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Die schrecklichen Erscheinungen des Donners und Blikes repräsentirt den russischen Slaven Perun, den Hauptgott dieses Stammes, nach dem Zeugniß des ältesten Chronisten. Procop berichtet, daß die Slaven im 6. Jahrh. „einen Gott des Donners, den Gebieter des Welt= alls" verehrten '"). Die Verehrung Perun's ging später auf den Propheten Elias über und gab das Urbild zur Gestalt des Helden Ilja von Murom.

Zu den Naturgöttern gehören Stribog, deffen Enkel die Winde sind (conf. Lied von dem Feldzug Igor's); die Russalki vom Stamme rus, glänzen ), also Lichtgötter. Aus den Waffern des Himmels, in 1o), denen sie früher hausten, hat man sie in irdische Gewässer übertragen und ihnen die Bestimmung der Nymphen auferlegt. Verwandt mit ihnen sind die serbischen Wilen 19), welche auf den Bergen wohnten (in mythischer Sprache bedeutet Berg oft Wolke) und verwechselt werden mit ihnen die ukrainischen Mawki, Seelen von Kindern, die vor der Taufe starben 20).

Wie die wohlthätigen Kräfte der Natur, Sonne, Donner und Blitz, personificirt wurden (wohlthätig, weil sie die Wolken vertreiben und den Regen frei machen) so personificirten unsere Vorfahren die Arier, auch die finstern Naturerscheinungen und dachten sie sich im Kampfe mit den lichten Göttern; der Wechsel von Tag und Nacht, Sommer und Winter, stellt diesen Kampf dar. Eine ganze Reihe von Festtagen zeichnet gleichsam episch diesen Hergang. Der dunkle Anfang der Dinge wird in mehreren Wesen dargestellt: Morena 21) — ist der Lod, Kosch= tscheider Winterfrost, der Jungfrauen gefangen hält (nach Auslegung

17) Stritter: Memoriae Populorum II, 28. Die tiefere Bedeutung des Donners bezeugt das folgende serbische Lied:

Ging der Donner Gaben zu vertheilen:
Gott gab er die Himmelshöhen,

Dem heiligen Peter die Petershite, *)

Dem Iwan Eis und Schnee,

Dem Nikola Herrschaft über die Gewässer,

Dem Elias Blig und Donnerkeule. Afanasjew I, 480.

*) Der 29. Juni ist der Peterstag, also die Zeit der größten Sommerhiße. Anm. d. Uebersckers. 18) Ueber Einfluß des Christenth., 16.

19) Der Glaube an Wilen bestand vielleicht auch bei den Russen; im „Wort eines Christen" lesen wir: „und an die Wilen, es sind aber an Zahl 3 mal 9 Schwestern (Beschr. des Rumänzow'schen Museums 228). Natürlich wäre zu be= weisen, daß dies Wort russischer Herkunft ist.

20) Solowjew: Gesch. Rußl. I, 104.

21)

Und es kam ein Fremder gewaltsam in unser Vaterland
Und gebot mit fremden Worten,

Und wie es geht unter fremder Gewalt,

So ging es nun vom Morgen bis zum Abend

der Mythologen die Sonne), welche ein tapferer Held befreit (der Donner 22), Jaga-baba- die auf einem Mörser reitet, den sie mit der Keule antreibt und mit einem Besen ihre Spuren verwischt - stellt die Winterstürme dar 23). Ohne uns weiter mit Aufzählung der Gottheiten aufzuhalten, welche die finstere Seite der Naturgewalten darstellen24), verweilen wir bei einer wichtigen Frage. Der Umstand nämlich, daß ver Kampf zwischen Licht uud Dunkelheit den Hauptinhalt der Festtage bildet, daß zweitens mehrere Quellen darauf hinweisen, daß bei den Slaven ein Tschernobog (schwarzer Gott) existirte 25), hat einige Gelehrte (besonders Erben 26) zur Annahme geführt, einen ursprünglichen Dualismus in die slavische Mythologie zu übertragen. Uns dünkt, daß zu unterscheiden wäre zwischen dem consequenten Dualismus (der Anhänger des Zoroaster) der gleichsam philosophisch angeweht ist und jenem gleichsam natürlichen Dualismus, der Gut und Böse nicht in abstracten Gegensatz stellt. Die Vorstellung vom Streit zwischen Licht und Dunkel, die im Tode des Lichtgottes ihren Ausdruck findet (man denke an Adonis, Osiris, Balder u. s. w.) findet sich in allen Mythologieen; doch hat sich nicht überall ein confequenter Dualismus ausgebildet. Und was den Tschernobog betrifft, kannten ihn denn wirklich alle Slaven? Un= möglich ist es nicht. Ist es heute doch noch zu früh, von einer allge= meinen slavischen Mythologie zu sprechen. Die verschiedenen slavischen Völker standen in verschiedenen Entwickelungsstadien, traten dazu noch mit verschiedenen fremden Stämmen in Berührung, von denen sie Ueber

Den Kindern und Weibern.

