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1252

Zeiten (in Art Chlodoweg's) an, er scheute vor keinen Mitteln zurück:Er begann seine Brüder und seine Söhne zu erschlagen — erzählt von ihm die russische Chronik und die Uebrigen verjagte er aus seinem Lande, und begann allein in ganz Littauen zu herrschen.“13) Hierdurch wird die traditionelle Anschauung widerlegt, daß er nach seinem Vater Ringold die großfürstliche Würde ererbte. Die von ihm verfolgten Verwandten suchten 1252 Hilfe bei Daniel und in Riga bei den Deut= schen; von zwei Seiten ward er bedroht, da bot er, um sich zu retten, dem Papst durch die deutschen Ritter Annahme des Christenthums an; der Papst schickte ihm darauf hoch erfreut die Königskrone (1252).14) Doch mit Daniel dauerte der Krieg fort, bis Woischleg, Mindowg's Sohn, die Vermittelung übernahm und seine Schwester dem Schwarn Danilowitsch vermählte. Woischleg ward bald darauf zum Mönch_ge= schoren, und Mindowg gab einem andern Sohne Daniels, dem Roman, das Fürstenthum Nowgorod, verjagte ihn aber bald, weil Waffilko, Daniels Bruder, gezwungen wurde, im Verein mit den Tataren Lit= tauisches Gebiet zu verwüsten. Um dieselbe Zeit gerieth er in Streit 1260 mit den Deutschen, die er lange hintergangen hatte: Im Jahr 1260 drang er in Masowien ein, ging von dort auf Ordensgebiet über, erregte einen Aufstand der Preußen, schlug den Meister von Livland und sagte feierlich dem Christenthum ab. 1263 wurde er aber er= schlagen, die Fürsten hatten sich gegen ihn verschworen, weil er einem derselben, Dowmont von Nalschtschani, die Frau entrissen hatte.15) In rächte sein Sohn Woischleg. Er warf die Kutte ab, beseitigte alle Mörder (Dowmont rettete sich nach Pskow) und wüthete schrecklich; nachdem er seine Rachsucht gesättigt hatte, übergab er Littauen an 1267 Schwarn († 1267). Nach dessen Tode dauerten die Zwistigkeiten fort, bis schließlich Troiden (1270-1283) zum Großfürsten gewählt wurde, 1283-1315 und nach ihm Witen (1283-1315); beide kämpften mit Lew um Littauen. Endlich im Jahr 1315 bestieg Witen's Bruder Gedimin den Großfürstlichen Thron; er ist der eigentliche Begründer der Macht Littauens. 16)

13) Chronik nach der Hypatiushandschr. 567 (B. S. R. CH. II,
14) Sjögren:,, Ueber den Wohnf." 47. Russ. Liv. Akten" 5.
15),,Chronik nach der Hypatiushandschr.“ 567–569.

diese Nachricht allen andern vor.

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201).

Danilowitsch zieht

16) Die Worte des Briefes der Rigaer an Gedimin (vor 1323): „Vithene bonae memoriae frater vester et antecessor" (Ruff. liv. Akten 31) entscheiden endgiltig die Frage über die Herkunft Gedimins, der bald für einen Sohn, bald für einen Stallmeister Witen's gehalten wurde; conf. Nikitski in „russ. Altert. 1871, Nr. 8.

Sechstes Capitel.

Das Gebiet von Nowgorod. Macht und Fall Nowgorods. Die Verfassung von Nowgorod: der Fürst, die Volksversammlung, die Verwaltung; Gerichtswesen, Stände, Handel; Kirche und Literatur. Pskow. Eigenthümlichkeiten Pikows. Wätka,

