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Dagegen das strictum jus fällt entsprechender Maaßen mit dem jus civile zusammen.

B.

Die Theorie des Ulpian beruht auf einem doppelten Gefichtspunkte, und zwar zunächst auf der Speculation über die lezte Quelle der Rechtsmaterie. Diese führte den Ulpian, wie die übrigen Juristen zur Annahme einer doppelten Materie: eines jus naturale, hervorgegangen aus der naturalis ratio, und eines jus civile, geboten durch die civilis ratio. Indem nun Ulpian, dem von Pythagoras ausgegangenen Dogma beitre= tend, die Empfänglichkeit für das Erstere den omnia animalia beilegt, vermag derselbe dennoch von der in der Doctrin seiner Zeit allgemein herrschenden Vorstellung eines den Menschen insbesondere gemeinsamen jus naturale sich nicht frei zu halten, vielmehr gestattet er dieser Vorstellung einen Einfluß auf seine eigene Behandlung der einschlagenden Lehre. Hierdurch wird eine Verschiedenheit in die Materie feines jus naturale hineingetragen, die entweder beim Mangel wissenschaftlichen Besinnens seiner eigenen Wahrnehmung sich entzicht, oder in das Bewußtsein eintritt und nun in der Weise theoretisch fundirt wird, daß das den animalia gemeinsame jus naturale auf den appetitus, das den homines besondere jus naturale auf die ratio zurückgeführt wird (§. 56, 57).

Neben dieser Speculation faßt Ulpian die historisch gege= benen Gegensäge von jus gentium und jus civile mit Rücksicht auf die Herrschaft des Gesetzes über das Subject in's Auge und erkennt hier, daß das Erstere über omnes homines, das Leßtere über die cives allein herrscht. Festhaltend nun an diesem Gesichtspunkte zieht er nun auch die Sphäre des wesentlich verschiedenen Gegensatzes von jus naturale und jus civile in diese Betrachtung mit berein, und indem er nun dieses dop= pelte jus civile ohne Weiteres identificirt, erkennt er in dem den animalia gemeinsamen jus naturale einen Rechtscomplex mit einem neuen Rechtssubjecte an, seht dieses in seiner Theorie in einen Parallelismus mit dem jus gentium und jus civile und gelangt so zu der Begriffsreihe von jus naturale, jus gentium und jus civile, welcher gegenüber nunmehr das den Menschen besondere jus naturale nothwendiger Weise mit dem jus gentium

in dem Begriffe des jus commune omnium hominum coinci diren muß.

Dem aequum et bonum und jus strictum endlich wird eine theoretische Einordnung in jenes System wahrscheinlich nicht zu Theil, vielmehr gewinnen jene die ihnen zukommende Stellung gegenüber dem Lezteren erst im Verlaufe der practischen Anwendung, wie der concreten Behandlung des Begriffes.

So enthält das System des Ulpian, abgesehen davon, daß auch hier der Ausdruck jus eine doppelte Bedeutung birgt, sowie daß der Begriff des den Thieren gemeinen Rechtes ein Unding ist, den Fehler, daß Ulpian die Glieder wesentlich verschiedener Eintheilungen zu einer Begriffsreihe verbindet; während andrerseits ihn der Vorwurf trifft, von diesem Systeme vielfältig selbst abgewichen zu sein, und diesfalls alle die Fehler begangen zu haben, welche wir bereits bei Gajus rügten.

§. 93. Resultat.

Die Gesammtheit der von uns in Betracht gezogenen maaßgebenden Begriffe, welche die Jurisprudenz der gegenwärtigen Periode wissenschaftlich verarbeitete, umschließt zwiefältig ein doppeltes Element: ein speculatives, welches, durch die Begriffe des jus naturale und des aequum et bonum repräsentirt, dort als Product der philosophischen, hier der vulgären Speculation erscheint, sowie andrerseits ein auf historischer Grundlage beruhendes Element, welches in den Begriffen des jus gentium und jus commune omnium gentium seine Vertretung findet, und dort als rein historisch gegebene Schöpfung, hier als Product einer Abstraction aus den verschiedenen historisch ge= gebenen Volksrechten sich darstellt. Diese vier Elemente werden mit einander in eine unmittelbare Berührung gefeßt, ja einem Verbindungsprocesse unterworfen, der theilweis zu einer stofflichen Verschmelzung führt und eine Verwandelung der verschiedenen Materien selbst zur Folge hat.

