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nicht unterdrückt werden. Wenn nämlich einem Worte mehrere verschiedene Bedeutungen zukommen, so kann jede einzelne von ihnen ihm doch immer nur bedingungsweise zugeschrieben werden, unter der Bedingung nämlich, daß entweder der Zusammenhang, in dem es sich findet, auf sie hinweist, oder daß es in Verbindung mit einem Worte oder einem der Wörter auftritt, mit denen es regelmäßig da verbunden zu sein pflegt, wo es in dieser besonderen Bedeutung gemeint ist. Keines von beiden trifft in unseren Stellen zu; denn einerseits ist nicht von etwas die Rede, was den Gedanken an das Spielen einer Rolle, Verrichtung einer bestimmten Funktion erwecken könnte; auch ist personam gerere etc., ohne ein adjektivisches oder im Genetiv beigefügtes Attribut im Lateinischen niemals in dem prägnanten Sinne gebraucht worden, wie unser: „eine Rolle spielen" „in Betracht kommen". Ferner aber gehört habere nicht zu jenen Wörtern, die als von der Urbedeutung „Maske“ her überkommene, auch für den bildlichen Gebrauch von persona charakteristisch sind. Aus diesem Grunde ist es bedenklich, das für personam habere hier gewonnene Resultat sofort zur Erklärung von ȧлgóσwлоs bei Theophilus zu verwenden, und es ist geboten, zunächst unabhängig von den lateinischen Quellen den Sinn dieses Wortes zu erforschen.

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ΠΡΟΣΩΠΟΝ und ΥΠΟΣΤΑΣΙΣ, ΑΠΡΟΣΩΠΟΣ und ΑΝΥΠΟΣΤΑΤΟΣ in der Trinitätslehre und Christologie.

Wechselwirkungen zwischen beiden Wörterpaaren.

Wenn wir unsere Untersuchung nunmehr unmittelbar auf den Ausdruck άлçóоwло5, оv richten, so trifft unser Blick zunächst auf einige Bedeutungen, die wir sofort als für die Theophilusstellen unzutreffend ausscheiden dürfen. Nach Hesychius s. h. v. 1) ist ἀπρόσωπος оvи ενлоÓошло5, und Suidas2) gibt dafür als Bedeutung an: δυσειδές, κακόμορφον, eine Bedeutung, die sich in der Tat auch schon bei Plato findet und offenbar auf der Anschauung beruht, daß ein häßliches Gesicht so gut wie kein Gesicht

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1) Lexicon rec. M. Schmidt p. 266.

ist,

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ähnlich wie wir von jemandem, der eine schlechte Figur hat, auch sagen, er habe keine Figur.

Als eine fernere Bedeutung gibt Hesychius an: ὁ προσωπείῳ μὴ χρώμενος ἢ λανθάνων, deren Unbrauchbarkeit zur Erklärung unserer Stellen gleichfalls auf der Hand liegt 1).

Weiter wird dлоóσшлоs von den Grammatikern für die Verben gebraucht, die als finita in subjektlosen Sätzen stehen, und die der Lateiner als Verba impersonalia bezeichnete 2), und diesem Gebrauch sind am passendsten an die Seite zu stellen die Fälle, wo etwas, άлóσшлоv genannt wird, wovon der Urheber oder das Objekt oder das, wofür es geschieht, ungenannt bleibt. So spricht Joh. Chrysostomus einmal von einer vouodeσía áлqóσwлoç3), d. h. einer Gesetzgebung, deren Urheber nicht genannt wird; Theodoret von xaτnyogía àлóσwло54), einer Anklage, die sich nicht an eine bestimmte Adresse richtet; Justinian von einem ohne Benennung des Garanten gegebenen Garantieversprechen als einem dлooσóлws erteilten 5) und Theophilus von ảлqoσóлws έñeqwrãv6)7), d. h. von Stipulieren ohne

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1) ἀπρόσωπος 1) Belege für ȧлgóσшлоs unmaskiert habe ich nicht gefunden. Bei Demosthenes, лεдì лaqɑлqëσßɛeias XIX (Dindorf I p. 458) beweisen aber die Worte: τοῦ καταράτου Κορηβίωνος, ὃς ἐν ταῖς πομπαῖς ἄνευ τοῦ προσώπου κωμάζει nicht, daß ihm das Wort in der Bedeutung unmaskiert" noch nicht bekannt gewesen sei. Eher könnte aus Theophrast, Char. VI 'Aлovoías (Ausg. der Leipz. Philol. Gesellsch. p. 49, 3 sq.): ἀμέλει δυνατὸς καὶ ὀρχεῖσθαι νήφον τὸν κόρδακα καὶ προσωπεῖον exov ev noμin@ xóow (wo aber nach R. Meister a. a. O. p 52 u. anderen vor exov ein un oder ov einzuschieben ist) geschlossen werden, daß zur Zeit des Theophrast άлоóσшлоs in dieser Bedeutung nicht üblich war.

