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oder Grüne Insel nannte, ein Name, den die Stadt Algesiras

bis heute bewahrt hat, während der Berg, den er zu befestigen anfing, später seinen Namen, Djebel al-Tharic oder Gibraltar, erhielt. Wie Cortez in Mexiko, so verbrannte Tharic seine Schiffe, um seinen Gefährten jede Hoffnung auf Rückkehr abzuschneiden. Man weiss, wie Beide, Tarif und Tharic, vom Kalifen Soliman in Damaskus für ihre ausgezeichneten Dienste belohnt wurden. Nach Osten zu erblickt man die hohen Gebirge Ceuta's und Tetuan's, deren Spitzen augenblicklich noch mit Schnee bedeckt sind. Nach Süden hat man wegen der vielen kleinen Hügel keine Fernsicht. Die Stadtmauern kommen mir wo möglich noch zerfallener vor wie bei meinem letzten Besuch, ringsherum liegen mächtige Mauerstücke als Zeugen der vielen Stürme und Belagerungen, welche die Stadt in den tausend Jahren ihres Bestehens hat ertragen müssen; selbst alte Kanonen sieht man bei Ebbe auf dem Strand, merkwürdig dünn gefressen durch das angreifende Salzwasser. Wie lange wird es noch dauern, bis sich irgend ein Volk dieses schönen Landes erbarmt, das eben so günstig gelegen ist wie Spanien und eben so fruchtbar?

Ich mache interessante Beobachtungen unter den Juden, deren Sitten ganz eigenthümlich sind. Als ich neulich bei meinen Wirthsleuten Thee nehmen musste, haben sie mir viel von ihren Vorältern, den alten Palästina-Bewohnern, erzählt und tischten mir Anekdoten von ihren grossen Königen und Propheten auf, die wir vergebens im Alten Testament suchen würden. Sie waren dann ganz entzückt, als ich ihnen die Geschichten von Joseph und Potiphar, von Salomon und der Königin Saaba, von David und Goliat erzählte, und sehr verwundert, dass ein Protestant ihre Bücher so gut kenne. Die hiesigen Juden, alle aus den Stämmen Juda und Benjamin, theilten unter der Regierung Hadrian's das Loos aller ihrer Brüder, sie wurden in alle Welt zerstreut. Mehr als hunderttausend Familien dieser beiden Stämme flüchteten sich nach Spanien. Dort wurden sie von den Gothen und später von den Arabern geduldet, wie sie noch heut zu Tage unter den Mohammedanern leben, und zur Zeit der Abd-er-Raman, d. h. des Kalifats von Cordova, wie auch unter deren Nachkommen, den Almohaden und Almoraviden, zählte Spanien von allen Europäischen Ländern die grösste Anzahl Juden. Mit der Zerstörung des Kalifats durch die christlichen Spanier wurden die Juden von ihnen ausgetrieben, doch flüchtete sich noch ein grosser Theil in das Königreich Granada, wo sie Schutz bei den Mauren fanden; als aber auch die Alhambra in die Hände des katholischen Königs fiel, war sein erster Akt von diesem Palast aus, die gänzliche Austreibung der Juden aus Spanien zu befehlen (30. März 1492), und mehr als 50.000 Familien zogen nach Afrika zu ihren unglück

