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Es ist also sehr begreiflich,

schaft tief bedürftiges Herz volle Genüge fand dies vor Allem hatte sein bisheriges Leben zu einem so überaus glücklichem gemacht. Der mehrwöchentliche Aufenthalt in Schnepfenthal, welcher dem Eintritt in seinen neuen Beruf unmittelbar vorhergieng, hatte ihn die ganze Süßigkeit und den hohen Werth dieses Lebens noch einmal recht lebendig empfinden lassen. Das Alles konnte er ja nicht einmal annähernd wiederfinden in seiner neuen Stellung. was er in seinem ersten Briefe von Frankfurt aus an seine Eltern schreibt: „Ich fuhr mit pochendem Herzen durchs Thor, und wünschte nur, daß die Stadt recht lange Straßen haben möchte. Doch das half Alles nichts.“ Uebrigens fand er bei den Eltern seiner künftigen Zöglinge, mit denen er ja seit seinem ersten Besuche in Frankfurt stets in Verbindung gestanden hatte, wie zu erwarten war, eine sehr freundliche Aufnahme. Doch erkannte er bald, daß die Aufgabe, die feiner wartete, eine ungemein schwierige sei. Der Grund davon lag sowohl in allgemeinen, als in vielen besondern Verhältnissen. Die so häufige Erfahrung, daß Reichthum und vornehmer Stand bei allen äußern Vortheilen einer wahrhaft guten Erziehung vielfache Hindernisse bereiten, die nur durch das Zusammentreffen günstiger Umstände, vor Allem durch die einsichtige und einträchtige Einwirkung der Erziehenden, zunächst natürlich der Eltern, aufgehoben werden können, bestätigte sich auch hier. Jene günstigen Umstände waren nur theilweise vorhanden. Herr Hollweg, das Haupt der Familie, bereits in dem Anfange der funfziger Jahre, war ein Mann, wie es in einem Briefe Ritters heißt, „von altem Schrot und Korne, rechtschaffen, bieder und von ehr

würdigem Character, aber durch mancherlei Mißverhältnisse in seinem nächsten Kreise und durch ungeheuer viel Arbeit, die er übernommen hatte, launisch gemacht und größtentheils finster und in sich gekehrt.“ Aber er that die richtigsten Blicke in das Gebiet der Pädagogik. Er erkannte bald den Werth Ritters, schenkte ihm schnell und je länger je mehr sein volles Vertrauen, ja widmete ihm eine auf herzlicher Achtung und Dankbarkeit beruhende Freundschaft. Er wünschte, daß seine Kinder eine tüchtige, vor Allem auf Moralität und Religion gegründete Erziehung erhielten, und gieng überall gern auf die Gedanken und Wünsche Ritters, dessen Grundfäße und Absichten bei seinem Verfahren er vollkommen verstand und billigte, ein. Er besaß Interesse für Kunst und Wissenschaft, und schätzte und ehrte ihre Vertreter. Aber er war fast ausschließlich durch seine ausgedehnten Geschäfte in Anspruch genommen. Er sah seine Kinder fast nur beim Mittagstisch, und oft war er auch bei diesem so sehr durch fremde Gedanken beschäftigt, daß nur ein abgebrochenes Gespräch stattfand. Dennoch wirkte er durch seine ernste und tüchtige Persönlichkeit viel auf die Kinder ein.

Anders gestaltete sich das Verhältniß zwischen Ritter und der Mutter. Diese, beträchtlich jünger als der Vater, war eine Frau von sehr viel Verstand, reicher Bildung und sehr entschiedenem Character, aber eben aus diesem Grunde den Ansichten Anderer, wenn sie von den ihrigen abwichen, nicht leicht zugänglich. Sie liebte ihre Kinder sehr, namentlich den ältesten Sohn, mit welchem Ritter zunächst vornämlich zu thun hatte, fast leidenschaftlich, und hatte großes Interesse für ihre Erziehung. Aber sie war in ihren Ansich

ten darüber vielfach sowohl durch die Anschauungen und Neigungen ihres Standes, als auch durch jene Liebe zu ihren Kindern, zumal dem ältesten Sohn, die nicht selten ein unbefangenes Urtheil hinderte, bestimmt. Es war daher nicht zu verwundern, daß gar manche Gegensäge mit Ritters Bestrebungen, welche stets auf die höchsten idealen Ziele gerichtet waren, hervortraten. Diese waren aber um so wichtiger, als die Mutter unter den obwaltenden Umständen und ihrer ganzen Stellung und Art nach einen überwiegenden Einfluß auf die Erziehung der Kinder ausübte. Dazu kam, daß das Verhältniß zwischen den Eltern kein innerlich nahes und glückliches war. Hieraus erwuchsen, wenigstens in den ersten Jahren, nicht geringe Schwierigkeiten und selbst schwere innere Kämpfe für Ritter. Indessen gelang es ihm in nicht zu langer Zeit auch von Seiten der Mutter Achtung und Anerkennung seines ernsten und uneigennützigen Strebens zu gewinnen, woraus sich allmählich im Laufe der langen Jahre, welche dieses Verhältniß bestand, und unter dem Einflusse mehrerer in die Familie tief eingreifender, erschütternder Todesfälle ein mit aufrichtiger Dankbarkeit verbundenes volles und unbeschränktes Vertrauen zu ihm entwickelte.

