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fast sieben volle, höchst inhaltreiche Jahre, wenn auch mit einigen Unterbrechungen, gelebt hatte. Es würde ihm nicht leicht, sich von dem dort geführten, in völliger Freiheit der Wissenschaft gewidmeten Leben und manchem lieben Freunde, namentlich von Hausmann, der zu seiner großen Freude wenige Tage vor seiner Abreise aus Italien zurückgekehrt war, zu trennen.,,Heute ist nun der lezte Abend," schreibt er am 22. April an seinen Bruder,,, den ich hier zubringe! Heute Nacht 2 Uhr segle ich dem weiten Süden zu. Es ist mir etwas wehmüthig zu Muthe, wenn ich an den Wechsel der Dinge denke und an eine neue Welt, in die ich mich zu finden habe, da die alte, in der ich bis jetzt mich eingerichtet hatte, mir nicht unlieb geworden war und mich in der That viel mehr bereichert hatte, als ich je durch die kühnsten Hoffnungen hätte ahnden können. Mit Freuden sehe ich auf die hier verlebte Reihe von Jahren zurück, und dies ist mein größter Trost in dem Augenblicke, wo die Zukunft dunkel vor mir liegt, und nur die Vergangenheit der leuchtende Stern ist, der mich durch die neue Verwirrung hindurchgeleiten kann. Aber furchtsam werde ich doch nicht, weil mir, Gott sei Lob und Dank, immer fester in der Seele das Vertrauen sich eingewurzelt hat, daß unser Schicksal in Gottes Hand ruht, und daß wir ihm nicht entgehen und nicht zuvoreilen, und daß sie bisher Alles, Alles wohl gemacht hat. So wird denn auch die Zukunft vielleicht einen Seelenfrieden bringen, nach dem ich bisher vergeblich mich gesehnt, eine Sehnsucht, welche die Quelle meines innern Bewegens ist, dem ich bei scheinbarer äußerer Ruhe oft weniger gewachsen bin, als man glaubt."

Garl Mitter.

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Mein großes Glück ist es, daß die Erfahrungen der lezten zwei Jahre mich so abgehärtet haben gegen die Wendungen meines äußern Schicksals, daß dieses, es mag ausfallen wie es will, mich nun fürs erste nicht beunruhigen kann, wie es früherhin mich zerrissen hat. Sonst würde ich gegenwärtig in einem sehr leidenden Zustande sein. So ist dies aber nicht und ich bin ungemein frisch und wohlgemuth im Ganzen, wenn auch der Augenblick sein Recht verlangt.“ Zu den letzten Erquickungen hier an Ort und Stelle gehören mir die glücklichen Stunden, die ich mit bewährten Seelen verlebte, namentlich mit meinem Freunde Hausmann. Er ist gerade in diesen letzten Tagen von seiner großen italiänischen Reise zurückgekehrt und ich werde von Neuem des Schaßes inne, der mir durch seine Freundschaft geworden ist. Wir sind in diesen letzten Tagen fast unzertrennlich gewesen und durch unsere gegenseitigen Mittheilungen ist uns in der That eine neue Welt entstanden. Er hat auf seiner ganzen Reise mit rührender Liebe für mich und die Richtungen meiner Gedanken gesorgt, und wir haben wahrhaft herzliche Momente verlebt. Seine Beobachtungen der großen Natur gehören zu dem Erhabensten, was ich in dieser Art kenne." Wenn ihm so die Trennung von Göttingen nicht leicht wurde, so gieng er andrerseits der Zukunft, die vor ihm lag, freudig entgegen. „Ich bin nun gerüstet, in wenigen Tagen in Frankfurt einzutreffen," schreibt er einem Freunde;,, wenn ich lebhaft daran denke, meiner stillen Muße Lebewohl zu sagen, in der gerade jezt mein Weberschiffchen emsig, leicht, behende und begeistert hin- und herflog und wie von selbst den Weg finden gelernt hatte, so überfällt mich allerdings eine gewisse Wehmuth.

