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heit, die ihm unnöthig macht, sich um die vorhandenen Mobilien und Activa und deren Schicksale zu bekümmern. Man rechnet also darauf, daß das alte Vorrecht die neuen Vermögenstheile ergreife. Soll dies nicht Statt finden, so wird man nicht allein genöthigt sein, sich vor Creditirung eine genaue Kenntniß aller dann vorhandenen Vermögensstücke zu verschaffen, für behufige Beweismittel zu sorgen, und darauf Bedacht zu nehmen, wie man sich bei künftiger Einschießung von Sachen die Vervollständigung des Inventars sichern könne, sondern auch gegen jeden irgend bedeutenden Wechsel Maßregeln aller Art ergreifen. Wer würde wohl, wenn der Schuldner z. B. Anstalt macht, seine Activ-Forderungen zum Ankauf eines Landguts zu verwenden, den ihm drohenden Verlust seiner alten Hypothek ruhig abwarten! Dazu die Unzahl von Proceffen, und die grenzenlosen Verwickelungen der Debitwesen, welche jene Theorie nach sich zieht, endlich die hohen Unbilligkeiten, welche in der Anwendung nicht ausbleiben können. Man denke z. B. an den Fall, daß zur Concursmasse eine große Summe baaren Geldes gehörte, herrührend aus dem kürzlichen Eingange, alter Forderungen.

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Mit einer Lehre, die zu so harten Vorwürfen und so bes deutenden Zweifeln Anlaß giebt, wird sich die Praris, der wie schon im vorigen Jahrhunderte die Juristen - Facultät zu Göttingen bezeugt hat1) — ein allgemeiner beständiger · Ge- ́ richtsgebrauch zur Seite steht, wohl schwerlich jemals ausföhnen.

1) Cf. Fratrum BECMANNORUM Consilia P. I. Dec. 41., wo es in den Entscheidungsgründen Nr. 5. heißt:` so wie ein allgemeiner bestänz diger Gerichtsgebrauch diese Lehre bestätigt, da man bisher den Cons curs acten zum Behuf eines Prioritätsurtheils ein beglaubtes chronologisches Verzeichniß der sämmtlichen vom cridario successive ac2 quirirten beweglichen und unbeweglichen Güter beizulegen sich noch nicht hat einfallen laffen.

IV.

Bemerkungen zu dem Auffage Bd. 16. Heft 1. Nr. IV. über den Beweis bei Klagen auf Alimentation.

Von

Herrn J. Scholz dem Dritten. Oberappellations- und Lands gerichtsprokurator zu Wolfenbüttel.

Herr

Derr Hofgerichtsadvokat Hofmann hat an dem obigen Orte dieser Zeitschrift eine im Geschäftsleben oft vorkommende Frage berührt, die nämlich: wer bei Klagen zwischen Eltern und Kindern auf Darreichung von Alimenten, in Hinsicht auf den Bedarf der Ernährung, den Beweis zu übernehmen habe? Db im Falle des Widerspruchs der Kläger zu beweisen habe: daß er sich nicht selbst ernähren könne ? oder ob umgekehrt der Verklagte beweisen müsse: daß der Beantragende dazu im Stande sei?

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Herr Hofmann ist nicht allein seiner Seits der Meinung, daß nicht der Kläger den negativen Beweis der Unfähigkeit zur Selbsternährung zu übernehmen habe, vielmehr der Gegner den positiven Sag der Ernährungsfähigkeit darthun müsse, sondern er führt auch einen Rechtsfall an, wo ein großjähriger Sohn, von seiner verwittweten Mutter Alimente forderte und deren Auwalt sich freiwillig dazu verstand, den Beweis zu führen: daß Kläger von den Früchten seines Ver

mögens und seiner Arbeiten, bei gehöriger Anstrengung standesgemäß leben könne, obwohl das Gericht anderer Meinung war und gleich nach dem Schlusse der Verhandlungen dem Kläger den Beweis dahin aufgelegt hatte, daß die Früchte seines Vermögens, so wie seiner Arbeiten, bei gehöriger Auftrengung unzureichend seien, ihn standesgemäß zu erhalten.

Das Gericht, dessen Meinung die beiderseitigen Auwälte nicht beistimmten, hatte nach dem Berichte seiner Entscheidung den Grund untergelegt: „die Ernährungspflicht der Eltern sei nur begründet, wenn sich das Kind aus den Früchten seiner Arbeit und seines eigenen Vermögens nicht erhalten kann, und diese Thatsachen gehörten zur Begründung der Klage.

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Ob diese Ansicht des Gerichts nicht die richtige sei, steht noch sehr dahin, und da Parthei und Anwalt nicht gern die Beweisrollen vertauschen, weil sie wie der Praktiker nur zu gut weiß -immer zu den lästigen nnd ungewissen Dingen in Hinsicht auf den Ausfall der Beweisführung gehören, so liefert uns der Bericht des Herrn Hofmann zugleich einen merkwürdigen Fall über einen gewagten freiwilligen Wechsel der Beweislast von Seiten der Parthei und deren Anwaltes. Denn daß die auf Alimente in Anspruch genommene Mutter offenbar sicherer zu Werke ging, wenn sie den Beweis des Gegners ruhig erwartete und ihn durch Gegenbeweis zu entkräften strebte, leidet wohl kein Bedenken. Zwar hatte ihr Gegner über die Frage: ob ihm der vom Richter aufgelegte Beweis der Dürftigkeit obliege, die Berufung zur Hand genommen und es heißt: die Klientin habe die Mittel zur Führung des Beweises von ihrer Seite in der Hand gehabt, also durch Uebernahme der Beweislast keine Gefahr gelaufen, und so die Kosten und den Zeitaufwand einer Appellation erspart. Auch wird uns berichtet, daß die Parthei sich in dem günstigen Erfolge des übernommenen Beweises nicht getäuscht und der Kläger abgewiesen sei. Allein mag auch das ungewöhnliche Verfahren für dasmal in prozessualischer Beziehung sich als

