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reffen sogar beim Erzbischof überwogen. In Folge dieser Verhältnisse entstand. die Secte der Strigolniki, wie sie nach Karp genannt werden, der, wie Joseph von Wolok sagt seines Zeichens Strigolnik war" (sich mit dem Weben (strishka) von Tuch beschäftigt). Diese Keßerei, welche rasch Verbreitung in Pskow und Nowgorod sand, ist uns noch nicht genügend bekannt, obgleich wir wissen, daß man in Nowgorod die Führer derselben, Karp und den Diakonen Nikita im Jahr 1376 von der Brücke stürzte und einige Botschaften der Patriarchen und Metropoliten gegen sie gerichtet sind 108). Wahrscheinlich lag der Kern ihrer Lehre darin, daß sie die ganze Hierarchie für kezerisch erklärten und jedem Laien das Recht gaben zu predigen. Sie verwarfen daher die Sacramente, besonders Buße und Abendmahl nicht in Princip. sondern nur in der Praxis, weil die ganze feile Geistlichkeit unwürdig sei. 109) Als Vermittler erschien schließlich Dionysius Bischof von Susdal, der zum Patriarchen gereist war; sein Eifer ist wol dadurch zu erklären, daß er Metropolit zu werden hoffte; er gab der Stadt Pflow einen Freibrief, der wahrscheinlich Nowgorod ungünstig war, denn 1394 hob Kyprian diesen Freibrief auf. 110) Er führte in Pskow das gemeinsame Leben in den Klöstern ein; bisher nämlich lebte jeder Mönch für sich und die Kirche war eine Art Pfarre. Durch diese Crganisation der Klöster erklärt es Nikitski, daß Personen beider Ge= schlechter zu einem Kloster gehörten. Obgleich diese Reform des Dio= nysius vom Metropoliten annullirt wurde, erhielt sie sich doch in der Praris. 111) Kaum waren die Reformen des Dionyfius aufgehoben, so entbrannte der Kampf gegen die Strigolniki auf's Neue, weil die alten Nebelstände wieder aufkamen; Hauptgegner der Strigolniki waren natürlich die Weltgeistlichen. Die verfolgten Kezer breiteten sich aus und die Keßerei nahm dadurch zu: noch 1490 weist Genadius Ueber= bleibsel derselben nach. Isidor versuchte zuerst dem Uebel zu steuern, er sette in Pskow an Stelle des Statthalters einen Geistlichen, den Archimandriten ein; aber mit Ifidors Sturz fiel auch dieser. Die Pskowiter erneuerten ihre Bitte um einen besonderen Bischof; in Moskau wurde das Gesuch zurückgewiesen (1464), wahrscheinlich weil man aus politischen Gründen die Selbständigkeit der Kirche fürchtete. Jm Jahr 1469 stellte die Geistlichkeit eine von der Wetsche bestätigte Ur= kunde aus, welche feste Regeln für die Verwaltung einführte und in Anologie der beiden Possadniki, zwei Deputirte dem Statthalter des

108) Die Patriarchen Nilus („Hift. Acten" I, Nr. 4), Antonius (1. 1. Nr. 6) und der Metropolit Photius (1. 1. Nr. 2, 33, 34).

109) Abriß der inneren Geschichte Pskow's" 229-30.

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110) V. S. R. Ch. IV, 83, 130; „Hist. Acten“ I, Nr. 9, 10; Abriß der innern Geschichte Pikow's" 232.

111) Histor. Acten" I, 26.

