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deutsche König Karlmann, der 875 dem Oheim vergebens den Rang in Italien abzulaufen gesucht, das Kloster S. Cristina im April 879 ausdrücklich in seinen Schutz nahm, ihm Immunität und Besitz bestätigte und es neu beschenkte,55) reimt sich nicht nur vollkommen mit jener Annahme, sondern hilft auch die Thatsache erklären, dass von päpstlicher Verfügung über dasselbe später trotz der in den Pacten fortgeführten Notiz keine Spur vorhanden ist.56)

Was nun Johann VIII. mit der Aufnahme des Passus aus der Vita Hadriani ins Pactum eigentlich, oder doch zunächst bezweckt habe, ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich wohl überhaupt eine historische Aufbesserung der rechtlichen Basis päpstlicher Territorialansprüche, mit deren Restauration. er, wie berührt, auch sonst beschäftigt war. Dass Corsica dabei materiell eine besondere Rolle gespielt, möchte ich nicht gerade behaupten. Allerdings haben wir gesehen, dass die karolingischen Beziehungen zu der Insel damals thatsächlich gelöst, die päpstlichen dagegen noch lebendig waren, sodass ein derartiges Motiv für die an allen anderen Punkten nicht recht greifbare Schenkung oder besser: vermeinte Neubestätigung immerhin möglich ist. Jedenfalls gab der Name der Insel formell schon damals, wie hernach bei der Fälschung im Ludovicianum, den Leitfaden ab, um den Ort für die Einfügung des neuen Passus auszumitteln. War die

55) Mühlbacher, Reg. Karol. nr. 1498.

56) Doch ertheilt gerade Johann VIII. selbst noch im Oktober 879 dem Abte Gisulf persönlich einen kirchlichen Auftrag; Jaffé-Wattb. nr. 3301. Die Aussteller der späteren Pacten von 891 und 915, Wido und Berengar können die Schenkung von S. Cristina an Rom nicht vollzogen haben, da sie über die Abtei direkt anders verfügten; was von Wido gilt, trifft natürlich auch Lambert, der das Pactum von 898 schloss. Die gedankenlose Bestätigung der Schenkung in den Pacten durch diese und die folgenden Kaiser hat dagegen nichts Auffallendes.

Restitution des dortigen Patrimoniums vor 846 wirklich erfolgt, so hätte schon im Pactum von 850 ein etwaiger Zusatz, wie sicut tempore apto a missis nostris definietur, fortfallen und in der Vorlage von 875 nichts weiter zu finden sein müssen, als ungefähr die Worte: et insulae Corsicae patrimonium ad potestatem et ditionem vestram pertinens. Ueberredete Johann den zweiten Karl d. Gr., dass statt dessen passend die dunkel vielsagende Wendung itemque a Lunis cum insula Corsica u. s. f. aus den römischen Gesten herüberzunehmen sei, so musste man aus diesem ungeschlachten Satzgefüge freilich einen eigenen Paragraphen construiren. Indem dabei das präcise per designatum confinium durch ein leichtfertiges itemque ersetzt ward, erschien die uralte Idealgrenze von 754 beinahe wie eine blosse Schnur von Einzelschenkungen in Oberitalien; da fand denn auch die Abtei S. Cristina am Po in demselben Abschnitt mit dem Kloster Berceto auf dem Appennin ein angemessenes Unterkommen. Zugleich ward natürlich das patrimonium insulae Corsicae im tuscischen Paragraphen gestrichen, und die Pertinenzformel rückte einen Schritt hinauf, nicht ohne dabei redaktionellen Schaden zu erleiden; wie denn überhaupt mit dem Akt dieser Aenderung die kanzlistische Barbarei in den anwachsenden Theil der Pacten eindringt, um darin bis zur ottonischen Reform von 962 zeitgemäss zu walten.