Dieses Sachverhältniß erheischt von der historischen Forschung zunächst die Beantwortung der Fragen, worin das Wesen jener Elemente besteht, und von welcher Beschaffenheit die Verbindung derselben mit einander ist. Die Antwort hierauf

haben wir theils gegeben, theils muß sie den folgenden Theilen überlassen bleiben. Ebenso kann die weitere Erwägung des Einflusses, den in Folge jener Verbindung das speculative Element auf das historische ausübte, nicht hier zur Erledigung gebracht werden. Vielmehr fällt unserer gegenwärtigen Untersuchung nur der Punkt anheim, im großen Ganzen den Gang uns zu vergegenwärtigen, den die philosophische Speculation der römischen Juristen einschlug, und den Einfluß in Betracht zu ziehen, den jene Verbindung auf diese Speculation selbst ausübte. Hiermit gewinnen wir das gegenwärtig zu erforschende Gesammtresultat der wissenschaftlichen Bestrebungen der gegenwärtigen Periode, insoweit wir dieselben in ihren fimultanen Verhältnissen in's Auge faffen. Da jedoch unsere Aufgabe zugleich eine historische ist, so wendet sich unser Blick rückwärts zu den Punkten, welche als Resultate die Rechtsphilosophie Griechenlands und Cicero's abschlossen, um uns der successiven Veränderungen bewußt zu werden, welche in jenem Gange der Speculation sich uns offenbaren.

Die allgemeinen Momente, auf denen die Verschiedenheit in dem Gange der Speculation der Philosophie einerseits und der Jurisprudenz andrerseits im großen Ganzen beruht, lassen fich auf folgende vier Differenzpunkte zurückführen:

Zunächst sind die zur Beantwortung aufgestellten rechtsphilosophischen Probleme theilweis audere geworden; denn neben die von der griechischen Philosophie bereits aufgeworfenen Fragen: Was ist das Recht? Woher stammt das Recht? und Wer ist das Rechtssubject? treten nunmehr selbstständig die weiteren Fragen: Worauf beruht die verbindliche Kraft des Rechtes? und Welches sind die allgemeinsten leitenden Principien des Rechtes? Diese fünf Fragen sind es, welche nunmehr den Gang der Speculation selbstständig bestimmen und nach einer theilweis neuen Richtung wenden.

Sodann erleidet der zu bestimmende Begriff selbst, um welchen herum jene Fragen sich concentriren, eine Veränderung: nur in untergeordneter Maaße und nur theilweise werden bezüglich des Rechtes im Allgemeinen jene Fragen gestellt und erle= digt; vielmehr tritt an die Stelle des einheitlichen Rechtsbegriffes als der Mittelpunkt der Probleme eine zwiefältige, der

Jurisprudenz bercits überlieferte Classification des Rechtes in dem jus naturale und jus civile, und in dem jus gentium und jus civile. Um beide Begriffspaare gruppiren sich nun vornämlich jene fünf Fragen, weniger aber unmittelbar um den Begriff des Rechtes im Allgemeinen.

Nicht minder wird der für die Untersuchung maaßgebende Bestandtheil des Begriffes innerhalb des ersten Problemes ein anderer: an die Stelle des Inhaltes des Begriffes tritt dessen Umfang, somit der Inhalt des Rechtes selbst, als das die Bewegung der Untersuchung maaßgebend bestimmende Centrum; hiermit werden zugleich die Denkformen, auf welche die Untersuchungen sich zuspigen, andere: die logisch systematische Form der Definition erscheint nicht mehr als der Endpunkt der Erörterung.

