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Jugend durch persönliche Tapferkeit während des Krieges, den sein Vater mit Ifjaflaw führte, sich berühmt gemacht hatte und der zweimal gegen die Bolgaren gezogen war (1154 und 1172), zog nicht nach Kiew. 1154.1172 Nachdem Kiew genommen war, setzte er dort seinen Bruder Gleb ein und ließ die Rostislawitschen im kiewschen Lande. Nach Glebs Tode schickte er ein starkes Heer gegen die Rostislawitschen, welche er im Ver= dacht hatte, die Mörder Glebs zu verbergen. Er ward von Mstislaw bei Wischgorod geschlagen (1173). Unterdeffen schickte er seine Heere 1173 gegen Nowgorod. Den Anlaß hatte ein Zusammenstoß der Sufdalzer mit Nowgorod tributpflichtigen Stämmen an der Dwina gegeben. Ob= gleich Andrei bei der Belagerung Nowgorod's eine Schlappe erlitt 18), sette er seinen Willen durch. Nowgorod unterwarf sich, als er der Stadt die Zufuhr an Getreide abschnitt. Eigenwillig den Fürsten gegenüber, die er unter seine Hand beugen wollte 14), dachte Andrei auch in Sachen der Kirche selbstherrlich zu schalten; unzufrieden über die Störrigkeit des Bischofs Leontius, vertrieb er ihn 15). Eine Verschwörung, an der die Schwäger Bogolubski's und vielleicht auch seine Frau Theil hatten, führte zur Ermordung Andrei's und zu Únordnungen in Susdal (1474).

Rostow und Susdal beriefen auf den Rath Gleb's, des Fürsten von Susdal, hauptsächlich aber um ihren Knechten 1), den Bewohnern von Wladimir, das Altersvorrecht nicht einzuräumen, die Enkel Andrei's, Mstislaw und Jaropolk Rostislawitsch, zu sich. Wladimir aber, der

1474

sich auf das Testament Dolgoruki's stüßte, berief deffen jüngeren Söhne Michail und Wsewolod. Der Kampf dauerte bis zum Jahre 1176, 1176

in dem, nach des Bruders Lode, Wsewolod schließlich den Thron be=

hauptete. Wsewolod Jurjewitsch (1176-1212) erhöhte noch die Be- 1176-1212 deutung seines Fürstenthums:

„Die Wolga kannst Du ja zerstäuben mit

,,Den Rudern, und den Don mit Helmen leeren,"

13) Bei den Nowgorodern entstand eine besondere Sage über die Befreiung der Stadt durch das Wunder eines Heiligenbildes (V. Š. R. Ch. V, 9-10; IX, 241-44; XV, 244-47. Stufenbuch I, 300-305. Jahrbücher der hift. Ges. XVI. Denkmäler altruffischer Literat. I, 241-42). Es ist interessant, daß man noch bis auf den heutigen Tag ein bei dieser Gelegenheit verfaßtes Loblied fingt. Polewoi, Geschichte des rufsischen Volkes III, 59.

14) Worte Mstislaws.

15) V. S. R. Ch. I, 156. Eine Nachricht erzählt, daß er einen Metropolitansit zu gründen dachte (conf. Sendung des Patriarchen Lukas bei Nik. u. Tat. III, 135, 139).__Die Unzufriedenheit der Geistlichkeit mit dem Bischof Feodor (V. S. R. CH. II, 102, 103) scheint diese Nachricht zu bestätigen (conf. Solowjew, Ein Blick anf den Zustand der Geistlichkeit im alten Rußland, 9—13. Hist. Ges. II, 6).

16) V. S. R. CH. I, 159.

