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bekannte schauspielerische Leichtsinnigkeit oder (wenn dies Wort einem Roscius gegenüber zu hart ist) Unerfahrenheit in allen Geldsachen. Cicero hat gut reden, dass Fannius sich auch hätte vorsehen und auch einen Vergleich hätte abschliessen sollen (§ 32 der Rede); der Umstand, dass Flavius nicht baares Geld, sondern einen Acker leistete, beweist doch augenscheinlich, dass er nicht vollkommen zahlungsfähig war, und dass Roscius auf Kosten seines früheren Socius sein eignes Interesse wahrnahm. In der That, der Character des Roscius lief Gefahr, mit einem Makel behaftet zu werden; für eine der Oeffentlichkeit angehörige und wegen ihrer künstlerischen Grösse in den höchsten Gesellschaftskreisen zugelassene Persönlichkeit war die Gefahr von grosser Bedeutung; die gesellschaftliche Stellung des Roscius stand auf dem Spiel. Hier ist das grosse Geschick des Piso anzuerkennen. Die bisherigen Interpreten 22) erklären ihn für parteiisch, und machen ihm eine entschiedene Begünstigung des Fannius zum Vorwurf. Ganz das Gegentheil findet statt; er räth dem Roscius, sich energisch aus der schmutzigen Affaire zu ziehen, und wenn der Ausdruck gestattet ist den ganzen Bettel dem Fannius an den Hals zu werfen; bloss die Ehre des Roscius liegt ihm am Herzen, diese aber wahrt er materiell und formell; materiell: durch die (offenbar fadenscheinige) Bezugnahme auf die Mühewaltung und Ge fahren des Fannius als Cognitor 23), formell: durch die

22) Zuletzt noch Bethmann-Hollweg, S. 808 in Note 11.

23) Es ist hierbei bemerkenswerth, dass nach Ciceros Mittheilung die ganzen 100 000 Sesterzen für diese Mühewaltung und Gefahren gezahlt werden, und dass es falsch wäre, die Summe in zwei Hälften getheilt zu denken: die eine Hälfte für die Cognitorfunction, die andere Hälfte als Zahlung der Societätsschuld. Dies thut Bethmann - Hollweg.

ungemein höfliche Form des Vergleichsvorschlags, tu enim (sagt Cicero in § 38) Q. Roscium... rogasti ut Fannio daret HS cccooo; nicht einen puren schiedsrichterlichen Vergleichsvorschlag macht Piso dem Roscius, er unterstützt ihn durch seine Bitte, und um zugleich der Welt darzuthun, dass Roscius keineswegs. ohne Rechtsansprüche sei, so verpflichtet er den Fannius zu dem Versprechen, die Hälfte dessen, was er später von Flavius erhalten sollte, an Roscius herauszugeben. Natürlich war durch diesen Vorschlag Fannius so erfreut, dass er seinen Gleichmuth verlor; er eilt zu Roscius, und dort kommt es zu der bereits oben erwähnten Scene: Fannius bekennt laut, völlig im Unrechten zu sein, er habe gar nichts aus der Societät zu fordern, er habe ganz ohne Grund das Compromiss geschlossen, er werde auch nicht mehr vor dem Arbiter erscheinen, er bat um Verzeihung, er erschien nicht mehr vor dem Arbiter, und Roscius wurde von dem letzteren freigesprochen (§ 26 der Rede).

Ist der Vergleich erfüllt worden?

Unzweifelhaft von Fannius; Cicero erzählt nicht bloss, dass er das Versprechen abgegeben 2), sondern er führt den Wortlaut der Restipulation an:

Quod a Flavio abstulero, partem dimidiam inde Roscio me soluturum spondeo (§ 37 der Rede). Was Roscius betrifft, so wird die Frage, ob er die Zahlung der 100 000 Sesterzen in einer juristisch bindenden Form versprochen, erst später erörtert werden, da sie eben eine Hauptfrage des gegenwärtigen Pro

24) Satisfecisti im § 26 der Rede; ferner: qua malum stultitia fuit Roscius, qui ex iurisperitorum consilio et auctoritate restipularetur a Fannio diligenter, ut, quod is exegisset a Flavio, dimidiam partem sibi dissolveret im § 56 der Rede.

