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Sitzungsberichte

der

königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.

Philosophisch-philologische Classe.

Sitzung vom 3. November 1894.

Herr N. Wecklein hielt einen Vortrag:

„Die Kompositionsweise des Horaz und die epistula ad Pisones."

Die Originalität des Ausdrucks findet Horaz in der geschickten Verbindung der Worte: dixeris egregie, notum si callida verbum reddiderit iunctura novum A. P. 47, vgl. 242 tantum series iuncturaque pollet, tantum de medio sumptis accedit honoris (d. i. so sehr werden durch die Aneinanderreihung und Verbindung die der Sprache des gewöhnlichen. Lebens entnommenen Ausdrücke geadelt). Ebenso empfiehlt Horaz dem Dichter, bei der Wahl eines von mehreren behandelten Stoffes die Originalität sich durch die besondere und ungewöhnliche Anlage und Anordnung zu wahren: publica materies privati iuris erit, si non circa vilem patulumque moraberis orbem, ebd. 131. Solchen Grundsätzen entsprechend wendet Horaz in den Sermonen der Anordnung des Stoffes und der Einkleidung und Verknüpfung der Gedanken besondere Aufmerksamkeit zu und erblickt hierin eine Hauptaufgabe seiner Kunst. Dieser Vorzug gibt sich am deutlichsten zu erkennen

1894. Philos.-philol. u. hist. Cl. 3.

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in den drei Sermonen, welche das gleiche Thema behandeln: Das Glück des Menschen liegt in der Beherrschung der Leidenschaften (perturbationes animi), in der Seelenruhe (aequus animus)", epist. I 2, 6, 10. Um zunächst von I 6 zu sprechen, so lässt sich die ganze Epistel als eine poetische Wiedergabe dessen betrachten, was Horaz aus der Lektüre von Ciceros Tusculanen oder einer ähnlichen Schrift sich angeeignet hatte; V. 1-8 falsa opinio bonorum, 9-11 falsa opinio malorum, 12-14 die aus der falsa opinio boni vel mali praesentis vel futuri hervorgehenden vier perturbationes animi: laetitia gestiens, cupiditas, aegritudo, metus (gaudeat an doleat, cupiat metuatne). Darauf folgt der Gedanke: Wenn man selbst in dem Streben nach inneren Vorzügen Mass halten soll (um nicht die Ruhe der Seele darüber zu verlieren), um wie viel weniger darf man sich den Gleichmut durch das Streben nach äusseren Gütern stören lassen, die vergänglich sind." Nach diesem ersten Teile (1-27) leitet der Gedanke man muss, was man als richtig erkannt hat, ernstlich ins Werk setzen, man muss also, wenn man das Glück des Lebens in der Tugend findet, sich der Tugend widmen, wenn in äusseren Gütern, nach diesen streben" zu dem zweiten Teile der Epistel über, in welchem die gewöhnlichen Bestrebungen der Menschen (avaritia, ambitio, luxuria, voluptas) scheinbar so behandelt werden, als wollte der Dichter gar nicht die im ersten Teile dargelegte Anschauung aufrecht erhalten, sondern der gemeinen Auffassung Rechnung tragen und die besten Mittel und Wege zur Erreichung des Erstrebten angeben. Aber diese Mittel werden in einer Weise ausgeführt, dass das Unselige oder Verabscheuungswürdige solcher Lebensweise lebhaft vor Augen tritt: Wer Reichtum für das höchste Gut hält, der hat weder Ruhe noch Rast, weil er niemals genug bekommen kann. Denn wer nicht so grossen Ueberfluss hat, dass er seinen Besitz gar nicht kennt, damit doch auch die Diebe

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etwas davon haben,1) der muss als arm erklärt werden." „Wenn du dem Ehrgeiz frönst, musst du dich der gemeinen und charakterlosen Mittel bedienen, welche dir Ehrenstellen verschaffen, musst dich vor dem elendesten Spiessbürger in den Staub werfen (trans pondera)." Diejenigen, welche der Gaumenlust ergeben sind, werden lächerlich gemacht und mit den Gefährten des Odysseus verglichen, welche dem Essen die Heimkehr ins Vaterland zum Opfer brachten. Scheinbar wird über diejenigen, welche nichts Höheres als Liebesgenuss kennen, nichts bemerkt:

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si Mimnermus uti censet, sine amore iocisque
nil est iucundum, vivas in amore iocisque.

Aber in dem folgenden vive, vale ist vale besonders zu betonen: bleibe gesund dabei". Die Beziehung wird durch vive nach vivas deutlich gemacht.") Die Epistel zerfällt also in zwei Teile, von denen scheinbar der zweite das Gegenteil von dem verlangt, was der erste lehrt. Unrichtig ist die Bemerkung von Kiessling: „Dass von den fünf Arten von Thoren, welche hier aufgeführt werden, die erste und letzte, die Tugendsimpel und diejenigen, welche in den Armen der Liebe und in heiterer Geselligkeit das recte vivere zu finden hoffen, ohne Beimischung schärferen Spottes gezeichnet werden, ist begreiflich." Von Tugendsimpeln ist nicht im entferntesten die Rede, wie die Angabe Kiesslings plagt euch meinetwegen ab im Hetzen sei es nach Tugend" eine falsche Auffassung von V. 30 f. verrät. Die Vermittlung geben die

1) Diese scherzhafte Wendung bezeichnet schlagend das Unnütze solchen Ueberflusses. Seltsam nimmt sich die Bemerkung aus, welche L. Müller zu prosunt furibus (46) macht: „Der Gedanke entspricht den Anschauungen des auf höhere Güter verzichtenden Lebemenschen, der, weil er selbst das Geld nimmt, wo er es findet, auch andere leben lässt."

