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Die Turkomanen in ihren politisch-socialen Verhältnissen. Von A. Vámbéry 1).

Grenzen und Eintheilung.

Die Turkomanen oder Türkmen 2), wie sie sich selbst nennen, bewohnen grösstentheils jene Strecken wüsten Landes, die diesseit des Oxus vom Ufer des Kaspischen Meeres bis nach Balch und vom genannten Flusse südwärts bis Herat und Astrabad sich erstrecken. Ausser dem theilweis urbaren Boden, den sie am Oxus, Murgab, Tedschend, Görgen und Etrek besitzen und wo sie sich auch ein wenig mit Ackerbau beschäftigen, bildet das Land der Turkomanen jene grosse schreckliche Wüste, wo der Reisende oft Wochen lang umherirren kann, ohne einen Tropfen süssen Trinkwassers oder den Schatten eines Baumes zu finden. Was im Winter die starke Kälte und der hohe Schnee, das ist im Sommer die sengende Hitze und der tiefe Sand.

Um ihre Eintheilung genauer zu bezeichnen, wollen. wir uns ihrer eigenen Ausdrücke bedienen. Nach unseren Europäischen Begriffen nennen wir diese Hauptabtheilungen Stämme, da wir von dem Standpunkte einer ganzen Nation ausgehen. Die Turkomanen aber, die sich nie, so weit die Geschichte uns lehrt, zu einem Körper vereinigt haben, bezeichnen ihre Hauptdivisionen mit dem Arabischen Namen Chalk (Volk, Leute) und nennen uns folgende:

Tschaudor, Erszari, Alieli, Kara, Salor, Sarik, Teke,
Göklen und Jomut.

Da die Chalks in einzelne Taifes, diese wieder in Tires zerfallen 3), so wollen wir alle diese Hauptstämme kurz berühren, unsere grössere Aufmerksamkeit aber auf die

1) Ein Kapitel aus dem unter der Presse befindlichen Englischen Reisewerk Vámbéry's, das ursprünglich Deutsch niedergeschrieben worden ist.

2) Dieses Wort besteht aus dem Eigennamen Türk und dem Suffix menthum oder schaft; es heisst daher Türkenthum in dem Sinne, wie die Nomaden sich par excellence die Türken nennen wollen. Das bei uns gebräuchliche Wort Turkoman ist eine Persische Verdrehung des Türkischen Originals.

3) Wie gesagt, wollen wir die von den Nomaden selbst adoptirten Ausdrücke für ihre politische Eintheilung annehmen, mit Hinzufügung der wörtlichen und sinnlichen Bedeutung. So ist

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drei südlichen: Teke, Göklen und Jomut, lenken, da es uns vergönnt war, solche in der Nähe zu sehen und kennen zu lernen.

1. Der Stamm Tschaudor

bewohnt den südlichen Theil des Binnen-Landes zwischen dem Kaspischen Meere und dem Aral-See, zählt ungefähr 12.000 Zelte und seine Haupt-Tires oder Zweige, die vom Kaspischen Meere bis nach Alt-Urgendsch, Buldumsaz und Köktschege in Chiwa sich erstrecken, sind: Abdal, Igdyr, Essenlu, Kara - Tschaudor, Bozadschi, Burundschuk und Scheich.

2. Der Stamm Erszari

bewohnt das linke Oxus-Ufer von Tschihardschuj bis nach Balch, wird in 20 Tires und noch zahlreichere Taifes eingetheilt und die Zahl ihrer Zelte soll zwischen 50- und 60.000 betragen. Da sie grösstentheils das Ufer des Oxus bewohnen und dem Emir von Buchara tributpflichtig sind, so werden sie auch oft mit dem Namen Lebab-Türkmen = Ufer-Turkomanen bezeichnet.

3. Die Alieli,

deren Hauptsitz Andchoj ist, bilden nur 3 kleine Tires und zählen nicht mehr als 2- bis 3000 Zelte.

4. Kara.

Ein kleiner, höchst wilder Turkomanischer Stamm, der sich grösstentheils nahe an einigen Brunnen in der grossen Sandwüste zwischen Andchoj und Merw herumtummelt und als unerbittliche Räuber von allen Völkerschaften der Umgegend bekriegt wird.

