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nach dem Gegenstande und den Umständen, die größte Mannigfaltigkeit möglich. Doch darf man nicht übersehen, daß in der schlichten Natürlichkeit der Erzählung ein geheimnisvoller Reiz liegt und daß es nicht immer die stärksten Mittel sind, welche die stärksten Wirkungen hervorbringen.

Nach den eben aufgezählten vorbereitenden Teilen kommt der Hauptteil, der Beweis (confirmatio) und die Widerlegung (refutatio). Überschauen und prüfen wir das Gefundene, sagt Cicero, so werden wir viele für den vorliegenden Fall brauchbare Gedanken finden. Aber selbst zwischen diesen ist noch eine strenge Auswahl zu treffen. Auszuscheiden sind erstens die wenig ins Gewicht fallenden Argumente, sodann aber auch unter den gewichtigeren alle die, deren Brauchbarkeit durch eine ihnen anhaftende Unvollkommenheit stark beeinträchtigt wird. Der wirklich brauchbaren und beweiskräftigen werden dann immer noch sehr viele sein. Eine zweite strenge Auswahl wird aus diesen wiederum nur die besten nehmen und namentlich auf alle diejenigen verzichten, welche eigentlich nur ein Wiederhall der Hauptargumente sind. Vor allem bedenke man, daß es auf das Gewicht, nicht auf die Zahl der Beweisgründe ankommt. Equidem cum colligo argumenta causarum, sagt Cicero, non tam ea numerare soleo quam expendere (de orat. II, 76, 309). Dabei muß es uns stets allein auf das Belehren anzukommen scheinen. Was die beiden andern Mittel, das conciliare und permovere, betrifft, so müssen sie überall daneben im Innern thätig sein, dem Blute vergleichbar, welches sich unsichtbar über alle Teile des Körpers verbreitet.

Hinsichtlich der Reihenfolge der Beweise ist vor der absteigenden Bewegung zum Schwächeren zu warnen. Die Entwickelung in der entgegengesezten Richtung ist im Gegenteil die natürliche. Gleichwohl widerrät es Cicero (de orat. II, 77, 313), den schwächsten Beweisgründen den ersten Play anzuweisen. Auch das ist ja eine Hauptsache, daß gleich im Anfange eine starke Wirkung hervorgebracht werde. Er stellt deshalb diesen Satz auf: In oratione firmissimum quodque sit primum; dum illud tamen in utroque teneatur, ut ea,

quae excellent, serventur etiam ad perorandum; si qua erunt mediocria (nam vitiosis numquam esse oportet locum) in mediam turbam atque in gregem coniciantur (de orat. II, 77, 314). An den Anfang stelle man also starke Gründe, die schwächeren, aber noch brauchbaren in die Mitte, die stärksten spare man für den Schluß auf. Dasselbe lehrte später Quintilian. So stellte auch Nestor seine Truppen auf (Il. IV, 299).

Der Schluß (per oratio, conclusio) hat eine ebenso wichtige Aufgabe zu erfüllen, wie die Einleitung. Er darf demnach ebensowenig, wie diese, ein müßiges Anhängsel sein. Hier kommt es sogar darauf an, den Sieg zur Entscheidung zu bringen. Cicero betont zwar wiederholentlich, daß kein Teil der Rede sich ausschließlich an den Verstand wenden dürfe (docere), daß alle vielmehr sich zugleich an das Gefühl wenden müßten (conciliare, permovere); aber er giebt doch zu, daß der Schluß die eigentliche Aufgabe hat, vor allem auf die Empfindung des Hörers eine starke Wirkung hervorzubringen. Omnia cum superioribus orationis locis tum maxime extremo ad mentes iudicum quam maxime permovendas et ad utilitatem nostram vocandas conferenda sunt (de orat. II, 81, 332). Für den Anfang der Con= clusio ziemt sich eine kurze Rekapitulation (collectio, enumeratio, &vanepalaíwois), um die Erinnerung an das Gesagte aufzufrischen, das Zerstreute zu sammeln und zu einer starken Hauptwirkung zusammenzufassen. Was schließlich die Erregung der starken Leidenschaften betrifft, des Mitleids, des Zorns, der Furcht, des Hasses, welche dem Schlusse von den alten Rhetoren zugeschrieben wird, so ist eine solche Wirkung natürlich nur von der praktischen Beredsamkeit, vor allem von der gerichtlichen, zu erwarten. Gleichwohl kann man für alle litterarischen Gattungen den Saz aufstellen, daß sich für den Schluß Wärme und Feierlichkeit ziemen. Vor allem für diese Stelle braucht man Gedanken, welche, nachdem der Boden gelockert worden ist, in die Tiefe zu dringen Kraft haben. Zum Schluß empfiehlt es sich auch, weite Perspektiven zu eröffnen. Es bringt eine

