Page images
PDF
EPUB
[ocr errors][ocr errors]

Die Österreichische projektirte Expedition nach dem Nil-Quellgebiet.

Aus Wien ist uns vom 5. Februar folgendes Schreiben zugegangen:

,,Es ist in Ihrer Zeitschrift so vielfach von dieser beabsichtigten Expedition die Rede gewesen und Sie selbst haben dieselbe in so wohlwollender Weise zu befürworten und zu unterstützen gesucht, dass es mir eine wahre Pflicht erscheint, Ihnen von dem dermaligen Stand des Unternehmens genauen Bericht zu erstatten.

,,Nachdem Miani auf seiner ersten Nil-Reise manche schätzbare Resultate erzielt, eine Anzahl werthvoller ethnographischer Objekte aus den bereisten Ländern mitgebracht und seiner Vaterstadt Venedig zum Geschenk gemacht hatte, glaubte der Staats-Minister v. Schmerling eine Subvention für eine zweite Reise Miani's bei Sr. Maj. dem Kaiser befürworten zu sollen. Der Kaiser gab seine Zustimmung. Miani sollte, sobald das Unternehmen durch anderweitige Beiträge, namentlich von Seite der Regierung des Vice-Königs von Ägypten, gesichert war und wirklich begann, vom Kaiserl. Staats-Ministerium eine Beisteuer von 6000 Gulden so wie eine bestimmte Anzahl von Waffen, Munition und Fussbekleidung für die Eskorte ausgefolgt erhalten; zugleich sollten ihn zwei tüchtige, reisebewanderte, wissenschaftlich gebildete Offiziere, der FregattenKapitän Millossich und der Hauptmann Boleslawski vom Ingenieur - Geographen - Corps, begleiten, um hauptsächlich die Leitung sämmtlicher mathematischen und geodätischen Arbeiten zu übernehmen. Vorerst musste aber noch die Genehmigung der Geldmittel vom Reichsrath eingeholt werden. Zur grossen Überraschung aller an der Sache direkt oder indirekt Betheiligten verweigerte das Abgeordnetenhaus die vom Staats- Minister für Miani verlangte Geld - Subvention, und zwar motivirte der Berichterstatter diese Ablehnung unter anderen Gründen auch damit,,,dass eine in hoher Achtung stehende und speziell dem Zwecke geographischen Wissens sich widmende Korporation, nämlich die in Wien bestehende Geographische Gesellschaft, welche in dieser Frage als Autorität angesehen werden kann, sich mit aller Entschiedenheit gegen jede Begünstigung dieses Gelehrten ausgesprochen habe".

[ocr errors]

,,Da in keiner öffentlichen Sitzung der Geographischen Gesellschaft der Miani - Expedition auch nur mit Einem. Worte Erwähnung geschah, so brachte Dr. Scherzer in der Petermann's Geogr. Mittheilungen. 1864, Heft III.