Nur eine Freundin dürfen wir haben

Auf dem langen Wege vom Frühling zu Morana. Königshofer Handschr. (Saboi, Slavoi und Ljudek) conf. J. M. Snegirew „die volksthümlichen russischen Festtage“ I, 120–123. A. N. Afanasjew „Poet. Anschau.“, III, 695.

22) Ueber Koschtschei conf. Afanasjew „Poet. Ansch.", II, 594-604, und „Märchen.“

23) Lawrowski: Ausgewählte Untersuch.: „die mythologische Bedeutung einiger Sagen". Geles. in d. hist. Gef. 1866, II).

24) Trojan, den das „Lied von dem Heereszug Igors und die Rede und Offenbarung der hl. Apostel" (Tichonrawow, Annal. ruff. Litt. Bd. III) erwähnt, ist noch sehr unklar (conf. Kotlärewski in „Alterthümer" I. und Buslajew, historische Sfizzen I, 384-390). Mokosch und Simargal des alten Annalisten weiß ich nicht unterzubringen.

25) Est autem Slavorum mirabilis error: nam in conviviviis et compotationibus suis, pateram circumferunt, in quam conferunt non dicam consecrationis sed execrationis verba, sub nomine deorum, boni scilicet atque mali, omnem prosperam fortunam a bono deo, adversam a malo dirigi profitentes, ideo etiam malum deum sua lingua diabol sive Zernobog id est, nigrum deum, appellant. Helmoldus Chr. Slav. lib. I. cap. 52.

26) „Ueber slavische Mythol.“ im „Russisch. Unterhaltungsblatt". 1854. Bd. 4.

Lieferungen annehmen konnten, oder und das muß beachtet werden. - der Gegensatz zu den Fremden verstärkte vielleicht die Volksreligion, verwandelte den friedlichen Volkscharacter in einen kriegerischen und änderte vielleicht im selbem Sinn die mythologische Auffassung. Wir wissen, wie feindlich die baltischen Slaven allem christlichen Wesen ent= gegenstanden 27).

Der jährliche Kreis der Festtage zeichnete, wie wir schon sahen, treffend den Kampf zwischen Dunkel und Licht, Kälte und Wärme. Mit der Frage über das Festjahr ist die über den Kalender eng verflochten. Die russische Archäologie hat sie noch nicht völlig erklärt: wir wissen aus unseren Quellen, daß die Slaven eigene Monatsnamen hatten, die zum Theil noch heute bei Polen und Tschechen erhalten sind, wir wissen auch, daß es zwölf waren; unsicher ist aber, ob es Sonnenmonde waren; das Jahr begann mit dem März und diese Rech= nung reicht bis ins 15. Jahrh. hinan, ja sie erhielt sich noch, als schon die byzantinische Zählung vom Sept. üblich war 28). Die Aufzählung der Festtage beginnen wir jedoch nicht mit dem Frühling, sondern mit dem Winter nach heutiger Jahresordnung, da wir diese Fest= tage hauptsächlich durch noch heute bestehende Volfsjitten fennen 29). Der jetzigen Weihnachtszeit (swätki hieß im Alterthum überhaupt Feiertag) entsprechen die Kolädi und Awsenjä. Das Wort foläda leiten

27) Helmold I. c. 53 erzählt, daß, als Lothar auf Anrathen Wizelin's auf einem Berge an slavischer Grenze ein Schloß zu bauen begann, um die umliegenden Stämme zu knechten, die slavischen Fürsten zum Bau wären herbeigerufen worden. Einer von ihnen zeigte einem zweiten das in Bau begriffene Schloß und meinte, dies sei eine Gefahr für alle Stämme. Cui ille respondit: „Qui nobis malum hoc paravit aut regi montem hunc quis prodidit?" Ad quem princeps: „vides inquit homuncionem illum calvum stantem prope regem (den Wizelin?) ille induxit super nos universum malum hoc.

