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der meisten civilisirten Staaten der Gegenwart, als auch ein nicht leicht zu erseßendes Bildungsmittel für die Juristen aller Zeiten. Je weiter sich die Rechtsbildung und die Jurisprudenz von den Einflüssen des römischen Rechts entfernt gehalten, desto geringer ist im Allgemeinen ihre Entwicklung geblieben. In einzelnen deutschen Ländern haben die Rechtsbücher Justinians, in welchen. uns die hauptsächlichsten Resultate der römischen Rechtserzeugung überliefert wurden, dem größeren Theile ihres Inhaltes nach noch heute unmittelbare gefeßliche Geltung, und finden in kirchlichen Rechtsquellen, deutschen Rechtsgewohnheiten, den deutschen Reichs- und resp. Landesgeseßen ihre Ergänzung. Durch den Einfluß solcher und ähnlicher Elemente modifizirt ist es in anderen Ländern deutscher Zunge, und überhaupt Europa's die Hauptgrundlage der Gesetzgebungswerke derselben geworden. Dieß gilt insbesondere von den drei großen Civilgeseßbüchern, dem österr. allg. bürgl. Gefeßbuche, dem preußischen Landrechte, und dem code civil, welche mehr oder weniger Vorbild aller späteren Legislationen wurden.

In den Ländern der ersten Klasse erscheint das Studium des römischen Rechtes schon des praktischen Bedürfnisses wegen als unentbehrlich; aber auch dort, wo das römische Recht zwar nicht mehr als Geset gilt, das herrschende Recht jedoch aus demselben hervorgewachsen ist, muß die Jurisprudenz an dieses nothwendig anknüpfen, um das einheimische Recht aus seiner Quelle zu verstehen und zu erklären. Jenes Verhältniß des römischen Rechtes zu dem Rechtszustande der neueren Kulturvölker ist kein willkürlich gemachtes, sondern ist das Resultat eines nothwendigen geschichtlichen Entwicklungsganges. Das römische Volk ward von der Vorsehung zur Kultur des Rechtes im Alterthume vorzugsweise berufen, und mit den hiezu erforderlichen Anlagen in ganz besonderem Maße ausgestattet 1). Bei ihm ist der Rechtsbegriff succesiv in seiner vollen Reinheit und Selbstständigkeit ausgebildet, und mit einer, durch hohen Scharfsinn und seltenen praktischen Takt geleiteten Konsequenz in das feinste Detail des Privatrechtes bearbeitet worden 2). Die eigenthümliche Gestaltung mancher Rechtsinstitute, und die mitunter räthselhaften Formen, in denen das Recht anfangs in höherem Maße befangen erscheint, sind vorzugsweise nur ein Resultat der überwuchernden Thätigkeit jener Grundtriebe des römischen Volkscharakters, welche für die Kultur des Rechts so entscheidend waren, in welchen die zufällige nationale Beimischung ihren Einfluß nothwendig geltend machte. Solche Einseitigkeiten haben selbst wesentlich beigetragen, fremdartigen Elementen den Eintritt in das Rechtsgebiet zu verschließen, und so den Rechtsgedanken in seiner Reinheit zu erhalten. Der Schuß gegen Ausartung lag in den früheren Perioden vorzüglich in der Individualität der Römer und ihren politischen Einrichtungen. Der praktische Sinn der Römer, der mit der steigenden Entwicklung des Lebens parallel ging, hat jene Eigenthümlichkeiten succesiv zum großen Theile auf dem Gebiete des Rechtes selbst überwunden, und dem