ersten diessjährigen öffentlichen Sitzung der Gesellschaft diese Angelegenheit zur Sprache, indem er sein Erstaunen darüber äusserte, dass in den stenographischen SitzungsProtokollen des Abgeordnetenhauses von einem Beschluss der Geographischen Gesellschaft die Rede ist, von welchem wohl die meisten Mitglieder heute zum ersten Male hören, indem, wenigstens in einer allgemeinen Sitzung, niemals darüber verhandelt wurde. Die Mehrzahl der Anwesenden glaubte auch, das Ganze beruhe nur auf einem Irrthum der Deputirten, und meinte, man sollte hierüber in einem öffentlichen Blatte eine Berichtigung veröffentlichen in dem Sinne, dass ein solcher Beschluss von der Gesellschaft als Korporation in öffentlicher Sitzung niemals gefasst worden sei. Dr. Scherzer entwickelte nun die hohe Wichtigkeit, welche speziell für Österreich eine Durchforschung des Nil-Quellen-Gebiets besitze, wie eine mit Kaiserlicher Unterstützung entsendete Expedition nicht nur in wissenschaftlicher, sondern auch in politischer und kommerzieller Beziehung von namhaften Vortheilen für den Kaiserstaat begleitet sein müsste und wie eine Vereinigung von drei Österreichern wie Miani, Millossich und Boleslawski zu den schönsten Erwartungen und Erfolgen berechtige. Nachdem Dr. Scherzer mehrere Bedenken, die man von gewisser Seite gegen die Miani-Expedition geltend machte, durch Anführung von Thatsachen zu widerlegen versucht und der Versammlung empfohlen hatte, das bekannte Französische Sprüchwort,,les absents ont tort" wenigstens in Deutschland zu Schanden zu machen, stellte er schliesslich den Antrag,,,Miani und seine beiden Gefährten in der Durchführung ihrer Unternehmung auf das Kräftigste zu unterstützen und zu diesem Zwecke an den Staats-Minister im Namen der Geographischen Gesellschaft eine Denkschrift zu richten, in welcher die Entdeckung der NilQuellen noch immer für ein ungelöstes Räthsel erklärt und die Betheiligung Österreichs an einer Expedition zur Untersuchung und gründlichen Durchforschung des NilQuellen-Gebiets in wissenschaftlicher, politischer und kommerzieller Hinsicht als überaus wünschenswerth bezeichnet wird".

,,Nach den Statuten der Gesellschaft musste dieser Antrag vorerst in einer Ausschuss - Sitzung zur Berathung kommen. In der nächsten öffentlichen Sitzung berichtete

11

der Sekretär, dass der Ausschuss Dr. Scherzer's Antrag abgelehnt habe und zwar aus dem Grunde,,,weil, zum grossen Erstaunen der ganzen Versammlung, der Ausschuss in der That in einer seiner Sitzungen das erwähnte Votum gegen Miani im Namen der ganzen Gesellschaft abgegeben habe, sich jedoch nicht für verpflichtet glaubte, den Gegenstand in der öffentlichen Sitzung weiter zur Sprache zu bringen"!!

,,Dadurch ist die Miani-Expedition für dieses Jahr wenigstens zu Grabe getragen, es wäre denn, wie gerüchtweise verlautete, dass Se. Maj. der Kaiser in seiner Eigenschaft als oberster Schutzherr nicht bloss der Land- und See-, sondern auch der geistigen Macht sich bewogen fühlen würde, eine Subvention aus seiner Privatkasse zu bewilligen. Jedoch könnte die Expedition aus physischen Ursachen keinesfalls vor nächstem Herbst die Reise nach dem oberen Nil-Gebiet antreten und bis dahin wäre es wohl möglich, dass auch von Seite des Abgeordnetenhauses die verlangte Unterstützung bewilligt würde. Aus diesem Grunde haben wir hauptsächlich die ganze Angelegenheit hier nochmals und ausführlich zur Sprache gebracht. Die NilQuellen sind noch nicht entdeckt; was dem kräftigen, kühnen, polyglotten, gegen die klimatischen Einflüsse durch vieljährigen Aufenthalt im Sudan gestählten Miani vielleicht an streng wissenschaftlicher Bildung abgeht, das ersetzen seine beiden bewährten Reisegenossen; die Subvention von 6000 Gulden, welche die Regierung leistet, ist eben nur ein Beitrag, welcher erst ausbezahlt wird, wenn die ausserdem benöthigten Summen anderweitig gedeckt sind welchen berechtigten Einwand kann nach dieser Auseinandersetzung der Ausschuss der Geographischen Gesellschaft noch gegen die Miani-Expedition erheben?"

So weit das Schreiben aus Wien, das von zuverlässigster Seite kommt. Wir stehen den Wiener Verhältnissen zu fern, um eine klare Einsicht in diese Angelegenheit zu haben, können aber in der That nicht begreifen, warum Miani's Projekt und der Wunsch des Kaiserl. Ministeriums, dasselbe zu fördern, gerade in geographischen Kreisen solchen Widerstand findet. Es ist zu bedauern, dass der Ausschuss der Geogr. Gesellschaft, welche in dieser Frage vorzugsweise zu entscheidendem Urtheil berufen war, dem Unternehmen hemmend und feindlich entgegentrat, anstatt für dasselbe zu wirken.

