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Am 4. November 1893 starb zu Breslau der Geh. Regierungsrat Richard Röpell, Professor der Geschichte an der dortigen Universität. Er gehörte seit 1876 als auswärtiges Mitglied unserer Akademie an.

Sohn eines Rechtsanwalts, geboren zu Danzig am 4. November 1808, erhielt er seine gelehrte Erziehung am Gymnasium seiner Vaterstadt, von wo er 1830 zum Studium der Philologie und Geschichte nach Halle gieng. Dort durch Leo für die historischen Studien gewonnen, war er schon 1832 im Stande, eine Schrift urkundlicher Forschung, die Grafen von Habsburg, erscheinen zu lassen. In Berlin wurde er ein eifriger Schüler Rankes. 1834 nach Halle zurückgekehrt, habilitierte er sich als Dozent der Geschichte mit einer Schrift über den Verrat Wallensteins. Auf Friedrich Perthes Aufforderung unternahm er eine Geschichte Polens für die Heeren -Ukert'sche Sammlung. Der erste Band erschien 1840 und fand allgemeine Anerkennung. In Folge des ward er 1841 als ausserordentlicher Professor der Geschichte an die Hochschule zu Breslau berufen.

Hier liess er die Fortsetzung der Geschichte Polens fallen, die später in andere Hände übergegangen ist. Es galt ihm, neben dem hochberühmten Meister Stenzel sich eine Stellung an der Universität zu schaffen, und dies gelang, indem er alle Kraft auf seine Vorlesungen wandte. Der Erfolg führte zu anderen Vorlesungen für ein reiferes Publikum und er gewann auch hier den Ruhm der Meisterschaft in klarem und gewandtem, geist- und kenntnissreichem Vortrag. Dann führte ihn sein Talent als Redner und Politiker in das Erfurter Parlament, auch in den preussischen Landtag, später ins Herrenhaus. Auch in den städtischen Angelegenheiten war er als Stadtverordneter tätig. Er vernachlässigte darum keineswegs die historischen Studien. Neben seiner fortdauernden hervorragenden Tätigkeit an der Universität hat er der Gesellschaft für vaterländische Cultur und

nach Stenzels Tod dem Verein für Schlesische Geschichte eine Reihe von Jahren aufopfernde Mühe gewidmet, und eine nicht geringe Anzahl schriftstellerischer Leistungen zeugt von seiner eingehenden und fruchtbaren Beschäftigung mit allgemeiner Geschichte, wie die glänzende Studie über die orientalische Frage in ihrer geschichtlichen Entwickelung 1774-1830, oder mit spezifisch preussischen Fragen wie seine Arbeiten über die Jahre 1806-1812. Auch zu Polen kehrte er zurück, in seinem bedeutenden Buch über Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Aber zu grossen und umfassenden Arbeiten ist er nicht mehr gelangt. Dagegen blieb er, von seiner Ernennung zum ordentlichen Professor 1855 nach Stenzels Tod bis in sein hohes Alter, fast vierzig Jahre lang, Haupt und Mittelpunkt, Anreger, Förderer und Führer der historischen und verwandten Studien für die jüngeren Kräfte der Universität und der Schlesischen Hauptstadt.

Nekrolog Röpells von E. Reimann in der Zeitschrift

für Geschichte und Alterthum Schlesiens, Band 28. 1894.

Am 16. Dezember 1893 starb zu Montreux Sir Robert Burnett David Morier, Englischer Botschafter zu Petersburg; seit 1876 auswärtiges Mitglied der Akademie.

Geboren 1826, war er seit 1852 in diplomatischem Dienst beschäftigt, und zwar in Deutschland mit kurzen Unterbrechungen bis 1876, zuletzt in München; dann wurde er Gesandter Grossbritanniens in Lissabon, Madrid und Petersburg. Während seines langen Aufenthaltes in Deutschland wurde er ein Kenner der deutschen Zustände und machte sich vertraut mit deutscher Literatur und Wissenschaft. Er wurde ein Freund Deutschlands. Namentlich schloss er sich mit Vorliebe den gelehrten Kreisen an. Auf Grund seiner Schrift Local government considered in its historical development in Germany and England, welche eine vergleichende Darstellung der alten deutschen und englischen Verfassung

und ihrer späteren Entwicklungen unter dem Gesichtspunkt der Selbstregierung gibt und bis zu den Zuständen und Reformen der Gegenwart führt, beantragte der Rechtshistoriker Paul von Roth seine Wahl zum auswärtigen Mitglied der Akademie.

Am 17. Dezember 1893 starb zu Zürich Georg von Wyss, Professor der Geschichte an der dortigen Universität. Seit 1875 war er Correspondent, seit 1886 auswärtiges Mitglied der Akademie.

