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wieder auf der Bühne honoris causa, obwohl er honoris causa hätte wegbleiben sollen. Das kann freilich alles unrichtig sein, aber es lehnte sich doch an die historische Vorstellung, daß ein gesunkener Staat mit der Vergangenheit coquettirt. Nun höre man Herrn Müller! Ebenso gut, meint er S. 453 fg., könnte es dem Kaiser von Desterreich als Nachfolger Julius Cäsars einfallen, in seinen Regierungserlassen dem wirklichen gregorianischen Datum das julia, nische voranzustellen u. s. w. Dies nun eben ist der mangelnde historische Sinn, das ernsthafte, mächtige Desterreich und das herabgekommene aber immer noch aufgeblasene Völkchen Athens! Von den eitelen Kleinstädtern später Zeit wird jede Absurdität entfernt, der besseren älteren Zeit hingegen die Nichtannahme eines damals vortrefflichen Kalenders sicherlich eine Absurdität zugemuthet.

Ich kann diese (später vielleicht noch fortzusegende) Polemik nicht schließen ohne auf die schiefe Stellung hinzuweisen, welche Herr Müller zu den zwischen Böckh und mir gepflogenen Debatten einnimmt. Ich entnehme dieselbe aus der starken Partheilichkeit zu Gunsten der böckhschen Ansichten. Es ist diese Partheilichkeit, wie ich glauben darf, eine weder gewollte noch gewußte, doch jedem dritten leicht wahrnehmbare. Herr Müller hat früher sich ganz den böckhschen Ansichten hingegeben, und wie achtbar ich nun an sich selbst das Bestreben finde sich zur Wahrheit hindurchzuarbeiten und dem Beharrungsvermögen deutscher Gelehrten im Princip wenigstens zu entsagen, so habe ich mich doch davon überzeugt daß es dem Herrn Müller nicht völlig gelungen ist, sich von dem in früheren Arbeiten ihm geläufig gewesenen Systeme böckhscher Chronologie loszumachen. Augenscheinlich ist ihm darum zu thun daß der Sjährige Kalender wenigstens doch die 19 Jahre von 432 a. Ch. ab als sein Terrain behalte. Sein Sinn ist noch viel zu heimisch im Octaeteridensystem um den Gegengründen ihr Recht zu gewähren, welche, wenn man absieht von ideologischer Träumerei, überwältigend sind und auch auf die ganze Haltung der böckhschen „Studien" so eingewirkt haben. Indeß weiß ich nicht ob es mir je gelingen wird, den Herrn Müller zum idelerschen System dem alten, soliden, von mir in

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neuer Edition *) besorgten zurückzulocken oder zurückzumahnen. Was man einmal ganz gewesen, davon ist schwer völlig loszukommen; desto leichter ist's, es zu vollständiger Halbheit **) zu bringen.

*) Ich meine selbstverständlich nicht daß nach diesem idelerschen Systeme zweiter Edition alles ohne Ausnahme glatt weg erklärt werden kann, wie denn z. B. Scaligers Hypothese über den Schaltmond hinzugenommen, im Ptolem. Alm. 4 S. 278 tоυ пo̟оτéдоv ausgestrichen oder (wie Beitr. S. 59) entschuldigt werden muß. Aber so lange das Material nicht erheblich sich ändert, ist dies System das richtige.

**) Gin treffendes Beispiel für diese Halbheit ist Tucho de Brahe. Er war ein geschickter und verdienter Astronom und um so stärker wirkten die Grände des neuen Systems anf ihn ein. Er wollte mit der Wahrheit transigiren und sann sich nun ein seltsames Mittelding von System aus, worüber man heute die Achseln zuckt und wovon Kepler sagt daß der Sonne hier die Ehre vindicirt werde, in Form eines Fasteubrezels zu laufen (s. Vita des Copernicus). ́

Parchim.

August Mommsen.

Ueber den Amtseid der attischen Archonten.

