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§. 1. Die abstracte persönliche Klage.

Der Inhalt dieser Abhandlung ist der Nachweis, dass die Condictio nicht dem materiellen Recht, sondern dem classischen Processe angehört. Genauer gesprochen: die gemeine Meinung setzt die Condictio mit der causa debendi in Beziehung, und behauptet, dass Condictionen nur aus bestimmten Obligationen zulässig sind; in dieser Abhandlung aber soll gezeigt werden, dass ein jeder civile persönliche Anspruch, gleichviel welcher Art und welchen Ursprungs, gleichviel ob stricti iuris oder bonae fidei, gleich viel ob aus einem Contracte oder aus einem Delict oder sonstwoher, mit der Condictio geltend gemacht werden durfte; grosse Einschränkungen dieser Behauptung werde ich bei der cond. incerti zugeben (§ 17).

Die soeben behauptete umfassende Zulässigkeit der Condictio ist nur durch eine Eigenthümlichkeit ihrer Formula möglich gewesen. Die Eigenthümlichkeit bestand darin, dass in der Formel die Causa des Anspruchs nicht angegeben wurde, die Formel der Condictio enthielt also weder eine Demonstratio (resp. eine ersetzende Präscriptio) noch auch geschah in der Intentio1) eine Erwähnung der Causa.

Mit

1) Die Beispiele bei Gai. 2, 213; 4, 55, sowie in der 1. Rubria de Gall. cisalp. c. 20 zeigen, dass auch in der Intentio der Causa gedacht werden konnte.

dem Wegfallen der Formel fiel auch die bezeichnete Besonderheit der Condictio; im Justinianischen Process hat die Condictio ihre Unterscheidung von den übrigen actiones in personam verloren.

Ich glaube das Richtige zu treffen, wenn ich die Condictionenformel als eine abstracte Formel, die Condictio als eine abstracte Klage bezeichne. Wenn auch das Wort neu sein mag: die Sache ist auf einem anderen Gebiete bereits zur Sprache gekommen; ich meine die actio in rem causa non expressa. Dass ihr gegenüber sich in classischer Zeit eine dingliche Klage mit causa expressa gebildet hat, dürfte heutzutage unbestritten sein, und man setzt den Vortheil der Klage mit causa expressa darein, dass der Kläger, wenn er sie verlor, eine neue Klage unter Anführung einer anderen Causa anstellen durfte.

Daher ist es geboten nachzuweisen, dass im Gebiete der persönlichen Ansprüche mit der abstracten Klage gewisse Vortheile verbunden sind, welche die Aufstellung einer solchen rechtfertigen.

Zunächst ist auf die Entwickelung hinzuweisen, welche das Römische Recht zwischen den zwölf Tafeln und der späteren Kaisergesetzgebung zurückgelegt hat. Man kann darüber streiten, ob die Entwickelung auf dem Gebiete der dinglichen oder auf dem der persönlichen Rechte grossartiger gewesen ist; aber nicht diese Frage muss hier zum Austrag gebracht werden; es genügt die Thatsache, dass zunächst fast das ganze Contractssystem, sodann aber eine Unzahl aussercontractlicher Ansprüche ausgebildet wurde. Diese Entwicklung beruht zum grössten Theil auf Gewohnheitsrecht, d. h. auf einer Rechtsquelle, für welche der Legisactionenprocess von einer später zu erörternden Ausnahme abgesehen (§ 15 N. 28) völlig unempfänglich war; die Legisactio setzt einen durch

Gesetz (lege) begründeten Anspruch voraus; das besagt schon ihr Name, ist auch, wie mir scheint, die heut herrschende Meinung, da Schriftsteller wie Ihering und Bekker 2) sich ausdrücklich dazu bekannt haben.

Bei solcher Sachlage war der Ausweg geboten: die Bezeichnung der Causa musste überhaupt unterbleiben, es musste genügen, den Anspruch quantitativ bestimmt in der Klage anzugeben; die Analogie der actio in rem, welche damals ohne Ausnahme sine causa expressa statt hatte, musste diesen Ausweg empfehlen. Von diesem Gesichtspunkt aus gewinnt die certa pecunia der lex Silia, die omnis certa res der lex Calpurnia ihre besondere Erklärung zwei Gesetze, welche unbestritten die Grundlage der classischen Condictio bilden. Ein jeder persönliche Anspruch besitzt seine Bestimmtheit von einer doppelten Seite her: von seiner Causa und von seinem Umfange aus; die legisactio sacramento verlangte, dass der Kläger beides (sowohl die bestimmte Causa als den bestimmten Umfang) angab (vgl. unten § 15); in den beiden Legisactionen, welche eingeführt wurden, um die Mängel der 1. a. sacr. zu heben, begnügte man sich mit der Bestimmtheit von bloss einer Seite: bei der 1. a. per iudicis arbitrive postulationem brauchte der Umfang, bei der per condictionem die Causa nicht angegeben zu werden, dagegen erheischte jene die Angabe der bestimmten Causa, diese des bestimmten Umfangs; dies genügte, um der Klage einen bestimmten Inhalt zu geben. - Nach Einführung des Formularprocesses war die Nichtangabe der Causa nicht mehr ein, wie ich oben bemerkte, gebotener Ausweg; es konnten nunmehr Formeln mit dem bisher verpönten gewohn