Er gehörte einer alten Züricher Familie an: sein Vater war der Bürgermeister David von Wyss. Er ist geboren am 31. März 1816 zu Zürich. Von dem Gymnasium der Vaterstadt gieng er zum Studium der Mathematik und Physik auf die Universitäten Zürich, Genf und Berlin. Durch den Umschwung vom September 1839 zur Politik geführt, trat er in der Presse für die conservative Partei in die Schranke, wurde Sekretär des grossen Rats und 1842 zweiter Staatsschreiber. 1847 zwang ihn die unterdes eingetretene Aenderung der politischen Lage, ins Privatleben zurückzutreten. Die politische Beschäftigung hatte ihn zur Geschichte seiner Vaterstadt und mit ihr zur Geschichte der Schweiz überhaupt geführt, und diese blieb fortan seine Hauptsorge und wurde der Hauptinhalt seines Lebens. 1850 habilitierte er sich als Privatdocent an der Universität, 1851 begann seine Geschichte der Abtei Zürich, die man wohl als sein Hauptwerk bezeichnen darf, zu erscheinen. Für die von der Cantonsregierung über Gebühr verzögerte Beförderung erst 1870 wurden ihm die vollen Rechte eines ordentlichen Professors der Schweizergeschichte zugesprochen entschädigte ihn die Anerkennung der Fachgenossen, die ihn schon 1854 zum Präsidenten der allgemeinen geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz erhoben und bis zu seinem Tod, vierzig Jahre lang, in dieser Stellung erhielten.

Niemand hat je bescheidener von der eigenen wissenschaftlichen Bedeutung gedacht als Georg von Wyss: er hat sich stets unterschätzt. In zahlreichen, gründlichen und gutgeschriebenen Arbeiten hat er sich als den besten Kenner der Schweizergeschichte erwiesen. Als Repräsentanten der historischen Wissenschaften in der Schweiz hat ihn Waitz zum Nachfolger Wackernagels in der deutschen historischen Commission vorgeschlagen. Aber allerdings liegt seine Bedeutung nicht so sehr in dem, was er schrieb, als in dem, was er war. Fromm und liebreich, überall hilfbereit, seinem Vaterland so warm ergeben, dass er alles Widrige im öffentlichen Leben wie eine Wunde am eignen Leib empfand, pflichtgetreu bis zur Selbstvergessenheit, heiter und weise, waltete er unter seinen Landsleuten und Fachgenossen, Welschen und Deutschen, wie ein Vater. Im Tode hinterlässt er, sagt sein Genfer Freund, in allen Herzen ein tiefes Gefühl ehrerbietiger und kindlicher Zuneigung.

Zum Andenken an Professor Dr. G. von Wyss und dessen Gattin, Zürich 1894, insbesondere Rede von Gerold Meyer von Knonau; und das „Nachwort". George de Wiss, Simples notes par Pierre Vaucher, Genf 1894. von Weech, G. von Wyss, in der Beilage der Allgem. Zeitung 1894, 20. März.

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Philosophisch-philologische Classe.

Sitzung vom 5. Mai 1894.

Herr von Christ legt eine Abhandlung des Herrn Dr. Menrad vor:

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Ueber die neuentdeckten Genfer Homerfragmente und den Wert ihrer Varianten."

Jules Nicole, der sich durch die Herausgabe der Iliasscholien des codex Genevensis 44 auf dem Gebiete der Homerlitteratur ein beachtenswertes Verdienst erworben hat, veröffentlicht in der 1. Lieferung des 18. Jahrganges (1894) der Pariser Revue de Philologie einige für die Genfer Bibliothek angekaufte ägyptische Papyri mit mehr oder minder vollständig erhaltenen Homerfragmenten, deren Entdeckung schon Ende vorigen Jahres sensationell durch die Tageblätter lief. Sie gehören den Gesängen A, 4, 2, 4, M, y an und sind von J. Nicole mit rühmenswerter Akribie in Hinsicht auf paläographisches Detail und Hervorhebung der von der Vulgata abweichenden Lesarten behandelt; besondere Anerkennung verdient seine Geschicklichkeit und Findigkeit in der Rekonstruktion mehrerer nur in unscheinbaren Bruchstücken erhaltener, bisher völlig unbekannter Verse. Im übrigen begnügte sich Nicole mit der exakten Darstellung des Thatbestandes und fällt nur hie und da ein Urteil über Wert oder Unwert der neuen Varianten sowie der neuen Verse, 1894. Philos.-philol. u. hist. Cl. 2.

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