Schömann in den griechischen Alterthümern Th. I. S. 416 bemerkt, bei ihrem Amtsantritt hätten die Archonten eidlich gelobt, die Geseze treulich zu beobachten und unbestechlich zu sein, im Uebertretungsfalle aber eine goldne Bildsäule von gleicher Größe wie sie selbst zu Delphi, zu Olympia und in Athen zu weihen. Die Zeugnisse der Alten, auf welche diese Ansicht, die so viel ich weiß allgemein von den Neueren getheilt wird, sich gründet, find folgende.

pollux VIII. 86: ὤμνυον δ ̓ οὗτοι πρὸς τῇ βασιλείς στοῦ ἐπὶ τοῦ λίθου ὑφ ̓ ᾧ τὰ ταμιεῖα, συμφυλάξειν τοὺς νόμους καὶ μὴ δωροδοκήσειν, ἢ χρυσοῦν ἀνδριάντα ἀποτῖσαι· εἶτα ἐντεῦθεν εἰς ἀκρόπολιν ἐλθόντες ὤμνυον ταὐτά. So ftelle dieses Zeugniß voran, weil Pollur in diesem ganzen Abschnitte größtentheils sich genau an Aristoteles Darstellung der attischen Verfassung angeschloffen hat: es wird dies für den vorliegenden Fall durch die Uebereinstimmung mit den Ercerpten aus den ПohiTεial des Heraklides, die anerkanntermaßen aus Aristoteles Werk fammen, beftätigt: hier lefen wir c. 1: εἰσὶ δὲ καὶ ἐννέα ἄρ χοντες, οἳ καὶ θεσμοθέται (fo ift fiatt bes wiverfinnigen ἄρχον τες θεσμοθετικοί, wie Goneisewin fcreibt, au serbeffern), οἳ δοκιμασθέντες ὀμνύουσι δικαίως ἄρξειν καὶ δῶρα μὴ λήψεσ θαι ἢ ἀνδριάντα χρυσοῦν ἀναθήσειν *). Die Stelle bes Tollux,

*) Dazu kommt noch das bestimmte Zeugniß des Harpocrat. S. 120, 28 (Thotius 223, 25) εοίκασι δ' Αθηναῖοι πρός τινι λίθῳ τοὺς ὅρκους ποιεῖσθαι, ὡς Αριστοτέλης ἐν τῇ Αθηναίων πολιτείᾳ καὶ Φι λόχορος ἐν τῷ γ' ὑποσημαίνουσιν, weides wohl eben auf biefen Gib der Archonten zu beziehen ist.

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wo Bekker nach der Hdschr. des Schottus ip' ý và rameïa für ¿p' à qɩ ramieła geschrieben hat, habe ich schon vor vielen Jah. ren in der Epist. ad Schüllerum p. 131 verbessert: & q' ov τόμια, φυλάξειν, nur wage id jegt nigt mehr bie Trapofition σύν gana au tilgen, fonbern fchreibς: ἐφ ̓ οὗ τὰ τόμια συός, qvλážɛiv, *) Daß bei solchen feierlichen Eidschwüren Schweineopfer nicht ungewöhnlich waren, beweist Pausan. IV. 15, 8 wo er erzählt, daß Herkules und die Neliden sai toμiwv xánov einen Eid schwuren: auf diesen Brauch scheint auch Aristoph. Lysistr. 202 hinzudeuten, um von den Suovetaurilien bei der Beeidigung auf dem Areopag abzusehen: ebenso war es altitalische Sitte, wie die Münzen der Italiker aus dem Bundesgenossen-Kriege beweisen.

Zur Bestätigung und theilweise zur Ergänzung dient Plutarch vit. Sol. c. 25: Κοινὸν μὲν οὖν ὤμνυεν ὅρκον ἡ βουλή, τοὺς Σόλωνος νόμους ἐμπεδώσειν, ἴδιον δ ̓ ἕκαστος τῶν θεσμοθε τῶν ἐν ἀγορᾷ πρὸς τῷ λίθῳ καταφατίζων, εἴ τι παραβαίη τῶν θεσμῶν, ἀνδριάντα χρυσοῦν ἰσομέτρητον ἀναθήσειν ἐν depois. Daß Plutarch aus alter guter Quelle geschöpft hat zeigt schon der Ausdruck deguo9έtai als Gesammtname für die Archonten wie es scheint ganz gemäß dem Sprachgebrauch der solonischen Verfassung selbst, sowie das ionische natapatiser. Aber Plutarch ist auch hier wie anderwärts fahrläßig, indem er die Unbestechlichkeit, welche die Archonten geloben, als unwesentlich übergeht: und doch ist dies gerade die Hauptsache, wodurch das Nachfolgende, wie ich gleich zeigen werde, erst verständlich wird.