Wir sind über Miani's Persönlichkeit ziemlich genau unterrichtet und haben Gelegenheit gehabt, die Urtheile vieler Nil-Reisenden über ihn zu hören; er ist sicherlich kein wissenschaftlich gebildeter Mann im strengeren Sinne, aber einstimmig werden ihm unbeugsamer Muth und grosse Energie zugeschrieben. Er hat sich ausserdem vollständig in den Nil-Ländern eingelebt, hat bedeutende Erfahrung,

ist von Norden her weiter als irgend ein Anderer am Weissen Nil vorgedrungen (vielleicht den Sklavenhändler Debono ausgenommen) und könnte demnach als Führer einer Expedition, welche den Zweck hat, diesen Fluss aufwärts bis zum Nyansa zu verfolgen, unschätzbare Dienste leisten, während seine Begleiter, Hauptmann Boleslawski, der sich schon der D'Escayrac'schen Expedition angeschlossen hatte und seither beim Wiener Militär-Geographischen Institut beschäftigt war, so wie Fregatten-Kapitän Millossich von der Österreichischen Kriegsmarine, beides Männer von umfassenden Kenntnissen und grosser Entschlossenheit, die Positions - Bestimmungen, Routenaufnahmen und sonstigen wissenschaftlichen Beobachtungen übernehmen würden. Unserer Ansicht nach könnte man die Sache keinen besseren Händen anvertrauen, zumal es sehr an gebildeten Männern mangelt, welche den Weissen Nil kennen, ohne Sklavenhändler zu sein, und aus geographischem Interesse zu einer solchen Reise bereit wären. Dr. Beke meinte jüngst, als er von seiner Absicht sprach, über Zanzibar, also von Süden her nach dem Nyansa zu gehen, die Forschungen von Norden her könne man getrost der Tinne'schen Expedition mit Th. v. Heuglin, so wie Baker und Miani überlassen, die erstere ist aber bekanntlich im Gebiete des Bahr el Ghasal gewesen und soll, nach indirekten, zur Zeit noch ungewissen Nachrichten, vor einigen Monaten nach Chartum zurückgekehrt sein und Baker hat seinen Plan, von Gondokoro südlich zu gehen, wegen der Meuterei seiner Leute aufgeben müssen und sich östlich nach dem Sobat gewendet. Es bleibt also immer wieder nur Miani übrig. Ob er glücklicher sein würde als seine Vorgänger Peney, Harnier, Baker u. s. w., lässt sich natürlich nicht voraussagen, aber dass er ganz der Mann dazu ist, scheint uns unzweifelhaft. Noch kürzlich schrieb uns der Botaniker Dr. Schweinfurth, der eine grosse Reise in die Nil-Länder angetreten hat, aus Kairo:,,Ich habe hier Miani kennen gelernt. Er ist hier eine allgemein bekannte und beliebte Persönlichkeit und würde, wenn die Initiative von Europa ergriffen würde, bei der hiesigen Regierung alle mögliche Unterstützung finden. Einen geeigneteren Mann zur Führung der Expedition kann man sich nicht denken. Niemand vereinigt, wie er, Erfahrung und Tüchtigkeit des Charakters mit Muth, Entschlossenheit und körperlicher Befähigung. Ich habe Einsicht in seine Karten gehabt, die er gegenwärtig publicirt, und muss gestehen, dass bei seiner Auffassung der Nil- Quellen die Richtigkeit in so schlagender Weise auf seiner Seite ist, dass diese Broschüre gewiss nicht verfehlen wird, einen gewaltigen Eindruck in Europa hervorzurufen und alle Welt für sein Unternehmen zu interessiren. Man hat Miani wissenschaftliche Befähigung abgestritten, aber ist Livingstone durch

