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Zweifel, gleich wenig aber auch, dafs hieraus für das Gesamtbild eine wesentlich anders geartete Nuancierung nicht zu erhoffen war. Das von Stölzle gezeichnete Lebensbild ist ein mit warmer Liebe und vollem Verständnisse hergestelltes, in sich abgeschlossenes Ganzes, ein unum et simplex der erfreulichsten Art.

An der Hand des genannten Materiales verbreitet sich Stölzle über Lasaulx' Jugendzeit im elterlichen Hause, am Koblenzer Gymnasium, an den Universitäten Bonn und München; über seine Studienreisen von einem österreichischen Kloster zum anderen sowie über den Aufenthalt dortselbst und in Wien; über seine beiden Reisen nach Griechenland und Italien sowie über seine Palästinareise; über seine Wirksamkeit als Lehrer und als Träger akademischer Würden an den Universitäten Würzburg und München sowie als Mitglied der bayerischen Akademie der Wissenschaften; über seine wissenschaftlichen Arbeiten, wobei er sich jedoch eine Darstellung der Weltanschauung v. Lasaulx', ihrer Wurzeln und Entwicklung, seiner Stellung in der Philosophie und der Bedeutung von Lasaulx' wissenschaftlichen Abhandlungen für seine Philosophie auf spätere Tage vorbehalten hat; über seine parlamentarische Tätigkeit in Frankfurt und in unserer Kammer der Abgeordneten; über sein Familienleben und den Verkehr in Freundeskreisen und mit hoch und nieder.

Hiebei gab sich dem Verfasser reichlich Gelegenheit mannigfache Belege beizubringen für Lasaulx' hervorragende geistige Beanlagung; seinen rastlosen Arbeitseifer und die dabei betätigte Gründlichkeit und Akribie sowie seine weitausgreifende Belesenheit; im allgemeinen auch für seine wissenschaftliche Bedeutung in Sachen der Religions-, Geschichts- und Kunstphilosophie; ferner für seine glänzende Wirksamkeit als akademischer Lehrer und als Parlamentarier; für seinen Ideenreichtum und hohen Geistesflug; seine von sittlicher Wärme getragene phantasievolle Redegabe; seinen deutsch-nationalen Sinn; seine unbeschadet löblichster Toleranz gegenüber Andersgläubigen in aller Treue stets hochgehaltene katholische Glaubensüberzeugung seine makellose Sittlichkeit und peinliche Gewissenhaftigkeit; seine tiefgegründete Wahrheits- und Gerechtigkeitsliebe; seine Vornehmheit und Ritterlichkeit: lauter Eigenschaften, die an ihm selbst bei seinen nicht wenigen wissenschaftlichen und namentlich politischen Gegnern so ziemlich ungeteilte Anerkennung gefunden haben.

Vom Verfasser wird aus guten Gründen des öfteren eine Eigenschaft Lasaulx' mit besonderer Betonung hervorgehoben, einerseits geeignet ihm Hochachtung und Verehrung einzubringen, anderseits aber auch ihrem Träger eine ausgiebige Quelle von nachhaltigen Widerwärtigkeiten und Verdriefslichkeiten zu werden: seine durch keinerlei Gefahr, durch kein Ungemach abzumindernde Unerschrockenheit und Freimütigkeit.

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Lasaulx' Schwester Amalie äufserte einmal: Einem ehrlich die Wahrheit sagen ist gerade eine so kuriose Liebhaberei der Lasaulxkinder. Bei diesem Erbteil ist Ernst wahrlich nicht zu kurz weggekommen. Beweis dafür ist der von ihm bereits 1830, also noch in