2) vergl. Imm. Bekker, Anecd. graec. I p. 420, 13. Maximos Planudes bei L. Bachmann, Anecd. graec. p. 47, 18.

3) Hom. de pisc. Christ. (ed. Paris. t. V p. S. 696): Tivos Evenev tovto ¿oíynoe καὶ τὸν εἰπόντα οὐκ ἐποίησε φανερὸν, ἀλλ' ἀπρόσωπον τὴν νομοθεσίαν εἰσήγαγε. 4) ad Timoth. c. 6 (Migne patr. S. Gr. LXXXII, 825): 'Aлçóówлov tǹv κατηγορίαν εἰσήνεγκεν ὡς φιλόστοργος πατήρ (d. h. wie ein zärtlicher Vater, der aus Zartgefühl ganz objektiv Fehler seiner Kinder tadelt, ohne sie selbst als die Schuldigen zu nennen.

5) Nov. 115 cap. 6: εἴ τις εἴποι, τὸ ἱκανόν σοι γενήσεται τοῦτον οἷα τοῦ τοιούτου λόγου ἀπροσώπως εἰρημένου ἐκ πάσης εἰσπράξεως ἐλεύθερον

φυλάττεσθαι.

6) Paraphr. III, 17, 1: xaì åлooσóлws êлεowτýon, in wörtlicher Überἢ καὶ ἀπροσώπως ἐπερωτήσῃ, setzung von impersonaliter stipulari in Dig. 45, 3, 15. (Ebenso Bas. 43, 3, 15 u. sonst.). Zu ἀπροσώπως bildet hier den Gegensatz ὀνομαστί.

7) Diese Gebrauchsweisen stehen nicht im Widerspruch mit der oben S. 39 ff. verteidigten Behauptung, daß оóσшлоv im Griechischen nicht „Person" bedeutet

Bezeichnung desjenigen, dem geleistet werden soll. Auch alle diese Bedeutungen sind offenbar für unsere Stellen nicht passend.

Anscheinend würde also auch für diese nur „Rolle" als die zutreffende Bedeutung des in ἀπρόσωπος steckenden πρόσωπον in Betracht kommen können. Aber auch das ist unwahrscheinlich, daß Theophilus mit seinem άлоóошлоι öνtes nur ein ihm hier zum Vorbild dienendes lat. personam non habere—gleichviel, welchen Sinn wir diesem beilegen wiedergegeben habe. Denn bei der großen Unselbständigkeit der Paraphrase und ihrer fast durchgängigen Anlehnung an den Text der justinianischen Institutionen müßten wir erwarten, an den den drei Stellen der Paraphrase entsprechenden Institutionenstellen die Wendung personam non habere zu finden; die Basiliken übersetzen personam und personam legitimam non habent überall schematisch mit πρόσωπον νόμιμον ovx έxovoi.1) Merkwürdigerweise sind aber in diesen Stellen dem Theophilustexte parallel gehende Sätze überhaupt nicht enthalten, und es scheint, als ob Theophilus absichtlich sich hier von dem zu paraphrasierenden Texte der Institutionen einmal habe emanzipieren wollen; den in diesen Stellen von ihm ausgesprochenen Gedanken oder die Form, in die er ihn gekleidet, scheint er so schön gefunden zu haben, daß er jede Gelegenheit ihn auszusprechen, die sich darbot, immer wieder benutzte. Alles drängt daher zu der Vermutung, daß das πρόσωπον in seinem ἀπρόσωπος etwas ganz Neues, in der bisherigen Gebrauchsweise oder wenigstens im juristischen Sprachgebrauch noch nicht Vorgekommenes und aus einem anderen Gebiete Importiertes darstelle, und daß er in dieser Art der Verwendung von άлоóσшлоs in der Rechtswissenschaft ein Novum geschaffen habe, mit dem er sich brüsten zu dürfen

habe. Denn einmal handelt es sich hier nicht um лo̟óσшлоν, sondern um ein Compositum davon, das einen Genet. appos. gar nicht hätte zu sich nehmen können; ferner ist das ȧлоσάлs bei Theophilus und in den Basiliken wiederum nur schablonenmäßige Wiedergabe des lateinischen impersonaliter. Die beiden Stellen von Chrysostomus und Theodoret endlich gehören einer Zeit an, in der лóσwлоv allerdings, aber auf anderem Wege, als das лóσwлоv der byzantinischen Rechtsquellen, wie im Texte noch gezeigt werden wird, auch in absolutem Gebrauch die Bedeutung von „Person" bereits angenommen hatte.

1) Z. B. Bas. 7, 19. Personam alicuius sustinere geben sie mit лоóσшлоv ἐπέχειν wieder.

glaubte. Die nachfolgenden Ausführungen werden das, glaube ich, bestätigen. Um Klarheit darüber zu gewinnen, ist es aber notwendig, ein von der Rechtswissenschaft weit entferntes Gebiet zu betreten und dabei die Zeit vom vierten Jahrhundert ab, die in der bisherigen Untersuchung außer Betracht gelassen war, zu berücksichtigen. Es ist die Theologensprache dieser Zeit, der wir einen ähnlichen, allerdings sich hier, wie es scheint, auf einen vereinzelten Fall beschränkenden Einfluß zuschreiben müssen, wie ihn die altrömische Sakralsprache in viel umfassenderem Maße auf die lateinische Profansprache geübt hat1).