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lichen Brüdern, die sich dort schon niedergelassen hatten. Deshalb ist auch wohl kein Land der Welt so mit Juden bevölkert wie Marokko und ihre Sitten und Gebräuche, so wie Sprache und Tracht haben sie ganz so beibehalten, wie sie zur Zeit ihrer Auswanderung aus Spanien waren, gleich wie die Canadier das Französisch so sprechen sollen wie zur Zeit Ludwig's XIV. Ihre Gebetbücher sind Spanisch, aber mit Hebräischen Lettern geschrieben oder gedruckt. Vesan den 30. März. Diese Zeilen sollen nur meine glückliche Ankunft hier und die überaus zuvorkommende Aufnahme beim Grossscherif melden, die näheren Umstände meiner Reise von Tanger bis hierher, die wegen des furchtbaren Regens und der Überschwemmung des Ued Pruss 20 Tage dauerte, habe ich in meinem Tagebuch aufgezeichnet. Ich habe jetzt die grösste Hoffnung für meine Weiterreise, da Sidi-el-Hadj-Absalom überaus günstig für mich gestimmt ist; jedoch muss ich wahrscheinlich, ehe ich nach Tafilelt und Tuat aufbreche, mit ihm noch eine kleine Reise nach Muleg-bu-Slemm am Atlantischen Ocean machen, auch will ich noch etwa 10 Tage die Bäder von Muley Jakub bis Fes besuchen. Ich habe Zeit genug, denn die Karawane von Tuat geht erst im Herbst fort. Der Grossscherif hat mir versprochen, mich nach Tafilelt begleiten zu lassen und mir Briefe für Tuat an seine Intendanten zu geben. Er ist jetzt vollkommen im Klaren über meine Zwecke, ich habe ihm offen meine Lage mitgetheilt, ausgenommen, dass ich Christ bin. Bis Tuat kann ich also in ziemlicher Sicherheit reisen, vor Ende Mai werde ich aber den Atlas nicht übersteigen.

Uesan hat eine paradiesische Lage, vor mir breitet sich das herrlichste Alpen-Panorama aus, Berge, wie man ähnliche nur in der Schweiz findet.

Den 5. April. Heute Morgen habe ich den Djebel bu-Hellöll bestiegen, den mächtigen Berg, an den Uesan sich anlehnt. Mit einem Thermometer und meinem holosterischen Barometer, das sich ausserordentlich gut bewährt, konnte ich die genauesten Beobachtungen anstellen. Am 9. werde ich mit Sidi-el-Hadj-Absalom einen Ausflug nach Muleg-bu-Slemm machen. Ende April denke ich dann aufzubrechen und im August Tafilelt zu verlassen, so dass ich, wenn Alles nach Wunsch geht, im November die Karawane von Tuat nach Timbuktu begleite. Man kann jedoch Nichts vorhersagen, und wenn ich Ihnen schreibe, dass ich im Dezember oder Januar in Timbuktu zu sein hoffe, so ist das eben nur Hoffnung, aber keineswegs Gewissheit. Eines habe ich indessen für mich, d. i. dass ich mit Briefen des Scherif, den ich nebst seiner Umgebung durch Geschenke überaus günstig für mich gestimmt habe, mit Gewissheit von hier aus Tuat erreichen kann.

Den 24. April. -Unser Ausflug nach Muleg-bu-Slemm

war sehr interessant, ich habe unter Anderem die Höhe verschiedener Örter barometrisch messen können. So brach ich mit dem Vetter des Scherif einen Tag vor diesem auf, um den Djebel Sur-Sur zu besteigen, und habe auch trotz der unendlichen Schwierigkeiten den Gipfel dieses hohen Berges erklommen und mit dem Barometer gemessen. Alles diess ist indess in mein Tagebuch eingetragen. Wollte ich hier länger nördlich vom Atlas verweilen, so könnte ich unter dem Schutze des Scherif ganz Marokko durchstreifen. Er interessirt sich sehr für Alles, was Geographie u. s. w. anbetrifft, und sollte je eine Deutsche Regierung eine genaue Aufnahme von Marokko wünschen, so wäre das durch Sidi-el-Hadj- Absalom möglich, nur bedenke man ihn vorher mit Geschenken, besonders neuen mechanischen Erfindungen. Ich habe ihm ausser anderen Dingen zwei Boussolen und ein Thermometer geben müssen, und hätte ich ihm nicht gesagt, dass mein holosterisches Barometer der Regierung gehöre, so würde er auch dieses von mir verlangen. Indess besitze ich noch zwei Boussolen, drei Thermometer, Barometer u. s. w.

