergangenheit ein und dadurch unterscheidet sich seine Arbeit vor allem von der Götzens und Knülls. Das kann nicht auffallen, wenn wir uns erinnern, dafs sein Buch ja für den Historiker bestimmt ist. Natürlich haben dem Verfasser gerade diese Kapitel die gröfste Arbeitslast bereitet. Weil aber hier das Kleine und Kleinste so minutiös dargestellt werden musste, hätte es sich vielleicht empfohlen, jedesmal einen kurzen einleitenden oder besser noch abschliefsenden Überblick über die bedeutendsten Staatengebilde zu geben. Dafs sich bei der Überfülle des Materials hier nicht selten kleine Irrtümer und Unebenheiten einstellen, kann in der Tat nicht verwundern. Aufgefallen ist mir besonders die ungleichmässige Behandlung der Namensformen, indem Kr. die Ortsnamen bald in der alten, bald in moderner Fassung bringt. Am besten wäre es wohl gewesen, wenn er in den älteren Zeiten die ursprüngliche, womöglich urkundliche Form gewählt hätte, der im Falle völliger Abweichung von der modernen Schreibweise diese in Klammern beigefügt werden müfste. Selbst moderne Ortsnamen sind nicht selten falsch wiedergegeben worden, so steht S. 126 Plehndorf statt Plehnendorf usw. Ebenso gibt er hie und da den gleichen Persönlichkeiten eine verschiedene Numerierung. (Vgl. S. 308 u. 309.) Schlimmere Verstöfse in reicher Zahl in geographischer und historischer Hinsicht, die unmöglich hier alle aufgezählt werden könnten, finden sich S. 259, 260, 299, 300, 302, 309, 320, 336, 391, 475 und 526. Bei seinen Darlegungen über die deutschen Stämme (S. 168) mufste Devrients Hypothese über die Herkunft der Thüringer, die doch gewifs viel für sich hat, zum mindesten erwähnt werden. Ebenso durfte die endgültige Erwerbung der Stadt Erfurt durch Joh. Phil. v. Schönborn i. J. 1664 nicht unberücksichtigt bleiben. Es liefse sich übrigens streiten, ob eine historische Geographie schon mit dem Jahre 1770 enden müsse, da unsere jetzigen Verhältnisse doch blutwenig mit den Zuständen jener Zeit zu tun haben.

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Knülls Arbeit endlich verdankt Wimmers historischer Landschaftskunde ihre Entstehung. Sie hat sich bescheidene Grenzen gezogen; denn sie will nicht eine abschliefsende Bearbeitung des ganzen Wissensgebietes, sondern nur eine knappe Zusammenstellung der wichtigen Forschungsergebnisse geben. Kn. gliedert seine Darstellung in 9 Kapitel und sucht umsichtig das weitschichtige Material nach Möglichkeit heranzuziehen. Zum Schlusse fafst er, wie es auch Götz tut, seine Ergebnisse kurz zusammen. Das Büchlein füllt eine wirkliche Lücke aus und man darf ihm wohl eine günstige Aufnahme prophezeien. Deshalb möchte ich aber den Verfasser auch für eine Neuauflage auf einige Kleinigkeiten aufmerksam machen. Er gebraucht oft nicht nur Formen, die unsere offizielle Schreibweise nicht kennt, wie S. 177 Schmidtmühlen, Lautrach, Eichstädt, Gmünden, sondern auch solche, die zu einer Verwechslung direkt Anlafs geben, so S. 189 Landshut statt Landeshut. Das ,,Fürth" statt Furth auf S. 178 ist gewifs nur ein Druckfehler. Bei Kumstadt (S. 150) mufste die heutige Form unbedingt nebengesetzt werden; denn wer weifs gleich, dafs man es hier mit dem heutigen Altenkundstadt zu tun hat! Übrigens lautete die alte Schreibweise des Örtchens Kunstatt. S. 171 mufs es Clavenna statt Clarenna heifsen, S. 174 Sumelocenna. Dieses führt heute den Namen Rottenburg. Die Ausdrucksweise des Verfassers auf S. 166 erweckt den Anschein, als ob Niederösterreich und Böhmen zu den politisch am stärksten zersplitterten Gebieten des Reiches gehörten. Die Stationen der Bernsteinstrafse werden in falscher Reihenfolge angegeben; denn Deutsch Brod liegt nördlich von Iglau. Landau in der Pfalz ist meines Wissens schon 1274 nicht 1291 Stadt geworden (S. 190). Reichenhall liegt in Oberbayern nicht in Oberösterreich (S. 127). Für Österreich und Böhmen hätten Hubers und Bachmanns Bücher, für Bayern Fastlingers treffliche Arbeit noch mit Erfolg verwertet werden müssen. Endlich wäre es sehr angezeigt, wenn sich die Verlagsbuchhandlung entschlösse, dem Kapitel über die typischen Bau- und Siedelungsformen kleine Grundrisse beizufügen.

