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möchte man auf den ersten Blick einen Widerspruch. mit Cicero und Seneca annehmen. Gaius sagt nämlich bezüglich der nomina arcaria, dass der Codex obligationis factae testimonium praebere; dass er an den eigenen Codex des Darlehngebers denkt, ergiebt sich mit Nothwendigkeit daraus, dass er diesen als Eintragenden bezeichnet 12). Wenn nun der Codex dic nomina arcaria beweist, so hat er unzweifelhaft bezüglich der nomina transscripticia die gleiche Kraft gehabt. Auch Gellius erzählt von einem vor ihm als Geschworenen verhandelten Darlehn:

sed qui petebat, neque tabulis neque testibus id factum docebat ...

Da er fremde und eigene tabulae nicht scheidet, so legt er offenbar beiden Beweiskraft bei. Ich sehe aber keinen Widerspruch zwischen diesen beiden Schriftstellern einerseits und Cicero resp. Seneca andererseits; denn beide leugnen ja nicht die Beweiskraft des eignen Codex 13); Cicero namentlich erklärt es für unanständig, davon Gebrauch zu machen:

suum codicem testis loco recitare, arrogantia est (§ 5 der Rede);

aber gerade diese Bezeichnung zwingt zu dem Schluss, dass juristisch der eigne Codex Beweiskraft liefert; und dies wird bestätigt durch die Worte des § 7:

Itaque adversaria in iudicium protulit nemo, codicem protulit, tabulas recitavit ...

12) Wenn das nomen in fremde Codices eingetragen wurde, so war der Eigenthümer des Codex der Eintragende; dies ist schon an sich selbstverständlich und ergiebt sich aus § 1 unserer Rede; derselbe ist auf Seite 164 abgedruckt.

13) Anders Heimbach (Creditum S. 609); er legt deshalb der Stelle von Gaius einen höchst gekünstelten Sinn unter, nämlich dass der eigene Codex nur unter der Bedingung die nomina arcaria beweise, wenn zugleich eine Eintragung in fremde Codices erfolgt ist.

Die Eintragung in fremde Codices unterstützte den Beweis, erhob ihn über jeden Zweifel, namentlich in Fällen, wenn der Beklagte seinen Codex, in welchem das Nomen nicht eingetragen war, zum Zwecke des Gegenbeweises producirte.

Ist der fremde Codex nur ein Beweismittel, so begreift man, dass Gaius 3, 128 sqq. vollständig von der Eintragung in denselben schweigt. Gaius erörtert die Entstehungsgründe der Obligationen; es entsteht aber die Literalobligation durch Eintragung in den eignen Codex.

Damit ist aber auch die ganze Werthlosigkeit der klägerischen Behauptung aufgezeigt. Die Eintragung in den eigenen Codex hat eine ganz andere Bedeutung als die in den fremden, die erstere kann deshalb durch die letztere nicht ersetzt werden, und die letztere ist. nicht im Stande, das, was der Eintragung in die eignen Adversaria fehlt, zu ergänzen.

Man erwartet nun, dass Cicero Folgendes ausführen würde. Es handle sich um einen Formalcontract, der, wenn auch nur im Geringsten in der Form gefehlt worden sei, nicht zur Giltigkeit gelange; im vorliegenden Falle könne man darüber streiten, ob die Form völlig mangle oder ob sie mangelhaft sei; erforderlich sei die Eintragung in den eignen Codex; statt dessen behaupte Kläger die Eintragung in fremde Codices und die in die eignen Adversaria; er zerlege das Eine und untheilbare Erforderniss in zwei incommensurable und unter einander nicht addirbare Halbheiten; das sei überall unzulässig, geradezu unerträglich sei es bei einem Formalcontract.

Man erwartet (sagte ich) eine solche Ausführung, aber Cicero giebt scheinbar eine andere; er schildert die nachlässige Abfassung der Adversaria, und die besonders aufmerksame des Codex; die Adversarien

nennt er perscriptiones et liturae, d. h. bei ihnen kommen Durchstreichungen vor, das Eingetragene kann also nicht den Anspruch auf Richtigkeit erheben; er nennt sie deiecta, weil sie nach Kurzem vernichtet werden (§§ 6 und 7 der Rede). Ich leugne nicht, dass auf den ersten Anblick die Ausführung Ciceros den Eindruck macht, als wolle er darthun, dass die Adversarien unmöglich als Beweismittel angezogen werden dürfen, während der Codex ein untrügliches Beweismittel ist. Allein Cicero macht doch auch eine Aeusserung, welche von einem ganz anderen Gesichtspunkt ausgeht. Quodsi (beginnt er den § 6) eamdem vim, diligentiam auctoritatemque habent adversaria quam tabulae, quid attinet, codicem instituere, conscribere, ordinem conservare, memoriae tradere literarum vetustatem? Cicero spricht also den Adversaria nicht bloss die Beweiskraft sondern die vis, diligentia, auctoritas des Codex ab; das ist der von mir oben entwickelte Gesichtspunkt; er führt aus, dass der Codex unmöglich durch die Adversarien vertreten werden könne. Man ist versucht, dem Cicero einen Vorwurf daraus zu machen, dass er diesen Gesichtspunkt nicht selbständig darlegt, dass er ihn mit der Beweisfrage vermischt hat; allein liess sich denn beides absolut von einander getrennt halten? Ist nicht die Nachlässigkeit resp. die Sorgsamkeit der Abfassung einerseits der Grund dafür, dass dem einen die Beweiskraft abgesprochen wird, während sie dem anderen zukommt, andererseits dafür, dass der Literalcontract aus dem einen nicht hervorgehen kann, während er mit dem anderen verknüpft ist? Ich schlage dieses Argument so hoch an, dass ich nicht glaube, darauf Gewicht legen zu müssen, dass Cicero nur ein halber Jurist war, und dass die Rede vor Nichtjuristen gehalten wird, dass mithin Verschiebung oder Verwechselung der Gesichts

