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emanzipirende Vater vor allen übrigen Kognaten zur Tutel berufen wird, während er nach der anderweiten Ansicht mit allen denen konkurriren würde, die mit ihm zusammen zur Erbfolge berufen werden, also namentlich mit der Mutter und den Brüdern des Emanzipatus. Während also die Mutter nach der ausdrücklichen Vorschrift Justinian's alle Seitenverwandten ausschließt, und namentlich den Brüdern des Unmündigen vorgeht, soll dieser lezten Ansicht zufolge der Vater ein schwächeres Recht haben, und sich die Konkurrenz dieser Brüder gefallen lassen müssen!

c) Richterliche Bestimmung.

§. 268.

Inst. I. 20. de Atiliano tutore et eo, qui ex lege Julia et Titia dabatur; Dig. XXVI. 5. de tutoribus et curatoribus datis ab his qui jus dandi habent, et qui et in quibus causis specialiter dari possint; XXVI. 6. qui petant tutores vel curatores et ubi petantur; Cod. V. 31. qui petant tutores vel curatores; V. 32. ubi petantur tutores vel curatores; V. 34. qui dare tutores vel curatores possunt et qui dare non possunt. Glück XXIX. S. 400 fgg., Rudorff I. S. 338 fgg., Dirksen, das Atilische Gesetz; in dessen verm. Schriften I. Nr. 1.

Anm. Ein tutor dativus (über die frühere Bedeutung dieses Wortes vgl. Gai. I. 154, Ulp. XI. 14) wird nach Justinianischem Recht in folgenden Fällen ernannt:

1) Wenn gar kein anderer Tutor, weder testamentarius noch legitimus vorhanden ist. Dies ist der regelmäßige Fall, welchen auch hauptsächlich die lex Atilia und die leges Julia et Titia im Auge hatten, Gai. I. 185, Ulp. XI. 8. pr. J. h. t., Theoph. ad h. 1.

2) Wenn zwar einem testamentarius oder legitimus die Tutel deferirt ist, dieser aber wegen einer excusatio necessaria ausgeschlossen, 1. 17. de tutelis (26, 1), l. 10. §. 7. de excusat. (27, 1), l. 9. §. 1. de tut. et rat. distr. (27, 3), oder durch eine excusatio voluntaria vor der Uebernahme geschüßt wird, 1. 11. §. 1. de test. tut., Gai. I. 182, Ulp. XI. 23. Ist dagegen die Delation selbst ungiltig, weil die Reihe der Berufung einen wirklich Unfähigen, z. B. eine Frau, trifft, so tritt keine tutela dativa ein, sondern die Delation rückt weiter an den folgenden legitimus, 1. 10. pr. de legit. tutor., 1. 73. pr. de R. J.

3) Wenn im Testament ein Tutor ernannt ist, dieser aber wegen beigefügter Bedingungen oder Zeitbestimmungen oder wegen noch nicht erfolgten Erbschaftsantritts noch nicht eintreten kann, so wird interimistisch ein tutor dativus ernannt, 1. 10. pr., 1. 11. pr. de test. tut., §. 1. J. de Atil. tut., Gai. I. 1. 9. §. 2. de tut. et rat. distr. (27, 3).

186, 4) Wenn ein Tutor, welcher wirklich schon die Tutel begleitet, wegfällt, weil eine excusatio (necessaria oder voluntaria) eintritt, oder weil er als

suspectus removirt wird, 1. 11. §. 2. de test. tut., Gai. I. 183, Ulp. XI. 23. Fällt er auf andere Weise hinweg, also etwa durch den Tod oder durch capit. deminutio, oder bei testamentarischer Tutel durch Eintritt einer Resolutiv-Bedingung, so kommt es auch hier zu einer successio, nicht aber zu einer DativTutel, 1. 11. §. 3. 4. de test. tut., 1. 6. de leg. tut. §. 2. J. de legit. agnator. tut. Doch leidet dieses Leztere dann eine Ausnahme, wenn nur einer von mehreren zusammenberufenen Tutoren wegfällt; denn hier tritt immer an die Stelle des Wegfallenden ein tutor dativus ein, selbst also auch, wenn er durch Tod oder cap. dem. hinweggefallen ist, 1. 11. §. 4. de test. tut., 1. 4. C. in quib. casib. tutor. habenti (5, 36).