Die Österreichische projektirte Expedition nach dem Nil-Quellgebiet.

seine grossen Erfolge etwa zu dem Rufe hoher Gelehrsamkeit gelangt? Falls das Unternehmen Miani's bis zum nächsten Sommer in Gang gesetzt werden könnte, würde ich mich gern an demselben betheiligen und den vierten Theil der von Miani veranschlagten Kosten tragen, da das zu bereisende Gebiet für meine Zwecke von grossem Interesse ist und ich volles Vertrauen in die Befähigung dieses Mannes zur technischen Leitung der Reise hege."

Es handelte sich in Wien nur um die verhältnissmässig geringe Summe von 6000 fl., 100 Gewehre und entsprechende Munition, die Hauptsache war, dass überhaupt eine Unterstützung von Seite der Österreichischen Regierung erfolgte und die Initiative von dort ausging, denn für diesen Fall war Miani bereits die grossmüthigste Unterstützung der Ägyptischen Regierung durch das Österreichische GeneralKonsulat in Kairo zugesichert worden.

Die Verantwort

lichkeit, welche der Ausschuss der Wiener Geogr. Gesellschaft durch Befürwortung der Sache übernommen hätte, wäre demnach keine sehr grosse gewesen.

Was Miani's bisherige Angriffe gegen Speke anlangt, so halten wir sie zum grossen Theil für unbegründet und hauptsächlich aus dem Irrthum hervorgegangen, dass der südliche Endpunkt seiner Reise von 1860 unter 2° N. Br. liege, während er unter 3° 34' N. Br. liegt, wie diess durch Speke's Itinerar und Positions - Bestimmungen ganz klar bewiesen ist, mag nun Speke den mit Miani's Namenseinschnitt gezeichneten Baum wirklich gefunden oder einen anderen dafür angesehen haben. Die Hypothese, welche Miani in seinem offenen Briefe an den Herausgeber dieser Zeitschrift (in dem zu Alexandria erscheinenden Journal ,,Il Commercio" vom 8. November 1863) wiederholt, dass nämlich der Weisse Fluss östlich vom Nyansa vom Kilimandscharo und Kenia komme und der dem Nyansa entströmende Fluss der zum Systeme des Bahr el Ghasal gehörige Jeji sei, bleibt so lange unhaltbar, als nicht nachgewiesen ist, dass Speke den Weissen Fluss zwischen den Karuma-Fällen und Gondokoro überschritten hat. Eben so beweist der Umstand, dass sich auf Speke's Karte die von Miani erkundeten Namen nicht finden, gar Nichts, da beWir kanntlich jeder kleine Volksstamm seinen eigenen Namen für die Flüsse und Länder seiner Umgebung hat. halten an Speke's Darstellung von dem Ursprung des Flusdem Nyansa oder Ukerewe-See, von Gondokoro aus also an dem Hauptresultat der Speke'schen Reise um so mehr fest, als wir nicht im Stande waren, unter den zahlreichen, von so vielen Seiten dagegen erhobenen Einwänden einen wirklich stichhaltigen zu finden. Dagegen ist eine Fortsetzung des von Speke Begonnenen unbedingt nothwendig, wenn wir über das caput Nili ganz ins Klare

ses

W.

