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Handlungen in einem Gemeinwesen: während die Moral einzig in dem inneren Bewußtsein (Gewissen) der Menschen besteht und das innerliche Verhalten des Einzelnen (Entscheidung für das Gute oder Böse) zum Gegenstande hat; a) vgl. § 19. I. Die Basis des R. ist der menschliche Wille und seine Freiheit (Persönlichkeit). R. im objektiven Sinne ist der auf die Anerkennung der Person und ihres vernünftigen Willens gerichtete Wille der Gesammtheit, der Inbegriff der R-normen; R. i. subj. S. (Befugniß, Berechtigung, Gerechtsame) ist der durch den allgemeinen Willen an= erkannte, weil ihm entsprechende, Wille des Einzelnen, d. h. das rechtliche Vermögen zu einer bestimmten Willensbethätigung, die rechtliche Herrschaft über einen Gegenstand. Jeder R-befugniß steht als nothwendiges Correlat eine R-pflicht (-verbindlichkeit) gegenüber. Das den Vorschriften des R. entsprechende Verhalten des Einzelnen ist die iustitia, deren Gegensag iniuria (vgl. § 133. I. b. 4. § 134. I. a. 1.) heißt. b)

a. Non omne quod licet honestum est.

D. de R. J. 50, 17.

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Paulus 1. 144 pr.

b. 1. Iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuendi. Iuris praecepta sunt haec: honeste vivere, alterum non laedere, ius suum cuique tribuere. Ulpian. 1. 10 pr. § 1. D. de J. et J. 1, 1. (= pr. § 3. I. eod. 1, 1.)

2. Iniuria ex eo dicta est, quod non iure fiat; omne enim quod non iure fit, iniuria dicitur. Ulpian. 1. 1 pr. D. de iniur. 47, 10.

II. Wirkliches R. ist nur das positive, d. i. das R. eines bestimmten Staates (organisch gegliederte Volksgemeinschaft), welchem die Staatsgewalt äußere Autorität verleiht. Es giebt kein für alle Völker gleiches R. (§ 3. I. § 4. III.) Das sog. Natur-R., wenn man darunter ein aus abstrakten Vernunftsprinzipien abgeleitetes, mit individueller Willkür a priori construirtes - „absolutes“ -- R. versteht, hat keine Realität, sondern existirt einzig in der subjektiven Vorstellung seines Urhebers (vgl. § 15. I.) Richtig aufgefaßt, hat das Natur-R. (R-philosophie) die Aufgabe, einerseits den legten Grund, d. h. die aus der Natur des Menschen, als eines zur Freiheit bestimmten Wesens, sich ergebenden ethischen Prinzipien des R. (vgl. § 3. I. b. 2.) überhaupt zu entwickeln und an ihnen die Bestimmungen des positiven R. zu prüfen: andererseits auf dem Standpunkte historischer Betrachtung den inneren Zusammenhang des positiven R. mit der gesammten sittlichen, intellektuellen und sozialen Entwickelung des Volkes aufzudecken. — Gegenstand der R-wissenschaft ist das positive R. in seinem organischen Zusammenhange; sie hat aus den einzelnen R-bestimmungen die R-begriffe zu entwickeln und - unter steter Berücksichtigung der gesammten Lebensverhältnisse zu einem einheitlichen Ganzen (System) zu verbinden. a. Iurisprudentia est divinarum atque humanarum rerum notitia,

iusti atque iniusti scientia. Ulpian. 1. 10 § 2. D. de J. et J. (§ 1. I. eod. 1, 1.)

b. 1. Regula est, quae rem quae est breviter enarrat; non ex regula ius sumatur, sed ex iure quod est, regula fiat. Paul. 1. 1 D. de R. J. 50, 17.

2. Omnis definitio in iure civili periculosa est. Iav. 1. 202 eod.

III. R-verhältnisse sind die vom R. normirten konkreten Beziehungen der Menschen als Willenssubjekte (Personen) — zu einander. R-institut nennt man den einheitlichen Inbegriff der für die Gesammtheit der einzelnen R-verhältnisse gleicher Art bestehenden, auf das Gemeinsame derselben bezüglichen R-säße.