nüglich und zweckmäßig dargestellt haben, so bezweifeln wir doch, daß die Theorie es billigen werde, und bedauren, daß uns von jenem Rechtsfalle das Nähere nicht mitgetheilt ist, nicht das Gebäude der Klage, der Streitbefestigung, der Einreden u. s. w. nicht: ob der die Alimente begehrende Sohn dem Bauernstande oder welchem angehörte? ob er vom Vater ehe die Mutter verwittwet war aus der väterlichen Gewalt entlassen, oder abgefunden war? ob er einen eignen Haushalt begonnen? ob die Mutter von dem väterlichen Vermögen und dem des Sohnes etwas unter Händen hatte u. s. w.

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Alle diese Umstände haben auf die Hauptfrage bedeutenden Einfluß. Und wenn Herr Hofmann am Ende der Abhandlung sagt: "Es dürfte somit in dem eingangserwähnten Rechtsfalle die Ansicht der beiderseitigen Anwälte, daß der Beweis: der Beklagten obläge, und ihre darauf beruhende vergleichsweise Umtauschung der Beweislast, gerechtfertigt erscheinen,“ so dürfen wir zwar die Ansicht der Anwälte in praktischer Be-. ziehung und aus Gründen, die jener besondere Rechtsfall darbieten mochte, nicht geradehin tadeln; wir erlauben uns aber, hier unser Bedenken dahin nieder zu legen, daß sich die Frage: wer in einem Alimentenfalle die Rolle des Beweisführers zu übernehmen habe? der Theorie nach keineswegs so allgemein als geschehen zu Gunsten des Alimentenklägers beantworten lasse. Wir behaupten vielmehr, daß in den meisten Fällen gegen ihn entschieden werden müsse, die Sache mag wie Herr Hofmann that rein römischrechtlich oder (wie billig geschehen muß) auch deutschrechtlich beleuchtet werden.

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1) Um uns über das Nachfolgende zu verständigen, finden wir nöthig wie jedoch nur mit Wenigem geschehen soll einige allgemeinere Grundsäge vorauszuschicken.

a) In dem engeren Familienleben - also abgesehen von der römischen Ernährungspflicht der Freigelassenen und Patronen, oder der deutschrechtlichen Gemeinlast liegt der Grund

der gegenseitigen Alimentenverbindlichkeit unstreitig theils in

der Zeugung, theils in der Verwandtschaft, oder, wenn man will, in einem naturgemäßen Bande, in der gegenseitigen Liebe und in der Billigkeit. Die, welche im Leben sich am nächsten stehen, müssen sich auch das Leben erhalten und erleichtern. Aus diesen natürlichen Verhältnissen, aus dem, was schon das Naturrecht gebot, entstanden die staatlichen oder bürgerlichen Vorschriften zwischen Eltern und Kindern, über Personeneinheit, Suität, väterliche Gewalt, Vermögensgenuß, Pflichttheil n. s. w. und ebenso auch die über die Verbindlichkeit sich gegenseitig zu ers nähren. Das römische Recht in seiner positiven Bestimmung erwähnt jener natürlichen Gründe ausdrücklich 1) und die Doktrin hatte Recht, wenn sie die Alimentationspflicht entweder als Ausfluß der väterlichen Gewalt betrachtete 2), oder als Folge der Verwandtschaft überhaupt3). Gieng doch Justinian so weit, daß er die Verbindlichkeit nicht blos auf die Zeugung beschränkte, sondern sie auch der Cognation beilegte 3). Darin änderte auch das deutsche Recht wenig. Das Naturrechtliche blieb auch ihm eigen, und die Grundsäge über Mundium, Familienwere, Gütergenuß und Gütergemeinschaft nicht blos im ehelichen, sondern auch im elterlichen Verhältnisse 4) — mußten namentlich der Alimentenverbindlichkeit eher förderlich als hinderlich sein. Je enger eben diese Verhältnisse Eltern an Kinder und umgekehrt Kinder an Eltern binden, jemehr mußte auf der einen Seite das Bedürfniß, auf der andern die Schuldigkeit auf Schuß und Ernährung hervortreten. Eine Ausdehnung auf die, welche nicht in jener Voigtschaft standen, bewirkte die Aufnahme des römischen Rechts mit seiner Erweiterung auf das Cognatenverhältniß.

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b) Das Bedürfniß auf Schuß und Ernährung im engen

1) Besonders fr. 5. §. 2. 15. 16. 17. D. de agnosc. et alend. lib. (25. 3.) 2) Wie Thibaut, Syst. des Pand.-Rechts. §. 347. (5. Ausg.) 3) Wie Schweppe, röm. Priv -Recht. §. 642.

*) Nov. 118. Cap. 4. und 5.

*) Mittermaier, deutsches Privatrecht. §. 317. (3. Ausg.)

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