Ich hatte die Absicht, von Muleg - bu - Slemm direkt aufzubrechen, der Scherif wünschte aber, dass ich noch auf einige Tage mit ihm nach Uesan zurückkehren möchte, und ich habe mich dem natürlich fügen müssen. Zum Theil ist mir diess auch ganz willkommen, um ein Paar Tage wieder ausruhen zu können, denn 12 Tage zu Pferd,

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dabei fortwährend Regen, ausserdem zwei grosse Jagden

bei Ain - Felfel und Ras-el-Daura sind fähig, auch dem Stärksten einige Tage Ruhe erwünscht zu machen. Drei kleine Wildschweine, mein Beute-Antheil an der grossen Jagd bei Ain-Felfel, wollte ich Herrn Konsul Worthman in Gibraltar senden, nachdem sie mein Bursche glücklich lebendig bis hierher transportirt hatte; aber keiner der fanatischen Bewohner will sich dazu verstehen, sie bis Tanger aufzuladen, obgleich sie nicht grösser als ein kleiner Hund und viel reiner sind als die meisten der Gläubigen selbst. Ich werde sie also laufen lassen, denn sie selbst zu essen, ist mir hier nicht erlaubt.

Der Weg über Fes und Soforo ist mittlerweile ganz ungangbar geworden durch die räuberischen Überfälle der Berber, die sich selbst nicht entblöden, die von den Moghaseni des Sultans begleiteten Karawanen anzufallen. Ich werde deshalb etwas westlicher von Mekines aus den Weg nehmen, wo die Gegend sicher sein soll. In einigen Tagen breche ich auf und wahrscheinlich werde ich bei Mulegel-Abbes, Bruder des Sultans, absteigen, der in Mekines seine Residenz hat. Ein Vetter des Scherif, Muleg-Hamedben-Micky, wird mich wahrscheinlich nach Tafilelt begleiten, das ist der beste Pass für mich, und später von Tafilélt nach Tuat ist der Weg nicht so gefährlich. Das Schlimmste ist der Übergang über den Atlas.

So sage ich also Allen nochmals herzlich Lebewohl.

Ornithologische Skizzen aus Nord-Asien.

Von Gustav Radde 1).

1. Der Winter am Nordrande der östlichen Mongolei. Mit dem Legen der Nager zum Winterschlafe tritt sehr rasch die Hochsteppennatur Inner-Asiens in das ihr eigenthümliche ärmliche Winterstadium; es fällt diese Zeit in die Mitte des September-Monats, und wenn wir auch nach dem 15. Tage desselben noch hie und da an den Süsswasserpfützen der Mongolei eine Kiebitzbande oder auf den weiten rothbraunen Ebenen, deren Salzkräuter den Nachtfrösten trotzten, Saatgänse gruppirt sehen, so schwanden doch schon früher die letzten kleinen Sänger, die Ammern und Sylvien, vollständig und selbst von den lange weilenden Totanus- und Scolopax - Arten lässt sich jetzt keine Spur mehr finden. Wo im Sommer am MurmelthierHügel zwischen den blaugrünen Elymus-Gräsern plumpe Bussarde (Buteo ferox) stundenlang in nachlässiger Haltung und mit aufgetriebenem lockeren Gefieder sassen, um die

1) Aus Radde's Reisen im Süden von Ost-Sibirien, 2. Bd.

vorüberhuschenden Jungen der Pfeifhasen oder der Bobacs gelegentlich zu erhaschen, da ist die Stätte jetzt leer. Früher kreisten in Schraubenlinien die Schreiadler in den Lüften, oder wechselten im niedrigen Fluge vom Neste zu den nahe gelegenen See'n aus, und die Milane und Weihen schweiften in geschickten Wendungen niedrig über dem Boden, um Zwerghamster und Wühlmäuse oder die noch nicht flügge Brut der Lerchen und Bachstelzen zu würgen; jetzt hebt sich vom hellblauen Himmelsgewölbe keine beflügelte Räubergestalt ab und so weit das Auge die nackte Hügellandschaft erfasst, sieht es über ihr in der Luft keine Bewegung und am Boden will dieselbe sorgfältig gesucht werden. Allenfalls machte der Steinadler sich zeitweise auf und verliess die ihm lieben Waldgebiete am mittleren Onon, wohin die Rehe noch nicht eingewandert waren, um im Oktober die oft zahlreichen AntilopenBanden, die sich im Nordwinkel der Hohen Gobi zusammendrängen, heimzusuchen, oder es schweifte auf kurze Zeit