I. 1)

Schon sehr früh wird Groß-Nowgorod der Mittelpunkt historischen Lebens im nördlichen Rußland: nach der bekannten Erzählung der "Jahrbücher" stand Nowgorod an der Spitze des Bündnisses der Stämme, welche die Waräger herbeiriefen; neuere Forscher führen nicht selten die Anfänge Nowgorods in frühere Perioden hinab. Es giebt eine Ansicht die den Lacus Mursianus und die civitas Novietuniensis des Jordanes für den Ilmensee („Moisko“ in den sagenhaften Erzählungen von Nowgorod) und für Nowgorod hält; 2) übrigens ist dies bisher blos Hypothese. Nicht minder schwierig ist die Frage, woher die Bevölkerung kam, welche die Ufer des Wolchow und des Ilmen= see's besiedelte: viele identificiren die Slaven am Ilmen mit den Kri= witschen, den Bewohnern der Gebiete von Polozk und Smolensk: Be= läjew hält Polozk, Smolensk und sogar Tschernigow für Kolonien Nowgorod's; 3) Jlowaisti hält ebenfalls die Slaven am Ilmensee für Kriwitschen; Kostomarow sieht in ihnen Südruffen und stüßt sich dabei vorzüglich auf phonetische Merkmale und auf die ältesten Märchen; seine Argumentation ist eingehend von Hilferding kritisirt. 5) Eine

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1) Hilfsmittel: Newolin: Ueber Pätinen und Pogoste (Geogr. Gesell. VIII); Metropolit Eugenius: Gespräche über Alt - Nowgorod"; Krasow: „Ueber die Lage Alt Nowgorods", Nowg. 1851. Kostomarom: Nordrussische Communen" I. Beläjew „Erzählungen aus der ruffischen Geschichte“ II. Samislowski: „Historischer Atlas zur russ. Geschichte“. Murawjew: „Historische Uutersuchungen über Alt-Nowgorod", Pet. 1828 u. s. w.

2) Hilferding: Werke II, 436.

3) „Erzähl. aus d. ruff. Gesch.“ 8—9.

4) „Russisch. Bote" 1864 Nr. 8 (Groß- Nowgorod und Weißrußland).

5) „Nordruff. Communen“ I, 3—13. Hilferding „Werke“ II, 407-412.

andere Ansicht nähert die Nowgoroder den baltischen Slaven; aber obgleich sie an sich nicht unwahrscheinlich ist, fehlt doch bisher noch der Beweis.) So müssen wir uns denn bis auf Weiteres mit der Nachricht der Chronik begnügen, daß im IX. Jahrh. in der Nähe des Imensee's ein Stamm lebte, der aus irgend welchem Grunde den Namen Slaven führte und eine eigene Stadt, Nowgorod, besaß. Diese Stadt hatte wahrscheinlich schon ziemliche Bedeutung, denn die Chro= nik macht sie zum Haupte des Bündnisses, das die Waräger vertrieb und darauf die ersten Fürsten berief. Nach einer Ansicht waren es Kolonisten der Slaven vom Jlmensee, von denen die Berufung ausging. Dies ist nicht unwahrscheinlich, wenn wir bedenken, daß Rostow, Beloosero, Jsborst Städte waren, die je einem der Stämme gehörten, welche die Berufung vornehmen. Wird dies concedirt, so müssen wir auch zugestehen, daß Nowgorod an der Spitze des Ver= bandes stehen fonnte: die von jenen Stämmen besetzten Gebiete find fumpfig und bis auf den heutigen Tag wenig für den Ackerbau geeig= net; deshalb mußten die Bewohner früh gewerbtreibend, handelnd und kolonisirend erscheinen, d. h. eben den Character ausbilden, der uns beständig in ihrer Geschichte entgegentritt.

Da die ursprünglichen Bewohner sich Slaven nannten, glaubt man, daß das slavische Viertel (Slawno) der erste Punct für die Ansiedlung in Nowgorod war.) Für die erste Befestigung hält man Gorodischtsche, auf einer Insel, die vom Wolchow, dem kleinen Wolchowez und Nebenflüssen umströmt ist.") Dieser höher liegende Ort ist zur Anlage einer Festung geeignet. Weil sich übrigens später auf der Sophien-Seite eine Festung findet, kommt man zur Annahme, daß im Gorodischtsche der Fürst sich befestigte, während die ursprüng= liche Stadt das spätere Detinez (der Kreml) war, wo Mstislaw Wla= dimirowitsch (1116) eine Mauer errichtete, die in der Folge erweitert und umgebaut wurde. Nowgorod erwuchs ähnlich wie Kiew aus ge= trennten Ansiedelungen, die sich um eine gemeinsame Stadt (grad) vereinigten nach Ansicht des Metropoliten Eugenius, hätten die Nowgoroder sich zuerst an verschiedenen Orten und sogar näher zum See hin angesiedelt. 10) Kostomarow bemerkt, daß das fumpfige Ler=