5) Endlich wird auch immer ein tutor dativus ernannt, wenn einmal ausnahmsweise von der Rechtsregel: tutorem habenti tutor non datur, §. 5. J. de curat. (1, 23), 1. 27. pr. de test. tut., 1. 10. h. t., l. 21. §. 4. 1. 37. de excus. (27, 1), 1. 9. C. qui petant (5, 31), 1. 4. C. in quib. casib. tutorem habenti (5, 36) abgewichen wird. Es kommt dies, abgesehen von dem am Ende der vorigen Nr. berührten Falle, wenn einer von mehreren Tutoren weggefallen ist, und ihm ein anderer substituirt wird, vornehmlich in folgenden Fällen vor, (vgl. Dig. XXVI. 5. de tutorib. datis - et in quibus causis specialiter dari possunt; Cod. V. 36. in quibus casibus tutorem vel curatorem habenti tutor vel curator dari potest):

a) Der älteste durch ein frühes Gewohnheitsrecht eingeführte, Gai. I. 184, Ulp. XI. 24, Fall ist der, wenn ein gerichtlicher Rechtsstreit zwischen dem Mündel und seinem Tutor verhandelt werden soll. Hier wird nämlich speziell für diesen Rechtsstreit der s. g. tutor praetorius oder praetorianus bestellt, vgl. Cod. V. 44. de in litem dando tutore vel curatore. Ein Tutor war jedoch nur im Falle einer legis actio oder eines legitimum judicium nöthig, und in den übrigen Fällen genügte auch ein bloser Kurator, Gai. und Ulp. cit. Da nun im Justinianischen Rechte keine legis actiones und legitima judicia mehr vorkommen, so kann hier immer auch ein bloser curator litis bestellt werden, was auch wirklich Justinian als das Regelmäßige anführt, §. 3. J. de auct. tut. (1, 21), obwohl daraus noch nicht hervorgeht, daß ein tutor praetorius gar nicht mehr bestellt werden könne, tit. C. cit., Rudorff I. S. 389 fgg. b) Hieran schlossen sich dann später viele andere Fälle an, in denen der ordentliche Vormund an der Verwaltung der Tutel verhindert ist. Zwar wird hier auch häufig durch die Bestellung eines Kurators ausgeholfen, aber eben so oft kann auch nach dem Ermessen des Richters ein Tutor bestellt werden, wie z. B. wenn der geseßliche Vormund noch minderjährig, 1. 10. §. 7. de excus., 1. 9. §. 1. de tut. et rat. distr., wenn er taub, stumm, wahnsinnig, 1. 17. de tutelis, wenn er abwesend, namentlich auch wenn er relegirt ist, 1. 9. pr. de tutelae, 1. 3. §. 10. de suspect. tutor., 1. 1. C. in quib. casib. tutor. hab. - 1. 32. §. 7. de adm. et per. tut., 1. 3. C. qui petant., wenn er erkusirt oder removirt wird, s. oben N. 2. und 4. (welche zwei Fälle darum auch hierher gehören, weil erst durch die Anstellung des neuen Tutor die Tutel des excusatus oder remotus aufhört; siehe Gai. I. 182: „quo dato prior tutor amittit tutelam"), wenn noch über die Remotion verhandelt wird, 1. 2. de tut.

datis, 1. 17. §. 1. de appell. (49, 1), 1. 7. C. de suspect. tutor. (5, 43) u. dgl. m., s. v. Löhr in seinem Mag. III. S. 442 fgg., Rudorff S. 397 fgg.

Insbesondere von der petitio tutoris.

Die Quellen siehe bei dem vorigen Sen. S. 406 fgg.

§. 269. Rudorff I.

1) L. 2. §. 2. qui petant tutores (26, 6): Divus Severus Cuspio Rufino. Omnem me rationem adhibere subveniendis pupillis, quum ad curam publicam pertineat, liquere omnibus volo; et ideo quae mater vel non petierit tutores idoneos filiis suis, vel prioribus excusatis rejectisve non confestim aliorum nomina dederit, jus non habeat vindicandorum sibi bonorum intestatorum filiorum. - Einzelne Erläuterungen zu dieser Konstitution giebt Tryphonin in 1. 4. eod., einen vollständigen, umfassenden Kommentar aber Ulpian in 1. 2. §. 23—47. ad SC. Tertull. (38, 17).

2) Theodos. et Valentin. 1. 10. C. de legit. hered. (6, 58): Sciant, qui ad successionem vocantur pupilli mortui, si defuncto ejus patre tutorem ei secundum legem non petierint intra annum, omnem eis sive ab intestato sive jure substitutionis successionem ejus, si impubes moritur, denegandam esse.

2) Fähigkeit zur Uebernahme.

Glück XXIX. S. 50 fgg., Rudorff II. S. 17 fgg.

