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immer häufiger. Hierher gehören die Arbeiten von Sresnewski, 46), Buflajew, Afanasjew († 1871) 147), Potebnä 148), Kotlärewsti 149) und Müller. Freilich verfällt die noch junge russische Mythologie nicht selten in Extreme, besonders weil die Masse des ergrabenen Materials noch nicht gesichtet ist und die fertigen Urtheile der deutschen Wissen= schaft verführerisch wirken; aber auch hier kann man den Fortschritt nicht leugnen.

Zum Schluß führen wir noch an, daß viele Abhandlungen, die für die russische Geschichte von Interesse sind, in den Mittheilungen und Journalen der Universitäten Kiew, Moskau, Kasan, Charkow, der neurussischen Universität und Warschau erscheinen.

Die hier aufgezählten Werke erschöpfen den Reichthum der wissenschaftlichen historischen Literatur Rußlands nicht; wir haben nur die wichtigeren Werke aufgeführt. Aber man ersieht aus dieser Aufzäh= lung, daß, wenn auch viel gearbeitet wurde, doch noch mehr zu thun übrig bleibt: noch fehlen Beschreibungen der Archive und Bibliotheken und viele Fragen sind eben erst angeregt worden. In dieser Erkenntniß wird man um so vorsichtiger mit allgemein giltigen Schlüffen zurückhalten.

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146) Die Heiligthümer und Religionsgebräuche der alten Slaven." Charfow 1847 und Abhandlungen.

147) Seine Abhandlungen sind gesammelt unter dem Titel: Die poetischen Anschauungen der Slaven von der Natur." Mosk. 1865 — 69. 3 Bde.

148) Ueber die Bedeutung einiger mythologischer Gebräuche." Most. 1864. 149) Ueber Bestattungsgebräuche." Pet. 1869 und eine Reihe von Abhandlungen in Zeitschriften.

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Rudolstadt, Drud der F. priv. Hofbuchdruckerei.

Erstes Capitel.

Die Slaven. Ihre Ausbreitung. Die Religion der Slaven.
Festtage, Hausgötter, Bestattungsgebräuche, Gottesdienst

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Naturgötter, Familienleben

Gesellschaftlicher Zustand. Materieller Bestand des Lebens der Slaven, vorzüglich der russischen. Fremdländer: Finnen, Türken und Litthauer.

I. ')

Slavische Stämme, die vor Alters den Boden des heutigen russischen Reiches bewohnten, bildeten den ersten Kern des russischen Volkes. Wann die Slaven nach Europa gezogen sind, wissen wir nicht sicher. Schon genauer läßt sich der Ort bestimmen, den sie seit undenklicher Zeit bewohnten. Das können wie schon vor mehr als 30 Jahren Nadeshdin bemerkte die Benennungen der Flüsse und Berge erweisen. Große Flüsse und Berge erhalten, nach der Bemerkung dieses scharfsinnigen und gründlichen Schriftstellers, stets von den ersten Einwohnern ihren Namen. Hören wir daher im Osten nicht slavisch klingende Namen, wie: Oka, Kama u. s. w. und im Westen rein slavische: wie Bersina, Pripet u. s. w., so können wir daraus schließen, daß der Westen vor dem Osten von Slaven bewohnt war und haben die ersten Ansiedlungen der Slaven in den untern Karpathen zu suchen. Zum selben Schluß ist Schafarik in seinen slavischen Alterthümern" gekommen. Hierher, zu den Karpathen, führen uns ja auch die Sagen vieler slavischen Völker, besonders der Tschechen und Lechen. Von dort breiteten die Slaven sich nördlich bis zum baltischen, südlich bis zum adriatischen Meere aus. Die älte= sten russischen Annalen bewahren eine Ueberlieferung, daß „in uralter

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1) Die wichtigsten Hülfsmittel sind: Zeus: Die Deutschen und ihre Nachbarstämme. Schafarik: Slavische Alterthümer." "Samislowski: Atlas“ 2. Ausg. Viel wichtiges bei Grimm: „Gesch. der deutschen Sprache", 2 T. 2. Ausg. 1853. Surowezki: Ueber die Abkunft der Slaven. In's Deutsche übersetzt von Schafarik. Ofen 1828. Hilferding: „Geschichte der baltischen Slaven." Mosk. 1855. „Aufsätze." Bd. 1. Pet. 1868. Historische Alterthümer der Slaven" (im Europäisch. Boten 1868).

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2) In: „Versuch einer historischen Geographie der russischen Welt“ (Lefebibliothef 1837. XX.).

Russische Geschichte. Bd. I.

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Zeit (nach dem babylonischen Turmbau) Slaven an der Donau saßen, da wo jezt das Land der Ugren und Bolgaren ist"; von den Welschen verjagt, hätten sie sich dann nach verschiedenen Richtungen zerstreut. Die Donauüberlieferung, wenn man so sagen kann, ist vielleicht aus irgend einer schriftlichen Aufzeichnung der Donau-Slaven in die Annalen übergegangen, darf aber wol nicht als Beweis dafür aufgeführt werden, daß die Slaven in Europa zuerst die Donau bewohnt haben; es ist schon wahrscheinlicher, daß sie aus einem Ursiz, den sie gleich bei dem Ueber= gang nach Europa einnahmen, hierher gewandert sind. Die Walachen find nach Schafarik Kelten; nach Andern Römer; Hilferding hält sie für die alten Daker, die Vorfahren der heutigen Rumunen.