Außer den Eltern bestand die Familie aus vier Kindern, einer sechzehnjährigen Tochter, einem schönen und liebenswürdigen jungen Mädchen, dessen Erziehung nahezu vollendet war, einem fast siebenjährigen Knaben, Namens Philipp, einer Tochter, die im fünften, und noch einem Knaben, Namens August, der im vierten Jahre stand. Ritters nächste Aufgabe war, wie gesagt, die Erziehung Philipps. Dieser war, wie er in dem ersten Briefe an seine Eltern

schreibt, ein für sein Alter großer, starkgebauter Junge. ,,Die Gesundheit seines Körpers," heißt es weiter,,, überhaupt was man Pflege nennt, ist nicht vernachlässigt, wohl aber die Stärke und Gewandtheit, es fehlt ihm die Kunst und Lust, seine Glieder zu gebrauchen. Ganz natürlich: denn nur mit der Mutter gieng er spazieren, und gieng dann, wie sich denken läßt, immer neben ihr auf gebahnten Wegen einher, oder, was wohl noch öfter geschah, er fuhr mit ihr. Einmal fuhr ich schon mit spazieren, aber für lange Zeit soll es das erste und letzte Mal gewesen sein; denn ich kenne für den jugendlichen Körper nichts Unnatürlicheres, als sich im Wagen da herumtransportiren zu lassen, wo er gehen kann. Er scheint einen guten Kopf zu haben. Seine Mutter, die sich sehr viel Mühe gegeben hat, ihn zu erziehen, hat ihn nach dem Urtheil meiner Freunde, die ihn genau kennen, dennoch verzogen. Ich schätze sie aber dennoch, denn ich bin überzeugt, daß es Niemandem schwerer ist, Kinder gut zu erziehen, als den Eltern selbst:“ ein Urtheil, dem ja freilich eine gewisse Wahrheit zu Grunde liegt, das jedoch in dieser Allgemeinheit ausgesprochen nur in einer Zeit erklärlich ist, wo die von Rousseau ausgegangenen Erziehungsprincipien so allgemeine Anerkennung gefunden hatten, dem aber mit größerm Rechte das gerade Gegentheil entgegengesetzt werden kann.

Die Einrichtung der äußern Verhältnisse war, wie sich leicht denken läßt, durchaus passend und günstig. Ritter erhielt mit seinem Zöglinge seine Wohnung, gleichsam sein eignes Reich, in dem dritten Stockwerke des stattlichen, in dem großen Hirschgraben (unweit von Goethe's Elternhause) gele

genen Hollwegschen Hause, unmittelbar über der Wohnung der Mutter angewiesen. Die musterhafteste Ordnung und Sauberkeit herrschte dort überall. Glaube nur," schreibt Ritter an seinen Bruder,,, ich finde auch fast im ganzen Hause kein Fleckchen, auf das ich nur spucken könnte. Daraus kannst du schon auf das Haus selbst schließen. Ueber zehn Teppiche muß ich gehen, ehe ich zu dem komme, der vor meiner Stubenthür liegt. Im Hofe findest du keine Erde, keinen Grashalm, nur abgewaschene viereckte Steinplatten. Kurz so gehts in allen Dingen.“

So waren die Verhältnisse beschaffen, in welche der neunzehnjährige Jüngling trat. Es ist kein Wunder, daß ihn das Gefühl überkam, wie er es in seinem ersten Briefe ausspricht, daß er ein schweres Amt übernommen habe, und daß er, wenn er der vorigen Zeit in Schnepfenthal und Halle gedachte, oder gar die Erinnerung daran durch einen Besuch oder sonst ein Ereigniß lebhafter hervorgerufen wurde, in eine schwermüthige Stimmung versank. Doch war diese Stimmung bei seinem zur Fröhlichkeit geneigten Gemüth, seinem Interesse für die Erziehung und der Erkenntniß, wieviel Vortheilhaftes seine Lage ihm bot, nicht dauernd. Mir gehts drollig," schreibt er nach den ersten vierzehn Tagen seines Dortseins,,, einmal bin ich recht vergnügt; dann bin ich auf einmal wie vor den Kopf geschlagen, und ich wünsche mich, wer weiß wohin nach Schnepfenthal, nach Halle oder Derenburg zurück. Doch das hat sich schon etwas gegeben. Ich bin schon zufriedener mit meiner Lage, als Anfangs. Mit meiner Stellung als Hofmeister bin ich es sehr wohl. Ich glaubte nie einen vollkommen guten Knaben

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