S. 270.

Anm. Aehnlich, wie im Erbrecht ein wesentlicher Unterschied vorkommt, zwischen den Fällen, in welchen Jemanden die s. g. testamenti factio passiva fehlt, und den anderen, in welchen er blos nihil capere potest ex testamento alterius, ein Unterschied, welcher vorzüglich dadurch wichtig wurde, daß im ersten Falle gar keine Delation an den Unfähigen erfolgte, sondern die Erbschaft an denjenigen kam, der sie abgesehen von dieser Disposition bekommen haben würde, während im zweiten Falle die Portion kaduk wurde, und demgemäß in der Regel nicht anderen Erben, sondern dem Fiskus zufiel, vgl. unten §. 429. Anm. 1; ganz ähnlich so tritt uns auch bei der Vormundschaft ein Unterschied entgegen zwischen eigentlicher Unfähigkeit, wodurch schon die Delation der Tutel verhindert wird, und den excusationes necessariae, in welchen leßteren Fällen die Tutel zwar angetragen wird, aber nicht ausgeübt werden kann; und auch die Wirkung dieses Unterschieds ist ähnlich, wie im Erbrecht zu bestimmen, denn im ersteren Falle geht die Delation der Tutel weiter an die Folgenden, denen sie auch deferirt worden wäre, wenn der Unfähige gar nicht vorhanden wäre, während in den

Fällen einer excusatio necessaria immer ein tutor dativus eintritt, vgl. §. 268. Anm. Nr. 2, und v. Löhr im ziv. Arch. XI. S. 1 fgg.

Eigentlich unfähig sind nun aber, abgesehen von Sklaven und Peregrinen:

1) die Frauen, 1. 16. pr., 1. 18. de tutelis, 1. 1. C. quando mulier tut. (5, 35), vgl. mit 1. 10. pr. de legit. tutor. und 1. 73. de R. J. Ausgenommen sind die Mutter und Großmutter, s. oben §. 266. Anm., bei welchen aber doch auch der ursprüngliche Gesichtspunkt noch insofern hervortritt, als es immer zu einer Delation an die folgenden legitimi, nicht aber zu einer Dativtutel kommt, wenn dieselben von ihrem Rechte keinen Gebrauch machen.

2) Bischöfe und Mönche, Nov. 123. c. 5. Doch halten jezt Viele diese Bestimmung Justinian's für unpraktisch, und gestatten jenen Geistlichen nur eine excusatio voluntaria, aus dem Hauptgrunde, weil in c. 40. C. XVI. qu. 1. nicht jene Novelle, sondern die frühere 1. 52. C. de episc. et. cleric. aufge nommen sei, Glück XXXI. S. 319 fgg., Rudorff II. S. 110 fgg.

3) Soldaten. Daß diese nämlich ganz unfähig sind, und nicht blos eine excusatio necessaria haben, möchte aus 1. 4. C. qui dare tutores (5, 34) hervorgehen, denn hiernach soll der Soldat, welcher irrig eine Tutel übernahm, nur wie ein gewöhnlicher Geschäftsführer mit einer actio negotiorum gestorum belangt werden.

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4) Die Minderjährigen. Vor Justinian hatte der Unmündige nur eine excusatio necessaria, so daß er allerdings zur Tutel gerufen war, aber während der Unmündigkeit sie nicht verwalten konnte, sondern inzwischen ein tutor dativus ernannt wurde, 1. 9. §. 1. de tutelae et rat. dist., 1. 10. §. 7. de excus.; der minor pubes aber hatte nur eine excus. voluntaria, §. 13. J. de excus. Vat. fr. §. 157. 223. Justinian aber verfügte in 1. 5. C. de legit. tut. (5, 30), daß ein Minderjähriger überhaupt nicht zur Vormundschaft gerufen werden könne (nemo in tutelam vocetur, antequam quintum et vicesimum suae aetatis annum impleat"), und seitdem muß man gewiß sagen, daß wenn einen Minorennen die Reihe der tutela legitima trifft, nicht mehr ein interi mistischer tutor dativus ernannt wird, sondern der folgende tutor legitimus eintritt; a. M. ist Rudorff II. S. 21. Ist jedoch ein minor in einem Testamente zum Tutor bestimmt worden, so muß dies auch noch h. z. T. als eine bedingte datio angesehen werden, so daß ihm nach erlangter Volljährigkeit die Vormundschaft übertragen, und inzwischen ein tutor dativus angeordnet wird, 1. 32. §. 2. de testam. tut., §. 2. J. qui dare tutores (1, 14).

