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AUS DER VORREDE ZUR ERSTEN AUFLAGE.

Nachdem ich meine Ansichten über das bei der Lectüre der griechischen und lateinischen Classiker auf den Gymnasien zu beobachtende Verfahren, so wie über die zweckmässigste Einrichtung von Schulausgaben derselben in den beiden Osterprogrammen unsers Obergymnasiums von den Jahren 1848 und 1849 ausführlich dargelegt habe, wird es über die auf dem Titel angegebene Bestimmung der vorliegenden Bearbeitung eines Theils der Horazischen Dichtungen und die bei derselben befolgten Grundsätze nur einer kurzen Andeutung bedürfen. Dass die Lectüre der Satiren und Episteln des Horaz nur für die oberste Stufe des Gymnasialunterrichts gehört, darüber wird unter kundigen Schulmännern nur Eine Stimme sein. Denn nur hier lässt sich die geistige Reife voraussetzen, welche zu einem nicht bloss oberflächlichen Verständniss derselben erforderlich ist. Je tiefer aber das Verständniss, desto sicherer ist auch bei dem Schüler auf ein nicht bloss momentanes Interesse an dieser Lectüre zu rechnen, wenn gleich nicht zu verkennen ist, dass der an Lebenserfahrungen reichere Mann diese Dichtungen in anderer Weise lesen und einen ungleich höheren Genuss von dieser Lecture haben wird, als selbst der reifste Schüler einer ersten Gymnasialclasse von derselben haben kann. Denn auch von Horaz, und ganz besonders von seinen Satiren und Episteln, gilt, wie ich schon in dem eine Bearbeitung der 4ten und 10ten Satire des ersten, nebst der 1sten des zweiten Buches enthaltenden Programme von 1850 zu bemerken Gelegenheit hatte, dasselbe, was Lichtenberg von der Lectüre des Tacitus irgendwo gesagt hat:,,Latein ist nicht das Einzige, was man wissen muss, um sie zu verstehen; man muss sehr viel selbst mitbringen". Wollen wir indessen den Schüler wenigstens zu dem auf seiner Bildungsstufe möglichen Verständniss dieser Dichtungen führen und sein Interesse an denselben erwecken, so ist es vor Allem erforderlich, dass die Erklärung nicht bei dem Einzelnen stehen bleibe, sondern besonders auf die sorgfältigste Entwicklung der Gedankenfolge und die Auffassung des Ganzen gerichtet sei. So wie aber diese bei der Behandlung des Gelesenen in der Schule ins Auge zu fassen ist, so hat auch eine für den Schulgebrauch

bestimmte Ausgabe auf dieselbe ihr Augenmerk zu richten, um den Schüler schon bei seiner Vorbereitung zu einer solchen Auffassung zu führen. Dass diese Aufgabe für den Schüler eine nicht leichte ist, weiss jeder Schulmann aus eigener Erfahrung. Um so mehr ist der Schüler berechtigt, eine Hülfe in Anspruch zu nehmen, wie sie in der gegenwärtigen Ausgabe nach der Absicht des Verfassers ihm gewährt werden soll. Dass durch dieselbe seine Arbeit ihm zu leicht gemacht werde, glaube ich nicht besorgen zu dürfen. Im Gegentheil glaube ich durch das ihm Dargebotene dafür gesorgt zu haben, dass noch Anstrengung des Nachdenkens genug für ihn übrig bleibt, wenn er unter gewissenhafter Benutzung desselben sich dasjenige aneignen und sich in den Stand setzen will, das zu leisten, worüber er als ein genügend und vollständig vorbereiteter Leser demnächst dem Lehrer bei der Durchnahme des Gelesenen Rechenschaft geben soll. Es sei mir vergönnt, in dieser Beziehung noch an ein Wort von Fr. Jacobs in der Vorrede zu der ersten Abtheilung seiner Blumenlese aus römischen Dichtern zu erinnern, welches ich gern auf das von mir für den Venusinischen Dichter Geleistete angewandt sehen möchte. ,,Ist der Unterricht in der Schule, wie wir für recht halten, eine fortgehende belehrende Prüfung, bei welcher der Schüler angeregt wird, das, was er gelernt hat, gleichviel aus welcher Quelle, anzuwenden, vorzutragen und zu rechtfertigen, so darf der Lehrer keinesweges fürchten, dass er vor der Stimme des vorlauten Commentars verstummen müsse. Er wird nicht nur reichliche Veranlassung haben, nachzuforschen, ob der Schüler die Anmerkungen, aus denen er seine Vorbereitung geschöpft, richtig verstanden habe, sondern er wird auch häufig mit ihm die Behauptung des Commentars untersuchen und in jedem Falle wird er Gelegenheit finden, das, was die Anmerkungen kurz nnd ohne Beweise aufstellen oder andeuten, sorgfältiger zu entwickeln und tiefer zu begründen. Für einen solchen Unterricht haben wir unsere Anmerkungen bestimmt.“

Braunschweig, den 14. November 1852.

VORREDE ZUR SECHSTEN AUFLAGE.