In dieser Untersuchung ist bisher eine Art des Gebrauchs von persona und лооошлоν unberücksichtigt geblieben, die in weitem. Umfange in einem wichtigen, vom Rechte aber abseits gelegenen Gebiete, und zwar schon seit dem zweiten Jahrhundert n. Chr., Herrschaft gewonnen hat. Vielleicht dürfen wir hoffen, von ihr aus ein aufklärendes Licht auf das dлgóowлоg des Theophilus fallen zu sehen.

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In der theologischen Philosophie oder wie man die, christliche Theologie und Philosophie so eigentümlich miteinander verquickenden geistigen Bestrebungen der dem apostolischen Zeitalter folgenden Jahrhunderte nennen mag spielte seit dem zweiten Jahrhundert eine Reihe von Begriffen eine wichtige Rolle, die bei den Griechen durch die Wörter οὐσία, φύσις, ὑπόστασις, ἰδιότης, лооσшлоν, von den Lateinern mit den jenen parallel gehenden essentia, natura, substantia, subsistentia, proprietas, persona ausgedrückt wurde.

Im Mittelpunkt jener mit einer unglaublichen Beharrlichkeit und Zähigkeit gepflogenen Spekulationen stand einmal das wissenschaftliche Problem, das Verhältnis der drei in der Trinität vereinigten Wesen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes zu einander zu bestimmen, und zweitens die göttliche und menschliche Natur Christi, die Möglichkeit und die Art ihres Nebeneinanderbestehens zu erklären. Es handelte sich hierbei um eine unlösbare Aufgabe. Es sollte zur Abwehr des Scheines des

1) Vergl. z. B. über die Rezeption der Ausdrücke concipere, accipere, excipere aus dem sakralen Sprachgebrauch in die Juristensprache meine Litis contestatio S. 45 ff.

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Tritheismus und der Gefahr des Rückfalls in heidnische Religionsvorstellungen durch philosophische Argumentationen dem Verstande begreiflich gemacht werden, was mit aller menschlichen Erfahrung und menschlichen Logik im Widerspruch stand: daß die drei nach dem Inhalt einmal überlieferter Glaubenssätze als selbstständig und mit eigenen Funktionen und Eigenschaften versehen gedachten Wesen dennoch eine Einheit seien; nicht etwa in dem Sinne, wie die für häretisch erklärte Lehre des Sabellius lautete, daß ein göttliches Wesen in einer Reihe von verschiedenen Phasen jene drei verschiedenen Gestalten in zeitlicher Folge angenommen habe, sondern daß sie gleichzeitig eine Toiás und eine έvórns darstellen, eine Einheit in der Dreiheit und Dreiheit in der Einheit 1); daß ferner Christus eine göttliche und eine menschliche Natur in sich vereinige, nicht etwa nur ein göttliches Wesen sei mit diesen oder jenen menschlichen Zügen; oder ein menschliches mit einer ihn der Gottheit nähernden Natur, oder daß er, ursprünglich ein Mensch, sich alsdann in einen Gott verwandelt habe, sondern daß er Gott und Mensch zugleich sei. In den hierauf gerichteten Spekulationen, die den eigentlichen Kern der die Geister jener Jahrhunderte im Abend- und Morgenlande unablässig bewegenden Fragen bildeten, und nicht nur zum Gegenstand beschaulicher Forschung der Gelehrten, sondern auch die Quelle die Köpfe von Klerikern und Laien erhitzender Streitigkeiten, ja nicht selten blutiger Kämpfe wurden, und immer und immer wieder autoritative Eingriffe der Synoden und der Kaisergewalt veranlaßten, überall hier gehörten jene Begriffe zu dem Rüstzeug, mit dem man operierte. Aber die Natur des Zieles, auf das man hinstrebte, der in Wahrheit rein mystische Charakter des Dogmas, für das man dennoch in einer für uns kaum noch begreiflichen Weise 2) eine wissenschaftliche Rechtfertigung zu finden

1) Diese an gewisse moderne Theorieen in der Jurisprudenz erinnernde Ausdrucksweise findet sich z. B. bei Rusticus Diaconus, c. Acephalos (Migne S. L. T. 67, 1221. C.: Haeret. Sed ibi, ob hoc quia non est extrinsecus unitas et extrinsecus trinitas, sed trinitas unitatis et unitas trinitatis. Rust. quia trinitas unitatis est, et unitas trinitatis

2) Allerdings beherbergt auch die moderne Jurisprudenz Theorien, die in ganz ähnlicher Weise, und ohne sich des Widerspruchs mit aller Logik bewußt zu werden, dem Verstande nicht faßbare Dinge behaupten; so die zum Glück nun

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