ernste und große Empfindung hervor, wenn die behandelte Frage in ihren Folgen und Beziehungen sich in eine dämmernde Ferne zu verlieren scheint. Wer so schließt, läßt einen Stachel in der Seele zurück und regt zu weiterem Nachdenken an.

Von allen diesen Vorschriften über die Disposition muß man gestehen, daß sie der Natur abgelauscht sind. Auch das ist doch wohl sicher, daß von Vollendung da nicht die Rede sein kann, wo es an Plan und Ordnung fehlt. Nichtsdestoweniger ist gerade dieser Teil der Rhetorik selbst von großen Schriftstellern nicht immer gebührend gewürdigt worden. Lessing redet selbst von seiner Spaziergängermethode und spricht in ironischem Tone von den systematischen Büchern. Allerdings hat ein gehaltvolles Buch einen bedeutenden Wert, auch wenn es nicht nach einem tadellosen Plane gebaut ist, während die regelrechte Ordnung eines andern für seinen Mangel an Gehalt keinen Ersag bieten kann. Von der Disposition gilt eben, was von allen formalen Eigenschaften gilt: an sich sind sie machtlos, aber nur mit ihrer Hilfe kann. der Gedanke seine volle Kunst und seine volle Schönheit entfalten. Die Ordnung ist allerdings nicht die höchste litterarische Eigenschaft, aber sie ist natürlichen Ursprungs und mehr als ein bloßer Traum der Pedanten. „Vergebens werden ungebundene Geister nach der Vollendung reiner Höhe streben." Deshalb soll man freilich nicht mit illiberaler Strenge über hervorragende Werke aburteilen, die stückweise entstanden sind und sich deshalb nicht zu einem fest gefügten Ganzen zusammengeschlossen haben. Überhaupt haben alle großen Dichter und Schriftsteller ein Anrecht auf nachsichtige Beurteilung, wenn sie durch Schönheiten höherer Art, wie Lessing sagt, für geringere Mängel Ersaz bieten.

Wir kommen nun zur Lehre vom Ausdruck (elocutio, 43 poάois), deren Darstellung Cicero eine ganz besondere Sorgfalt gewidmet hat (orat. 19, 62-71, 236; außerdem de orat. III, 10, 37-39; 25, 96-26, 103; 30, 120—31, 125; 37, 149-54, 210). Dieser Teil beschäftigt sich in der That mit dem, was das Eigentümlichste an der Thätig