Aber in einem Punkte ist Plutarch genauer als Pollur und Heraklides, die beide dem Aristoteles gefolgt find, indem er zu ἀνδριὰς χρυσοῦς sie nägere Beftimmung ισομέτρητος fingufügt: daß diese Bestimmung (wenn auch nicht gerade das gleiche Wort, eher vielleicht looordo10s) sich in der Eidesformel fand, bestätigt die Uebereinstimmung Platos Phädr. 235. D (f. nachher). Aber

*) Meineke Add. Com. T. V. p. CCCXL wollte un qulážeır schreiben, was mich eben so wenig befriedigt, als ev quiážei wie ich früher vermuthet hatte. Der Vorschlag Schneidewins anorioa bei Pollur mit άvadjoɛw zu vertauschen entbehrt jedes Grundes: es handelt sich freilich der Form nach um ein Weihgeschenk, aber factisch um eine Buße.

Mus. f. Vhilol. N. F. XIII,

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gerade dieser Zusag ist falsch gedeutet worden. Nach dem Vorgange von Coraes versteht man darunter eine lebensgroße Bildsäule von gleicher Höhe wie der Schuldige selbst. Eine solche Buße hat etwas ganz abnormes und ungeheuerliches; sie würde namentlich in der Zeit Solons, wo im Allgemeinen auch bei den reicheren Familien fich nur mäßiger Besiß fand, die Kräfte des Einzelnen weit über schritten haben: auch erscheint es hart und unbillig für jedes Vergehen ohne Unterschied, ob es schwer oder unbedeutend war, die gleiche Buße festzusehen. Man hat dies auch gefühlt, und Coraes, dem Westermann beistimmt, meint zovoous fei soviel als énízovoos *): in der Rede des gewöhnlichen Lebens wie in der Dichtersprache ist eine folche Deutung zulässig, aber sie verträgt sich schlecht mit dem Ernst des Gesezes, mit der Heiligkeit des Eides. Einen anderen Ausweg schlägt Schömann ein, er glaubt es sei dies nur ein alterthümlicher Ausdruck, um eine unerschwängliche Buße zu bezeichnen, deren Nichterlegung nothwendig Atimie zur Folge haben mußte. Derglei chen ließe sich wohl als wißige Antwort auf die Frage, was für Strafe ein pflichtvergeffener Beamter verdient habe, hören; aber nimmermehr kann ein ernster von der Würde und Hoheit des Geseges durchdrungener Staatsmann, wie Solon, eine solche Bestimmung getroffen haben: er hätte ja dann ganz einfach die Atimie als Strafe aussprechen können.

Für gerecht kann eine Strafe nur gelten, wenn sie zu dem Vergehen selbst in einem richtigen Verhältniß steht: Solon konnte unmöglich für alle Uebertretungen des Gefeßes eine gleiche Buße festsezen: es handelt sich aber hier nur um eine Art von Vergehen, um Bestechung: die Archonten schwören namentlich in ihrer Eigenschaft als Richter, die Geseze streng zu beobachten (róμovs φυλάξειν, bie Jormet war wohl ἐμπεδώσειν τοὺς θεσμούς) μηδ nicht durch Bestechung sich von dieser Pflicht abwendig machen zu laffen, im llebertretung falle aber einen ανδριὰς χρυσοῦς ἐσομέ rontos als Buße in Delphi zu weihen. Auf Bestechung aber war eine besonders hohe Strafe, nämlich zehnfache Buße gefeßt. Dis

*) Ueber die eigentliche Bedeutung von Enixovoos und den Unterschied yon κατάχρυσος από περίχρυσος fiche Body Staatehanel. II. 167.

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