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Vorbegriffe.

Die

§. I.

Die Idee des Rechtes. Objektives und subjektives Recht.

ie Herrschaft der Vernunft über die in ihrer Erscheinung sich berührenden Einzelwillen, welche die gegenseitige thatsächliche Anerkennung der Persönlichkeit eines Jeden durch jeden Andern, durch Gestattung der Aufhebung der individuellen Willkür schüßt, bezeichnet das Gebiet des Rechts. Diese Herrschaft ist eine vernünftige Lebensordnung der Individuen, und wesentlich die Voraussezung der wahren Freiheit, d. i. die der Sittlichkeit. Sie wirkt als eine bindende. Norm für das Handeln. (Objektives Recht.)

Dem Rechte liegt die Freiheit des Einzelnen zum Grunde, in welcher alle Menschen sich gleich sind; der Mensch ist nur als Person in seiner Beziehung zu anderen Personen der Rechtsordnung unterworfen; und diese besteht darauf, daß jeder Einzelne von allen Andern in ihrem Handeln als Person respektirt werde. Die Gesinnung läßt das Recht frei, es beherrscht nur den sich äußernden Willen; als fittliche Lebensordnung beherrscht die Vernunft hingegen die Person in ihrer ganzen Thätigkeit. Die Handlung, welche als That der Norm des Rechts entspricht, ist dem Rechte gemäß, rechtmäßig, erlaubt. Das Individuum darf sie unternehmen; eine Verhinderung derselben durch Andere wäre eine willkürliche Beschränkung des von der Rechtsordnung zu schüßenden Freiheitsgebrauches des Handelnden. Das Individuum hat das Recht, das Befugniß, so zu handeln. (Subjektives Recht.) Dem Rechte im subjektiven Sinne entspricht begriffsmäßig die Rechtspflicht, Verbindlichkeit, als die mit jenem nothwendig zugleich gegebene Beschränkung der fremden. Willkür. — Diese, insofern sie gegen die Rechtsordnung sich auflehnt und die fremde Persönlichkeit negirt, ist das Unrecht.

Dworzak, römisches Recht.

1

Aus der oben angedeuteten Beziehung zwischen Sittlichkeit und Recht folgt, daß sie, obgleich von einander verschieden, sich nicht widersprechen können. Der Wille, der in seiner Aeußerung die fremde Persönlichkeit unangetastet läßt, hat als Potenz des Sittlichen selbst Anspruch auf Geltung; das schlechthin Unsittliche aber kann niemals ein Moment der Rechtsordnung sein, somit auch nicht Gegenstand eines Rechtes werden.

) Ulpianus L. 1. pr. Dig. de just. et jure I. 1. Eleganter Celsus definit: Jus est ars boni et aequi.

2) Id L. 10. Dig. eod. Pr. Justitia est constans et perpetua voluntas, jus suum cuique tribuendi. 8. 1. Juris praecepta haec sunt, honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere. Vgl. Böcking Institutionen 1. Bd. 8. Bonn 1843. S. 2. Anm. 1. u. 2. Savigny System des heut. röm. Rechts. 1. Bd. 8. Berlin 1840, S. 407.

§. II.

Staat. Oeffentliches und Privatrecht. Natur-Recht und positives Recht.

Rechtsphilosophie.

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Die Idee des Rechts ist zwar mit dem vernünftig freien Wesen des Menschen selbst gegeben; es entsteht seinem Begriffe nach nicht erst im Staate 1), der Staat aber ist die der Verwirklichung des Rechts im Leben allein angemessene Form der menschlichen Gesellschaft. Denn der vernünftige Wille beherrscht die individuelle Willkür wirklich nur insofern, als er in einer über den Einzelnen stehenden, von ihnen unabhängigen Macht sich verkörpert, und diese liegt eben in der Staatsgewalt. Die Gesellschaft eristirt jedoch im Staate nicht blos als eine zum Schuße rechtlicher Verhältnisse organisirte Gesammtheit, sondern zugleich als ein dem ganzen Menschenzwecke gewidmetes sittliches Gemeinwesen. Die Lebensverhältnisse, in welchen der Einzelne als Glied des Staates zu diesem selbst steht, so wie die zwischen den einzelnen Staaten als selbstständigen Gemeinwesen eintretenden Beziehungen, werden ihrer Natur nach wieder Gegenstand der rechtlichen Bestimmung.

Das Recht hat daher wesentlich einen doppelten Kreis seiner Herrschaft und scheidet sich mit Rücksicht auf dieselben in das öffentliche und PrivatRecht. Das öffentliche Recht ist die rechtliche Ordnung 1. der Verhältnisse, in denen der Staat als solcher zu seinen eigenen Mitgliedern sich bewegt, das innere öffentliche Recht; 2. der aus dem Nebeneinandersein und dem Wechselverkehr der einzelnen Staaten unter sich erzeugten Beziehungen, das äußere öffentliche Recht, Völkerrecht 2).