17) Spätere Quellen geben ihm den Namen „das große Nest," weil er viele Kinder hatte.

redet ihn der Verfaffer des Liedes vom Heereszuge Igor's an 18). Wir sahen schon, daß Wsewolod hauptsächlich durch kluge Politik seine Macht behauptete: er erregte Streit unter den Fürsten und blieb selbst allem Streite fern. Deshalb war er mächtig. Räsan unterwarf er sich durch Ausnußung des Haders der Fürsten; durch einen Neffen regierte er in Perejaslawl und beherrschte er die tiew'schen Fürsten; er hatte Einfluß auf Galitsch, sezte Fürsten in Nowgorod ein und wurde von den Olgowitschen mit Ehrfurcht behandelt. Als er das Nahen des Todes fühlte, rief er seinen ältesten Sohn Konstantin, der in Rostow saß, herbei und bot ihm die Nachfolge in Wladimir an, unter der Bedingung, daß er Rostow dem zweiten Bruder Jurii überlaffe; aber Constantin wollte diese Theilung nicht und gedachte Rostow und Wladimir zu vereinigen 20). Da berief Wsewolod die Geistlichkeit und alles Volk, nahm einen Eid von ihnen und bestimmte Jurii zum Nachfolger in Wladimir. Constantin schäumte vor Wuth. Dies benußte Mstislaw Mstislawitsch aus, vertrieb den Swätosslaw Wsewolodowitsch und setzte sich in Nowgorod fest. Nach Wsewolod's Tode dauerte der Hader unter seinen Söhnen fort; Mstislaw mischte sich in denselben. Es hatte Nowgorod verlassen und war wiedergekommen, diese Stadt gegen Jaroslaw Wsewolodowitsch, der ihr die Getreide= zufuhr abschnitt, zu vertheidigen. Mstislaw verband sich mit Constan= tin. Es kam zur berühmten Schlacht bei Lipez (in der Nähe von Jurjem im Wladimirschen Gouv.), in welcher Jurii und Jaroslaw ge= 1215 schlagen wurden und Konstantin den Thron erftritt (1215). Nach 1217-1237 Constantin's Tode (1217) folgte ihm Jurii (1217-1237), der in der Schlacht am Fluße Sit umkam. Jurii ist bekannt durch seinen Krieg mit den Bolgaren und durch die Gründung von Nishni - Nowgorod (1221), welches der äußerste Vorposten der Ausbreitung russischer Macht vor dem Tatareneinfall war.

Politisch und geographisch war mit dem Fürstenthum Susdal das räsan- murom'sche Fürstenthum verbunden, in welchem ein jüngerer Zweig der tschernigower Swätoslawitschen sich festgesezt hatte 21). Der erste unabhängige Fürst (nach dem heil. Gleb) ist in diesem Lande 1127-1129 Jaroslaw Swätoslawitsch (schließlich von 1127-1129) 22). Nach seinem

18) Russische Denkwürdigkeiten III, 148.

19) V. S. R. Ch. II, 136–138. Es ist interessant, daß Friedrich Barbarossa fich für Wolodimir interessirte: Erwägend, daß er ein Schwestersohn war des großen Fürsten Wsewolod von Süsdal."

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20) V. S. R. CH. VII, 217.

21) Ueber die Geschichte von Räsan befizen wir eine vorzügliche Arbeit von Jowaisti, Geschichte des Fürstenthums Räjan. Mosk. 1858.

22) Viele identificiren ihn mit dem heil. Constantin von Murom; so Philaret, Ruff. Heilige. Mai 21. Jlowaiski, Geschichte d. Fürsten von Räsan, 33-35.

