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Wenige Tage nach diesem traurigen Ereigniß zog er wieder in seine frühere Wohnung auf dem großen Hirschgraben. Die Eltern seiner Zöglinge suchten ihm diese Veränderung durch verdoppelte Freundlichkeit, die sie ihm und seinem jüngsten, kurz vorher nach Frankfurt gekommenen und in das Bethmannsche Comptoir eingetretenen Bruder erwiesen, so wenig empfindlich als möglich zu machen. „Ich kann es wohl sagen," schreibt er,,,daß mich diese Güte recht innig gerührt hat, und es ist meinem Herzen ordentlich eine Wohlthat, daß Herr und Frau Hollweg so edel gegen mich_handeln, wie gegen keinen andern Menschen, daß sie in dem Umgange mit mir und meinem Bruder etwas Herzliches aus der harten Schaale ihres innern Menschen hervorleuchten lassen, das ich sonst gegen Niemand habe hervorstrahlen sehen. Am deutlichsten sah ich dies in ihrem Betragen gegen meinen Bruder; mit der größten zuvorkommendsten Güte haben sie ihn, wie mich in ihre Familie aufgenommen." Nichts desto weniger empfand er diese Veränderung als eine schmerzliche Störung des für die Leitung seiner Zöglinge entworfnen Plans. ,,So lebe ich," schreibt er nach einigen Monaten, wieder in dem elterlichen Hause, freilich auf einem andern Fuße wie sonst und auf Händen getragen, aber doch immer von Wellen umspült, die, wenn sie auch zurückprallen, doch anfeuchten und weglecken und wässerige Gesellen sind.“

Sehr bald nach diesem Ereignisse trat auch einer seiner jüngern Zöglinge, Sömmerrings Sohn, in das Gymnasium, doch nur für das Lateinische und Griechische; die übrigen Stunden behielt er bei Ritter mit dem jüngern Hollweg zusammen, der außerdem noch den lateinischen Unterricht bei

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jenem hatte. Das Griechische hatten beide noch nicht getrieben. Um sie rasch darin zu fördern, wurde eine Privatstunde bei Grotefend eingerichtet, an welcher Ritter selbst Theil nahm. So gehe ich nun täglich,“ schreibt er an Sömmerrings Vater,,,mit beiden Knaben, die sich durch diese herrliche Sprache gleichsam im Voraus belohnt fühlen, eine Stunde zu Grotefend, wo er ihnen auf eine vortreffliche Weise mit allgemeiner philosophischer Grammatik insbesondere die griechische erläutert, so daß wir jedesmal befriedigt und erfreut aus seiner Stunde gehen. Zu Hause wiederhole ich mit den Knaben, was sie in der Stunde hatten, mit Wilhelm besuche ich dann die griechische Stunde im Gymnasium, um auch da zu erfahren, worauf er sich vorzubereiten hat, und so kommen wir auf diese mannigfaltige Art so schnell weiter, daß wir bald alle andern, die schon seit längerer Zeit griechisch treiben, eingeholt und erreicht haben werden.“

Wenn er so sich nach wie vor der Beschäftigung mit seinen Zöglingen, namentlich den jüngern, die er mit jedem Tage lieber gewann, mit ganzer Seele widmete, so nahm er doch lebhaften Antheil an dem traurigen Gange der öffentlichen Angelegenheiten, die endlich in dem Frieden von Tilsit ihren jammervollen Abschluß fanden. Obwohl er persönlich nicht davon berührt wurde, so erfüllte er ihn doch mit tiefem Mißmuthe. Er beklagte tief Preußen, noch mehr um des allgemeinen Wohls willen, als weil es sein Vaterland war, wovon er ja nach der ganzen Entwickelung seines Lebens damals keine lebendige Empfindung haben konnte. Ich sehe einer politischen Vernichtung der Deutschen mit Wehmuth entgegen,“ schreibt er,,, denn ich verzweifle fast an dem Uebergewicht der

Macht der Ideen über die Gewalt der Faust. Haben nicht seit einem Jahre die Stimmführer der Geistescultur, der Volksbildung, die Muster deutscher Weisheit sich zu den elendesten Schmeicheleien herabgelassen und gebückt vor der Macht des Schwertes? Sie, die, wenn man denn nicht sprechen darf, wie es die Wahrheit erfordert, stumm hätten vorübergehen können vor der Geschichte des Tages! Und dies geschah im Norden von Deutschland, wo man sich so sehr rühmt, dem Süden vorangeeilt zu sein. - Thränen der innigsten, bittersten Wehmuth pressen sich aus meinen Augen bei dem Anblick der leidenden Menschheit, bei dem Anblick des Landes, an das ich durch meine Geburt, durch liebende Seelen und durch die Ideenwelt so innig geknüpft war! Ich habe gar kein zeitliches Interesse bei diesem Friedensschlusse verloren, aber das ewige ist mir Verlust für mein ganzes Leben, wenn es nicht Sporn ist einst noch Schweiß und Blut zu verlieren."