Die rechtliche Ordnung derjenigen Lebensverhältnisse, in welcher die einzelnen Menschen ihren Willen zur Ausführung bringen, ohne daß dieselben

in eine wesentliche und unmittelbare Beziehung zu dem Staatsganzen dadurch treten, ist das Privatrecht 3).

Das Privatrecht erhält im Staate sein festes gesichertes Dasein. Die mittelbare Beziehung der ihm angehörigen Rechtsverhältnisse auf den Staat bedingt einen mannigfaltigen Einfluß des öffentlichen Rechtes auf dasselbe.

Der Inhalt der Rechtsidee in ihrer, an und für sich seienden Beziehung zu dem allgemeinen Menschenwesen, entwickelt nach seinen wesentlichen Momenten auf die einzelnen Lebensverhältnisse, ist das vernünftige Recht oder Natur-Recht; die wissenschaftliche Entwicklung dieses Inhaltes: die Rechtsphilosophie. Die Ausbildung dieser Wissenschaft steht im engsten Zusammenhange mit jenem der Philosophie überhaupt, und der allgemeinen Kultur des Menschengeistes.

Das positive Recht (§. IV.) bildet seinem Wesen nach keinen Gegensaß zum Naturrechte; es ist vielmehr die konkrete Erscheinung, in welcher die Rechtsidee, den Geseßen der geistigen Entwicklung gemäß, ihrer Verwirklichung im Leben der Menschheit allmälig entgegen geht.

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1) Gegen die Behauptung, daß das Recht nach römischer Anschauung erst im Staate entstehe, S. Rud. Jhering Geist des römischen Rechts. 2. Band. 8. Leipzig 1854. S. 57 ff. Vgl. §. 11. Inst. de rer. div. II. 1. Palam est autem, vetustius esse jus naturale, quod cum ipso genere humano rerum natura prodidit. Civilia enim jura tunc esse coeperunt, quum et civitates condi et magistratus creari et leges scribi coeperunt. S. auch Gajus L. 1. pr. Dig. de adquir. rer. dom. XLI. 1. Ulpian. L. 4. Dig. de just. et jure I. 1.

2) Ulpian. L. 1. §. 2. Dig. de just, et jure I. 1. Hujus studii duae sunt positiones, publicum et privatum; publicum jus est, quod ad statum rei romanae spectat, privatum, quod ad singulorum utilitatem: sunt enim quaedam publice utilia, quaedem privatim. Vgl. A. Vinnii Commentar. ad Institut. Vol. I. 4o Lugd. 1767. pag. 10 sq.

3) G. F. Puchta Cursus d. Institutionen. 1. Bd. 8. Leipzig 1841, S. 54. ff.

§. III.

Rechtsregel. Rechtsverhältniß. Rechtsinstitut. Rechtsfall.

In den verschiedensten Verhältnissen des Lebens erscheint der Wille der Einzelnen, sowohl durch Aneignung der äußeren Natur, als durch Einwirkung auf fremde Individualitäten und in Wechselwirkung mit ihnen, thätig zu seinen persönlichen Zwecken. Das Recht bestimmt, wie der Wille der in den Lebensverhältnissen sich gegenüber stehenden Individuen in Beziehung auf einander äußerlich thätig werden dürfe. Die dem Willen durch das Recht gegebene Norm seiner Erscheinung, welcher derselbe in allen wesentlich gleichen Verhältnissen stets unterliegt, ist die Regel des Rechts, die Rechtsregel. Unter den Lebensverhältnissen zeigen sich bestimmte einzelne Verhältnisse durch einen und denselben

gemeinsamen Lebenszweck unter sich verbunden, und scheiden sich, als durch diese ihre leitende Idee eigenthümlich bestimmte relativ selbstständige Ganze von anderen ab, welchen hinwieder in ähnlicher Weise eine besondere Natur und Eristenz zukömmt. Ein solches durch seinen Spezial-Zweck von andern sich unterscheidendes Ganze, in seinen gesammten der Rechtsbestimmung zugänglichen und unterworfenen Beziehungen durch sie bestimmt, heißt Rechtsverhält niß. In einer unendlichen Fülle einzelner Beziehungen vermag es den ganzen Reichthum seines Wesens zu entfalten. Unter sich stehen die Rechtsverhältnissse in einem natürlichen durch die einigende Macht des höchsten Lebenszweckes gegebenen Zusammenhange. Gleichwie nun die durch einen gemeinsamen Zweck beherrschten Lebensverhältnisse als Gegenstand der rechtlichen Bestimmung im Rechtsverhältnisse sich aneinander fügen, so bilden die ihnen entsprechenden Rechtsregeln in ihrer Einheit das Rechtsinstitut, dessen leitendes Prinzip fie als Consequenzen aus sich entstehen läßt, und bis in ihre entferntesten Verzweigungen durchdringt. Der innere Zusammenhang der Rechtsinstitute liegt in ihrer gemeinschaftlichen Quelle, dem Begriffe des Rechts und ihren Objekten, den Rechtsverhältnissen. Wird die den Individuen in einem bestimmten Lebensverhältnisse durch die Rechtsordnung angewiesene rechtliche Stellung willkürlich verrückt, so heißt das in seiner konkreten Gestalt zwischen ihnen zum Gegenstande der Wiederherstellung gewordene Rechtsverhältniß, ein Rechtsfall. Es handelt sich dann darum, denselben seinem Wesen nach zu begreifen, das Rechtsverhältniß, das ihm zum Grunde liegt, herauszufinden, und mittelst der maßgebenden in dem Rechtsinstitute liegenden Rechtsregeln den Individuen die ihnen zukommende rechtliche Stellung anzuweisen. Dieß ist die Entscheidung des Rechtsfalles. Der Prozeß im weitesten Sinne ist der ganze Verlauf der Rekonstruirung des gestörten Rechtsverhältnisses. Die dem Wesen des Rechts entsprechende Vollziehung des Vrozeffes geschieht im Staate durch das Gericht als Organ der Staatsgewalt.