Tode zerfällt das Fürstenthum in zwei Theile: Murom und Räfan (seit 1185 erscheinen Fürsten von Pronsk). Zur Zeit Andrei Bogo= lubski's unterwarfen die Fürsten von Räfan fich den Susdalern, die Muromer blieben so wie so in Abhängigkeit; aber der räfansche Fürst Gleb Rostislawitsch, ein Enkel Jaroslaw's (1144-1177), versucht mit 1144-1177 den Waffen die Rostislawitschen von Susdal zu stürzen; aber nach der Schlacht bei Kolomna (1176), einer damals räsanschen Stadt, als 1176 Gleb gefangen genommen wurde, hört der Widerstand auf und die Fürsten von Räsan nehmen an allen Feldzügen Wsewolod's Theil; nichts destoweniger hatte Wsewolod sie im Verdacht der Verrätherei. Im Jahr 1197 ergriff er sie und sperrte sie in Wladimir ein, Räsan 1197 aber gab er seinem Sohne Jaroslaw. Erst 1212 wurden die räsan= 1212 schen Fürsten freigelaffen. 3m Jahr 1217 luden die Enkel Gleb's, 1217 Gleb und Constantin Wolodimirowitsch, sechs Fürsten zu einem Schmause, ihren leiblichen Bruder Ifjaflaw und fünf Vettern, und erschlugen sie sämmtlich. Die Rache für die Brüder vollzog Ingwar Igorewitsch, der die Mörder vertrieb und sich zum Fürsten in Räsan machte (1219). Sein Bruder Jurii und seine Söhne vertheidigten 1219 das Land tapfer gegen die Tataren (1237).

Nachdem wir die äußeren Begebnisse der sogenannten Periode der Theilfürsten erzählt haben, können wir vor der Schilderung der gesell= schaftlichen Zustände jener Zeit eine Bemerkung nicht zurückdrängen : bei aller äußeren Versplitterung war die innere Einheit nicht verloren gegangen. Die russischen Fürsten betrachteten einander nicht als Fremde, die russische Welt fühlte sich als ein Ganzes. Die Periode der Theilfürsten hat die Bedeutung, daß alle Theile Rußlands an der historischen Entwickelung mitwirken: überall erschienen Fürsten mit ihrem Gefolge, überall begann ein ähnliches Leben; bis in die entlegensten Winkel drang eine gewisse Civilisation, deren Verbreitung hauptsächlich durch das Christenthum befördert wurde. Das Christenthum und die Gefolgschaften der Fürsten haben das russische Element mitten unter fremden Stämmen erstarken laffen; das Schwert der Krieger allein hätte nicht genügt, aber ein Sporn war auch der fürstliche Hof; nicht umsonst stritten die Städte um die Ehre, einen Fürsten bei sich zu haben und erwarben auch kleinere Orte eigene Fürsten.

Aber Jaroslaw hieß ja nicht Constantin (Daniel der Pilger nennt ihn JarosLaw Pancratius), von Einzelheiten, die man von einer vita des 11. Jahrhunderts nicht richtig erwarten kann, gar nicht zu reden.

1237

Biertes Capitel.

Die russische Gesellschaft in der Periode der Theilfürsten: Der Fürst, die Volksversammlung, das Gefolge, die Leute. Gerichtswesen. Kirche. Literatur. Materieller Bestand der Gesellschaft.

I. ')

Die Fürsten, die in der Periode der Theilfürsten Rußland be= herrschten, gehören alle dem Geschlechte Ruriks an. Die einzige Ausnahme bildet der Bojar Wolodislaw von Galitsch, dem es beikam, „Fürst zu sein“: als ihn aber Koloman von Ungarn gefangen nahm, wollte keiner der Fürsten seine Familie zu sich nehmen 2). Jedes Glied des fürstlichen Geschlechts glaubt eo ipso ein Anrecht auf einen Theil des russischen Landes zu haben. Erhielt er sein Antheil nicht durch Vertrag mit den andern, so erkämpft er mit Waffengewalt :

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Und Kiew's goldnen Thron erschüttert er „Mit seiner Lanze,"

sagt das „Lied vom Heereszuge" von Wseslaw Brätschiflawitsch 3). Wir haben schon viele Beispiele angeführt: viele kamen um, ehe sie das Ziel erreichten, aber bis zum Tode verfolgten sie ihr Ziel. So Jwan Rostislawitsch Berladnik, der Neffe Wolodimir's von Galitsch, der nach vergeblichen Bemühungen sich gezwungen sah, bei anderen Fürsten in Dienst zu treten, fast das erste Beispiel eines dienenden Fürsten. Aber auch er suchte jede Gelegenheit, die sich ihm bot, auszunußen, ja selbst sein Sohn Rostislaw gab das Wagniß nicht auf.