28) Ueber den Calender (zum Theil auch über den russischen) sind die Bemerkungen Grimm's wichtig (Gesch. der deutschen Sprache I, VI, Feste und Monate, ed. 2). Nur kann ich ihm nicht recht geben, wenn er den Anfang des alt= russischen Jahres in den September sett; das von ihm selbst citirte maius mensis tertius" aus der mater verborum steht damit im Widerspruch. Das Leben Stephans von Perm (Denkmäler alt-russisch. Litt. IV, 139) erzählt: Der Monat März ist der erste aller Monate. conf. Poet. Anschauung. III, 659, conf. auch Wostokow, Veschreibung des Rumänzow'schen Museums, 458 und Veläjew, die Chronologie Nestor's (Abh. d. hist. Gesell. II., Nr. 2).

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29) Ueber die Festtage siehe: Snegirew Volksthümliche Festtage und abergläubische Gebräuche“ 4 Bde., Moskau 1837; Sacharow, „die Sagen des russischen Volkes" Bd. 2. Tereichtschenka: Zustände des ruff. Volks. Pet. 1848, 7 Bde., conf. V, VI, VII. Ganusch: Bajoslowny Kalendar. Prag 1860. Maksimowitsch: Tage und Monate des Ukrainischen Landmanns (Ruff. Unterh. 1856. I, 3). Markewitsch: Sitten, Glauben der ... Kleinrussen. Kiew 1860. Karawelem „Tenkmäler des bolgarischen Volkslebens. Most. 1861. Afanasjew: „Poetische Anschauungen“ III, 659-777. Kawelin: Aufsätze IV, 75-133.

einige von calendae (Snegirew), andere (z. B. Müller) von kólo, Rad (Symbol der Sonne) her. Die erste Erklärung ist wol die richtigere. Awsen leiten einige von owës, Hafer, her (Snegirew, Tereschtschenko), andere (Solowjew) von der Gottheit Jeffew, die Dlugosch erwähnt 30). Die Kolädi wurden gefeiert, wenn, wie das Sprüchwort sagt die Sonne auf Sommer und der Winter auf Frost geht" wenn nach einem an= dern Sprichwort der Tag um einen Hühnerschritt zunimmt". Die Kolädka singt: „Es kam die Koläda am Weihnachtsvorabend". Um diese Zeit feierten die Römer «natales Solis invicti» 31). Zu den eigen= thümlichen Kennzeichen der Kolädi und Awsenjä gehören: der Badnäk (ein Eichenklo, der am Herde des Hauses entzündet wird und bis zu Heilige drei Könige brennen muß) das Bestreuen mit Hafer, das Heren, welches darin besteht, daß der Hausherr sich hinter einem Kuchen ver= birgt und wenn er nicht gesehen wird, ein fruchtbares Jahr erwartet u. f. w. 32). Alles weist darauf hin, daß man die zunehmende Frucht= barkeit festlich begehen will.

Schon der in den Weihnachtstagen übliche Putz deutet das durch Winterfröste veränderte Aussehen der Natur an, und kann füglich den Sagen an die Seite gestellt werden, welche von verzauberten Prinzen erzählen, die in Schlaf versinken oder fremde Gestalt annehmen (z. B. ein Schweinefell 33). Zu Heilige drei Könige ist es Volksfitte, in einem Loch, das ins Eis geschlagen wird, sich von der sündhaften Weihnachtsverkleidung zu reinigen; vielleicht ist darin aber eine christliche Sitte zu sehen und der heidnische Ursprung derselben, den Afanasjew an= nimmt, zu verwerfen. 34) Auf die Kolädi folgt die Butterwoche, das Eintreffen des Frühlings wird dann gefeiert, da später die Fasten jede Feier verhindern. An vielen Orten wird eine Strohpuppe angezündet, welche wahrscheinlich den Winter oder den Tod darstellt; die Tschechen und Moraven nehmen diese Verbrennung (mitunter wird die Puppe

30) Appellebant autem Jovem Jessen lingua sua. L. 1, pg. 36.
31) Snegirew: Volksthümliche Festtage. II, 7.