112)

Erzbischofs zur Seite stellte. 113) Aber auch diesmal erreichte Pskow nichts, denn schon im folgenden Jahr wurde diese Urkunde annullirt; der Fürst von Moskau hatte Gewalt gebraucht und sie, wie früher, dem Erzbischof von Nowgorod unterstellt. 114)

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Eine äußerst originelle Erscheinung zeigt sich uns im nordöstlichen Rußland: im XII. Jahrh. war hier zwischen den Flüssen Kama und Wätka eine nowgoroder Kolonie entstanden, welche bis in die Mitte des XV. Jahrh. ihre Selbständigkeit behauptete. Die Bevölkerung dieser Gegend ist bis auf den heutigen Tag nowgorodischer Herkunft; der Reisende, der durch Wätka nach Kukarka zieht, findet dort eine besondere Bauart. Statt der langen Reihen mit einander verbundener Hütten, wie sie der Bauer in Semenow, Wätluga, Warnawin und Ja= ransk bewohnt, sieht er hohe Häuser mit Hof und Wohnung, von einer aus Balken gezimmerten Umzäunung umgeben, die unter ein Dach gebracht find, — Häuser wie wir sie im Nowgorodschen finden; man spricht den nowgoroder Dialect (tscherkow für zerkow, Nikolaejewiz für Nikolajewitsch u. s. w.) und trägt den nowgoroder Hut, so lebendig ist noch die nowgoroder Kolonisation! Im XII. Jahrh. lebten hier die Wotäken und Tscheremiffen. 115) 1174 erschienen die Kolonisten. Von der Kama 1174 aus umgingen sie zu Land die Tschepza, welche in die Wätka fällt, und gründeten an der Wätka ihre erste Ansiedelung Nikulizin (heute ein Dorf); eine andere Schaar schlug die Tscheremissen und erbaute die Stadt Koschkarow (jetzt Kotelnitsch). Um sich zu kräftigen, vereinigten sich beide Kolonien und gründeten, dort wo die Chlinowiza in die Wätka fällt, eine neue Centralkolonie Chlinow, die später auf das steile Ufer des Flusses übertragen wurde. Anstatt der Mauern dienten die eng aneinander schließenden Häuser, deren Rückseite nach Außen ging. 116) Chlinow wurde die Hauptstadt des Landes. Die Zahl der Kolonisten nahm stetig zu; von allen Seiten her zog man dorthin: aus Nowgorod, Weliki - Ustjuk, von der Dwina kamen Ansiedler her= bei, welche hörten, daß noch freier Raum vorhanden sei und Neugründungen wie Orlow, Slobodskoi u. s. w. erwuchsen. Die Bewohner von Wätka erkannten keinen Oberherren an und erhielten sich vorzüg= lich durch Ueberfälle und durch Kämpfe gegen die Eingeborenen, oder auch gegen russische Lande. Mitunter haben sie selbst von Ueberfällen

113) V. S. R. Ch. IV, 232.

114) 1. 1. 233.

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115) Ueber Wätta conf. Historie von der Stadt Wätka“, Wätka 1861. Wassilijem und Bechterew: Geschichte des Gebiets von Wätka" I, Wätka 1870. Kostomarow: „Nordruff. Volksr."

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116) „Nordr. Volksr." I, 243. Es ist die heutige Stadt Wätka.

1391 zu leiden: so verwüstete im Jahr 1391 der Tatarenprinz Bektut das Land; auch zu den Fürsten tritt Wätka in Beziehung; so wird z. B. 1456 Schemäta von ihnen unterstüßt. 117) Im Jahr 1456 sandte Waffili

Wassiljewitsch Truppen gegen sie aus, doch ohne Erfolg. Als im folgenden Jahr die Feldherren des Großfürsten wiederum gegen Wätka 1468 zogen, unterwarfen sie das Land, aber nur auf kurze Zeit; schon 1468 1471 verbündet sich Wätka mit Kasan gegen Moskau, 1471 tritt es für 1486-1489 Nowgorod ein; 1486 wird Ustjuk verwüstet. Erst 1489 unterwarf sich Wätka endgiltig, als Jwan Wassiljewitsch, seinen Feldherrn den Fürsten Schtschenä in das Land schickte.

