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Wittenberg, wo die berühmten Dogmatiker Calow und Quenstedt seine Lehrer waren, Theologie studirt hatte und mehrere Jahre in vornehmen Häusern Hofmeister gewesen war, 1689 zum Pastor der Kirche zum heiligen Geist berufen, und zugleich von der damaligen Aebtissin zum Adjunkt der Kirche St. Wiperti ernannt wurde. Dieser hatte dreizehn Kinder,

von denen das älteste, ein Sohn Namens Johann Friedrich, als practischer Arzt in Quedlinburg sich niederließ, und somit gewissermaßen der Vorgänger seines Neffen, das zwölfte aber, Joachim Gerhard, der Vater eben dieses und Großvater Carl Ritters war. Er widmete sich dem Kaufmannsstande und hatte später zu Calbe an der Saale ein blühendes Geschäft mit wollenen Zeugen, die er verfertigen ließ und mit denen er die Messen in Frankfurt a. d. O. bezog. Er kam dadurch in den Besitz eines guten bürgerlichen Wohlstandes, der sich in allen seinen Verhältnissen ausprägte. Er selbst war heitern und jovialen Sinns, und in seinem Hause herrschte neben reger Thätigkeit und Arbeitsamkeit ein gemüthlich frohes Leben und Weben. Er hinterließ sechs Kinder, von welchen der dritte Sohn, Friedrich Wilhelm, der Vater Carl Ritters war. Dieser wurde 1747 (den 21. Februar) geboren, erhielt seine Schulbildung in Kloster Bergen und studirte in Halle Medicin. Nach Ablegung seiner Staatsprüfung in Berlin ließ er sich in Quedlinburg als practischer Arzt nieder und trat so in die Stelle seines obenerwähnten, bereits verstorbenen Oheims, der wahrscheinlich auch dasselbe Haus bewohnt hatte, das er bezog. Die wenige Jahre darauf troß seiner Jugend erfolgte Ernennung zum Leibmedicus der Aebtissin kann wohl unzweifelhaft als ein Beweis seiner „, vorzüglichen

Geschicklichkeit" angesehen werden, die in dem noch vorhandenen, von der Prinzessin ausgestellten Patente ausdrücklich hervorgehoben wird. Und gewiß nicht mit Unrecht. Denn aus seinen nachgelassenen mancherlei Papieren ist ersichtlich, daß er nicht nur ein gründlich gebildeter und in seinem Fache eifrig fortstudirender, sondern auch ein sehr gewissenhafter Arzt war. Es finden sich darunter, neben Auszügen aus medicinischen Schriften und Uebersichten der neusten medicinischen Litteratur, auch Tagebücher und Beschreibungen von Krankheiten, die in seiner Praxis vorgekommen waren, und eigne Aufsätze über verschiedene medicinische Gegenstände. Auch erfand er ein Digestivpulver, das sich als sehr wirksam erwies und besonders nach seinem Tode eine ziemlich weite Verbreitung fand und dadurch seiner hinterlassnen Wittwe einige Beihülfe zu ihrer Subsistenz gewährte.

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Aber auch in jeder andern Beziehung war er ein durchaus trefflicher Mann. Sehr anziehend ist durch seine Schlichtheit und Innigkeit der noch vorhandene erste Brief, den er an seine nachmalige Gattin nach der empfangenen Nachricht von ihrem Jawort richtete. Von meinen Tugenden," sagt er darin, indem er auf seine eigne Person kommt, „kann ich Ihnen nichts sagen; darauf aber bin ich stolz, daß mein Herz so empfindet und denkt, wie mein Mund spricht, und daß ich weder einer Verstellung noch einer schlechten Denkungsart fähig bin.“ Damit völlig übereinstimmend, aber seine trefflichen Eigenschaften in viel ausgedehnterem Maaße anerkennend ist die Characteristik, welche unmittelbar nach seinem leider zu früh erfolgten Tode in dem sechsten oder Junistück des damals stark gelesenen Journals von und für Deutsch