§ 3. III. Entstehung und Veränderung des positiven Rechtes. Rechtsquellen.

[Müll. § 4. 6. 8. B. J. § 7. 10-12. 95. P. § 10-20. Schi. I. § 6. 7. II. § 12. 16. 17. Ku. I. § 15. II. 15.]

I. Das positive R., als eine Seite der gesammten Kultur des Volkes, entwickelt sich in und mit diesem gemäß den geistigen und sittlichen Anlagen, unter Mitwirkung der besonderen äußeren Verhältnisse desselben und bedingt durch die geographische Lage und Beschaffenheit des von ihm bewohnten Landes. Die Quelle, aus welcher das R. entspringt, ist die geistige Individualität des Volkes (Volksgeist, Volksbewußtsein): daher sein nationales Gepräge. In frühester Zeit ist alles R. ius non scriptum, d. h. die im Volke lebende R-überzeugung giebt sich unmittelbar in der R-übung (R-geschäfte, R-sprüche) zu erkennen: - Gewohnheits-R. (mos, mores, consuetudo). Erst später wird das R. formulirt und aufgezeichnet (ius scriptum) und neben die unmittelbare R-überzeugung und R-produktion tritt, diese naturgemäß in immer engere lokale, Standes- und Berufs-Kreise verdrängend und auf ein immer kleineres R-gebiet beschränkend, das durch das verfassungsmäßige Organ des Staates ausgesprochene und kundgemachte R., die Gesezgebung, als zweite R-quelle (d. i. Begründungs- und Erscheinungsform des R.) hinzu. a) — Im Wesen des positiven R. ist zugleich seine stetige Veränderung und Fortentwickelung begründet. b)

a.

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1. Constat ius nostrum aut ex scripto aut ex non scripto. Ex non scripto ius venit, quod usus comprobavit: nam diuturni mores consensu utentium comprobati legem imitantur. § 3. 9. I. de iure nat. 1, 2.

2. Mores sunt tacitus consensus populi longa consuetudine inveteratus. Ulpiani fgm. 4. b. 1. Non enim profecto ignoras, legum opportunitates et medelas pro temporum moribus et pro rerum publicarum generibus ac pro utilitatum praesentium rationibus mutari

atque flecti neque uno statu consistere. Sext. Caecilius ap. Gell. noct. Att. XX, 1. § 22.

2. Sed naturalia quidem iura, . . divina providentia constituta, semper firma atque immutabilia permanent: ea vero, quae ipsa sibi quaeque civitas constituit, saepe mutari solent vel tacito consensu populi vel alia postea lege lata. § 11. I. de iure nat. 1, 2.

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II. Gefeß ist die von der geseßgebenden Gewalt im Staate verfassungsgemäß ausgesprochene und bekannt gemachte — und daher allgemein verbindliche — R-vorschrift. Die Wirksamkeit eines Gefeges kann erst von dem Augenblicke seiner Bekanntmachung (Publifation, Promulgation) beginnen und kann sich nicht auf frühere Fälle, d. h. auf die unter der Herrschaft des früheren R. vollendeten juristischen Handlungen (bereits begründete R-verhältnisse, erworbene Rechte) erstrecken: falls es sich nicht selbst eine häufig durch seinen Zweck oder durch die höhere R-idee geforderte rückwirkende Kraft beilegt. (Vgl. § 7. II. A.)

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Leges et constitutiones futuris certum est dare formam negotiis, non ad facta praeterita revocari: nisi nominatim etiam de praeterito tempore et adhuc pendentibus negotiis cautum sit. Theod. 1. 7 C. de legib. 1, 14.