feit des Redners und Schriftstellers ist. Vor allem beto Cicero immer wieder, daß Worte und Gedanken von Nati eins sind. Es ist demnach eine falsche Rhetorik, zu de Gedanken immer ein möglichst reiches und glänzendes Ge wand zu suchen. Die höchste Schönheit des Ausdrucks i nach den Gesezen der wahren Rhetorik vielmehr die Ange messenheit. Zwischen Wort und Gedanken muß eine voll kommene Harmonie hergestellt werden. Aber Cicero i darum nicht der Ansicht, daß Verstand und rechter Sin mit wenig Kunst sich selber vortragen. Die Philosophie d. h. das Wissen, scheint ihm unentbehrlich für die Kuns des Redens; aber er meint nicht mit Sokrates omnes in eo, quod sciant, satis esse eloquentes. Die Sache vor allem, meint auch er, müsse man scharf erfassen; aber er ist weit entfernt, mit Cato zu sagen: Rem tene, verba sequentur. Allerdings sagt auch er (de orat. III, 31, 125): Rerum copia verborum copiam gignit und dicere nemo bene potest, nisi qui prudenter intellegit (Brutus 6, 23). An jener oben citierten Stelle (de orat. III, 34, 146) gesteht er sogar, daß er keinen schöneren Schmuck der Rede kenne, als wenn das Wort aus der Sache selbst geboren zu sein scheine. Gleichwohl ist er der Meinung, daß das Wissen nicht ohne weiteres die Fähigkeit des künstlerischen Gestaltens zur Folge hat. Zu einer glücklichen Begabung muß sich das Studium, müssen sich eifrige Übungen gesellen, damit die ars quasi faciendae (TOLEV) orationis ihre Blüte voll entfalte. So hoch er auch die Philosophie anschlägt, so meint er doch, daß das Ideal menschlicher Bildung erst dann erfüllt ist, wenn sich zur Fülle und Tiefe der Gedanken die sichere Fähigkeit gesellt, für das Gewußte einen würdigen, d. h. genau entsprechenden Ausdruck zu finden.

Es giebt vielleicht nichts Paradoreres, als daß die Redegabe, in welcher doch die eigentümliche Anlage des Menschen ihre Reife zu erlangen scheint, in alter wie in neuer Zeit so oft angefeindet worden ist. Aus dem Drange seiner Natur heraus hat sich der Mensch die Sprache geschaffen. Sie ist sein Stolz, sie ist das herrlichste Erzeugnis seines

Geistes. In ihrem Gebrauche sich übend, übt er seine edelste Kraft. Weshalb sollte es ihm verwehrt sein, alle ihre Keime zu entwickeln und an ihr mit der Freude des Künstlers zu arbeiten? Man wendet wohl ein, die Sprache sei nur das Gewand des Gedankens und ihre höchste Aufgabe sei, den Gedanken passend einzukleiden. Was über dieses Ziel bei der Gestaltung des Ausdruckes hinausgehe, sei vom Übel. Selbständige Wirkungen durch die Sprache erzielen wollen, heiße sie mißbrauchen und ihrer Natur untreu machen. Zu dienen sei ihre Bestimmung, nicht zu herrschen.

Die ehrliche Rhetorik wird diesen Säßen zustimmen. Auch Cicero sagt nichts, was damit in Widerspruch wäre. Aber erst dann hat die Sprache ihre Aufgabe ganz gelöst, wenn sie alle Seiten des Gedankens aufgehellt und ihn so zum Ausdruck gebracht hat, daß andere klar und tief seine volle Bedeutung empfinden. Was darüber hinaus geht, ist allerdings ein nichtiges Spielen mit Worten, welches bekämpft und verspottet zu werden verdient. Leider ist es nicht möglich, diese Grenze scharf zu ziehen. Die Rede der meisten, mögen sie nun sprechen oder schreiben, zeigt nur die rohen Umrisse der Gedanken, und auch diese meist nur verschleiert. Aber die Leser, obgleich der Mehrzahl nach selbst nicht fähig, dasselbe deutlicher und gewinnender auszudrücken, fügen unbewußt aus dem reichen Schaße ihrer Erfahrung schnell manches Fehlende hinzu, so daß troß des mangelhaften Ausdrucks doch dem Gedanken im ganzen sein Recht zu teil wird. Wie anders aber ist die Wirkung, wenn ein Meister der Rede dasselbe sagt! Welche Helle kommt da über den Geist der Hörenden und Lesenden! Was sie selbst darauf Bezügliches in sich getragen, fühlen sie weit übertroffen. Es ist ihnen, als sei ihnen eine Offenbarung zu teil geworden, auch wenn der Redner den Kreis der alltäglichen Gedanken nicht überschritten hat. Freudig jauchzen sie zu, und was so überraschend treffend und glücklich ausgedrückt war, fliegt lange von Mund zu Munde.

Dieser Zauberkraft der Rede wurde man früh inne. Man fing an über den Sinn der Worte nachzudenken und

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