der Hühnerhabicht zu den Kosaken-Ansiedelungen am Nordrande der Mongolei ab, um hier die Haustauben und in den Steppen die hülflosen Feldhühner zu jagen. Nur von Norden her nehmen diese Länder hauptsächlich zwei VogelArten für den Winter auf, von denen die eine in dem Grade die Waldgebiete meidet, wie die andere sie liebt, falls sie nicht gar zu sehr zusammenhängend sind und menschlicher Ansiedelungen entbehren. Es sind diess Stryx nyctea und Fringilla linaria. Wurde die erstere an die Hochsteppen durch die hier häufigen Pfeifhasen gefesselt, so liefert den Leinfinken die Dreschtenne und der Streusamen auf den früheren Hanffeldern das schicklichste Terrain, wo sie sich am heiteren Tage fleissig tummeln. Aber die Dreschtenne sowohl wie auch das Hanffeld trifft man nur selten und dürftig ausgestattet am Nordrande der Mongolei; hier müssen sie die wenigen Saatplätze für Buchweizen, auf denen später hohe Artemisien wuchsen, aufsuchen, um sich zu ernähren. Die Schneeeule verräth, trotz ihrer Häufigkeit, am Tage in diesen Gegenden kaum ihre Existenz. Zusammengekauert sitzt sie am Boden, meistens am Abhange eines Murmelthier-Baues, wo der wenige Schnee, der hier fällt, zusammengeweht wurde. Sie sucht die windgeschützte Seite und fliegt erst gegen Mittag auf die Spitze des Hügels, wo sie mit halbgeschlossenen Augen harrt und ab und zu einen lauten schnalzenden Ton hören lässt. Gegen Abend beginnt sie die Jagd, schwingt sich mit leichtem Fluge und ziemlich raschem Flügelschlage nahe dem Boden über die Steppen und überfällt die harmlosen Pfeifhasen (Lagomys Ogotona). Auch den Feldhühnern wird sie gefährlich und jagt sie bald müde. Diesen mangelt hier nämlich jeglicher Schutz, den sie in bestrauchten Gegenden leicht und bequem in den Gebüschen finden. Sie begeben sich daher auch für den Winter vornehmlich in die steppenartigen Uferstrecken am mittleren Onon. Bevor diess geschehen, stellt man ihnen, so lange sie in den kahlen Steppen bleiben, eifrig nach und zwar werden sie so lange aufgetrieben und verfolgt, bis sie müde geworden sind und man sie dann lebendig ergreifen kann.

Suchen wir nach anderen Vögeln, die hier jetzt leben, so sind wir, um sie zu finden, auf die Ufer der Salzsee'n und die flachen Thalgründe angewiesen. Die Berglerchen (Alauda alpestris) beleben diese. Nie schaaren sie sich zu solchen Banden, wie z. B. Alauda Calandra und sibirica sammt brachydactyla in den Steppen Süd - Russlands im Winter es thun. Aus sechs bis zehn Vögelchen besteht der kleine Trupp, den wir sehen. Sie laufen eilig über den Boden, ab und zu vernimmt man ihre leise pfeifende Stimme, der lange Nagel an ihrer Hinterzehe lässt Spuren im Schnee zurück, beunruhigt fliegen sie, immer dem Boden nahe bleibend, in weitem Bogen fort, um an der nächsten