6) Peremischlewski: Ueber Zeit und Ursachen der wahrscheinlichen Uebersiedelung der Slaven an die Ufer des Wolchow" (Gelehrte Nachrichten der Univ. Most. 1834 Nr. 9). Malkowski: „Kritische Untersuchung über den Ursprung Groß Nowgorods." (Jahrb. d. hist. Gesell. XII.)

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7) Kostomarow „Die Anfänge Rußland's" (Zeitgenosse 1860 Nr. 1). Beläjew: Rußland vor Ruriks Ankunft“. (Jahrb. d. hift. Gesell. VIII).

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8) Mstislawski: „Was ist Slawno?" (Hift. Gesell. 1861, III).

9), Gespräche über Alt - Nowgor." 7.

10) 1. 1. 6.

rain um Nowgorod eine dichtere Ansiedelung hinderte, daß die alten Ansiedlungen daher auf Erhöhungen angelegt seien, daß vielleicht sogar die Hütten auf Pfählen erbaut wurden, wie noch heute an einigen Orten jenes Gebietes geschieht. 11) Die Namen der Viertel: Plotnitschi (Zimmermannsviertel) Gontscharni (Töpferviertel) zeugen dafür, daß fie einst als besondere Dörfer (Sloboden) bestanden. Das für Viertel übliche Wort „Ende“ (konez) scheint anzudeuten, daß früher nicht das ganze Dorf, sondern blos das Ende, als Mittelpunct der ursprünglichen Ansiedlung betrachtet wurde. Die Ansiedlung bewegte sich all= mählig zum Centrum hin und der Ort, an dem einst eine selbständige Slobode gestanden hatte, bildete das Ende. Die Sonderstellung der Viertel als selbständiger Gemeinden, ihre getrennte Verwaltung und die haufigen Feindseligkeiten zwischen den Vierteln, bekräftigen diese Annahme. Echon die Namen vieler Certlichkeiten auf der Sophienseite, weisen wie Beläjew bemerkt, darauf hin, daß Ansiedler zu der ursprünglichen Bevölkerung hinzutraten: Pruffi (Preußen) Nerew= läne. 12) Als die Selbständigkeit Nowgorods schon ganz entwickelt war, hatte sich die Verschmelzung aller Theile bereits vollzogen und Nowgorod wurde durch den Wolchow in zwei Hälften getheilt: die Sophienseite, welche außer dem Detinez folgende Viertel hatte: das Nerwische, das Vorstädtische und das Töpfer-Viertel, und die Handelsseite (torgowaja) mit dem Plotnizkischen (Zimmermannsviertel) und Slowenstischen (Slaven-) Viertel. Epäter nahm die Zahl der Viertel noch zu. Gilbert Lanoi, welcher 1413 Nowgorod besuchte, be= schreibt diese Stadt folgendermaßen: Die Stadt Groß-Nowgorod ist auffallend groß und liegt in einer herrlichen Ebene, rings von Wäl= dern umgeben. Der Ort liegt tief, wird von Wasser überschwemmt und ist zum Theil sumpfig. Durch Nowgorod geht ein großer Fluß, welcher Wolchow heißt, doch ist die Stadt von einer schlechten Mauer umgeben, die aus Flechtwerk mit einem Erdüberwurf besteht, obgleich die Thürme aus Stein find... In ihr steht ein Schloß (Detinez) bei der Kirche der heiligen Sophie, welche sie verehren; dort wohnt auch der Bischof“ (d. H. der Erzbischof). 13) Die Ansicht über den alten Umfang Nowgorod's hat gleichfalls der Metropolit Eugenius widerlegt.

Außerhalb Nowgorods begann das nowgoroder Land, das Land der heiligen Sophie. Zum nowgoroder Lande gehörte auch das Ge= biet von Pskow und beide umfaßten die heutigen Gouvernements:

11) Communen" II, 10.