Es gab, wie wir sahen, ältere und jüngere Fürsten, und die Fürstenstühle wurden dieser Vorstellung gemäß besetzt: die älteren saßen in den älteren Städten; die Jüngeren wurden zu den älteren

1) Hauptquelle: Chroniken (conf. Cap. III, 108). Haupthilfsmittel: Solowjew; Pogodin (Unters., Stud. u. Bemert. IV, V, VÍI); Sergejewitsch, Fürst und Voltsversammlung.

2) V. S. R. CH. II, 160: Uebel that er seinem Geschlecht und seinen Kindern, als er nach dem Fürstenthum strebte, denn alle Fürsten mißachteten seine Kinder um dessent willen."

3) Russische Denkwürdigkeiten II, 190.

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Städten übergeführt, wenn aus irgend welcher Ursache ein Sitz frei wurde. So gelangten die Fürsten nach Kiew und ebenso avancirte man in allen russischen Landen von unbedeutenden Städten zu den wichtigeren, von Nowgorod Sewerski nach Tschernigow u. s. w. Als ältester galt der Fürst von Kiew; er hieß Großfürst und genoß Ehrenvorzüge, die in den Händen von Fürsten wie Monomach oder wie sein Sohn Mstislaw zu wirklichen Vorrechten wurden; so vertrieben Monomach und Mstislaw die ihnen mißliebigen Fürsten. Wenn ihr in Wahrheit mich aus Liebe beruft sagt im Jahr 1159 Rostislaw Mstislawitsch Denjenigen, die ihn aufforderten, ihr Fürst zu werden - so gehe ich doch aus freiem Willen nach Kiew, daß ihr mich in Wahrheit zum Vater habet und euch mir in Gehorsam begebet" *). Um das Verhältniß der Jüngeren zu bestimmen, brauchte man die Ausdrücke: an der Hand gehen, am Zügel reiten 5). Später, nach= dem Kiew's Bedeutung gesunken war, erkannte man auch einen nicht tiew'schen Fürsten als Aeltesten an. Du aber, Bruder sagt Rurik Rostislawitsch dem Wsewolod Jurjewitsch bist in dem Stamme älter als wir, sei daher auf der Wacht für Rußland, für Deine Ehre und für uns"). Der Aeltere hatte das Recht, über die Jüngeren zu richten. Rostislaw Jurjewitsch sagt dem Ifjaflaw Mstislawitsch: „Du bist älter als ich, deshalb sollst Du über ihn und mich zu Gericht fißen"). Aber ohne Berathung mit den übrigen Fürsten durfte der Großfürst keinen Rechtsspruch fällen; als Swätopolk, Michail und David den Waffilko geblendet hatten, schickten Monomach und die Swätoslawitschen Oleg und David Boten zu Swätopolk und ließen ihm sagen: „Was für Uebel hast Du in Rußland angerichtet und ein Meffer in's Land geschleudert? Weshalb hast Du Deinen Bruder geblendet? Hatte er sich eines Frevels schuldig gemacht, vor uns mußtest Du ihn anklagen, und wenn Du ihn überführt, hättest Du ihm seinen Lohn gegeben; jezt aber beweise seine Schuld, weshalb Du ihm dies angethan hast" 8). Mitunter begnügte man sich nicht mit einer Zusammenkunft der Fürsten allein und berief Geistlichkeit, Bo= jaren und Städter; vor eine solche Versammlung ward Swätopolk Monomach, Oleg Swätoslawitsch citirt"). Später ward Regel, was ursprünglich nur in praxi bestand: „wenn ein Fürst sich entschuldigt,

4) V. S. R. Ch. II, 85.

5) Geschichte der Beziehungen unter den Fürsten, 14-15.

6) V. S. R. Ch. II, 145.

7) 1. 1. II, 41.

8) 1. 1. I, 111–112.

9) 1. 1. I, 98.

Russische Geschichte. Bd. I.

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