nationalen Rechte dadurch eine innere Allgemeingiltigkeit verliehen, welche allein ihm die Herrschaft über die entferntesten Generationen der meisten civilisirten Völker sichern konnte. Zu ihrer Vollendung aber konnte diese Ueberwindung bei den Römern selbst nicht gedeihen. Ihre ganze Anschauungsweise der menschlichen Verhältnisse war gleich ihrem Verkehrsleben naturgemäß zu einem bestimmten Abschluße gekommen, mit dem auch die ursprüngliche Produktivität verschwand. Bei einem jüngeren Volke, dessen geistige Bildungskraft mit neuen geistigen Elementen erfüllt war, mußte das von den Römern erzeugte Recht von seinen Schranken erst völlig befreit und durch die Verschmelzung mit wesentlichen ihm nicht inwohnenden Prinzipien auf eine höhere Stufe erhoben werden. Diese neue Welt war die germanische, die des römischen Elementes im Rechte eben so sehr bedurfte, als dieses nur in ihr ein frisches Leben beginnen konnte. Die eigenthümlich germanische Rechtsbildung war an sich selbst eine unvollkommene, in welcher der Gedanke des Rechts nicht in seiner Selbstständigkeit zur Erscheinung kam. Das Natürliche, allgemein Menschliche waltet in ihr vor, und die Lebensverhältnisse erhalten dadurch schon in ihrer ursprünglichen Gestalt mehr die Bedeutung von wirklichen Rechtsverhältnissen das Recht wird von der Moral gleichsam beherrscht 3). Diese mit hoher geistiger Kraft verbundene Anlage für das allgemein Menschliche in dem germanischen Elemente war es wesentlich, welche dem römischen Rechte seine Einseitigkeit benehmen, und selbst wieder durch dieses auf das wahre Maß im Rechte zurückgeführt werden mußte. So konnte ein gediegeneres Rechtssistem erwachsen, welches in fortschreitendem Bildungsprozesse seiner Vollendung entgegengeht 4). Von diesem Gesichtspunkte aus wird die sogenannte Rezeption des römischen Rechts in Deutschland, sammt den hiermit in Zusammenhang stehenden früheren und nachgefolgten Erscheinungen im praktischen Rechtsleben und in der Jurisprudenz erst in dem wahren Lichte erkannt, und Klagen über Unterdrückung einheimischer Rechtsbildung, so wie die freilich meist nur theoretischen Anläufe den römischen Stoff aus dem heutigen Rechtswesen zu beseitigen, erscheinen als die Ergebnisse einer, wenn auch von patriotischem Gefühle beherrschten, so doch befangenen Auffassung des nothwendigen historischen Bildungsganges im Rechte.

Die Funktion eines allgemeinen juristischen Bildungsmittels kommt dem römischen Rechte durch die aus dem Haupttheile der justinianischen Rechtsbücher den Pandekten uns ersichtliche, in ihrer Weise unübertreffliche Methode der Behandlung des Rechtsstoffes zu. Eine eigentliche Wissenschaft des Rechtes ist den Römern zwar fremd; allein in der Auffassung der wesentlichen Beziehungen der Lebensverhältnisse und in der consequenten Entscheidung derselben nach den oft mehr durch ihren Takt herausgefundenen, als mit völliger Sicherheit gewußten Prinzipien haben sie, ungeachtet ihrer oft allzugroßen Subtilität ein Musterbild für alle Zeiten aufgestellt 5). Dieser dem Juristen

unentbehrlichen Kunst führt das Studium der Pandekten auf dem unmittelbarsten und sichersten Wege zu. Doch kann die heutige Jurisprudenz auch in dieser Richtung bei ihrem römischen Muster nicht stehen bleiben, sie muß vielmehr belebt durch den Geist der echten philosophischen Wissenschaft, eine selbstständige prinzipielle Behandlung des Rechtes, welche über die römische im praktischen Gebiete der Kasuistik vornehmlich sich bewegende Technik hinausgeht, sich eigen machen.

Jhering a. a. O. Bd. I. S. 300.

Jhering II. S. 142 f. S. 303 f. Lenz a. a. D. S. 140.