seiner Studentenzeit, an den Regierungsrat v. Aichberger in seiner Eigenschaft als Zensor gerichtete Brief, der Lasaulx wegen Vergehens der beleidigten Amtsehre eine gerichtlich zuerkannte einmonatliche Gefängnisstrafe eintrug; ebenso seine ,,Kritischen Bemerkungen über die Kölner Sache" (1838), deren Verbreitung, weil ,,das Frechste, was in ihr geschrieben worden", sofort verboten wurde; nicht minder sein. Eingreifen in die Münchner Lola-Angelegenheit (1847), das er mit einer zwei Jahre andauernden Quieszenz unter Belassung des Standesgehaltes zu 600 fl. jährlich zu büfsen hatte. Die ausgesuchten Derbheiten und bitteren Sarkasmen, mit denen er im Frankfurter Parlamente und in der bayerischen Abgeordnetenkammer seine Gegner, in letzterer besonders den Fürsten Wallerstein und dessen Anhänger, bediente, sind hinreichend bekannt; desgleichen wie er 1849 von einer zu den drei Aristotelischen in Wien neu hinzugekommenen vierten Staatsverfassung der,,Lausbubokratie" sprach oder wie er 1852 Napoleon III. einen ,,Flibustier" nannte. Kein Wunder, dafs derlei den parlamentarischen Gegnern zugewendete Angriffe von diesen und ihren Parteigenossen in Wort und Bild mit gleicher und zuweilen mit noch gröberer Münze zurückerstattet wurden. Aber auch aufrichtige Freunde Lasaulx' beklagten nicht selten mit lauten Worten seine so oft weit über das Ziel hinausschiefsende Mafslosigkeit. Selbstverständlich kann Stölzle nicht umhin diesem Tadel sich seinerseits ebenfalls anzuschliefsen. Gerade das erhöht den Wert des Buches beträchtlich, dafs der Verfasser keine Apologie schreiben wollte und dafs er sogar mitunter völlig ungerechtfertigte, boshafte Urteile der Gegner in seine Erörterungen miteinbezogen hat. Sie ändern nichts an dem von Stölzle im Verein mit anderen abgegebenen Gesamturteile: ,,Ernst von Lasaulx war ein ganzer Mann."

In einem der Schlufskapitel bespricht der Verfasser Lasaulx' seit 1856 bis zu seinem Ableben auf Schlofs Lebenberg bei Meran im Herbst regelmässig, vereinzelt auch an Ostern genommenen Ferienaufenthalt. Es sei gestattet ergänzend eines dortigen Erlebnisses zu gedenken, an sich von geringem Belange, indes immerhin eines charakteristischen Zuges nicht ermangelnd.

Im Buche ist zweimal Lasaulx' Dantestudien gedacht. Er war ein hochbegeisterter Verehrer dieses Dichters. In den Herbstferien. 1856 nahm einmal aufser dem engeren Kreise der Kurgäste, unter denen sich feingebildete Damen befanden, Prof. Tholuck aus Halle am Mittagstische teil. Die Unterhaltung beschränkte sich bald auf die beiden Gelehrten allein. Sie verbreiteten sich in ziemlicher Übereinstimmung über orientalische Dichtungen und kamen dann auf Dante zu sprechen, Lasaulx voll edler Bewunderung, Tholuck kühl und ablehnend. Schliefslich rief letzterer unwillig aus:,,Was wollen Sie doch mit Ihrem Dante? Wer liest ihn denn noch? Damen und Gymnasiasten!" Ohne ein Wort auf die unter den obwaltenden Verhältnissen zugleich recht wenig taktvolle Äufserung zu erwidern gab Lasaulx völlig unvermittelt dem Gespräch eine Wendung auf ein fern abgelegenes Gebiet und hatte damit die Lacher auf seiner Seite.

In einem anderen Kapitel des dem Ende zueilenden Buches zeigt uns der Verfasser Lasaulx als liebevollen, treubesorgten und dankbaren Sohn und Bruder, Gatten und Vater. Wieder in einem anderen werden wir über Lasaulx' religiösen Entwicklungsgang unterrichtet, wobei manche einschlägige auffallende Kundgebungen des unermüdlichen Forschers und Denkers ihre zureichende Erklärung finden. Mit dem Kapitel,,Krankheit und Tod, Schicksal seiner Familie, keine Schule" und einem zusammenfassenden Schlufsworte schliefst das lehrreiche Buch ab, auch hier mancherlei interessante Einzelheiten bietend. Ein Anhang, dem ein durchweg verlässiges Namenverzeichnis angereiht ist, enthält eine erwünschte Zusammenstellung der Hauptdata im Leben v. Lasaulx; ferner ein Verzeichnis der von ihm gehaltenen Vorlesungen und Übungen; endlich ein chronologisches Verzeichnis der von ihm veröffentlichten Schriften.