Die Alten kannten die Slaven nicht unter ihrem eigentlichen Namen (es sei denn, daß man in den Stawanen des Ptolomäus Slaven sieht). Griechen und Römer kannten sie unter verschiedenen Bezeichnungen, Weneten, Wenden (die Geneten des Herodot) sind die üblichsten. Pli= nius und Tacitus geben an, daß die Wenden um die Weichsel herum wohnten; der Geograph Ptolomäus nennt das baltische Meer die wen= dische Bucht (xóλπоç оvεvεdixóc). Man bezeichnete mit diesem Namen die beiden äußersten slavischen Stämme: die dem classischen Alterthum durch ihren Bernsteinhandel bekannten baltischen Slaven, und die adriatischen Slaven, welche zuerst in directe Beziehungen zu den Römern traten und bald latinisirt wurden 3).

Sichere Kunde über den Boden des alten Rußland erhalten wir mit dem 5. Jahrh. v. Chr. G. Herodot kennt dort das Reich der Sky= then; er beschreibt aber auch die Stämme, die ihnen Tribut zahlen. Unter diesen weisen die Kenner des slavischen Altertums (besonders Schafarik) einige höchst wahrscheinlich slavische Stämme nach. Die Gelehrten streiten noch heute über die Herkunft der Skythen: einige halten. fie für Mongolen (Niebuhr, Neumann), andere für Finnen (Eichwald); doch beginnt jezt die Ansicht vorzuwiegen, daß die Skythen arische Nomaden waren (Grimm, Uckert, Bergmann, Hilferding, Grigoriew). Außer der eingehenden Schilderung, die Herodot von Sitten und Sagen der Sty= then giebt, sind einige Namen (deren Ableitung vielleicht noch nicht überzeugend von der Philologie nachgewiesen ist) und Grabhügel, unter denen besonders die Königsgräber wichtig sind, auf uns gekommen. Die in den Gräbern gefundenen Sachen geben uns einen Begriff vom Leben der Skythen. Von diesen Funden zieht eine in der Eremitage aufbewahrte silberne Vase die Aufmerksamkeit auf sich. Sie ist von Sabelin aus dem Grabhügel von Tschertomlinsk (im Jekaterinoslawschen Gouvernement) gegra=

3) Der Vorposten der Slaven im Westen, Armorika (in der Bretagne) will noch näher untersucht sein.

4) Veschrieben in: „Archäologische Studien der moskauer archäologischen Cesellschaft“ I.

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ben. Diese Vase nun, von griechischen Künstlern der pontischen Kolonie gearbeitet, stellt Skythen dar, welche Pferde führen. Den Gesichtszügen nach gehören die Skythen unzweifelhaft dem arischen Typus an. Das Ufer des schwarzen Meeres war in der Skythen Zeit mit griechischen Kolonieen befeht; an der Meerenge von Kertsch bestand das halb helle= nische, halb barbarische bosporische Reich. Diesen Kolonien ist schwerlich ein bestimmender Einfluß auf die Geschicke des russischen Landes zuzuschreiben. Hielten sich doch wie Michelet in Bezug auf Massilia richtig bemerkt die Griechen abseits von den Barbaren; nur ihre Künstler traten in den Dienst der Barbarenfürsten und hinterließen Denkmäler ihrer Kunst, denen dann die Barbaren selbst grob nachzu= ahmen suchten. Uebrigens sind einige christliche Missionäre von hier ausgegangen (ich erinnere nur an die Schüler des Apostels Andreas: Pinas, Rinas und Jnas, die in Ober-Skythien den Märtyrertod er= litten3). Das Christenthum kannte ja nicht den Unterschied zwischen Hellenen und Barbaren. Um die Zeit von Christi Geburt ward die Herrschaft der Stythen gegen die der Sarmaten vertauscht — gleichfalls ein arisches Volf (es wird zu den Medern in Verwandtschaft gesetzt). So werfen die Steppen Asien's immer neue Nomaden-Horden in die russischen Ebenen. Mit den Skythen begann der Reigen, er endete mit den Mongolen. Diese verschiedenen Völkerschaften hinterließen dann viele Denkmäler aus der Zeit ihres Durchzuges und Aufenthalts auf russischem Boden; aber die Bearbeitung dieses Materials ist erst in den Anfängen. Wie viel man auch von der Zukunft erwarten mag, heute helfen diese Denkmäler nur wenig, die alte Geschichte des russischen Volfes aufzuklären.

Der erste Versuch eines europäischen Volkes, im heutigen Rußland ein Reich zu gründen, ging im 4. Jahrh. von den Gothen aus. Das Wann und Wie ihrer Ankunft ist noch dunkel. Es ist unwahrscheinlich, daß sie nur aus Skandinavien gekommen seien. Jordanes erzählt, daß viele slavische und finnische Stämme ihnen untergeben waren ). Die Erinnerung an die gothische Herrschaft in Rußland hat sich in mehreren Sagen erhalten (die Herwardssage). Das gothische Reich ward von den Hunnen zerstört (376 n. Ch.) die sich dann gegen Pannonien wandten. Der Zug der mongolischen Hunnen riß viele Slaven mit sich fort. Die Stadt Attilas zeigt nach der Beschreibung des Rhetoren Priscus1) sla= vische Merkmale.

Hier finden wir Badestuben, eine hölzerne Stadt, Honig, Hirse und ein Getränk „Kamas“, wahrscheinlich Kwas. Ueberhaupt brachte 5) W. J. Lomanski: Ueber einige slavische Handschriften in Belgrad, Sagreb und Wien. Pet. 1864. 110-111.

6) Jordanes: de Getarum sive Gothorum orig. et rebus gestis. L. I. c. 23. 7) Priscus Thrax: historia Byzantina usque ad 474. ed. B. G. Niebuhr in Corp. Scr. histor. Byzant.

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