kommen sollen, denn abgesehen davon, dass der Nyansa
selbst erst sehr mangelhaft bekannt, dass der Theil des
Weissen Flusses zwischen den Karuma-Fällen und der Ein-
mündung des Asua - Flusses erst noch zu erforschen ist,
dass die Zuflüsse des Nyansa und dessen hydrographische
Beziehungen zu den Schneebergen noch im Dunkeln lie-
gen, so sind durch Speke's Erkundigungen wieder eine
Reihe von Problemen hinzugekommen, wie der abenteuer-
lich aussehende Luta Nzige-See und sein Zusammenhang
mit dem Weissen Fluss, der Baringo-See und seine Bezie-
hungen zum Asua, zum Nyansa und Kenia, die mehr-
fachen Ausflüsse des Nyansa, auch die von Speke keines-
Es
wegs genügend aufgeklärten ethnographischen und histori-
schen Verhältnisse der Länder am Nyansa u. s.
bietet sich also dort noch ein weites Feld der Forschung
und man darf nicht erwarten, dass eine einzige Expedition
das Alles bewältigen wird, vielmehr wird es noch mancher
Anstrengung, manchen Opfers bedürfen. Man sollte also
das Anerbieten eines geeigneten Mannes wie Miani, sein
Leben an die Aufgabe zu setzen, freudig begrüssen und
man das wahre, innige
nach Kräften unterstützen, wenn
Interesse für den Fortschritt unserer Wissenschaft hat.
Nachschrift. Das Vorgehende war bereits abgedruckt,
als wir das Vergnügen hatten, den Fregatten-Kapitän Millos-
sich, der seine Dienste bei der projektirten Expedition offe-
rirt, persönlich kennen zu lernen. Die günstige Ansicht,
die wir bisher über das Projekt hatten, ist dadurch noch
erhöht worden; denn Kapitän Millossich vereinigt in seiner
Person allein alle Bedingungen, die zur Erreichung eines so
Ein achtjähriger
hohen Zieles erforderlich sein dürften.
Aufenthalt in den verschiedensten Theilen des Orients, eine
gestählte Natur, ein geübtes, allen Vorkommnissen entspre-
chendes Auge und ein resoluter praktischer Wille, wie
solche Eigenschaften eben hauptsächlich erfahrenen und
kenntnissreichen See-Offizieren eigen sind, befähigen ihn
im hohen Grade zur Theilnahme an dieser Expedition und
zur Lösung der gesteckten Aufgabe. Er erscheint uns in
der That aus demselben Stoff gemacht wie ein Kapitän Speke
und andere erfolgreiche Entdeckungs-Reisende. Man braucht
durchaus nicht mit Miani's Persönlichkeit und ganz mit sei-
nen Ansichten einverstanden zu sein, um sein Projekt den-
noch gutzuheissen und fördern zu helfen, und wir können.
uns nicht denken, dass in diesem so wichtigen und viel-
versprechenden Unternehmen, welches in Österreich schon
so viel thatkräftige Theilnahme erweckt hat, einem paar
vereinzelten Stimmen zu Liebe, die dasselbe wohl nur aus
persönlichen die Sache nichts angehenden Gründen und
aus Mangel an Interesse für den Gegenstand selbst
nicht günstig ansahen, das Ganze vereitelt werden sollte.

11*

84

Mittheilungen über die Katastral-Vermessung Trans - Kaukasiens

nach ihren juridischen Prinzipien und technischen Ausführung dargestellt vom wirkl. Staatsrath J. P. Staritzkij,

Chef der Trans - Kaukasischen Messkammer und Mitglied des Rathes des Grossfürsten - Statthalters von Kaukasien ').

Wenn gleich in Frankreich Napoleon I. im Gegensatze zu allen anderen Ländern Europa's, wo der später eingeführte Kataster nur fiskalischen Zwecken zu möglichst genauer Abschätzung der Steuerfähigkeit des Grundes und Bodens diente vom angeordneten Kataster seines Reiches verlangte, qu'il peut et doit même nécessairement servir de titre en justice pour prouver la propriété, et qu'il soit le grand-livre terrier de la France" 2), so sprachen die Französischen Gerichtshöfe den vom Kataster aufgestellten Bestimmungen bei vorkommenden Streitfällen die Rechtskraft ab. Dieser Mangel der Französischen KatastralOrdnung, die bei Fixirung des Eigenthums den Aussprüchen eigener Kommunal-Beamten, indicateurs, folgte, existirt in der Russischen Gesetzgebung nicht. Hier sind es die Eigenthümer selbst, die im festgesetzten Termine ihre Grenzen kontradiktorisch vor der Katastral-Behörde aufzuweisen verpflichtet sind. ,,Suum cuique" oder, in Russischer Fassung des goldenen Spruches, ,,ein Jeder bleibe bei Seinem immerdar" war der Grundsatz, den die Kaiserin Katharina II. als Richtschnur bei dem schon 1765 angeordneten Kataster des Russischen Reiches hinstellte. Somit ging Russland, wo der Grund und Boden wenig besteuert ist, schon früh bei seinem Kataster vom juridischen statt vom allgemein gebräuchlichen finanziellen Standpunkte aus.