5. Salor.

Der älteste historisch bekannte Turkomanische Stamm, der schon zur Zeit der Arabischen Okkupation seiner Tapferkeit halber berühmt war. Wahrscheinlich muss seine Anzahl auch grösser gewesen sein, denn die fortwährenden Kriege haben seine Zahl sehr vermindert, er hat bloss 8000 Zelte, und obwohl noch vor 10 Jahren im Besitze des wichtigen Punktes Merw, lebt er heute, von den Teke verdrängt, in und um Martschag und ist unter folgenden Tires und Taifes bekannt.

Petermann's Geogr. Mittheilungen. 1864, Heft XI.

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2. Bégdili: Pank, Amanchodscha, Boran, Karischmar. 3. Kaji: Dschankurbarli, Erkekli, Kizil, Akindschik, Tikendschi, Bokchodscha, Kodana, Temek, Karnasz, Dari. 4. Karabalkan: Tschotur, Kapan, Szigirsziki, Paschej, Adschibég.

5. Kyryk: Gijinlik, Szufian, Dehene, Karakuzu, Tscheke, Gökcse, Kabaszakul, Öngüt, Köngör.

6. Bajindir: Kalajdschi, Körük, Japagi, Jadschi, Keszir, Jasagalik, Töreng.

7. Gerkesz: Mollalar, Kösze, Atanijaz, Mehrem, Börre. 8. Jangak: Köcsüt, Madschiman, Kötü, Dizegri, Szaridsche, Ekiz.

9. Szengrik: Karaschur, Akschur, Kutschi, Char, Scheichbegi.

10. Aj Dervisch: Ötschu, Kodschamaz, Dehli, Tschikszari, Arab, Adschem, Kandschik.

Diese 10 Zweige sollen 10.000 Zelte zählen, was vielleicht nicht übertrieben ist.

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2. Dsafer baj, das wieder zerfällt in:

a. Jarali: Iri Tomatsch, Kizil Szakalli, Arigköszeli, Tschokkan borkan, Onuk Tomatsch;

b. Nurali: Kelte, Karindschik, Gazili Kör, Haszankululu Kör, Pankötek.

3. Scheref Dschuni, deren einer Theil in Görgen, der anIdere in Chiwa wohnt.

a. Görgen: Kara bölke, Tevedschi, Jelgaj, Dschafer. b. Chiwa: Öküz, Szalak, Uschak, Kodschuk, Meschrik, Jimreli.

4. Ogurdschali: Szemedin, Giraj, Terekme, Nedin.

Letztere wollen die Jomut nicht als ihre Stammesgenossen anerkennen, weil sie fast gar nicht mit Räuberei sich beschäftigen, und da sie in ihren friedlichen Handelsunternehmungen viel mit Persien verkehren, so sind sie Unterthanen des Schah geworden und zahlen jährlich 1000 Dukaten Tribut. In ihre innere Verwaltung jedoch haben die Perser sich nicht einzumischen. Die Jomut selbst pflegen ihre Gesammtzahl auf 40- bis 50.000 Zelte anzugeben, doch ist diess so wenig wie die Aussage aller Anderen zu verbürgen, da der Nationalstolz dieser Nomaden immer in den Angaben über die Grösse ihrer Anzahl sich ausspricht. Wir wollen dessenungeachtet die einzelnen Daten hier addiren:

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Während meines Aufenthaltes unter den Turkomanen hat mich am meisten frappirt, dass ich keinen einzigen entdecken konnte, der befehlen, aber auch keinen einzigen, der gehorchen möchte. Der Turkomane selbst pflegt von sich zu sagen: „Biz bibasch chalk bolamiz", d. i. Wir sind ein Volk ohne Kopf, wir wollen auch keinen haben, wir sind alle gleich, bei uns ist Jeder ein König. Bei den politischen Institutionen aller übrigen Nomaden findet man mitunter einen Schatten von Regierung in der Person der Akszakal (bei den Türken), der Risch Szefid (bei den Persern) und der Scheich (bei den Arabern); bei den Turko

1) Vergl. M. de Galkine's Notice sur les Turcomans im Bulletin de la Soc. de géographie de Paris (Juli 1864), wo auch die Schätzungen anderer Reisender angeführt und die Stammeseintheilung vielfach abweichend gegeben wird. A. P.