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cesses ist. Jetzt mache ich darauf aufmerksam, dass Piso an sofortige Zahlung dachte (rogasti ut daret im § 38); Roscius zahlte denn auch die eine Hälfte mit 50 000 Sesterzen (§ 51 der Rede); die andere Hälfte liess er unbezahlt, vielleicht deshalb, weil er hoffte, dass Flavius an Fannius eine Zahlung machen werde; in der That behauptet Roscius im gegenwärtigen Process, dass Flavius dem Fannius 100 000 Sesterzen gezahlt habe; Fannius freilich bestreitet diese Behauptung, und der Beweis, welchen Cicero antritt (§ 42-51 der Rede), kann keineswegs als ein gelungener gelten. Er beruft sich auf den Richter in dem zwischen Fannius und Flavius schwebenden Vorprocess; dieser, der Römische Ritter Cluvius, habe zweien Senatoren, dem T. Manilius und C. Luscius im Privatgespräch die betreffende Mittheilung gemacht; die Senatoren beeideten ihre Aussage und Cicero liess sie verlesen. Ich verstehe nicht, wie Bethmann-Hollweg auf Grund dieser Aussage es als feststehend annimmt, dass Flavius an Fannius die Zahlung von 100 000 Sesterzen wirklich geleistet habe; die Zeugen sind doch reine testes de auditu, und der es ihnen mittheilte, war unbeeidet. Ich begreife nur soviel, dass Roscius von der Zahlung im höchsten Grade überzeugt war, und dass er deshalb sich weigerte, die zweite Hälfte der von Piso vorgeschlagenen Summe zu zahlen. Zur Compensation stellte er seine Gegenforderung aus der Restipulation, die doch durch die angebliche Zahlung des Flavius an Fannius existent geworden war, nicht; er konnte dies nicht, weil dies zu damaliger Zeit noch nicht zulässig war (Gaius 4, 63 sqq.), sondern er leugnete dass er zur Zahlung verpflichtet sei.

§ 12. Fortsetzung. Die cond. certi gegründet auf pecunia credita (Literalcontract).

Man erwartet nach dem Vorhergehenden, dass Fannius gegen Roscius die Klage auf Erfüllung des Vergleichs, soweit letzterer noch unerfüllt war, anstellte. Als solche Klage pflegt man, falls nicht der Vergleich in einen bestimmten benannten Vertrag ausläuft, die actio praescriptis verbis anzugeben, da sich der Vergleich als ein Innominatcontract darstellt. Im vorliegenden Falle kann von der act. praescr. verbis nicht die Rede sein; ich lasse dabei die Streitfrage, ob sie schon zur Ciceronianischen Zeit existirte, bei Seite 1), und hebe nur hervor, dass es sich hier um die Form facio ut des handelt (Fannius hat promittirt, Roscius soll zahlen), und dass bei dieser Form bekanntlich noch Paulus die act. praescr. verbis versagt 2).

Die angestellte Klage ist die condictio certi, Cicero bezeichnet die Klage überhaupt nicht mit dem technischen Namen, er beschreibt sie nur mehrmals:

§ 10 pecunia tibi debebatur certa, quae nunc petitur per iudicem ...

§ 13 praeterea enim, quemadmodum certam pecuniam petere possit, non reperio.

§ 14 pecunia petita est certa

...

man darf sich deshalb nicht wundern, dass er den Aus

1) Vgl. Rudorffs R. Rechtsg. Bd. 2 § 49 N. 19, Pernice, Labeo Bd. 1 S. 481 ff.

2) 1.5 § 3 D. de pr. verb. 19, 5.

druck condictio certi nicht gebraucht; er giebt ihre Formel an:

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sie ist dieselbe wie die oben in §§ 3. 4 behandelten Formeln des Argentarius und des Darlehnsgläubigers; daher steht unter den Interpreten der Charakter der Klage als condictio certi fest.

Auch das steht unter den Schriftstellern fest, dass in der Klagformel die causa des klägerischen Anspruchs nicht angegeben war; denn nicht bloss fehlt die Causa in dem oben wörtlich mitgetheilten Bruchstück der Formel (gleichwie in den übrigen aus Gaius und den Institutionen citirten Bruchstücken), sondern auch die Deduction Ciceros in den §§ 13. 14 zwingt uns zu dieser Meinung:

iam duae partes causae sunt confectae: adnumerasse sese negat, expensum tulisse non dicit, quum tabulas non recitat; reliquum est, ut stipulatum se esse dicat; praeterea enim, quemadmodum certam pecuniam petere possit, non reperio.

...

Die Klage des Fannius, meint Cicero, kann eine von drei Causae haben, und deshalb geht er alle drei durch; dass nicht alle drei in der Formel gestanden haben können, bedarf keiner Ausführung; mit Nothwendigkeit ergiebt sich, dass keine in der Formel stand3).

Enthielt aber die Formel keine Causa, so folgt mit Nothwendigkeit, dass sie auf irgend welche Causa gestützt werden konnte. Gegen diese Behauptung ist ein Einwand denkbar.

Wenn nämlich die cond. certi eine abstracte Klage

3) Savigny, System Bd. 5 S. 619.

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