Das Buch ist vollauf dazu angetan den Leser nicht blofs über Ernst v. Lasaulx und seine Familie sondern auch über mancherlei Zeitverhältnisse in Staat und Kirche in unserem engeren wie im weiteren Vaterlande und darüber hinaus zu unterrichten. Hier und dort eingestreute Andeutungen gewähren zugleich einen Einblick in Dinge, die dem Verfasser in seinem wissenschaftlichen und akademischen Wirken persönlich unliebsam in die Wege getreten zu sein scheinen. Verehrer Lasaulx' werden das vom Verfasser mit genauer Kenntnis der Verhältnisse, mit allenthalben zutage tretender Wärme und mit rühmlicher Sorgfalt hergestellte und vom Verleger vornehm ausgestattete Buch mit wohltuender innerer Genugtuung lesen; Gegner von Lasaulx' Richtung mögen, wie nicht anders zu erwarten, mit einzelnen Ausführungen nicht einverstanden sein; im grofsen und ganzen aber werden auch sie, wofern sie nicht zu den gänzlich Unbelehrbaren zählen, der Schrift grofse Vorzüge nicht streitig machen wollen. Möge sie, wie sie es durchaus verdient, auch in unseren Kreisen die weitestgehende Beachtung finden.

München.

Markhauser.

Baumann, Die Lehrpläne von 1901, beleuchtet aus ihnen selbst und aus dem Lexis'schen Sammelwerk. 1904. Verlag von Hermann Beyer & Söhne in Langensalza. 1 Mk. 20 Pfg. (Pädagogisches Magazin, Heft 223.)

Aus der Hochflut der literarischen Erscheinungen, welche die Neuordnung des höheren Schulwesens in Preufsen im Jahre 1901 hervorgerufen hat, verdient die obengenannte Schrift herausgehoben zu werden. Ihr Zweck ist, die preufsischen Lehrpläne aus ihnen selbst und aus dem Sammelwerke von Lexis zu beleuchten, das dieser in Verbindung mit anderen unter dem Titel „Die Reform des höheren Schulwesens in Preufsen" im Jahre 1902 hat erscheinen lassen. In ausführlicher Weise werden zunächst die Lehrpläne der Gymnasien und der Realanstalten, sodann die einzelnen Artikel aus dem Sammel

werk von Lexis besprochen und zutreffend kritisiert und die Ergebnisse dieser Kritik am Schlusse jedes Abschnittes zusammengestellt. Diese kritische Beleuchtung soll zeigen und zeigt tatsächlich auch, dafs,,wichtige Seiten der Lehrpläne sehr zu denken geben." Es ist das ja auch gar nicht anders möglich bei einer Neuordnung des höheren Schulwesens, die trotz der gegenteiligen Versicherung einen Bruch mit der Vergangenheit bedeutet.

Wenn in einem Agrikulturstaat das humanistische Gymnasium allen, die dem Dienste des Staates im Heere, in der Kirche oder Schule, in der Justiz oder in der Verwaltung sich widmen, als Ärzte oder als Leiter der verhältnismäfsig schwach entwickelten Industrie tätig sein wollen, eine gleichartige und für den künftigen Beruf ausreichende Bildung zu gewähren imstande ist, so nimmt diese Möglichkeit mehr und mehr ab, je mehr sich der Agrikulturstaat zu einem Industrie- und damit zu einem Handelsstaat entwickelt, wie dies in Deutschland, besonders in Preufsen, in der 2. Hälfte des vergangenen Jahrhunderts geschehen ist. Die Einseitigkeit und Einfachheit des Agrikulturstaates und seiner Verhältnisse gestattet eine konservative Schulpolitik, wie sie zur Not noch in Bayern möglich ist, die Vielseitigkeit des Industrie- und Handelsstaates aber, der vielseitigere Anforderungen an die Bildung der leitenden Klassen stellt, macht infolge der grofsen wirtschaftlichen, technischen und handelspolitischen Umwälzungen eine Anpassung an die Kulturbedingungen der Gegenwart nötig. Wenn nun diese Anpassung sich nicht organisch entwickelt, sondern infolge des Eingreifens und der unmittelbaren Initiative einer impulsiven machtvollen Persönlichkeit sprungweise sich vollzieht, so ist es ganz natürlich, wenn die neuen Formen manches Unzulängliche, manches einander Widersprechende aufweisen. Freilich, wer den Geist der neuen Forinen erkennt und über dem Einzelnen das Ziel des Ganzen erfafst hat und überzeugt ist, dafs besonders in pädagogischen Fragen nicht die papierenen Vorschriften, sondern die Persönlichkeiten in letzter Linie den Ausschlag geben, der wird auch mit Leichtigkeit über manche Seiten der Lehrpläne, die nach Baumann zu denken geben, hinweg kommen und ,,auch ohne alle behördliche Einwirkung seinem Unterricht die nötige Nachhilfe zuzuführen imstande sein".