man

manen ist von diesen allen keine Spur. Die Stämme haben wohl ihre Akszakal, doch sind diess bloss bis zu einem gewissen Grade in Ehren stehende Diener des Zirkels, die so lange liebt und duldet, als sie ihre Suprematie nicht durch besondere Befehle oder durch Grossthun zu erkennen geben. Der Leser wird nun fragen, wie denn diese berüchtigten Räuber, deren Rauheit wirklich grenzenlos ist, unter einander leben können, ohne sich gegenseitig aufzufressen. Ja, dieses Verhältniss ist auffallend, aber noch weit auffallender muss es scheinen, wenn ich sage, dass trotz dieser scheinbaren Anarchie, trotz aller Wildheit unter ihnen, so lange sie sich nicht öffentliche Feindschaft erklärt haben, weniger Raub und Mord, weniger Ungerechtigkeit und Unsittlichkeit vorkommt als unter den übrigen Völkern Asiens, deren sociale Verhältnisse auf der Basis islamitischer Civilisation ruhen. Die Bewohner der Wüste werden von einem alten und mächtigen Könige beherrscht, ja oft tyrannisirt, der ihnen selbst unsichtbar ist, den wir aber in dem Worte,,deb" 1), Sitte, Gebrauch, deutlich erkannten. Bei den Turkomanen wird strengstens befolgt, was Deb befiehlt, und verabscheut wird Alles, was er verbietet. Neben dem Deb könnte man unter gewissen Umständen auch der Religion erwähnen, doch hat diese, obwohl sie aus dem meist fanatischen Buchara geholt wird, lange nicht den Einfluss, den man ihr zuschreibt. Allgemein glaubt man, dass der Turkomane den Perser deswegen raubt und verkauft, weil er der ihm verhassten Schiitischen Sekte angehört; doch ist diess ein grosser Irrthum, denn ich bin fest überzeugt, dass der Turkomane seine von Deb erlaubte Raublust auch dann ausüben würde, wenn statt der Perser die Sunnitischen Türken seine Nachbarn wären. Er beweist ja diess am häufigsten durch die Einfälle, die in das Sunnitische Afghanistan, Mejmene, Chiwa, selbst in Buchara gemacht werden, und die spätere Erfahrung hat uns überzeugt, dass ein grosser Theil der Sklaven in Mittel- Asien der Sunnitischen Religionssekte angehört. Ich frug einst einen durch Frömmigkeit berühmten Räuber, wie er denn seinen Sunnitischen Bruder als Sklaven verkaufen könne, da der Prophet befohlen habe: „Kulli Iszlam hurre", d. i. Jeder Muselmann ist frei. „Behey!" sagte der Turkomane mit Gleichgültigkeit,,,der Koran, das Buch Gottes, ist gewiss edler als der Mensch und man kauft oder verkauft ihn für einige Kran. Ja, was willst du mehr haben? Joseph, der Sohn Jakob's, war ein Prophet und ist auch verkauft worden. Hat ihm das Etwas geschadet?"

Merkwürdig ist, dass der Deb in seinem 800jährigen

1) Deb (bei den Kirgisen Töre) ist ein Wort Arabischen Ursprungs und stammt von Edeb Sittlichkeit ab.

Was

Kampfe mit der Religion von der letzteren nur wenig gelitten hat, denn viele Gebräuche, die dem Islam verpönt sind und gegen welche die Mollah losziehen, leben in der alten Originalität fort und der Islam hat nicht nur unter den Turkomanen, sondern bei allen Nomaden Mittel-Asiens nur die äussere Form der alten Religion verändert. früher Sonne, Feuer und andere Naturerscheinungen waren, das ist heute Allah, Mohammed geworden, innerlich aber ist der Nomade immer derselbe wie vor 2000 Jahren und sein Charakter kann sich nur dann verändern, wenn er sein leichtes Zelt mit dem schwerfälligen Hause vertauscht, d. h. wenn er aufhört, Nomade zu sein.

Um auf den Einfluss der Akszakal zurückzukommen, wollen wir bemerken, dass diese in den Berührungen mit aussen den allgemeinen Wunschausdruck des betreffenden Stammes wohl vertreten, z. B. wenn man mit Persien, Russland oder fremden Turkomanischen Stämmen zu thun hat, doch sind sie nicht bevollmächtigte Gesandte, und wie sehr machtlos sie sind, haben Russland und Persien am meisten erfahren können, die mit grossen Spesen die Akszakal an sich ziehen wollten, um den Räubereien Einhalt zu thun, aber bis heute nur wenig Erfolg hatten. Grösserer Achtung erfreuen sich die Mollah, nicht eben des islamitischen, sondern im Allgemeinen des religiösen und daher mysteriösen Charakters halber, der von den abergläubischen Nomaden gefürchtet wird. Die Mollah, die in Chiwa und Buchara ihre Bildung geniessen, sind übrigens schlaue Leute, die Anfangs mit dem Heiligkeitsscheine auftreten und, nachdem sie sich die Säcke vollgestopft haben, sich wieder zurückziehen.