Frankfurt selbst, und vor allem das Hollwegsche Haus, war in dieser Zeit durch den Zusammenfluß der verschiedensten Menschen in Bewegung gesetzt. *) Der Fürst Primas trug nicht wenig dazu bei durch die Feste, mit denen der Abschluß des Friedens gefeiert wurde, durch die Organisation der Bürger zu Nationalgarden, Bürgermilizen, Schüßengesellschaf

*) Unter den Fremden, die in dieser Zeit in Frankfurt zusammenströmten, befand sich auch Prof. Dr. Niemeyer, der am 1. Juni dort eintraf, um als Geißel weiter nach Frankreich geführt zu werden. Er hielt sich einen Tag in Frankfurt auf und Ritter hatte die Freude, ihm hier, so wie auch später noch während seiner Gefangenschaft in Frankreich manchen Dienst leisten zu können.

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damit die Deutschen doch wenigstens den rechten Fleck, das Schwarze in der Scheibe treffen lernten, das sie bisher so ganz verfehlt hatten," wie Ritter mit bitterem Scherze schreibt! *) Dazu kamen manche andere tiefer greifende Maaßregeln und endlich ein Besuch des Kaisers, durch welchen die ganze Stadt mehrere Tage in die höchste Aufregung versetzt wurde.

All diesem Getreibe, das er mit bittern Gefühlen und innerm Widerwillen ansah, wurde Ritter im Anfang August durch die Ausführung einer schon längst projectirten Reise in die Schweiz entzogen. Er hatte sich auf das Trefflichste darauf vorbereitet durch das Studium von mehreren sehr schön in Gyps und Wachs nach den genauesten Höhen- und Längenmessungen gearbeiteten Basreliefs, welche Herr Hollweg aus Genf hatte kommen lassen. Sie stellten das Waadtland, den Montblanc mit seinen Nebenzweigen, den Gotthard und

*) Ich kann mir nicht versagen eine auf diese Feste bezügliche Stelle aus seinen Briefen ausführlich mitzutheilen: „Zur Erweckung des Patriotismus wurde ein Scheibenschießen gehalten. Der Fürst hatte zur Ausschmückung des Festes selbst seine Chatoulle geöffnet und 3000 Gulden zur Verherrlichung der Bürgerfreuden gegeben. Er selbst ließ sich herab, mit seinen Ministern die ersten Schüsse nach der Scheibe zu thun. Unglücklicherweise gieng aber die Büchse zu früh los und schoß durch das Dach des Schießhauses, als auf einmal der Hanswurst hinter der Scheibe hervorsprang und die Nachricht erschallte, der Fürst habe das Centrum getroffen nach der bekannten Maxime, daß sie alle schön, gütig sind, alle immer das Schwarze treffen. Der Donner der Kanonen verkündete der jubelnden Menge die Wunderthat. Unter diesen Spielereien, zu denen die ganze Stadt wallfahrtete, als sei auch gar nichts daheim zu besorgen, verstrichen nahe an 14 Tage. Wie beliebt hatte sich der Fürst dadurch beim Volke gemacht!“ Einige weitere Mittheilungen über die Vorgänge jener Zeit in Frankfurt s. im Anhange.

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Simplon vor. Alle diese Puncte sollten besucht, bis Mailand vorgedrungen und dann auf dem Rückwege Iferten und das Institut Pestalozzi's, nach dessen Bekanntschaft er sich längst sehnte, kennen gelernt werden. Die ganze Reise war auf zwei Monate berechnet. Er freute sich sehr darauf , aber mehr noch,“ schreibt er,,,für meine Kinder, als für mich freut mich diese Reise in die große erhabene Natur: ich hoffe, daß sie das Innerste ihrer Seele durchdringen, sie stimmen soll für das Erhabene und Schöne in der äußern Schöpfung, und mit Liebe und Andacht ihr Gemüth erwärmend sie entflammen soll für das Wahre und Gute."

Er reiste den 9. August mit der Frau Hollweg, ihren Söhnen und ihrer jüngern Tochter ab, und der entworfne Plan wurde ohne Störung glücklich ausgeführt. Diese Reise gewährte ihm, obwohl er sich nicht so frei auf derselben bewegen konnte, als er wohl gewünscht hätte, eine Fülle von neuen und erhabenen Eindrücken, die er mit der ihm eigenthümlichen und nun schon auf die mannigfaltigste Weise entwickelten Empfänglichkeit aufnahm. Natur, Menschenleben und Kunst waren in gleichem Maaße der Gegenstand seiner aufmerksamsten und lebendigsten Beobachtung, die er durch ein sorgfältig, wenn auch aphoristisch geführtes Tagebuch zu fixiren suchte; zugleich ließ er, nach der in früherer Zeit bereits auf den von Schnepfenthal aus gemachten Reisen angenommenen Gewohnheit, keine Gelegenheit vorüber gehen, sich eine möglichst genaue Kenntniß der natürlichen und historischen Verhältnisse des Landes durch sorgfältige Durchmusterung darauf bezüglicher Sammlungen und Besuche der hervorragendsten wissenschaftlichen Persönlichkeiten zu verschaffen. Die

Carl Ritter.

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