2) Schon diese Beziehung muss uns abhalten, mit Ribbeck

V. 67 f. von V. 66 loszureissen.

V. 28-31. In der zweiten Epistel wird dem Gedanken den Leidenschaften, den Krankheiten der Seele, welche noch mehr als körperliche Krankheiten jeden Genuss des Lebens vergällen, muss man rechtzeitig entgegenwirken, damit nicht unheilbare chronische Krankheiten daraus werden" eine Homerische Partie vorausgeschickt, welche beginnt, als sollte die ganze Epistel von Homer handeln: In der Sommerfrische habe ich wieder einmal den Homer gelesen, welcher ein besserer Lehrer der Ethik ist als unsere grössten Philosophen. Zeigt uns die Ilias, welche schädlichen Wirkungen aus der Leidenschaft hervorgehen, so lernen wir andrerseits aus der Odyssee, welche heilsamen Folgen die Beherrschung der Leidenschaft hat. Sehr schön wird der Uebergang vom ersten zum zweiten Teile mit Homerischen Reminiscenzen und Wendungen gewonnen, welche den Gedanken ausdrücken: „Trotzdem leben wir so in den Tag hinein und denken nicht an unsere sittliche Vervollkommnung“ (27-31). In der 10. Epistel, welche sich als Lob des Landlebens ankündigt, wird zunächst die Natürlichkeit und Einfachheit der ländlichen Verhältnisse dem Zwang und der Unnatur des Stadtlebens entgegengesetzt. Wieder wird durch einen von diesem Thema entlehnten Gedanken der Uebergang zum zweiten Teil gewonnen: Man pflanzt zwischen den bunten Säulen der Stadthäuser ein Wäldchen und lobt ein Haus, welches eine weite Aussicht auf das Land hat. So bricht die Natur durch (und erkennt man, wie man leben muss, wenn man naturgemäss, also richtig leben will). Wer in dieser Beziehung das Wahre vom Falschen nicht zu unterscheiden versteht, erleidet den empfindlichsten Schaden (d. i. kann nicht glücklich werden)" (22-29). Der zweite Teil handelt wieder von der falsa opinio bonorum (si quid mirabere 31) und den daraus hervorgehenden perturbationes animi, laetitia gestiens (quem res plus nimio delectavere secundae 30) und cupiditas (avaritia, ambitio) und führt besonders den Gedanken aus,

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dass nur derjenige, der nicht an äussere Güter sein Herz hängt, seine innere Freiheit und Zufriedenheit bewahrt. Alle drei Episteln also zerfallen in zwei Teile, welche durch eine vermittelnde Partie in Zusammenhang gebracht werden.1)

Das Streben nach Neuheit der Anordnung führte dazu, nicht in gewöhnlicher Weise von dem Thema auszugehen, sondern irgend einen Punkt der Ausführung herauszugreifen und an den Anfang zu stellen. Was A. P. 148 von dem Dichter gefordert wird: in medias res non secus ac notas auditorem rapit, das bringt Horaz in gewissem Sinne auch bei den Sermonen in Anwendung. Wir haben oben gesehen, wie der Anfang von epist. I 2 den Eindruck macht, als solle von der Philosophie des Homer die Rede sein, während die Beherrschung der Leidenschaften das Thema bildet. Zu diesem Thema bietet das, was aus Homer angeführt wird, nur das zur Argumentation dienende Beispiel. Sehr überraschend ist der Eingang von sat. I 3 omnibus hoc vitium est cantoribus etc. Die intolerante Gesinnung gegen Schwächen der Freunde, welche in dieser Satire bekämpft wird, tritt uns in einem Musterbeispiel, welches freilich nur als scherzhaft aufgefasst werden darf, lebhaft vor Augen. In dem Brief an Mäcenas (I 1) wird das Streben nach sittlicher Vervollkommnung als Anfang aller Weisheit den niedrigen, grundsatzlosen und launenhaften Bestrebungen der gewöhnlichen Menschen gegenübergestellt. Der Dichter beginnt mit der Ablehnung einer Aufforderung zum Dichten. Die Be

1) Diese Beobachtung wird zerstört durch Ribbecks Annahme, dass X 26-41 nach VI 66 einzusetzen und VI 17-27 vor VI 67 umzustellen seien. Aber Ribbecks Umstellung widerlegt sich schon durch die Beobachtung, dass i nunc in VI 17 bei dieser neuen Ordnung den richtigen Sinn verliert und dass der Gedanke von VI 15 f. nunmehr in der Luft schwebt, da er ohne den folgenden, welcher weggenommen ist, gar nicht in den Zusammenhang passt.

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