2) Ihering im Geist des R. R. 2, 669 ff.; Bekker in den Actionen 1, 93. 94.

heitsrechtlichen Ausdruck gebildet werden (und dies ist in den meisten Fällen geschehen); es konnte ferner zu einer Präscriptio pro actore an Stelle der Demonstratio gegriffen werden; warum sollte eine Präscriptio nicht ebenso z. B. das indebitum wie die permutatio bezeichnen können? Allein es ist Römische Art, einen juristischen Gedanken so lange festzuhalten, bis er sich völlig ausgelebt hat, und es ziemte sich deshalb, bei der Umwandlung der alten legisactio per condictionem in die formula condictionis die Nichtangabe der causa auch fernerhin zu beobachten. Dieser Gesichtspunkt darf in keiner Weise unterschätzt werden; er ist selbst in Fällen wirksam gewesen, wo die Bildung einer materiellen Formel (d. h. mit Angabe der Causa) sehr leicht hätte erfolgen können: bei der Stipulation auf eine bestimmte Geldsumme fand lediglich die condictio certi (die umgewandelte legisactio per cond. ex lege Silia) statt, und der Stipulator hatte keine actio ex stipulatu3):

1. 24 D. de reb. cred. 12, 1: si quis certum stipulatus fuerit, ex stipulatu actionem non habet, sed illa condicticia actione id persequi debet per quam certum petitur.

D. h. der Stipulator erhält keine Formel mit der Angabe der Stipulation als Klagegrund, sondern eine abstracte Klagformel. 4) - Wie bedeutsam der bisher erörterte Gedanke in der Rechtsgeschichte ist, wird durch die mittelalterliche Rechtsentwicklung bewiesen; ich komme hierauf später zurück (§ 7); vorläufig

3) Das Gleiche gilt von der Stipulatio auf alia certa res: ich habe sie oben im Texte blos deshalb unerwähnt gelassen, weil die angezogene 1. 24 D. de r. cr. 12, 1 nicht von ihr handelt.

4) Die Stelle ist von den Meisten übergangen worden; s. darüber unten § 10.

nur soviel, dass die neu entstandenen persönlichen Ansprüche von den Praktikern des Mittelalters sehr gern mit condictiones ex statuto, ex canone, ex moribus versehen wurden; zwar lag hierin ein Versehen, denn die abstracte Klage ist bereits im Justinianischen Process nicht mehr in Geltung und jenen mittelalterlichen Praktikern völlig unbekannt; immerhin aber liefert es den Beweis, dass die Jurisprudenz neu entstehende Ansprüche nicht immer sofort wissenschaftlich zu erfassen versteht, und dass sie dann zu einer Klage greift, bei welcher die Classificirung (d. h. das wissenschaftliche Verständniss) nicht verlangt wird; in diesem Punkte aber stimmt die mittelalterliche cond. ex statuto, canone, moribus mit der classischen abstracten Condictio überein. So ist denn die Condictio die Handhabe gewesen, mit welcher von der republicanischen Zeit bis fast in die unsrige ein guter Theil des Römischen Obligationenrechts fortentwickelt worden ist.

Der zweite Vortheil einer abstracten Klage ist die Möglichkeit, einerseits die (wenn der Ausdruck gestattet ist) wissenschaftliche Zweifelhaftigkeit der Causa zu umgehen, andererseits die wirkliche Schwäche der Causa zu verdecken. Was die wissenschaftliche Zweifelhaftigkeit betrifft, so meine ich Ansprüche, welche an sich wohlbegründet sind, deren Causa aber so oder anders formulirt werden kann; die Condictio sieht als abstracte Klage von der Formulirung der Causa überhaupt ab und hebt demnach über die ganze Schwierigkeit hinweg. Man sehe z. B.:

1. 39 D. de stip. serv. 45, 3: Quum servus, in quo usumfructum habemus, proprietatis domino ex re fructuarii vel ex operis eius nominatim stipuletur, acquiritur domino proprietatis; sed qua actione fructuarius recuperare possit a do

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