III. Die Gewohnheit ist nicht Quelle, sondern gleich der Publikation beim Gesetze - Erscheinungs- und Entstehungsform des Gewohnheits-R., obwohl die R-übung viel zur Befestigung. und weiteren Ausbildung des R. beiträgt. a) Ein Gewohnheits-R. kann nur dann statuirt werden, wenn die Gewohnheit eine befestigte ist Continuität der R-handlungen ↳ und wenn sie als Ausdruck einer wirklichen R-überzeugung opinio necessitatis, fog. Rationabilität — erscheint. c)

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a. Inveterata consuetudo pro lege non immerito custoditur et hoc est ius, quod dicitur moribus constitutum. Nam cum ipsae leges nulla alia ex causa nos teneant, quam quod iudicio populi receptae sunt, merito et ea, quae sine ullo scripto populus probavit, tenebunt omnes: nam quid interest, suffragio populus voluntatem suam declaret, an rebus ipsis et factis? Iulianus 1. 32 § 1 D. de legib. 1, 3.

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b. ea quae longa consuetudine comprobata sunt ac per annos plurimos observata, veluti tacita civium conventio, non minus quam ea, quae scripta sunt iura, servantur. Hermogenian. 1. 35 eod.

1. Quod non ratione introductum, sed errore primum deinde consuetudine obtentum est, in aliis similibus non obtinet. Celsus 1. 39 eod.

2. Consuetudinis ususque longaevi non vilis auctoritas est, verum non usque adeo sui valitura momento, ut aut rationem vincat aut legem. Constantin. 1. 2 C. qu. s. longa cons. 8, 52. (53.)

IV. Keine R-quelle sind Doktrin (communis doctorum opinio) und Praxis (usus fori) — Juristen-R. Juristen-R., wenngleich sowohl durch die wissenschaftliche Behandlung als durch die Anwendung des positiven R. dieses selbst entfaltet und fortentwickelt wird; doch erscheint Doktrin wie Praris häufig als Trägerin eines in der rechtlichen Ueberzeugung der Juristen, als der Vertreter des nationalen R-bewußtseins, sich bekundenden Gewohnheits-R. (Vgl. § 8. V.)

a. Imperator noster Severus rescripsit, in ambiguitatibus, quae ex legibus proficiscuntur, consuetudinem aut rerum perpetuo similiter iudicatarum auctoritatem vim legis obtinere debere. Callistrat. 1. 38 D. de legib. 1, 3.

b. non exemplis sed legibus iudicandum est. 1. 13 C. de sentent. 7, 45.

Iustinian.

V. Aufgehoben wird ein R-saß durch Gesetz oder Gewohn heits-R.; im Widerspruch mit einer neueren R-bestimmung muß die ältere weichen (ius posterius derogat priori). a) Die Aufhebung der bisherigen R-bestimmung kann entweder eine vollständige oder eine theilweise sein. b)

a. [III. a.] Rectissime etiam illud receptum est, ut leges non solum suffragio legislatoris, sed etiam tacito consensu omnium per desuetudinem abrogentur. 1. 32 § 1. i. fi. de leg.

b. Lex aut rogatur i. e. fertur; aut abrogatur i. e. prior lex tollitur; aut derogatur i. e. pars primae legis tollitur; aut subrogatur i. e. adiicitur aliquid primae legi; aut obrogatur i. e. mutatur aliquid ex prima lege. Ulpian. fgm. 3.

§ 4. IV. Eintheilungen des Rechtes und Gegenfäße.

[Müll. § 3. 9. 10. B. J. § 2. 11. 12. 92-94. Schi. I. § 2. 3. 9. II. § 8—10. 13-15.

P. § 22. 25. 31. 73. 74. 80-85.
Ku. I. § 42-45. II. 31.]

I. Jedes Individuum ist nicht bloß Person für sich, sondern lebt mit Anderen in einem staatlichen Verbande. Der Inbegriff der Normen, welche die R-verhältnisse der Einzelnen als solcher, als Privatpersonen, regeln, ist das Privat-R. (VI. a. 1.); diejenigen Sagungen, welche sich auf die Stellung und die Verhältnisse der Einzelnen zu einander als Staatsglieder, sowie auf die R-verhältnisse des Staates im Ganzen beziehen, bilden das öffentliche R. Zu lezterem gehört das Staats- (Verfassungs-) R., der Civilprozeß, das Criminal (Straf-) R. Vgl. auch Nr. VII.