Die gegenwärtige Auflage stimmt zwar mit der nächst vorhergehenden vom Jahre 1866 nicht bloss im Allgemeinen in der Bogenzahl, sondern auch fast Seite für Seite überein; jedoch ist sie keineswegs ein unveränderter Abdruck derselben. Eine Vergleichung beider Auflagen wird zeigen, dass es an mancherlei kleineren, hie und da auch grösseren Veränderungen oder Zusätzen in dem Commentar nicht fehlt, zu denen fortwährende Beschäftigung mit dem Dichter und der auf denselben bezüglichen Litteratur mir Veranlassung gegeben hat, wiewohl ich mich nicht genöthigt gesehen habe, Veränderungen in der bisherigen Erklärung gerade solcher Stellen vorzunehmen, die bekanntermassen die wahrhaften cruces interpretum unsers Dichters ausmachen, Zu diesen gehört u. a. gleich Sat. I, 1, 88-91; auch hier ist im Wesentlichen die frühere Erklärung wiederholt, an welcher ich auch jetzt noch festhalten zu müssen glaube. Doch hielt ich es nicht für unangemessen, eine neuerdings von Mezger (Beitrag zur Erklärung der Satiren des Horatius. Augsburg 1866. Einladungsschrift der Studienanstalt bei St. Anna) versuchte Erklärung beizufügen, um sie weiterer Beachtung zu empfehlen. Dieselbe schliesst sich an die schon von Döderlein ausgesprochene Auffassung des infelix V. 90 an, gründet sich aber zur Erklärung von V. 91 auf die mit einem Aufwande von grosser Gelehrsamkeit gegebene Nachweisung des Gebrauchs der Esel im römischen Alterthume nicht bloss zum Lasttragen, sondern auch zum Fahren und Reiten. Nach Mezgers Erklärung bildet in campo eine Antithese (erst auf dem Marsfelde) zu infelix (erst in deinem Unglücke), und der Grund der verlorenen Mühe ist nicht in der Schwierigkeit des Versuches den Esel zuzureiten, sondern in der Verspätung desselben zu suchen. So wenig ich aber das davóv in der Beweisführung des Verfassers verkenne, die bei der ungemeinen Belesenheit desselben gewissermassen zu einer Ehrenrettung des so vielfach verkannten Lastthiers geworden ist, so kann ich doch die Bemerkung nicht unterdrücken, dass es befremden muss, in der Vergleichung, auf welche es hier ankam, gerade den Esel gebraucht zu sehen, da eben dasselbe nicht minder richtig auch in Betreff des Pferdes hätte

gesagt werden können. Das Pferd aber lag doch unstreitig näher, als der erweislich seltener zum Reiten oder Fahren benutzte asellus.

Eine andere derartige Stelle findet sich Sat. I, 4, V. 21 in den Worten ultro delatis capsis et imagine. Die neue jetzt von mir angenommene Erklärung verdanke ich einem Aufsatze von Emanuel Hoffmann in der Zeitschr. für die österr. Gymnasien 1868, H. 4, in welcher die hier anzunehmende Bedeutung des Verbums deferre, wie mir scheint, ausser Zweifel gesetzt ist. Weniger habe ich mich von der Richtigkeit des über Sat. I, 4, 24 (utpote plures culpari dignos) daselbst Gesagten überzeugen können und deshalb meine bisherige Erklärung beibehalten mit Hinzufügung noch eines Beispiels aus Plat. Phaedon.

Auf andere weniger bedeutende Veränderungen in der vorliegenden Auflage hier aufmerksam zu machen, halte ich für überflüssig. Um aber auch jetzt nicht zu verschweigen, was in den wiederholten Bearbeitungen meiner zuerst 1853 erschienenen Ausgabe zur Vervollständigung oder Berichtigung der ersten Arbeit hinzugekommen ist, und namentlich nachzuweisen, woher dasselbe entlehnt ist,*) desgleichen wo weitere Ausführungen des von mir als richtig Angenommenen zu finden sind, scheint es mir zweckmässiger, anstatt die darüber sich aussprechenden Vorreden zu den früheren Auflagen unverändert abdrucken zu lassen, nur auszugsweise in geordneter Reihenfolge die betreffenden einzelnen Stellen anzugeben und das in den verschiedenen Vorreden zu denselben Bemerkte kurz zu wiederholen.

Sat. I, 3, 4-7 liegt meiner Auffassung der conditionalen Tempora zu Grunde die sehr beachtungswerthe ausführliche Behandlung der angeblichen enallage imperfecti pro plusquamperfecto in den hypothetischen Satzverbindungen der lateinischen Sprache von Etzler in den Jahrb. für Phil. und Pädag. 1829 Bd. XI, S. 212 -219, durch welche derselbe die schon in seinen ,,Spracherörterungen" (Breslau 1826) aufgestellte Ansicht von dem Gebrauche des lateinischen Conjunctivs in dem sumptiven Bestimmungssatze weiter zu begründen gesucht hat.

Ebendaselbst V. 56 ff. probus quis... ille] wegen der Erklärung und Lesart (ille statt illi) s. Theod. Schmid de locis quibusdam Satirarum et Epistolarum Horatii. Halberstadii 1863.

Ebendaselbst V. 82 ff. Ueber die amaras historias des Ruso s. Nipperdey de locis quibusdam Horatii ex primo Satirarum commentatio altera. Jenae 1858.

Sat. I, 4, 25. elige statt erue, vertheidigt von Schmid a. a. 0.

*) Nur zuweilen sind die Urheber der einen oder anderen Erklärung an der betreffenden Stelle selbst namhaft gemacht, da im Allgemeinen Angaben dieser Art dem Zwecke einer Schulausgabe fern liegen.

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