Die innere Organisation Wätta's kennen wir nicht, wir wissen nur aus einer Urkunde des Metropoliten Jonas, daß die Stände der Bojaren, Kaufleute und der shitije Ljudi auch in Wätka existirten; daß die Anführer landschaftliche Feldherrn" (semski wojewoda) hießen, daß es einen Wataman als Beamten gab, daß ein Unterfeldherr da war, der gewisses Ansehen genoß. Aus derselbe Urkunden ersehen wir, daß man in Wätka streng mit den Gefangenen verfuhr und sie sogar an die Tataren verkaufte. Eine andere Ürkunde derselben Metropo= liten zeigt, daß die Geistlichen in Wätka von Niemandem 119) geweiht wurden, und daß mit Erlaubniß der Geistlichen dort Vielweiberei im Schwange war (euere geistlichen Kinder leben ungefeßlich, sie nehmen 5, 6 ja 7 Weiber und ihr segnet fie"). Wir wissen nicht, in wie weit die Antworten zuverlässig sind, die der Metropolit auf seine Fragen erhielt; es geht aber aus seinen Andeutungen mit Bestimmtheit hervor, daß in Wätta auch die Geistlichkeit unabhängig war.

117) Uebrigens muß Juri Dmitrijewitsch eine Art Obergewalt in Wätka ge= habt haben: in seinem Testament (Gesammelte Urk. I, Nr. 51) weist er dies Land seinen 3 Söhnen als gemeinsames Besitzthum an.

118) Hist. Acten I, Nr. 261. „Wir wissen nicht, wie man euch Priester nennen kann, von wem seid ihr eingesetzt und von wem geweiht."

119) 1. 1.

Siebentes Capitel.

Ursachen der steigenden Macht Moskaus. Die Fürsten von Moskau als Einiger Rußlands: Iwan Danilowitsch, Simeon und Iwan Iwanowitsch, Dmitri Jwanowitsch Donskoi. Wasili Dmitrijewitsch, Wafili Wasiljewitsch.

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Begebnisse in den übrigen Fürstenthümern Ost - Rußlands: Twer, Räsan, Susdal, Smolensk. Gesellschaftlicher Zustand des östlichen Rußland zur Zeit der Tataren!: die Fürsten, die Stände, die Kirche. Sittlicher und materieller Bestand der Gesellschaft.

I. 1)

Der Anfang des XIV. Jahrh. begründet eine neue Periode im Leben Rußlands: zwei Reiche beginnen sich zu consolidiren: Moskau im Often, Littauen im Westen; was zersplittert und verstreut war, be= gann sich um neue Centren zu sammeln. Solch ein Centrum war für das östliche Rußland Moskau, eine bisher unbedeutende Stadt, die felten in den Chroniken erwähnt, den jüngsten und ebendeshalb schwächsten Fürsten zufiel; zu Zeiten Daniel Alexandrowitsch's gab es im ganzen Fürstenthum nur die eine Stadt Moskau; mit der Erwerbung von Perejajlawl (1302), Moschaiff (1303) und Kolomna (1308) dehnt sich das Gebiet etwas aus, aber immerhin war dies Land, das nach dem Tode des älteren Bruders Juri, an Iwan Danilowitsch fiel, von sehr geringem Umfang; mit den Hilfsmitteln dieses Gebietes verstanden es die Fürsten von Moskou sich zu den Ersten in Ost-Rußland zu machen und allmälig ganz Ost-Rußland um sich zu vereinen. Die Erhebung des Fürstenthums Moskau, ist eine der wichtigsten Erschei= nungen in der russischen Geschichte, es ist daher nicht wunderbar, daß die Forscher dieser Frage ihre besondere Aufmerksamkeit zugewendet haben, so daß wir ihrer vereinten Arbeit einen ziemlich deutlichen Einblick in diese Thatsache verdanken.