Wenn ich aber an das menschliche Leben denke, das doch noch etwas weiter greift, als das wissenschaftliche Leben, so freue ich mich wieder, aus einer gewissen Beschränkung heraustreten zu müssen, in der die Absonderung nach Außen fast unvermeidlich ist."

Und gewiß, was Göttingen für ihn sein konnte, das war erfüllt; es galt jetzt, die längst gesammelten, dort zur vollen Zusammenfassung und Ausprägung geführten geistigen Schäße auch in practischer Wirksamkeit zu verwerthen.

Frankfurt am Main.

Das Lehramt am Gymnasium. Die Verheirathung.
Die Uebersiedlung nach Berlin.

Am 24. April langte Ritter in Frankfurt an. Sein jüngster Bruder, der vor langen Jahren durch ihn dorthin gekommen und nun längst schon eingebürgert und verheirathet war, war ihm voller Freude, ihn nun auch wieder dort zu haben, entgegen gereist. In seinem Hause fand er die erste Aufnahme, und wie gern wäre er in dem friedlichen Stillleben seiner Familie geblieben! Allein das gestatteten die Verhältnisse nicht. Frau Hollweg hatte mit zuvorkommender Güte seine frühere Wohnung in ihrem Hause zurecht machen lassen, um ihn dort aufzunehmen, bis er eine ihm zusagende eigne Wohnung gefunden hätte.,,Ich fand dort Alles so wieder," schreibt er wenige Tage nach seiner Ankunft,,,wie ich es vordem im Jahr 1811 verlassen hatte. Sonderbare Erinnerungen knüpften sich hieran, wohlthätige kann ich nicht sagen. Viele Trauer überfiel mich bei dem Gedanken an so viel Verschwundenes, zumal in meinen nächsten Umgebungen, was ich vorher nie gefühlt hatte, weil ich da immer mit August hier gewesen war." Diesen jetzt nicht mehr dort zu finden, war ihm ein besonderer Schmerz. Mit ihm und seinem

andern jungen Freunde Sömmerring zusammen zu leben, war immer sein sehnlichster Wunsch gewesen, und großentheils deshalb hatte er gestrebt, in Frankfurt einen bleibenden Wirkungskreis zu gewinnen. Nun war dieser sein liebster Zögling und Freund durch mancherlei Umstände bestimmt worden, nach Berlin zu gehen und sich bei der dortigen Universität als Docent zu habilitiren. Wunderbar! diese scheinbar so weite Trennung ihrer Lebenswege sollte gerade dazu dienen, sie in Kurzem recht nahe zusammen zu führen.

Die ruhige Wohnung in dem bequemen Hause und die Sorge für alle feine Bedürfnisse, die er dort fand, war ihm wohl gelegen, doch dies befriedigte ihn nicht mehr, und er fühlte sich nicht einheimisch. Dazu trug die allerdings zerrissene und auf die Länge nicht zu ertragende Ordnung seines Lebens nicht wenig bei. Mittags aß er, falls er nicht an freien Tagen bei Freunden war, bei seinem Bruder, der fern von seiner Wohnung wohnte, weil dort zur Mittagsstunde gespeist wurde, wie es die Schulordnung forderte; Abends bei der Frau Hollweg oder bei Freunden. Genug, er hatte keine eigentliche Häuslichkeit. Dieser Zustand dauerte mehrere Monate, was ihm sehr unangenehm war.

Die nächsten Tage nach seiner Ankunft giengen mit Besuchen bei seinen zahlreichen Freunden und Freundinnen, die ihm alle mit der herzlichsten Freude entgegenkamen, sowie bei den Vorgesetzten und Collegen hin. Am 3. Mai trat er sein Amt an. Er hatte 15 Stunden fast ausschließlich Geschichte, von Prima bis Quarta, in der letzten Classe auch Geographie zu lehren, auf den ersten Blick eine nicht eben schwere Aufgabe. Und doch wurde sie ihm bei seiner außerordentlichen

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