12) „Erzählungen aus der russisch. Gesch.“ II, 2.

13) § 40 (nach Lelewel's Ausgabe). Wir bemerken, daß der Plan, welcher sich in der Erscheinungs-Kirche (snamenskaja) befindet, der in „Nachrichten der archäolog. Ges.", in Samislowski's "Atlas" und bei Weltmann „Vom Herrn Groß- Nowgorod" edirt ist, aus dem Anfang des XVIII. Jahrhr. stammt, daß

Nowgorod, Petersburg, einen Theil von Olonez, Archangel, Perm, einen Theil von Wätka, Wologda, das westliche Jaroslaw, einen Theil von Twer und Pskow. In den Nowgorod zunächst liegenden Ge= bieten waren Beiorte, die in uns befannten nahen Beziehungen zur alten Stadt standen. Beiorte Nowgorods waren: Pskow, Isborsk, Welikije Luki, Staraja Rusa, Torschek, Beshitschi. Es ist schwer anzugeben, wann die Macht Nowgorods in diesen Gebieten begonnen hat; aber aus dem Bericht des Nowgoroders Juräta Ragowitsch, die fich in Nestors Chronik findet, wissen wir, daß im XI. Jahrhundert die Nowgoroder Tribut von den Petscheren erhoben; 15) im XII. Jahrhundert werden die Kriegszüge nach Sawolotschje häufig er= wähnt, und im XIII. Jahrh. wird Tribut von den Ufern des Twer erhoben.16) Die Nowgorod zunächst liegenden Lande wurden in 5 Pä= tinen getheilt: die Wodische (am Ladoga-See), die Obonesische (bis zum weißen Meer), die von Beshez (bis zur Msta), die Derewische (bis zur Lowat), die Schelonische (von der Lowat bis zur Luga). 16) Hinter den Pätinen breiteten sich die sogenannten Provinzen (wolosti) Nowgorods aus, nach den Angaben des Vertragsurkunden, sind es: Samolotschje (das Land an beiden Seiten der Dwina, von Onega bis Mesena); Tre (das Nowgoroder Lappland); Perm (die Orte an Witschegda und an der oberen Kama); Petschora (an beiden Ufern des Ural und des Flusses Petschora von Mesena bis zum Koninschen Ufer), Jugra jenseits vom Kamm des Ural).18) Wenn die Beiorte, wie

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es also falsch ist, wenn einige Forscher das alte Nowgorod darin erkennen wollen; ein zweiter ähnlicher Plan findet sich in der Kirche Florus und Laurus" (in photographischer Aufnahme im Nowgoroder Museum). Im Chutinschen Kloster ist ein interessantes Heiligenbild, das die bekannte Vision des Taras darstellt und ganz Nowgorod zeigt; das Heiligenbild gehört, wie es scheint, ins XVII. Jahrhundert.

14) Wo einige Jahrzehnte hindurch Leute in Höfen gewohnt haben, findet fich für gewöhnlich zugetragene schwarze Erde. In der Stadt selbst ist dies offenbar zu sehen, und auf der Handelsseite längs dem Ufer muß man mitunter 8-9 Arschin graben, um auf die Muttererde zu stoßen, geht man aber zur Stadt hinaus, so trifft man überall den ursprünglichen lehmigen Boden." spräche über Alt - Nowgorod" 2. Murawjew: „Historische Untersuchungen über die Alterthümer Nowgorod's.

15) Photolitogr. Ausgabe 169.
16) Samislowski: „Atlas“ II.

Ge=

17) Eine Karte der Pätinen giebt Newolin, der übrigens diese Eintheilung auf mostausche Zeiten bezieht; aber Pogodin (Unters., Studien und Bem." V, 387) sieht eine Hinweisung auf die Pätinen in den Worten der „Statuten" Swätoslaws (1137): diese beiden, der Önega - Kreis und der Kreis von Veshitschi.

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18) conf.: Die Sammlung der Vertragsurkunden bei Solowjew: „Ueber die Beziehungen Nowgorods“ 134 (Hist. Gesell. Jahrg. 2. Buch 1). Auch einige der Beiorte werden darin berücksichtigt.

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