ähnlichen Lokalität sich niederzulassen. Nur selten besuchen sie die einsame Grenzwacht, wo die Feldspatzen unter den Plankendächern zur Nacht ruhen und wo sich Abends auch die wenigen Raben gern einfinden, um am Gesimse der Kirche oder Kapelle, die meistens etwas abgelegen dastehen und unbewohnt sind, zu schlafen. Gedenken wir nun noch der Mongolischen Lerchen, die so zu sagen das Äquivalent für die im Südosten Europa's vornehmlich lebenden Calander-Lerchen sind. Diese weilen zwar auch im Sommer hier, zerstreuen sich dann aber über die weiten Gegenden dergestalt, dass man sie nur selten zu Gesichte bekommt. Im Winter aber leben sie gerottet, meiden gerade diejenigen Lokalitäten, wo Phileremos alpestris gern ist, und ziehen sonnige Abhänge, an denen die Schneeschmelze zeitig eintritt, jedem anderen Aufenthaltsorte vor. Mit dem Erwachen des Frühlings thun sie sich auch wohl mit Fringilla linaria zusammen, besuchen alte Brachen, schwärmen gegen Abend und zwitschern dann recht munter, jedoch bei weitem nicht so anhaltend und schön als zur Zeit der Begattung. Was sonst im Winter hier von Geflügel anzutreffen ist, muss entweder als sehr verspäteter Invalide (ein baldiges Opfer) oder als höchst seltener Gast angesehen werden. Das Verweilen der Wachteln in Daurien und in den Hochsteppen ist zwar gewiss, jedoch findet es, wie auch jenes von Columba Turtur var. gelastis, nur ausnahmsweise und selten Statt. Die Schneeammern erscheinen zwar, aber die Hochsteppe selbst behagt ihnen eben so wenig wie der dichte Urwald. Sie sind auf die Menschen angewiesen oder doch wenigstens auf die Nähe ihrer Ansiedelungen und auf die Strassen, welche dieselben verbinden. Der Rauhfüssige Kauz` lebt zwar im Winter in Daurien, allein er ist so selten, dass es den neueren Reisenden nicht gelang, ihn dort nachzuweisen, und wir dem Zeugnisse Pallas' folgen müssen, wenn wir ihn überhaupt der Vogel-Fauna dieser Länder beizählen wollen.

Es fehlt fast gänzlich an Stimmen im Winter in diesen Hochsteppen. Wir hören dort wenig. Der scharfe Luftzug saust über die trockenen, bleichen Elymus-Gräser und die zerfetzten braunen Lappen der Rhabarber-Stauden klappern an einander. Die Absinthien-Felder, welche sich zunächst um den echten Salzkräuterwuchs lagern, sind starr und todt, es ist Alles stumm. Der Himmel ist ganz wolkenlos und die Sonne scheint auf die weiten leeren Länder; duftig tauchen am Horizonte kahle Bergzüge auf, andere, die uns näher gelegen, zeigen ihre scharfen Umrisse und Schatten. Das Himmelsblau wird, dem Horizonte näher, immer heller und ändert zuletzt in ein zartes dünnes Gelb ab. Antilopen-Schaaren tummeln sich hier und dort; ihre Umrisse schwanken am dunkleren Hintergrunde, den ein Gebirgszug bildet, hin und her. Wir sehen Bewegungen,

aber wir hören die Thiere nicht. Wenn nicht ein eiliger Rabe den zweisylbigen hohlklingenden Ruf uns zusendet oder gegen Abend die Mongolischen Lerchen und Leinfinken, bevor sie zur Ruhe gehen, gemeinschaftlich zwitschern, so würden wir allein noch auf den Lärm der Feldspatzen in den Dörfern angewiesen sein, um Vogelstimmen zu vernehmen.