32) A. N. Afanasjew: Poetische Anschauungen, III, 745 conf. Saxo (13. Jahrh. nach d. Ausg. v. 1644, pg. 320). Placenta quoque mulso confecta, rotundae formae, granditatis vero tantae ut paene hominis staturam aequaret, sacrificio admovebatur. Quam sacerdos sibi ac populo mediam interponens, an a Rugianis cerneretur, percontari solebat. Quibus illum a se videri respondentibus, ne post annum ab hisdem cerni posset optabat. Quo precationis modo non suum aut fatum, sed futura messis incrementa aptabat. So thaten die Bewohner Rügens vor dem Bilde Swätowids.

33) D. F. Müller „Versuch einer historischen Uebersicht der ruff. Litt., I, 147 sq., 2. Ausg. Pet. 1865.

34) Poetische Anschau." III, 750. Der Hinweis auf Herberstein und Marjeret beweist die weite Verbreitung dieser Sitte, jedoch nicht ihren heidnischen Ursprung.

auch ersäuft) regelmäßig im März vor. Das Eintreffen des Frühlings, der alles Leben erneuert und von der Herrschaft des Todes und der Kälte befreit, bringt naturgemäß die Todten in Erinnerung, daher ist die Butterwoche die Zeit der Todtenfeier, und die Gedächtnißspeise (die Blini) sollen der Ausdruck dafür sein. Der schließliche Triumpf des Frühlings hat sich heute mit der Auferstehung der rechten Sonne, Christi, vereinigt. Die Feierlichkeiten der Lster- und der Thomaswoche erinnern daher an den heidnischen Triumpf des Frühlings. So das Färben der Eier: das Ei ist ein Symbol des Lebens; das Schießen aus Flinten 35), das den ersten Frühlingsdonner versinnbildlicht, das Ausrufen des Frühlings mit den Worten: „Schöner Frühling wie bist Du gekommen 6). Hierher gehört auch der Glaube, daß die Sonne tanzt und die ganze Csterwoche über nicht untergeht ). Nach Ostern beginnen die Frühlingsspiele, „die Spiele mitten im Dorf", welche der älteste Chronist erwähnt. Hauptsächlich concentriren diese Spiele sich um den siebenten Donnerstag nach Ostern und um Pfingsten. Kränze, Blumen, Bäume sind das Symbol der Feier. Der Pfingstsonntag und die drei vorhergehenden Tage werden die grünen Festtage genannt. Wie zur Winterfonnenwende die Kolädi gefeiert werden, gehört die Sommersonnenwende dem Festtage der Kupala. An diesem Tage wird durchs Feuer gesprungen (ein Symbol der Reinigung) und heilsame Kräuter werden gesammelt, denn das Gras, welches unter der stärksten Wirkung der Sonnenstrahlen erwuchs, muß besonders fräftig wirken. In der Nacht muß die Blume Paporotnik (eine Art Farrenkraut. D. Uebers.) gepflückt werden, denn nur dann blüht sie. Diese geheimnißvolle Blume hat die Eigenschaft, Schäße, die im Schooß der Erde verborgen liegen, anzuzeigen. Die Mythologen halten sie für einen Donnerkeil, der die Wolken zertheilt hat und den Sonnenschatz bloslegt; vielleicht versinnbildlicht dies Blümchen die lebenwebende Kraft der Sonne der Geberin aller Güter 38). Am Peterstage begräbt man an vielen Orten Jarila

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38) Der Festtag der Kupali wird beschrieben in der Sendung des Abtes Pamphilius von der Elisarew'schen Einsiedelei, zum Fürsten Dimitri von Rostow, dem Statthalter von Pleskau ao. 1504: „Kaum bricht der große Festtag der Geburt Johannes des Täufers an und schon vor diesem großen Feiertage, so gehen die Unholde, Mann und Weib, die Heren auf Wiesen und Sümpfe, in Einöden und Eichenwälder, zu suchen Todeskräuter zum Verderben des Leibes, giftige Gräfer zum Verderben Menschen und Vich und graben wundersame Wurzeln ihren Männern zur Vergiftung: dieses Alles schaffen sie durch Hilfe des Teufels am Tage des Johannis mit satanischer Beschwörung. Wenn aber der eigentliche Geburtstag des Vorläufers ist, dann geräth in jener heiligen Nacht fast die ganze Stadt in Aufruhr, in den Dörfern erhebt sich ein Teufelslärm von Schellen, Schnarren,

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