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punkte leicht erklärlich ist. Nicht Cicero trifft ein Vorwurf sondern wenn man will Roscius; dieser hatte sich dem Vergleichsvorschlag des Piso gefügt, er zahlte die Hälfte der Vergleichssumme mit 50 000 Sesterzen, er nahm die Restipulation des Fannius entgegen, sicherlich erfolgte die Eintragung der Vergleichsschuld in die Codices des Perperna und Saturius mit seiner (des Roscius) Einwilligung 14); aber Fannius unterliess aus welchem Grunde, ist nicht zu ersehen die Eintragung in den eigenen Codex, und von diesem sei es zufälligen, sei es durch Absicht oder Nachlässigkeit veranlassten Umstand machte Roscius Gebrauch, um der Klage zu entgehen. Aber Roscius erklärte dieses Vorgehen durch eine Behauptung, die, wenn wahr, ihn vor jedem moralischen

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14) Dass die Einwilligung des Schuldners nöthig war, ergiebt sich aus § 2 unserer Rede (scripsisset ille, si non iussu huius expensum tulisset?) und aus Valerius Maximus facta et dicta VIII. 2 § 2 (Visellius Varro ab Otalicia Lateranensi expensa ferri sibi passus est eo consilio, ut, si decessisset, ab heredibus eius summam peteret, libidinosam liberalitatem debiti nomine colorando). Die weitergehende Behauptung Heimbachs (Creditum S. 325 ff.), dass der Schuldner nicht bloss consentirend sondern schreibend mitgewirkt habe, stützt sich einerseits auf die Paraphrase des Theophilus III, 21, andererseits auf 1. 13 D. ad sct. Vell. 16, 1. Allein die Stelle bei Theophilus bezieht sich (— ganz abgesehen davon, ob dem Theophilus Glaubwürdigkeit zukommt -) jedenfalls auf einen Literalcontract, welcher durch selbständige Urkunden und nicht durch Eintragung in den codex acc. et exp. perficirt wurde, und die 1. 16 cit. beruht darauf, dass nach vollzogener Eintragung in den Codex des Gläubigers der Schuldner gleichfalls in seinen Codex eine Eintragung machte (§ 2 unserer Rede: non scripsisset hic, quod sibi expensum ferri iussisset? nam quemadmodum turpe est scribere, quod non debeatur, sic improbum est non referre, quod debeas); aber der Literalcontract entstand, wie aus Gaius mit Sicherheit hervorgeht, durch die Eintragung des Gläubigers.

Tadel sicher stellt, durch die Behauptung nämlich, dass Flavius später an Fannius 100 000 Sesterzen gezahlt habe; zwar konnte diese Behauptung nach den damaligen Grundsätzen über Compensation in dem gegenwärtigen Process nicht vorgeschützt werden; auch stand der Beweis dafür juristisch auf schwachen Füssen (S. 153), jedenfalls aber war er soweit erbracht, dass, falls der Einwand zulässig gewesen wäre, dem Beklagten modern gesprochen ein Reinigungseid hätte auferlegt werden müssen; bei solcher Sachlage erscheint mir Roscius wohlbefugt, einen anderweiten Mangel der Klage (die Nichteintragung in den Codex des Fannius) geltend zu machen, und ich möchte ihm deshalb auch nicht einen moralischen Vorwurf machen.

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Das Resultat der bisherigen Erörterung ist, dass die Klage des Fannius, soweit sie pecunia credita behauptet, abgewiesen werden musste.

§ 13. Fortsetzung. Die cond. certi gegründet auf Societät.

Der zweite Theil der Rede beginnt mit dem § 16. Dass es sich hier um die Begründung der klägerischen Forderung aus der Societät handelt, und dass die Behauptung von Bethmann-Hollweg, es handle sich um causa furtiva oder um Bereicherung 1), auch nicht den Schatten eines Beweises für sich hat: kann aufs klarste dargethan werden.

Sofort im § 16 frägt Cicero den Fannius, worauf er seine Forderung stütze, ob auf Societät oder auf Liberalität des Roscius? Mit der cond. certi konnte also

1) A. a. O. S. 819. 820.

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