Wie ganz anders verhält sich das in den Waldgebieten des südlichen Sibiriens! Der Blick des Beobachters ist hier beengt. Bald sind es himmelanstrebende Zapfenbäume, bald Birkenwälder und am mittleren Amur ein Gemisch fremdartiger Baum- und Strauchformen, die dem Auge eine gewisse Grenze aufnöthigen. Nicht immer ist der Himmel heiter, hohe Schneelagen liegen am Boden. In diesen geschützten Räumen blieb eine Anzahl der Standvögel, welche mehr oder weniger auf die Baumvegetation angewiesen sind. Die Spechte und Meisen streichen, die Nuss-, Eichel- und Unglückshäher thun ein Gleiches, und wo man sie auf ihren munteren Ausflügen antrifft, lassen sie ihr Geschwätz hören. Dompfaffen, Rosen-Spatzen und die zierlichen Sibirischen Karmingimpel (Pyrrhula longicauda) beleben die dichten Unterhölzer in den sumpfigen Thälern und lassen, wenn sie unermüdlich hin und her fliegen, ihre Flötenstimmen im kurzen einsylbigen Rhythmus erschallen. Kreuzschnäbel und Hakengimpel bewohnen die Kronen der alten Coniferen und die Kleiber und Baumläufer machen ihre Wanderungen an den Stämmen. Diese kleineren Waldbewohner finden in der Sperber-Eule, dem Zwergkauz und der Ural-Eule ihre vornehmlichsten Feinde. Der Hühnerhabicht wintert nur in den südlichsten Distrikten, zumal im Amur-Lande, und hier betreibt er ausschliesslich im Winter die Jagd auf Eichhörnchen. Der Edelfalke hingegen macht sich gern an die grossen Waldhühner, wenigstens habe ich im Apfel-Gebirge bemerkt, wie er im Winter den Birkhühnern erfolgreich nachstellt, obschon ich nicht glaube, dass er mit den Auerhähnen fertig wird. Vom Hochgebirge, wo es seit dem September ganz unwirthbar wurde, liessen sich die Alpenkrähen in einzelne breite Thäler hernieder und hielten dabei immer sehr genau dieselben Lokalitäten ein, welche von ihnen früher schon besucht wurden. Die Schneehühner, Alpenhühner und, wo sie vorkommen, auch die grossen Altaischen Felsenhühner, die im Sommer an den Grenzen der alpinen Vegetation leben, steigen ebenfalls thalwärts und aus den nördlicheren Landschaften wandern Seidenschwänze, Sporn- und Schneeammern hier für die Winterzeit ein.

2. Im Bureja - Gebirge.

In den gemischten Wäldern des Bureja-Gebirges vernimmt man Nachts im Juli, wenn leichte Nebel über den

Waldlichtungen und auf den sumpfigen Wiesen lagern, von allen Seiten her den leisen pfeifenden Ruf junger Rehe, die mit der Mutter zu den feuchten Sumpfrändern kamen, und dazwischen klingt es, als ob kleine Luftblasen rasch hinter einander im Wasser aufgeworfen würden. Dieses sanfte Trommeln verursacht ein Sumpfhuhn (Rallina erythrogastra), welches vor dem Jäger mit vorwärts geneigtem Körper so geschickt und leise zwischen den hohen Carex-Gräsern hinläuft, dass er selbst bei angestrengtestem Suchen es doch nur sehr selten gewahr wird. Von den Bäumen erschallt allnächtlich, besonders im Mai und Juni, der leise gluckende und rasch sich folgende Ruf der Nachtschwalbe (Caprimulgus Jotaka), welchem dieser Vogel den populären Namen Kusnetz (d. h. Schmied) verdankt, und dazu donnert von naher Felsen wand der dumpfe Ruf des Uhu's im langsamen Tempo. Ich habe die Wälder um den Baikal-See und im Apfel-Gebirge im Gegensatz zu denen des Bureja-Gebirges ganz ausserordentlich schweigsam gefunden. Dort tummeln sich nach vollendetem Brutgeschäft im zarten Laube der Lärchen die Sibirischen Fliegenfänger und schlagen nur ab und zu schnarrend an, hier sonnt sich im Gipfel der Mongolischen Eiche eine lärmende Pericrocotus Bande, die aufgescheucht im eifrigsten Geschwätz davon zieht, oder es steigt aus den Uferweiden eine förmliche Wolke von Sturnus cineraceus auf, in der sich fast immer einige Exemplare des Pastor sturninus befinden. Auch diese Vögel verrathen sich schon aus weiter Ferne durch die zwar grossartigen, aber stark monotonen Koncerte, bei welchen sich besonders die Jungen mit heiseren Stimmen betheiligen. Dazu vernehmen wir das Kollern der Turteltaube und vom nahe stehenden Lespedeza-Strauch, dessen schön rothe Blüthenstände leicht im Bogen abwärts hängen, flötet Emberiza elegans ihre sanften Lieder. Überall, wo sich die Sonne in diesen Wäldern eine Bahn im dichten Laube der Baumkronen brach, wurden sie auch mehr oder weniger durch Singvögel belebt. Nur den schattigen, düsteren Nordabhängen der Gebirge, den ganz bewachsenen Thalhöhen fehlen sie. Finden wir aber in den Ebenen, welche oberhalb und unterhalb des Bureja-Gebirges sich dehnen, aus denen nur hie und da in weiter Ferne niedrige, bisweilen ganz isolirte Höhenzüge auftauchen oder in grösserem Zusammenhange bis in den Vordergrund der Landschaft zum Amur mit bewaldetem Vorgebirge treten, finden wir hier einen grossen Theil der eigentlichen Waldvögel nicht, so bietet sich uns dagegen viel Übereinstimmendes im ornithologischen Gesammtbilde mit dem der Daurischen Hochsteppen. In den seichten Armen und Buchten des Amur wandern die Löffelreiher umher und über das weiche Sandufer, welches bei rücktretendem Wasser entblösst wurde, laufen