Endlich wird der Umfang des Begriffes weniger in der hierfür gegebenen logisch-systematischen Form der Eintheilung, als vielmehr in einer Summe von Urtheilen dargelegt: der Inhalt des Rechtes wird weniger unter allgemeine leitende, nach logischer Regel gewählte Gesichtspunkte concentrirt, von hier abwärts nach weiteren Unterabtheilungen classificirt, und so in ein wohlgegliedertes und durchgeführtes System gebracht und nach solchem methodisch verarbeitet, als vielmehr überwiegend nach seinen besonderen Erscheinungsformen aufgefaßt und ohne Weiteres in seinen Einzelheiten behandelt.

Indem wir nun diese Veränderungen im Gange der Speculation im Einzelnen verfolgen und hierbei das unserer Untersuchung bisher im Allgemeinen fremd gebliebene erste Problem der besseren Orientirung willen in den Kreis unserer Reflexion mit hereinziehen, so faffen wir zunächst die Beziehung der obigen Probleme zum Rechte im Allgemeinen in's Auge und erkennen hier, daß in Bezug auf dieses nur die drei Fragen: Was ist das Recht? Welches ist der Grund der verbindlichen Kraft des Rechtes? und Welches sind die Principien des Rechtes? gestellt wurden. Die Zweite dieser Fragen kehrt jedoch bestimmter wieder bei der Lehre vom jus naturale, jus gentium und jus civile und findet hier eine ausführlichere Behandlung, daher wir dieselbe nach §. 94 verweisen; dagegen hinsichtlich der anderen beiden Fragen ist es nur Ulpian und resp. Celsus, von welchen

eine besonders formulirte Antwort darauf uns überliefert ist, theils in den Definitionen:

jus est ars boni et aequi; Celsus bei Ulpian. lib. 1. Instit.

(1. 1. pr. D. de J. et J. 1, 1.), wozu Ulpian. selbst 1. c. ( 1. §. 1. D. cit.);

justitia est constans et perpetua voluntas, jus suum cuique tribuendi; Ulpian. lib. 1. Regul. (1. 10. pr. D. de J. et J. 1, 1); wozu vergl. Tryphonin. 1. 9. Disput. (l. 31. §. 1. D. depos. 16. 3.): justitia, quae suum cuique tribuit und jurisprudentia est divinarum atque humanarum rerum notitia, justi atque injusti scientia; ebendas. (l. 10. §. 2. D. cit.); sowie anderntheils durch Aufstellung der juris praecepta: honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere; ebendas. (1. 10. §. 1. D. cit.).

Alle diese Resultate vermögen jedoch in keiner Weise Anspruch auf irgend welche höhere Bedeutung zu erheben, vielmehr ist die Definition des Celsus vom jus, vielleicht influirt som καλὸν καὶ δίκαιον ber Gtoifer, vollifommen vag und unbestimmt, während die Definition von der justitia nur das άoνεμητικὸν τῆς ἀξίας ἑκάστῳ, δie von der jurisprudentia im Wesentlichen nur die Definition der Stoiker von der pilooogia reproducirt (vergl. §. 27. 28.). Dagegen von den tria praecepta lassen sich die letzteren beiden bereits bei Cicero als Rechtsvorschriften nachweisen (§. 38), gehören aber zweifelsohne bereits früheren Stoifern an, während das honeste vivere die von Cicero den Stoikern nachgebildete Grundformel ist, welche die Gesammtheit der ethischen Pflichten repräsentirt, im Munde Ulpian's aber eine bei Weitem beschränktere Beziehung annimmt (§. 27, 37, 64 bei Note 518).

Sehen wir indeß ab von diesen unbeachtlichen Resultaten, die Leistungen der römischen Jurisprudenz im großen Ganzen für die Erforschung des Wesens des Rechtes in's Auge fassend, so haben wir zuzugestehen, wie in dieser Beziehung dieselbe durchaus nichts Neues, noch Erhebliches geleistet hat: wir begegnen vielmehr nicht einer einzigen, irgendwie nennenswerthen neuen Ideencombination.

Was insbesondere die Abgränzung des Rechtes nach Außen hin gegen die übrigen Theile der Ethik betrifft, so bleibt auch

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