3) Gaupp die Zukunft des deutschen Privatrechts. 8. Breslau 1847. S. 12. 13. 4) Esmarch in der allg. Monatsschrift für Wissenschaft und Litteratur. 8 Braunschweig 1853 XII. H. S. 1022.

5) Stahl Philosophie des Rechts. II. Bd. 1 Abth. (2. Aufl.) 8 Berlin 1. 845. S. 401. Leibnitii Opp. ed. Dutens. 4, Genev. 1768 vol. III. pag. 267. Dixi saepius, post scripta Geometrarum nihil extare, quod vi ac subtilitate cum Romanorum Ict. scriptis comparari possit; tantum nervi inest, tantum profunditatis. Nec uspiam juris naturalis praeclare exculti uberiora vestigia deprehendas. Et ubi ab eo recessum est, sive ob formularum ductus, sive ex majorum traditis, sive ob leges novas, ipsae consequentiae, ex nova hypothesi aeternis rectae rationis dictaminibus additae, mirabili ingenio nec minori firmitate deducuntus.

§. VII.

Begriff der Institutionen und Pandekten des römischen Rechtes im heutigen Sinne.

Der im vorigen Paragraphe dargelegte Zweck des Studiums des römischen Privatrechts verlangt, daß leßteres vor Allem in jener Gestalt rein erkannt werde, in welcher es uns durch die justinianischen Rechtsbücher überliefert wurde. Das Verständniß kann aber nur dann vollkommen sein, wenn zugleich der innere Bildungsgang der Rechtsinstitute in seinen Hauptmomenten, sowie jene Elemente des Volks- und Staatslebens richtig gewürdigt werden, welche auf die Entwicklung des Rechts bei den Römern im Allgemeinen von entscheidendem Einflusse gewesen sind. Das System und die innere Geschichte des römischen Privatrechtes in seiner Reinheit darzustellen, sind nach dem jezt in Deutschland ziemlich allgemein herrschenden wissenschaftlichen Sprachgebrauche, die „Institutionen" bestimmt. Sie beschränken sich keineswegs nothwendig auf die Grundbegriffe dieses Systems 1), wohl aber scheiden sie alle fremdartigen Elemente aus, welche im Laufe der Zeit auf das bei den neueren Kulturvölkern rezipirte römische Recht modifizirend eingewirkt haben.

Die Pandekten hingegen haben dem obengedachten (auf andere, nichtdeutsche Länder des römischen Rechts analog übertragbaren) Sprachgebrauche zu Folge, die Aufgabe, das in Deutschland noch geltende römische Privatrecht, d. h. soweit es auf römischen Rechtsquellen beruht, und durch neuere Rechts

bestimmungen nur modifizirt worden ist, darzustellen. Für solche Bearbeitungen sind auch die Bezeichnungen „gemeines deutsches Civilrecht“ und „heutiges römisches Recht“ in Anwendung. Jene neueren Rechtsbestimmungen verdanken theils dem kanonischen Rechte, theils den deutschen Reichsgesehen ihren Ursprung; das kanonische Recht enthält aber vielfach selbst römische, vorzüglich auch germanische Rechtsprinzipien in der Sphäre des Privatrechtes 3).

Der Jurist, der sich die wahre Bildung für die historische Auffassung des heutigen positiven Rechts verschaffen will, muß das Studium des römischen Rechts naturgemäß mit den „Institutionen“ beginnen, und dann zu den Pandekten fortgehen; das Studium des kanonischen Rechts und des deutschen Privatrechtes (und beziehungsweise der älteren Landesrechte der betreffenden Staaten) muß ergänzend hinzutreten, um die ganze Entwicklungsgeschichte des gegenwärtig geltenden Rechtes in einem einzelnen Lande übersehen zu können.