land von 1784 erschien. Es heißt daselbst S. 610: „Hier (in Quedlinburg) starb am 16. Junius der fürstliche Leibarzt Dr. Friedrich Wilhelm Ritter an einem hißigen Nervenfieber im achtunddreißigsten Jahre seines Alters. Er hinterläßt eine junge Wittwe und sechs Kinder, eine Tochter und fünf Söhne. Die ganze Stadt beweint den Verlust des Rechtschaffenen, der auch kein Kind beleidigte. Er verdiente diesen Namen, der Rechtschaffene, der mit soliden philosophischen und medicinischen Kenntnissen eine aufrichtige, fromme aber stille Tugend verband, und wo er zu seinen leidenden Brüdern gerufen wurde, nicht nur ächte Grundsäge der Wissenschaft, sondern auch sein Herz mitnahm und stets nach Menschenliebe und Gewissen handelte. Sein edelster Character war der, daß er schlechte, niedrige, feindselige Behandlungen großmüthig ertrug, und sich nie zu rächen suchte, auch nicht einmal gern davon sprach, sondern als rechtschaffener Mann sich seiner guten Absichten bewußt immer grade, ohne Schleichwege, seinen Gang fortsette. Als Gatte, Vater und Freund hatte er wenige seines Gleichen, und nur diejenigen wissen ihn zu schäßen, die ihn gekannt haben und seinen Verlust noch mit blutendem Herzen empfinden. In der Kinderzucht hatte er ungemein reife, geprüfte und durchdachte Kenntnisse, wie auch die Erfahrung an seinen wohlgezognen Kindern zeigt. Der Segen Gottes ruhe auf seiner ebenso rechtschaffenen, herzensguten Wittwe und seinen sechs noch unmündigen Kindern, daß sie ihren redlichen Vater, den Fürsten und Fürstinnen schäßten, die geschicktesten Aerzte hochachteten, Freunde liebten, und Feinde wider ihren Willen respectiren mußten, ähnlich werden. Seinem

Sarge folgte am 18. ein langer Zug vors Thor auf den St. Wiperti's Kirchhof, zweiundsechzig Freunde ohne Rangordnung, Räthe, Geistliche, Kaufleute, Bürger; zugleich aber viele Thränen der Hunderte aus den Fenstern und derer die nebenher giengen. So wurde ein Ahlemann in Hannover begraben. Und es muß doch für alle niederträchtige Seelen ein bittrer Stich sein, daß der Rechtschaffne auch nach seinem Tode unsterblich ist, und der Ruhm seiner Tugend in den Herzen aller derer, die sie zu schäßen wissen, ewig fortlebt, wenn jene im Augenblicke ihres Todes schon vergessen sind. Nun so lebe denn auch unter uns, unvergeßlicher Freund! Soll ich dir eine Grabschrift sehen, so sei es diese: Siehe ein rechter Israeliter, in welchem kein Falsch ist.“ Diese Characteristik wird noch vervollständigt durch einen Brief, den GutsMuths, welcher mehrere Jahre in dem Hause des Dr. Ritter als Erzieher seiner Kinder gelebt hatte, an den zweiten Sohn desselben, seinen Zögling, bei seinem zwölften Geburtstage 1786 in Schnepfenthal schrieb, worin er ihm das Bild seines verstorbnen Vaters als Muster vorstellt. ,,Dein Vater," heißt es darin,,, den du nie genug schätzen kannst, starb, und sein Tod ach ein unerseßlicher Verlust für mich und Dich! war Wohlthat für uns beide. Wie sich alles so wunderlich fügte, weißt du selbst! Segne also heute im Stillen seine Asche, und werde, was er war — eine vortreffliche Seele!"

Es wird mir herzlich schwer Ihn Dir als Muster aufzustellen; denn mein Herz empfindet dabei eine innere Bewegung wie das Herz eines verwaisten Kindes, das vor dem Bilde eines Vaters steht und es mit Thränen betrachtet."

,,Er war bei seinen vielen Kenntnissen nie prahlerisch, er ließ es kaum merken, daß er etwas wüßte; denn er war die Bescheidenheit selbst. Er war nie beleidigend oder auffahrend, weder gegen Personen von gleichem noch niedrigem Stande. Ich bin viele Jahre durch seinen Umgang glücklich gewesen und habe nie die mindeste Beleidigung, auch nicht einmal durch einen Blick erfahren. Er verstand die Kunst kleine Fehler zu übersehen und sich's gar nicht merken zu lassen, daß er sie sah; denn sein vortreffliches Herz schäßte an Jedem das Gute. Er war außerordentlich theilnehmend. Ach Gott wie viel habe ich durch seinen Tod verloren! Weißt Du wohl noch, wie oft der edle, vortreffliche Mann starr und betrübt vor sich hinblickte, wenn ein Kranker auf seine Hülfe hoffte und er sie ihm nicht verschaffen konnte? weißt Du es noch, wie er, so ganz der liebevolle Mann, an allen meinen kleinen Beschäftigungen Theil nahm? wie er meine Liebe zum Mahlen durch Theilnehmung begünstigte, sich über meine Kleinigkeiten freute und oft seinen natürlichen Geschmack verläugnete?“

„Er besaß Langmuth und Geduld im hohen Grade; daher war es ihm möglich, Beleidigungen und Unrecht und selbst das Böse seiner Verfolger mit einer Gelassenheit anzusehen, die Bewunderung erregte, zumal da er von Natur ein sehr rasches, hißiges Temperament hatte. Bescheidenheit, Nachgiebigkeit, Theilnehmung und sanft: müthige Geduld, siehe das sind einige Züge aus dem Character des edlen Mannes, der Dir das Leben gab 2c.“

Die in den beiden Schilderungen, namentlich der ersten so nachdrücklich erwähnten Anfeindungen beziehen sich

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