Vergl. C. F. v. Savigny System des heutigen römischen Rechts. 1. Bd. 8. Berlin 1840. S. 6 ff. Beseler deutsches Privatrecht. 1. Bd. 8. Leipzig 1847. S. 18 ff. J. N. Berger in der öster. Zeitschrift für Rechts- und Staatswissenschaft. Jahrz. 1848. ff. 1. Bd. S. 25 ff.

§. IV.

Die Entwicklung des Rechtes in der Geschichte 1).

1. Einleitung.

Familie. Volk. Staat.

Die Verwirklichung der Rechtsidee ist ein Moment des allgemeinen menschlichen Kulturprozesses, in welchem die gesammte Menschheit, wenn auch

durch Raum und Zeit getrennt, dennoch insoferne in Continuität erscheint, als jedes nachfolgende Zeitalter das Vorangegangene zu seiner Voraussetzung hat, und einzelner Abirrungen ungeachtet, zu einer höhern Stufe hinanstrebt. Die größeren durch Abstammung, äußere Lebensbedingungen und andere Einflüße, in ihren Gliedern gleichartig, gegen einander aber individuell gestalteten Gruppen, in welche die Menschheit zunächst sich scheidet, die Völker, führen in sich auch ein eigenthümliches geistiges Leben, in welchen sie den allgemeinen Menschencharakter eigenthümlich ausprägen, und an der Lösung der gemeinsamen geistigen Aufgabe der Menschheit in bestimmter Weise sich betheiligen. Alles Individuelle unterliegt in seiner Ausbildung dem Gefeße der Entwicklung zum Besondern, d. h. die unterschiedenen Momente, welche die Natur des Individuellen ausmachen, sind nicht schon anfänglich als solche fertig da, und äußern noch nicht die ihnen, troß ihrer gegenseitigen Abhängigkeit bestimmte selbstständige Wirkung, sondern sie sind ursprünglich (wie z. B. in der keimenden Pflanze) noch in einer, ihre besondere Gestalt bergenden Einheit enthalten, und treten nur allmälig aus diesem sie fesselnden Bande heraus, um immer mehr als das zu erscheinen, was sie in ihrer Vereinigung zum vollendeten Ganzen sein sollen. Je weiter der Prozeß dieser Ausbildung noch zurück steht, desto weniger können die einzelnen Momente ihre Selbstständigkeit entfaltet haben, desto mehr müssen sie noch mit einander vermischt und durch einander bestimmt erscheinen.

In dem Volksleben strebt auch die Idee des Rechts nach ihrer Realisirung; die äußere Erscheinung, in der sie sich abseßt, ist das positive Recht, das als ein Moment des Geistigen auch bei jedem Volke an der Eigenthümlichkeit seines geistigen Lebens Theil nehmen und dadurch nach Inhalt und Form eigenthümlich gestaltet werden muß. Die höhere Einheit der einzelnen Volksrechte liegt in der Verwirklichung der Rechtsidee, dem gemeinschaftlichen Zielpuncte. Stufenweise gelangt die Idee des Rechts durch den Uebergang der Errungenschaft einer frühern Zeit in das weiterbildende Leben der Gegenwart und Zukunft zu ihrer Vollendung näher.

2. Pie Quellen der Rechtsbildung.

Die erste und unmittelbare Verwirklichung des Rechts geschieht im Leben des Volkes durch die Gewohnheit, welche aus der in den verschiedenen Lebensverhältnissen wiederholten faktischen Uebung dessen entspringt, was für Recht gehalten wird. Absichtlichkeit, Berechnung ist dieser Uebung fremd, d. h. sie geschieht nicht mit dem Entschluße, dadurch Recht zu begründen, sondern es beherrscht die Personen, von denen die Uebung ausgeht, die mehr oder minder klare Vorstellung der Nothwendigkeit, so und nicht anders zu handeln, und drängt sie dadurch zu einer entsprechenden Handlungsweise. Jene Noth

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