So groß auch die Verdienste sein mögen, welche sich die Juristen der vorangegangenen Jahrhunderte um die Bearbeitung des römischen Rechts und seinen Uebergang in das moderne Rechtsleben erworben haben, so ist doch gewiß, daß erst im laufenden Jahrhunderte das System des römischen Rechts in seiner eigentlichen Gestalt, und die successive geschichtliche Ausbildung desselben, hauptsächlich durch die Bemühungen der von Hugo und Savigny gegründeten sogenannten historischen Juristenschule ans Licht getreten ist. Der von den hervorragendsten Vertretern derselben und zwar zuerst von Savigny verfochtenen Lehre über die geschichtliche Entstehung des Rechts ist es, troß mancher Einseitigkeit und Uebertreibung dieser Theorie zu verdanken, daß das Studium der Quellen des römischen Rechts, ohne welches eine selbstständige wissenschaftliche Anschauung nicht möglich ist, zu dem ihm gebührenden Range erhoben wurde. Auf Grundlage der allgemeinen Fortschritte in den historischen und philologischen Wissenschaften, unterstüßt durch die Entdeckung wichtiger vorjustinianischer Rechtsmonumente, haben die scharfsinnigsten Männer mit außergewöhnlicher Gründlichkeit die Ueberlieferungen des antiken Rechtslebens ausgebeutet, und durch die Vereinigung des philosophischen mit dem historischen Elemente die Einseitigkeiten, der Richtung welcher sie angehörten, nach und nach immer mehr überwunden.

1) S. Böcking am a. A. Vorrede und S. 8. Anders wurde von den Römern der Begriff der Institutionen regelmäßig aufgefaßt. So Prooem. Inst. §. 4. 5.: Igitur post quinquaginta libros Digestorum seu Pandectarum, in quibus omne jus antiquum collectum est, ... in quatuor libros easdem institutiones partiri jussimus, ut sint totius legitimae scientiae prima elementa.

c. 2. §. 11. Cod. de vet. jure enucleando I. 17.; Libri, quos veteres composuerunt, qui prima legum argumenta continebant, at Institutiones vocabantur.

2) Böcking a. a. A. Vorr.

3) S. 3oepfl deutsche Staats- und Rechtsgeschichte II. Band 1. Abth. (2. A.) gr. 8. Stuttgart. 1846, S. 91 ff.

A. Quellen der Darstellung des römischen Rechtes.

Erster Abschnitt.

Die Formen des jus scriptum der Kömer.

S. 1. ) Leges und Plebiscita.

Gajus Inst. I. 3.

Lex est, quod populus jubet atque constituit: plebiscitum est, quod plebs jubet atque constituit. Plebs autem a populo eo distat, quod populi appellatione universi cives significantur, connumeratis etiam patriciis; plebis autem appellatione sine patriciis ceteri cives significantur. Unde olim patricii dicebant, plebiscitis se non teneri, quia sine auctoritate eorum facta essent. Sed postea lex Hortensia lata est, qua cautum est, ut plebiscita universum populum tenerent. Itaque eo modo legibus exaequata sunt.

§. 4. Inst. de jure nat. gent. et civ. I. 2.

Lex est, quod populus romanus senatorio magistratu interrogante, veluti consule, constituebat. Plebiscitum est, quod plebs plebejo magistratu interrogante veluti tribuno constituebat. Plebs autem a populo eo differt, quo species a genere. Nam appellatione populi universi cives significantur, connumeratis etiam patriciis et senatoribus, plebis autem appellatione sine patriciis et senatoribus ceteri cives significantur. Sed et plebiscita, lege Hortensia lata, non minus valere, quam leges coeperunt.

Pomp. L. 2. §. 8. D. de or. j. I. 2.

Deinde cum esset in civitate lex duodecim tabularum et jus civile, essent et legis actiones, evenit, ut plebs in discordiam cum patribus perveniret et secederet, sibique jura constitueret, quae jura plebiscita vocantur Mox, cum revocata esset plebs, quia multae discordiae nascebantur de his plebiscitis, pro legibus placuit et ea observari lege Hortensia, et ita fac

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