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1) Das Steigen Moskaus wird besprochen in der „Geschichte Rußlands“ von Solowjew, von Pogodin in Wachsen Moskaus“ (Hist. kritische Abhandl. I, Moskau 1846). Beläjem: die Stadt Moskau mit ihrem Gebiet" (Moskwitänin 1844, Bb. I, V). Stankewitsch: Ueber die Ursachen des allmäligen Steigens Moskaus. (Gelehrte Abhandl. der Univ. Most. 1834-53, Nr. 1, 2). Weschnäkow über die Ursachen der steigenden Macht des Fürstenthums Moskau. Petersburg 1851.

Wir fahen bereits, wie im XIII. Jahrh. zur Zeit der Tataren= herrschaft in Ost-Rußland die Fürsten um den großfürstlichen Titel und den damit verbundenen Besitz von Wladimir stritten; aber noch ein anderes characteristisches Merkmal jener Zeit tritt uns entgegen. Die Fürsten residiren nicht dauernd in Wladimir, sondern suchen diese Stadt mit ihren eigenen Besitzungen zu verbinden, um so ihr Erbtheil zu vergrößern und womöglich ihre Familie in demselben festzusehen. Der Kampf betrifft also die Vorherrschaft einer Familie vor der andern und hat die Vergrößerung des Grundbesizes zum Gegenstande. In der Kiew'schen Periode zog derjenige, der Fürst von Kiew wurde, in diese Stadt, in sein Gebiet setzte er einen seiner Verwandten, um seines väterlichen Erbes nicht verlustig zu gehen, wenn Kiew an ein anderes Ge= schlecht fiel. In der Tatarierperiode beobachten wir eine andere Er= scheinung; die Fürsten bleiben nicht nur in ihren Gebieten, sondern sogar in ihren Residenzen: Jaroslaw lebte in Twer, Wassili in Kostroma, Andrei in Gorodez, Dmitri in Perejaslawl u. s. w. Die Macht des Großfürsten besteht nur in einer Hegemonie, einem Ueber= gewicht über die anderen Fürsten; um ihre Selbständigkeit zu beweisen, beginnen die übrigen Fürsten, welche Aelteste in ihrer Familie sind, sich Großfürsten zu nennen, (so die von Twer und Räsan und andere); das Uebergewicht des Großfürst verliert allmälig an Bedeutung. Noch ein neues Moment tritt hinzu: nur derjenige vereinigt Wladimir mit seinem Theilfürstenthum und erlangt dadurch die Nebermacht, der vom Chan einen Jarlyk erhalten hat; besondere Rechte waren zur Erlangung desselben nicht erforderlich, so daß sich jezt allen Bestrebungen ein weites Feld öffnete. Die Gnade des Chans war der Rechtstitel zur Obergewalt. Diese Gnade zu erwerben ist das Bestreben aller Fürsten, fie zu bewahren eine besondere Kunst. Wer dieser Kunst mächtig ist, schwingt sich zum Oberhaupt Ost-Rußlands auf, wer seine Stellung als Oberhaupt wahren will, muß alle Uebrigen unterwerfen. Die Hauptbedingung zum Erfolge ist daher in jener Zeit Gewandheit und Tact; wer diese Eigenschaften besißt, muß schließlich den Sieg davon tragen. „Sie gleichen einander Alle," sagt Solowjew2) in ihren leidenschaftslosen Gesichtszügen fällt es dem Historiker schwer, die characteristischen Merkmale des Einzelnen festzustellen; alle sind eines Gedankens voll, alle gehen einen Weg, langsam, vorsichtig aber beständig und unbeugsam ; jeder von ihnen überholt seinen Vorgänger um einen Schritt, und schafft seinem Nachfolger die Möglichkeit, noch einen Schritt weiter zu dringen." Dieser Character der Fürsten findet in ihrer Lage seine Erklärung: weder waren sie mächtig, noch hatten sie besondere Rechte; all ihre Hoffnung beruhte auf der eigenen Geschmeidigkeit und der Gnade des Chans; sie hatten keine Reichthümer, ihr Gebiet war arm,

2) Blick auf die historischen Grundlagen des russischen Staates 51. Most. 1852.

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