Wenn wir nun zum Schlusse die Frage beantworten sollen, ob sich die drei besprochenen Werke zur Anschaffung für die Lehrerbibliotheken eignen, so mufs diese unbedingt bejaht werden; denn sie werden von den Lehrern der Geographie, Geschichte, ja auch Naturkunde zur Belebung des Unterrichts mit gröfstem Nutzen verwendet werden können, bieten sie doch eine Fülle hochinteressanten, sonst schwer zugänglichen Materials, sowohl für unser Vaterland als auch für die Kulturvölker des Mittelmeergebietes, deren Studium vor allem auf unseren Gymnasien betrieben wird. Es bringt aber gewifs manchen Vorteil, wenn die Entwicklung dieser Völker auch einmal unter geographischem Gesichtswinkel in Abhängigkeit von der Natur ihres Landes betrachtet wird. Knülls Büchlein aber, dessen Preis die Verlagsbuchhandlung erstaunlich gering angesetzt hat, sollte sich am besten der Lehrer selber anschaffen; er wird es sicherlich nicht bereuen. Dr. Joetze.

München.

Methodik des geographischen Unterrichtes. Ein pädagogisch-didaktisches Handbuch für Lehramtskandidaten und Lehrer. Von Dr. Anton Becker, Professor am K. K. Staatsgymnasium Wien. VIII. Leipzig und Wien, Franz Deuticke, 1905. 92 S. Preis 3 M.

Einen Überblick über das klassische Altertum, besonders über die neueren Forschungen zu erleichtern, hat sich Iwan von Müller mit dem Stabe seines ,,Handbuches" nun Jahrzehnte bemüht und uns Philologen und Schulmänner zu Dank verpflichtet. Wer von den Mittelschullehrern jemals an ein Panorama der geographischen Literatur, wie ein solches Dinse in seinem ,,Katalog der Bibliothek. der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin" (1903, XXVII u. 925 S.) in systematischer Übersicht entrollt, herangetreten ist, wird den Wunsch kaum unterdrückt haben: Möchte doch wie in Müllers Handbuch auch hier das Wichtige und Notwendige für den Lehrer zusammengestellt und zurecht gelegt sein!" Dies zu tun, hat Prof. Maximilian Klar, unterstützt von Vertretern der Hoch- und Mittelschule, unterDer 3. Teil des rasch fortschreitenden Sammelwerkes,,Die Erdkunde" bringt aus der Feder des bewährten Redaktors der,,Zeitschrift für Schulgeographie", Anton Becker, eine ,,Methodik des geographischen Unterrichtes".

Diese soll,,ein praktisches Handbuch sein, das aus dem wirklichen Unterrichtsbetrieb hervorgegangen und auf diesem aufgebaut ist und aus dem der Lehrer Anregung und Interesse für pädagogischdidaktische Fragen schöpfen soll" (S. VI). In der Überzeugung, dafs man auch im geographischen Unterricht auf verschiedenen Wegen zum Ziele gelangt, will Becker den Kandidaten nicht am Gängelband führen, wie z. B. Fritzsche in seinem Methodischen Handbuch" tut (s. u.), sondern ihm nur Winke und Anregungen geben, aber nicht blofs für die Didaxis des einen Faches sondern auch für den Erzieher, der im Gesamtorganismus einer höheren Schule verständnisvoll mitzuwirken gesonnen ist. Vieles von dem,,Pädagogischen" wird als altbekannt erscheinen, namentlich den seminaristisch vorgebildeten Praktikanten, aber Becker denkt wohl bei seinen Winken mit Quintilian: ,,Necesse non erat monere, nisi fieret". Um die Schule, um die Gesellschaftsordnung stünde es gut, wenn immer das Selbstverständliche erfüllt würde.

Übersichtlich und gedrungen handelt Becker in 3 Abschnitten: 1. über den Lehrer (Vor- und Fortbildung, Aufgaben und Gesichtspunkte, Stoffauswahl und Stoffbehandlung), 2. über den Schüler (Lehren und Studieren, Prüfen und Klassifizieren), 3. über die Lehrbehelfe (Karte, Globus und Relief, Lernbuch, Bildwerke, Produktensammlung, Zeichnen, Unterricht im Freien).

Über all das spricht zu uns ein verständiger Schulmann, der den Stoff und die Literatur beherrscht und seine Gedanken und Wünsche klar und anschaulich vorträgt, so besonders über die Fortbildung des Lehrers, das Reisen, die Anschaulichkeit (auch im Universitätsunterricht), die Naturschilderung und die Vergleiche, die genaue Umgren

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