Wie dem auch sei, ein reeller Vortheil in Bezug auf Corsica ward durch die Einschaltung der alten Zeilen pippinischen Angedenkens ins Pactum der Kaiser und Päpste für die letzteren nicht erreicht. Gregor VII. zog allerdings aus dieser Thatsache seine Folgerung, aber er hätte wohl Corsica, wie Sardinien, auch ohne solche Handhabe an sich gezogen. Immerhin stehen beide Inseln in der Schenkungsgeschichte einander lebhaft contrastirend gegenüber Sardinien geht in dieselbe erst aus dem gregorianischen Ideenkreise, und auch da nur mittels Betruges ein; Corsica

dagegen hat darin von Pippin bis auf Karl d. K. wenigstens auf dem Pergament eine Reihe wechselnder Schicksale durchlebt.57)

57) Nach Abschluss des Satzes erhalte ich die Ende Juli veröffentlichte Schrift von Gustav Schnürer: „die Entstehung des Kirchenstaates". Auch sie schliesst sich, unter Ablehnung der Ansicht Schaube's, der Kehr'schen Hypothese über die Promissionen von Kiersy und Rom an und sucht dieselbe ebenfalls durch eigene Bemerkungen zu stützen. Für Corsica und Sardinien ist aus dem Buche Schnürer's, das die Schenkungsgeschichte nur bis 781 verfolgt, nichts erhebliches zu entnehmen.

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Wiederholt ist in neuerer Zeit die Wahl des grossen Staufenkaisers Gegenstand kritischer Untersuchung gewesen. Anfangs der 70er Jahre haben Wetzold1) und Prutz,2) später Giesebrecht,3) Carl Peters,) Hasse) und Andere sich mit dem Thema abgegeben; und eben während ich mit den Vorarbeiten zu dieser Untersuchung beschäftigt war, hat Jastrow jüngst einen lehrreichen Aufsatz darüber veröffentlicht.") Gerade dieser überhebt mich bei seiner Ausführlichkeit der Mühe, die Ansichten der genannten einzelnen Forscher nochmals hier im Detail wiederzugeben und alle die einschlägigen Stellen zu citieren.

1) Die Wahl Friedrich I. 1872.

2) Kaiser Friedrich I. Bd. I. S. 399 u. ff.

3) Geschichte der deutschen Kaiserzeit. Bd. IV. (2. Bearb.) S. 499 u. ff.

4) Die Wahl Kaiser Friedrichs I. (in den Forschungen zur deutschen Geschichte" Bd. XX S. 453 u. ff.)

5) Die Erhebung König Friedrich I. (in den „Historischen Untersuchungen, Arnold Schäfer... gewidmet". 1882.)

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6) Die Welfenprozesse und die ersten Regierungsjahre Friedrich Barbarossas" (in der „Deutschen Zeitschrift für Geschichtswissenschaft" Bd. X. S. 71 u. ff. und 269 u. ff.).

Worum es sich dabei abgesehen von der Frage nach dem Datum der Wahl handelt, ist bekanntlich in Kurzem Folgendes: Inwieweit ist dem Berichte Otto's von Freising über die Wahl Friedrichs Glauben zu schenken? insbesondere: Ist Friedrich Rothbart von seinem Oheim, dem sterbenden König Konrad III., wirklich zum Nachfolger statt dessen eigenen kleinen Sohnes designiert worden? Oder ist dies nur hinterdrein von Friedrich und seinen Anhängern, der staufischen Partei, erfunden worden?

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Während Peters trotz mancher Bedenken eigentlich doch an dem Verzicht" Konrads festhält, ist namentlich Hasse zu viel radikaleren Ansichten gelangt. Ihm ist der letzte Wille Konrads fingirt", die Erhebung Friedrichs eine tumultuarisch verlaufende, geradezu ein Staatsstreich gewesen. Und dieser Meinung pflichtet Lindner in seinem neuesten Buche 1) ausdrücklich insoweit bei, dass er sagt: Im Grossen und Ganzen erscheint die Wahl Friedrichs als Parteisache oder als Staatsstreich", was allerdings nicht ganz klar ausgedrückt ist. Denn Lindner wird wohl nicht sagen. wollen, dass, wenn Friedrichs Wahl eine Parteisache war, sie zugleich einen Staatsstreich bedeutete. Lindner's Vorgänger, Maurenbrecher,2) dagegen fällt über Hasse das Urtheil, dass er in der Anzweiflung der Ueberlieferung weiter gehe, als es ihm erlaubt erscheine.

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Jastrow, der ebenfalls von einem Vermächtniss" Konrads über die Nachfolge Friedrichs nichts wissen will, sondern die Wahl vor Allem der politischen Geschicklichkeit und vermittelnden Thätigkeit Friedrich Rothbarts zuschreibt, hat sich mit Hasse's Aufstellungen nicht weiter abgegeben;

1) Die deutschen Königswahlen und die Entstehung des Kurfürstenthums (Leipz. 1893) S. 57.

2) Geschichte der deutschen Königswahlen vom 10. bis 13. Jahrhundert (Leipz. 1889) S. 166.

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