Da der Trans-Kaukasische Kataster wegen der örtlichen Besonderheiten dieses Landes, in welchem ein grosser Mangel an rechtskräftigen Dokumenten herrscht, in neuester Zeit auf einer vielfach vom allgemeinen Kataster des Russischen Reiches abweichenden Basis mit Berücksichtigung der in verschiedenen Ländern Europa's bewährten Methoden aufgebaut wurde, so wollen wir in Kürze seiner juridischen Prinzipien erwähnen, ehe wir zur Schilderung seines technischen Theiles wie der in den zwei Jahren seines Bestandes gewonnenen Resultate übergehen.

[blocks in formation]

die fast alleinige Art und Weise des Grundbesitzes. Ganzen Geschlechtern angehörige Güter blieben ungetheilt und deren Theilung erwies sich als unausführbar wegen der Unmöglichkeit, die Ausdehnung und Grenzen des der Theilung unterliegenden Landes gesetzlich zu fixiren. Ausgedehnte Landstrecken lagen unbearbeitet und hatten keinen bestimmten Besitzer. Kaum aber erwies sich die unbedeutendste Parcelle als für den Feldbau oder irgend ein industrielles Unternehmen nothwendig, so wurden von allen Seiten Ansprüche auf deren Besitz erhoben. Eine solche Unsicherheit des Grundbesitzes konnte nicht anders als den Ackerbau, die Industrie und den landwirthschaftlichen Kredit völlig lähmend wirken. Die Ländereien der Krone, der Kirche und der freien Kronbauern litten wie die in Trans-Kaukasien so wichtigen Wälder unter diesen unseligen Zuständen in gleichem Maasse. Die Absicht der Regierung, diesen Übelständen eine radikale und schnelle Abhülfe zu schaffen, veranlasste 1862 die Gründung der Trans- Kaukasischen Messkammer in Tiflis. Eine gewisse Anzahl ihr untergebener Messkommissionen, die einen juristischen, einen Vermessungs-Beamten und einen Deputirten der örtlichen Grundbesitzer zu ihren Mitgliedern zählen, durchziehen während acht Monate des Jahres das Land und fixiren nach den kontradiktorischen Angaben der Grundbesitzer die Grenzen eines jeden Landstückes, das mit gesetzlich bestimmten Grenzmarken versehen und auf das Genaueste mappirt wird. Alle vorkommenden Streitigkeiten suchen diese Kommissionen theils durch vermittelnde Thätigkeit ihrer Glieder, theils auch auf schiedsrichterlichem Wege auszugleichen. Im Falle des Nichtgelingens fällen sie einen Urtheilsspruch erster Instanz und überlassen den Parteien das Recht der Appellation an die in letzter Instanz in Sitzung von 5 bis 7 Oberbeamten endgültig, ohne weiter zulässige Appellation, entscheidende Messkammer in Tiflis, wobei öffentliches und mündliches Verfahren auf den breitesten liberalen Basen der Neuzeit angenommen wurde und die Interessen der Privaten von ihnen selbst, die der Krone von einem GeneralBevollmächtigten vertreten werden.

Die Vermessung Trans- Kaukasiens geschieht mittelst des Messtisches und der Kippregel auf Grundlage des allgemeinen trigonometrischen Netzes, welches von den Messbeamten in solcher Weise getheilt wird, dass auf jede Planchette nicht weniger als drei trigonometrische Punkte kommen, was beim Maassstabe von 100 Faden auf den

« PreviousContinue »