die kleinen Strandläufer oder es drückten sich die kräftigen Zehen einzeln lebender Totanus - Arten ab. Ernst und unbeweglich steht der Graue Reiher zum Fischfange bereit am langsam dahin fliessenden Strome, aber in oft höchst possierlicher Haltung klammert sich, wie die Kleine Rohrdommel bei uns es zu thun pflegt, Ardea virescens bald an das hohe Rohr, bald an die Weidenruthen, bis sie unser Nahen zur Flucht in die nächste Bucht treibt. Die hohen Geröhre, welche dem klafterhohen Ufer entlang an vielen Stellen des Mittleren Amur ein förmliches Band bilden, welches steif und undurchdringlich ist, dienen den Rohrsängern zum beliebten Aufenthaltsorte und auf weit vorragendem Luftwurzeltriebe sitzt in unveränderlicher Haltung der Europäische Eisvogel und fixirt die trübe Fluth, welche unter ihm dahin schleicht.

3. Ein Spätsommer-Abend am Baikal-See. Wir stehen auf dem sandigen Ufer der nordöstlichsten Bucht des Baikal - See's. Eine niedrige Dünenkette, deren höchste, sanft gerundete Rücken hie und da von strauchartigen Zirbelkiefern bedeckt sind, während in den flachen Satteltiefen die breit sich lagernde Spiraea sorbifolia wuchert, bietet dem Auge die nächsten Haltpunkte, die bei sinkender Sonne in ihrer ganzen Schärfe daliegen und roth angehaucht werden. Diese Dünenkette verhüllt uns das breite DeltaLand der Oberen Angara ganz, wir sehen gar nicht die flachen, stark sumpfigen Niederungen, die den eigentlichen Schauplatz des Lebens der Vögel am Abend bilden. Über das Dunkelgrün der Zirbelkiefergebüsche fort eilt der Blick links und rechts den beiden Gebirgsketten entlang, die sich unmittelbar von den Baikal-Ufern in der Richtung gegen Nordost fortsetzen und, in weiter Ferne näher und näher tretend, in sich das spitze Dreieck des Delta's schliessen. Jene Gebirge bieten keine besonders pittoresken Formen; in fast überall gleichmässiger Höhe fortlaufend zeigen sie meist gut mit Nadelholz bestandene Seitenflächen, aus denen hie und da die dunkelen Massive der Gesteine hervortreten. Ihr Kolorit schwächt sich mit zunehmender Ferne Abends vom dunkelen Grünschwarz bis zum sanften Grauviolet ab.