Nach des Verfassers Ansicht gibt es aber zu denken, dass nach den Lehrplänen von 1901 von einer Gemeinsamkeit der Bildung in den erziehlich bedeutsamsten Fächern, im Deutschen, in der Geschichte und in der Religion keine Rede sein könne. Denn die Geschichte zeige eine deutsch-preufsische Tendenz und der deutsche Unterricht sei, soweit er nicht blofs formal sei, für die Katholiken wesentlich protestantisch. Da aber die Lehrpläne zunächst doch wohl nur für preufsische Schulen gelten, so darf wohl Preufsen genau dasselbe tun, was etwa Bayern auch tut, wenn es in seiner Schulordnung § 14 Abs. 4 verlangt: Die Geschichte Deutschlands und im engsten Anschlufs an sie die Geschichte Bayerns und seines Regentenhauses ist besonders eingehend zu behandeln." Was aber das betrifft, dafs der deutsche Unterricht nach seiner inhaltlichen Seite wesentlich protestantisch sei,

so kann auch in dieser Beziehung die preufsischen Lehrpläne an sich kein Vorwurf treffen. Die zweite Blüte der deutschen Literatur hat sich eben vorzugsweise auf protestantischem Boden entwickelt, und solange als Lehrziel des deutschen Unterrichts mit Recht Bekanntschaft mit den wichtigsten Abschnitten der Geschichte der deutschen Literatur, unter anderem durch Einführung in die für die Schulen bedeutsamsten Meisterwerke der deutschen Literatur, verlangt wird und dem. deutschen Unterricht als besondere Aufgabe die Pflege vaterländischen Sinnes durch Einführung in unsere Nationalliteratur gestellt ist, solange werden die aus der zweiten Blüteperiode hervorgegangenen Literaturwerke nicht zu umgehen sein.

Anders liegt die Sache beim Religionsunterricht, von dem der Verfasser sagt, er sei eher trennend als verbindend. Wie recht er damit habe, davon hatte der Verfasser selbst noch keine Ahnung, als er diesen Satz im Hinblick auf den letzten Absatz der ,,Allgemeinen Bemerkungen" der preufsischen Lehrpläne niederschrieb. Dieser lautet: ,,Die Zugehörigkeit des Schülers zu einer bestimmten kirchlichen Gemeinschaft legt der Schule die Pflicht auf, nicht blofs alle Hemmnisse der religiös-kirchlichen Betätigung zu beseitigen, sondern, soweit die Schulordnung dadurch nicht gestört wird, diese Betätigung auch in positiver Weise zu fördern. Die Lehrerkollegien werden gewifs gerne dazu mitwirken, dafs diese Absicht erreicht werde." Dieser dunkle Schlufspassus wurde in eine grelle Beleuchtung gerückt durch den Erlafs des preufsischen Kultusministers, wonach die Wiedereinführung der Marianischen Kongregationen an den preufsischen höheren Lehranstalten für zulässig erklärt wurde. Durch die Zulassung der Marianischen Sodalität wird aber die organische Einheit der Anstalten, auf der die Gymnasialerziehung beruht, in einer ganz empfindlichen Weise gestört, weil für einen Teil der Schüler die Lehrer aufhören, in erster Linie die Träger der Autorität zu sein. Ob,,die Lehrerkollegien wohl gerne dazu mitwirken, dafs diese Absicht erreicht werde"? Dies ist eine Seite der Lehrpläne, die sehr zu denken gibt, weil eine Nachhilfe und Abhilfe von seiten der Lehrer ausgeschlossen ist.

In einer Schlufsbetrachtung kommt Baumann zu dem Resultat, dafs,,nicht mehr das militärische und Beamten-Element das Ein und Alles des Staates ist, sondern dafs beide schützend und fördernd seien, aber den wirtschaftlichen Betrieben und ihrer Verbindung mit Wissenschaft das pulsierende Leben gehört. In dieser Richtung ist die Schulreform des Kaisers gedacht, das ist der positive, d. h. der realistische Geist, der in ihr weht." Die Verbreitung des realistischen Wissens ist eben das nächste Ziel der ganzen Reform.

Jedenfalls aber ist die preufsische Schulreform nicht als etwas Fertiges und Abgeschlossenes zu betrachten, sondern nur als ein geeigneter Boden, auf dem eine künftige Neuorganisation der Schulen, wenn die nötigen Erfahrungen gesammelt sind, von innen heraus erwachsen soll. Als ein trefflicher Führer in dem Widerstreit der Meinungen und als ein Freund der humanistischen Studien zeigt sich

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