Huius studii duae sunt positiones: publicum et privatum. Publicum ius est, quod ad statum rei Romanae spectat, privatum, quod ad singulorum utilitatem; sunt enim quaedam publice utilia, quaedam privatim. Publicum ius in sacris, in sacerdotibus, in magistratibus consistit. Ulpian. 1. 1 § 2. D. h. t. (= de J. et J. 1, 1.)

II. Ius scriptum im Röm. S. ist das durch eines der anerkannten rechtsbildenden Organe des Staates ausgesprochene und in Form einer schriftlichen Aufzeichnung kundgemachte R. (§ 8.); ius non scriptum ist das im R-brauche selbst hervortretende R., welches theils im Herkommen d. h. unmittelbar in dem nationalen R-bewußtsein (§ 3. I. a. III. a. b.), theils in der das geschriebene R. auf dem Wege der interpretatio entwickelnden Handhabung des R. durch die Juristen (auctoritas prudentium) gegründet ist und sich bekundet (§ 7. II. C.)

III. Die Röm. Juristen unterscheiden zwei Bestandtheile des R.: ius civile und i. gentium. a. Ius civ. ist das streng nationale, nur auf die R-verhältnisse der Röm. Bürger beschränkte R.; i. gent. ist das der nationalen Besonderheit entkleidete und auf der naturalis ratio beruhende, den Kulturvölkern gemeinsame und auf alle Personen anwendbare R., welches schließlich das alte ius civile proprium Romanorum völlig verdrängt hat (§ 7. II. § 8. § 9. I.) b. Jn verschiedenem Sinne wird der Ausdruck ius naturale gebraucht, worunter bald das ius gent., bald — in einer unklar gebliebenen Vorstellung ein besonderes entweder auf die animalische, oder auf die vernünftige und sittliche Natur des Menschen und allgemeine ethische Prinzipien gegründetes R. verstanden wird. b) Vgl. § 3. I. b. 2. § 23. I. b. 2. § 32. I. b. § 35. I. a. 1. c. 1. § 83. § 135. V. d.

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a. 1. Omnes populi, qui legibus et moribus reguntur, partim suo proprio partim communi omnium hominum iure utuntur: nam quod quisque populus ipse sibi ius constituit, id ipsius proprium est vocaturque ius civile, quasi ius proprium ipsius civitatis; quod vero naturalis ratio inter omnes homines constituit, id apud omnes populos peraeque custoditur vocaturque ius gentium, quasi quo iure omnes gentes utuntur. Populus itaque Romanus partim suo proprio, partim communi omnium hominum iure utitur. Gaius I. § 1. (1.9 D. h. t. § 1. I. h. t.)

2. Ex hoc iure gentium omnes paene contractus introducti sunt, ut emptio venditio, locatio conductio, societas, depositum, mutuum et alii innumerabiles. § 2. i. fi. I. h. t. 1, 2. 3. Ius civile est quod neque in totum a naturali vel gentium recedit nec per omnia ei servit; itaque cum aliquid addimus vel detrahimus iuri communi, ius proprium i. e. civile efficimus. Ulpian. 1. 6. pr. h. t.

b. 1. Privatum ius tripertitum est: collectum etenim est ex naturalibus praeceptis, aut gentium, aut civilibus. Ius naturale est, quod natura omnia animalia docuit: nam ius istud non humani generis proprium, sed omnium animalium. . commune est. Hinc descendit maris atque feminae coniunctio, quam nos matrimonium appellamus, hinc liberorum procreatio, hinc educatio. Ulp. 1. 1 § 2. 3. h. t. 2. Ius pluribus modis dicitur: uno modo, cum id, quod

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