Eine Hauptstütze des socialen Bandes ist das feste Zusammenhalten sowohl der einzelnen Abtheilungen als auch des ganzen Stammes. Jeder Turkomane, selbst das Kind von vier Jahren weiss schon, welcher Taife und Tire es angehört, und er weist immer mit einem gewissen Stolz auf die Macht oder die Zahl eines betreffenden Zweiges hin, da es wirklich jene Waffe ist, die ihn gegen Willkür Anderer schützt, und im Falle einem einzelnen Gliede Etwas zu Leide gethan wird, muss der ganze Stamm Genugthuung fordern.

Was die Verhältnisse der Jomut zu den benachbarten Stämmen und Ländern betrifft, so habe ich gefunden, dass sie mit den Göklen in alter unversöhnlicher Feindschaft leben. Mit den Teke wurden zur Zeit, als wir in Etrek waren, Friedensversuche gemacht, was ein glücklicher Zufall für unsere Reise war, doch, wie ich später hörte, kam der Friede nicht zu Stande und es ist auch eine besonders für Persien glückliche Unmöglichkeit, dass diese höchst kriegerischen Stämme sich vereinigen. Persien, namentlich Mazendran, Chorasan und Sigistan, ist fortwährend den

Räubereien einzelner Stämme ausgesetzt, nur die Teke und Jomut brauchten sich zu vereinigen und sie könnten unendlichen Schaden anrichten. Der Turkomane ist siegestrunken durch sein ewiges Waffenglück in Iran und er lacht sich nur in die Faust, wenn letzteres Land ihn bedroht oder mit einer Armee anrückt.

Ganz anders steht es mit Russland, dessen Macht nur die Jomut in der kleinen Garnison von Aschura kennen und zugleich fürchten lernten. Vor ungefähr vier Jahren, hörte ich, haben die Russen gegen alle Verträge mit Persien das Campement vom Gömüschtepe mit kaum 120 Soldaten angegriffen und die Turkomanen, obwohl an Zahl weit überlegen, ergriffen die Flucht und liessen sich ihre Zelte plündern und verbrennen. Die Sage über die Höllenwaffen, deren die Russen sich bedienten, hat sogar unter die Teke sich verbreitet, doch, meine ich, ist es Nichts als die Disciplin, der diese Nomaden nicht widerstehen können.

Sociale Verhältnisse.

Wir wollen den Turkomanen in seinen häuslichen Kreis begleiten und müssen daher zuerst von ihm, von seiner Kleidung und seinem Zelt sprechen. Der Turkomane ist von Tartarischem Ursprung, doch hat er den Typus seiner Race nur da beibehalten, wo die Vermischung mit dem Iranischen Blute ihm wenig zugänglich war. Auffallend ist diess bei den Teke, Göklen und Jomut, wo rein Tartarische Physiognomien nur bei jenen Zweigen und Familien anzutreffen sind, die weniger Alamans nach Persien schickten und daher weniger schwarzlockige Sklaven unter sich einführten. Übrigens ist der Turkomane, er mag weniger oder mehr von dem Original-Typus beibehalten haben, immer durch einen kühnen scharfen Blick zu erkennen, der ihn unter allen Nomaden und Stadtbewohnern Mittel-Asiens auszeichnet, oder durch seine stolze militärische Haltung, denn obwohl ich viele junge Leute von martialischem Aussehen unter Kirgisen, Karakalpaken und Özbegen gesehen habe, so konnte ich freies und ungezwungenes stets nur bei den Turkomanen sehen. Ihre Kleidung ist die in Chiwa übliche, doch sowohl vom Manne als auch von der Frau ein wenig modificirt durch Hinzugabe kleiner Persischer Luxus-Artikel. Die grösste Rolle spielt das rothseidene Hemd, das nach den Satzungen des Islam verboten ist und doch von beiden Geschlechtern getragen wird; bei den Turkomanischen Weibern bildet es den ganzen Hausanzug und mein Auge konnte sich nur schwer an den Anblick gewöhnen, wenn ich alte MatronenMütter, reife Jungfrauen und junge Mädchen in langen, bis zum Knöchel reichenden Hemden herumgehen sah. Die Kopfbedeckung der Männer ist eine Pelzmütze, leichter und geschmackvoller als die plumpe Mütze der Özbegen

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