Ersteigt man die Höhe einer Düne, so liegt vor dem Auge das Delta selbst. Der ruhige Spiegel eines breiten See's, welcher beide Mündungsarme der nördlichen Angara verbindet und den die Eingebornen als Talar-See bezeichnen, bespült in unserer Nähe den weissen Sand des Dünenufers, während er am jenseitigen Ufer in oft bogig einlaufenden Umrissen die üppig grünen, aber nicht hohen Gräser und Sumpfpflanzen des Delta - Randes tränkt. Auf der unbewegten Wasserfläche ruhen die Blätter kleiner Nuphar- und Nymphaea-Arten; grosse Flecken, die auf das Petermann's Geogr. Mittheilungen. 1864, Heft IX.

Dichteste mit Polygonum amphibium bedeckt sind, erscheinen jetzt, da diese Pflanzen blühen, röthlich-weiss und an anderen Stellen schoben sich die schmalen, langen Blätter einer Potamogeton-Art in einander, oder die Spitzen der Myriophyllen ragen hervor. So weit der Blick dem Delta folgt, trifft er vornehmlich das frische Grün einer nordischen Sumpfvegetation; nur hie und da tauchen niedrige bläuliche Weidengebüsche aus ihm auf. Die beiden Angara-Mündungsarme sind in diese niedrigen Ebenen eingebettet, ihr Wasserspiegel wird nur wenig von den Gewächsen überragt, ihre Fluthen wälzen sich in gleichmässiger Schnelligkeit dem Baikal - See zu; das mitgeführte Treibholz dreht sich in den Strudeln und wird erst im Baikal-See abgesetzt.

Am Tage bemerkt man hier kaum Etwas von dem Reichthum an Anatiden, der sich Abends hören und sehen lässt. Versteckt zwischen den Binsen, Butomus- und Menyanthes-Pflanzen warten die Süsswasserenten, die hier in grosser Zahl brüteten, ihrer Jungen, oder es verbergen sich an den entlegensten Plätzen die flügellahmen Gänse, denen der Tunguse zur Zeit der Schwingenmauser eifrigst nachstellt. Auf den angeschwemmten Baumstämmen sitzen die Rabenkrähen und harren der Auswürfe des Stroms, oder es schrillt das Pfeifen des Schwarzen Milans von dort her, wo der Vogel mit aufgeblähtem Gefieder und nachlässig hängenden Flügeln ruht. Über dem Talar-See schweben auch wohl kleine Seeschwalben und auf seinem sandigen Ufer jagen Bachstelzen nach den Insekten. Erst wenn die Dämmerung einbricht, beginnen die ersten Klänge. Sie wachsen und steigern sich sehr bald. Es giebt gewisse Versammlungsplätze im Delta, wohin die Gesellschaften ziehen; von dort her verbreitet sich der Lärm. Die wichtige Periode des Herbstzuges naht ja, die Brut wird flügge, es giebt unendlich viel sich mitzutheilen. Die Dunkelheit schützt vor der Verfolgung, den Anforderungen des Tages ist Genüge geleistet, die geflügelten Bewohner geniessen die ungehinderte Musse. Sind es nicht geistige Interessen, denen sie in ihren so angeregten Koncerten einen Ausdruck geben? Warum lärmen sie in so bestimmter Weise und in so bestimmter Zeit? Der Grund dieser Lebensäusserung muss ein psychischer sein!

Vom Baikal-See heimkehrend, wo am Tage eifrig getaucht und gefischt wurde, zieht über uns, meist nur einzeln, der Grosse Taucher (Colymbus arcticus); sein eiliges, kurz artikulirtes Gakern, dem er den volksgebräuchlichen Namen Gagara verdankt, lässt sich oft hören, er wiederholt es auch, nachdem er den Platz zur Nachtruhe im Delta erreicht, und seine Stimme spielt eine bedeutende Rolle im Koncerte mit. Sie beginnt dasselbe nämlich. Wenig später, als Colymbus begann, erschallen dann die gewisser

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