Eine blose excusatio necessaria dagegen haben

1) Wahnsinnige, Stumme, Taube, Blinde und andere wegen Krankheit zur Verwaltung Unfähige, 1. 1. §. 2. 3, 1. 17. de tutel., 1. 10. §. 5. de legit. tut., 1. 40. de excusat., 1. 3. C. qui dare tutores (5, 34), 1. un. C. qui morbo se excusant. (5, 67). Die gerichtlich erklärten Verschwender find zwar nirgends ausdrücklich genannt, aber doch zählt man sie, und gewiß mit Recht, ebenfalls hierher, theils schon wegen der Analogie der furiosi, theils aber auch wegen des Grundes, welchen Justinian in 1. 5. C. de legit. tut. bei den Minorennen anführt: cui enim ferendum est, eundem esse tutorem et

sub tutela constitui, et iterum, eundem esse curatorem et sub cura agere? S. auch unten No. 6.

2) Wer mit dem Vater des Pupillen in einer Kapitalfeindschaft lebte, ohne daß eine Versöhnung erfolgt ist, §. 9-11. J. de excusat. (1, 25), 1. 3. §. 12. de suspect. tutor. 26, 10), l. 6. §. 17. de excusat., 1. 8-10. de confirm. tutor. Eine Versöhnung wird aber präsumirt, wenn nach entstandener Feindschaft der Vater eine testamentarische Tutel angeordnet hat, 1. 6. §. 17. fin. de excusat., es müßte denn gerade die Anordnung propter inimicitias geschehen sein, 1. 6. §. 17. cit., §. 9. J. de excus., Glüd XXIX. S. 85 fgg., Nudorff II. 6. 22 fgg.

3) Wenn zwischen dem Vater des Pupillen und dem designirten Tutor, oder zwischen diesem und dem Pupillen selbst eine controversia de statu ventilirt wird, so tritt ebenfalls eine excusatio, und zwar gewiß eine necessaria ein, §. 12. J. de excus. 1. 6. §. 18. eod., 1. 27. §. 1. de testam. tut. Dasselbe war auch nach früherem Nechte dann der Fall, wenn zwischen dem Pupillen und dem designirten Tutor ein Prozeß über das ganze Vermögen, oder doch den wichtigsten Bestandtheil desselben, oder über eine Erbschaft geführt wurde, 1. 20. 21. pr. de excus., 1. 16. C. eod., §. 4. J. eod. Dies ist jedoch von Justinian in Nov. 72. ausnehmend erweitert worden, indem da verfügt wurde, daß Niemand zur Führung der Vormundschaft zuzulassen sei, welcher in irgend einem Obligations-Verhältniß mit dem Pflegling, sei es als Gläubiger oder als Schuldner, stehe, wobei jedoch noch folgende speziellere Bemerkungen zu machen sind:

a) Behauptet der designirte Tutor, Kreditor des Pupillen zu sein, so muß er dies innerhalb der gewöhnlichen Erkusationsfristen auf gehörige Art beweisen, oder doch wenigstens seine Ueberzeugung beschwören. Hat er dagegen bei Uebernahme der Vormundschaft das Obligations-Verhältniß verheimlicht, so verliert er zur Strafe die Klage, aber gewiß nicht das ganze Recht, da hier eine exceptio in odium creditoris introducta vorliegt, Weber, nat. Verbindl. S. 94, Schwanert, Naturaloblig. S. 478, Machelard, des obligat. natur. p. 519 sqq.

b) Giebt der berufene Vormund an, er sei Schuldner des Pupillen, so tritt nur dann eine Erkusation ein, wenn das Schuldverhältniß ganz liquid ist. Verschweigt er aber in einem solchen Falle seine Schuld, so wird er durch Zahlung oder andere Tilgung während der Vormundschaft nicht liberirt.

c) Wird der Vormund erst während der Vormundschaft Gläubiger, so verliert er nicht die Tutel, sondern es wird ihm nur ein anderer Tutor oder Kurator beigeordnet.

d) Diese Grundsäße kommen bei jeder Art von Tutel, und namentlich auch bei der testamentarischen, zur Anwendung und die frühere entgegengeseßte Praris beruht auf keinem nur irgend haltbaren Grunde, vgl. bef. Seuffert im ziv. Archiv XII. S. 304 fgg., s. auch Glück XXIX. S. 98 fgg., Rudorff II. S. 30 fgg. Wohl aber ist durch eine spätere Verfügung Justinians eine spezielle Ausnahme davon für die Mutter gemacht worden, Nov. 94. c. 1, was wohl gewiß auch auf die Großmutter, aber wohl schwerlich auf den Vater oder Großvater auszudehnen ist.

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